T 0783/15 () of 18.6.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T078315.20190618
Datum der Entscheidung: 18 Juni 2019
Aktenzeichen: T 0783/15
Anmeldenummer: 09745037.3
IPC-Klasse: C09J 153/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: STRAHLENCHEMISCH VERNETZBARE, GESCHÄUMTE SELBSTKLEBEMASSE BASIEREND AUF VINYLAROMATENBLOCKCOPOLYMEREN
Name des Anmelders: tesa SE
Name des Einsprechenden: 3M Innovative Properties Company
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Prüfung des Einspruchs - Ermessen der Einspruchsabteilung
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde des Patentinhabers richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2 283 100 zu widerrufen.

II. Der Einsprechende hatte gegen dieses Patent unter Artikel 100 a) (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und 100 b) EPÜ Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents in vollem Umfang beantragt.

III. Die im Einspruchsverfahren eingereichten Dokumente umfassten:

D2:|US 2003/0215660 A1 |

D9:|US 2004/0131846 A1.|

IV. Im Laufe des Einspruchsverfahrens wurde ein geänderter Hauptantrag eingereicht mit 12 Ansprüchen. Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Selbstklebemasse bestehend aus einem Gemisch enthaltend:

- einen Polymerblend aus thermoplastischen und/oder nicht-thermoplastischen Elastomeren mit mindestens einem Vinylaromatenblockcopolymer, das einen Anteil größer 30 Gew.-% an 1,2-verknüpftem Dien im Elastomerblock enthält- mindestens ein Klebharz, wobei der Anteil der Klebharze bezogen auf die gesamte Klebmasse zwischen 20 Gew.-% und 70 Gew.-% beträgt- expandierte polymere Mikrokugelnwobei das Vinylaromatenblockcopolymer durch Elektronen- und/oder UV-Strahlen im Elastomerblock vernetzt ist."

V. Das verspätet eingereichte Dokument D9 wurde als prima facie relevant angesehen und in das Verfahren zugelassen. Ferner entschied die Einspruchsabteilung, dass der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegenstehe, und dass der beanspruchte Gegenstand gegenüber D1 neu sei. Allerdings sei der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D9 als nächstliegendem Stand der Technik in Verbindung mit D2 nicht erfinderisch.

VI. Gegen diese Entscheidung legte der Patentinhaber (Beschwerdeführer) Beschwerde ein. Er beantragte die Entscheidung aufzuheben und das Patent im Umfang des mit der Beschwerdebegründung vom 15. Juni 2015 eingereichten Hauptantrags aufrechtzuerhalten, welcher dem Hauptantrag aus dem Einspruchsverfahren entsprach. Ferner beantragte er, D9 nicht in das Verfahren zuzulassen.

VII. Der Einsprechende (Beschwerdegegner) hat in seiner Erwiderung beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

VIII. Die Parteien wurden zu einer mündlichen Verhandlung geladen. In ihrem Bescheid erläuterte die Kammer ihre vorläufige Meinung. Die mündlichen Verhandlung vor der Kammer fand am 18. Juni 2019 statt.

IX. Die Argumente des Beschwerdeführers können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:

Zulassung von D9

Die Einspruchsabteilung habe zu Unrecht das im Einspruchsverfahren verspätet vorgebrachte Dokument D9 als prima facie relevant angesehen und in das Verfahren zugelassen. Der Fachmann habe keine Veranlassung gehabt, D9 näher in Betracht zu ziehen, da es sich nicht mit Selbstklebemassen befasse, die ein Vinylaromatenblockcopolymer umfassten, das einen Anteil größer 30 Gew.-% an 1,2-verknüpftem Dien im Elastomerblock enthalte.

Erfinderische Tätigkeit

D9 offenbare alle Merkmale des Gegenstandes von Anspruch 1 bis auf ein Vinylaromatenblockcopolymer, das einen Anteil größer 30 Gew.-% an 1,2-verknüpftem Dien im Elastomerblock aufweise. Als technische Aufgabe könne die Bereitstellung von alternativen Selbstklebemassen angesehen werden. Der Fachmann würde aber nicht auf D2 zurückgreifen und dieses Dokument mit der Lehre von D9 kombinieren. D2 würde davon abraten, das dort offenbarte anspruchsgemäße Styrolblockcopolymer Kraton® DKX 222 zu vernetzen, da dadurch eine deutliche Verschlechterung der Verklebungsleistung auftrete, wie die Beispiele der D2 zeigten. Zudem betreffe D2 hochdehnbare, wiederablösbare Klebebänder, die eine hohe Kohäsion und innere Festigkeit erforderten. Daher würde der Fachmann auch die in D2 verwendeten Selbstklebemassen nicht schäumen, da dies sowohl die Kohäsion als auch die innere Festigkeit herabsetze.

X. Die Argumente des Beschwerdegegners können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:

Zulassung von D9

Die Einspruchsabteilung habe zutreffen erkannt, dass D9 prima facie relevant sei.

Erfinderische Tätigkeit

Beispiel 15 von D9 sei der nächstliegende Stand der Technik und die technische Aufgabe sei, alternative Selbstklebemassen zur Verfügung zu stellen. Auf der Suche nach einer Alternative sei für den Fachmann naheliegend gewesen, das Styrolblockcopolymer Kraton**(®) D1107 aus Beispiel 15 von D9 gegen das in D2 beschriebene Kraton**(®) DKX 222 auszutauschen. Bei der resultierenden Selbstklebemasse sei im Lichte der Offenbarung von D2 eine ausreichende Kohäsion und Adhäsion derselben zu erwarten gewesen.

Entscheidungsgründe

1. Antrag, D9 nicht in das Verfahren zuzulassen

1.1 D9 wurde vom Einsprechenden (nun Beschwerdegegner) nach Ablauf der Einspruchsfrist aber noch innerhalb des nach Regel 116 (1) EPÜ gesetzten Zeitpunkts eingereicht. Die Einspruchsabteilung hat das Ermessen, verspätet eingereichte Beweismittel in das Verfahren aufzunehmen und zu berücksichtigen (Artikel 114 (2) EPÜ). Dieses Ermessen hat sie unter Anwendung der richtigen Kriterien ausgeübt. Die Einspruchsabteilung hat die Parteien gehört (Niederschrift über die mündliche Verhandlung, Seite 1) und sie hat untersucht, ob D9 prima facie relevant ist. Ihre Ermessensentscheidung hat sie damit begründet, dass D9 als hochrelevant für die Entscheidungsfindung anzusehen sei, da es "dem Erfindungsgegenstand näher kommt, als die sich bereits im Verfahren befindlichen Schriften" (angefochtene Entscheidung, Punkt 2.2). Die Relevanz dieses Dokuments für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist jedenfalls schon aus dem weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens offensichtlich: D9 wurde in der angefochtenen Entscheidung als der nächstliegende Stand der Technik herangezogen. In dieser Ausübung des Ermessens kann die Kammer keinen Fehler entdecken. Schließlich ist auch nicht zu erkennen, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen auf willkürliche Weise ausgeübt hätte.

1.2 Aus diesen Gründen sieht die Kammer keine Veranlassung, die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben, und D9 aus dem Verfahren zu nehmen.

2. Erfinderische Tätigkeit

2.1 Gemäß Streitpatent ist die Aufgabe der Erfindung, eine verbesserte Selbstklebemasse auf der Grundlage von Vinylaromaten- insbesondere Styrolblockcopolymeren bereitzustellen, die auch die vorteilhaften Eigenschaften einer mit expandierten Mikroballons geschäumten Polymermatrix aufweist (Absatz [0010]). Solche geschäumten Selbstklebemassen zeichnen sich durch eine geringe Dichte auf und eignen sich für die Verklebung von Formkörpern, wobei aber eine geringe Dichte eine geringe Kohäsion in der Schaummatrix bewirkt (Absätze [0001], [0002] und [0004]). Durch Vernetzung im Elastomerblock mit Hilfe von Elektronen- oder UV-Strahlen werden die kohäsiven Eigenschaften der geschäumten Selbstklebemasse bei hohen Temperaturen verbessert, wobei gleichzeitig die klebtechnischen Eigenschaften beibehalten werden (Absatz [0013]). Erfindungsgemäß wird für die Vernetzung ein Vinylaromatenblockcopolymer verwendet, welches einen Anteil größer 30 Gew.-% an 1,2-verknüpftem Dien im Elastomerblock enthält. Der einzige im Streitpatent beschriebene Vertreter dieser Klasse ist Kraton**(®) DKX222.

2.2 In der angefochtenen Entscheidung wurde Dokument D9 als der nächstliegende Stand der Technik angesehen. Der Beschwerdeführer hat kein anderes Dokument als nächstliegenden Stand der Technik herangezogen. Die Kammer sieht daher keinen Grund diesbezüglich von der angefochtenen Entscheidung abzuweichen.

D9 betrifft, wie auch das Streitpatent, Mikrokugeln enthaltende, mit Elektronenstrahlen vernetzbare (druckempfindliche) Klebebänder, die für verschiedene technische Anwendungen geeignet sind (Absätze [0002] und [0003]). Wie schon in der angefochtenen Entscheidung dargelegt, offenbart D9 in Beispiel 15 eine geschäumte Selbstklebemasse, die zwei Styroldienblockcopolymere, nämlich Kraton**(®) D1102 und Kraton**(®) D1107, Klebharze (in einem Gesamtanteil von 49 Gewichtsprozent), sowie expandierte polymere Mikrokugeln enthalten. Die Styroldienblockcopolymere werden durch Elektronenstrahlen vernetzt.

Das Beispiel 15 der D9 unterscheidet sich vom Gegenstand des Anspruchs 1 dadurch, dass kein Styrolblockcopolymer mit einem Anteil von größer 30 Gew.-% an 1,2-verknüpftem Dien im Elastomerblock verwendet worden ist. Es war unbestritten, dass dies der einzige Unterschied ist.

2.3 Es ist aus dem Streitpatent nicht ersichtlich, dass dieser Unterschied maßgeblich für irgendeine technische Wirkung sein könnte, insbesondere eine Verbesserung. Dies wurde von dem Beschwerdeführer auch nicht behauptet. Im Gegenteil, beide Parteien sahen die objektive technische Aufgabe gegenüber D9 lediglich in der Bereitstellung einer alternativen Selbstklebemasse. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an und sieht diese Aufgabe auch als gelöst an.

2.4 Der Fachmann würde auf der Suche nach einer Lösung der technischen Aufgabe auf D2 stoßen. D2 beschreibt eine Selbstklebemasse enthaltend (i) ein Styrolblock-copolymer mit einem Anteil größer 30 Gew.-% an 1,2-verknüpften Dien im Elastomerblock, wobei das Styrolblockcopolymer durch UV-Licht oder Elektronenstrahlen vernetzt werden kann, (ii) ein Blockcopolymer mit vinylaromatischen und elastomeren Blöcken und (iii) mindestens ein Klebharz (Anspruch 1). Als Beispiele für die Komponente (i) werden in D2 zwei vernetzbare Styrolblockcopolymere ausdrücklich erwähnt, nämlich Kraton**(®) DKX222, das auch im Streitpatent erwähnt ist, und Kraton**(®) D1320 (Absatz [0021]).

In den Beispielen von D2 werden Klebestreifen mit verschiedenen Polymerblends hergestellt. In Beispiel 8 wird ein Polymerblend aus Kraton**(®) DKX222 und Kraton**(®) D1102, sowie ein Klebharz in einem Gesamtanteil von 50 Gewichtsteilen. Die Klebestreifen von Beispiel 8 weisen ausdrücklich eine gute Vernetzung sowie ausreichende Kohäsion und Adhäsion auf (Absatz [0065]). Der Fachmann würde dabei sofort erkennen, dass Kraton**(®) D1102 auch im Beispiel 15 der D9 verwendet worden ist, nämlich in Kombination mit Kraton**(®) D1107.

Ausgehend von Beispiel 15 der D9 als nächstliegendem Stand der Technik und konfrontiert mit der Aufgabe, eine alternative Selbstklebemasse bereitzustellen, ist es für den Fachmann angesichts der Offenbarung von D2 naheliegend, zur Lösung der Aufgabe eine der im nächstliegenden Stand der Technik verwendeten Polymerkomponenten, nämlich Kraton**(®) D1107, gegen Kraton**(®) DKX222 auszutauschen. Die Anregung diesen Austausch vorzunehmen ergibt sich für den Fachmann dadurch, dass die Kombination Kraton**(®) D1107/1102 in D9 gute Ergebnisse erzielt und auch mit der Kombination Kraton**(®) DKX222/D1102 in D2 ausreichend gute Ergebnisse in Bezug auf Kohäsion und Adhäsion liefert. Somit gelangt der Fachmann zum Gegenstand von Anspruch 1 ohne erfinderisches Zutun.

2.5 Der Beschwerdeführer hat auf die relativ schlechte Schälgeschwindigkeit ("peel rate") für den Klebestreifen von Beispiel 8 der D2 hingewiesen (Tabelle, Seite 5 unten). Somit würde der Fachmann auch bei dem Austausch von Kraton**(®) D1107 Beispiel 15 von D9 durch Kraton**(®) DKX222 eine Verschlechterung bei der Schälgeschwindigkeit erwarten. Allerdings würde der Fachmann auf der Suche nach alternativen Selbstklebemassen nicht durch eine möglicherweise zu erwartende Verschlechterung bei einer einzelnen Eigenschaft von dem Austausch abhalten lassen. Zum einen ist die Schälgeschwindigkeit für Beispiel 8 der D2 nicht als unzureichend beschrieben. Zum anderem ist aus der Tabelle von D2 sogar ersichtlich, dass andere für Klebestreifen relevante Eigenschaften für Beispiel 8 sehr gut sind.

2.6 Der Beschwerdeführer hat auch angeführt, D2 betreffe hochdehnbare, wiederablösbare Klebebänder, die eine hohe Kohäsion und innere Festigkeit erforderten. Durch das Schäumen von Selbstklebemassen werde aber sowohl die Kohäsion als auch die innere Festigkeit herabgesetzt. Der Fachmann würde daher die Klebemassen von D2 nicht schäumen.

Das überzeugt ebenfalls nicht. Die objektive technische Aufgabe ist nämlich nicht, D2 auf irgendeine Weise zu modifizieren, beispielsweise durch Schäumen, sondern den nächstliegenden Stand der Technik D9. Etwaige Bedenken des Fachmanns, D2 abzuändern können daher keinen Einfluss auf die zu lösende objektive technische Aufgabe haben. In diesem Zusammenhang ist ergänzend zu erwähnen, dass es zwar nachvollziehbar ist, dass das Schäumen von Selbstklebemassen die Kohäsion derselben herabsetzt. Dann ist allerdings die geschäumte und vernetzte Selbstklebemasse des nächstliegenden Standes der Technik D9 auch mit diesem Mangel behaftet. Das Streitpatent stellt ebenfalls eine geschäumte und vernetzte Selbstklebemasse bereit, aber der Beschwerdeführer hat nicht gezeigt, dass etwaige Nachteile in der D9 überwunden wurden. Vielmehr scheint es so zu sein, dass etwaige Nachteile sowohl in D9 als auch im Streitpatent hingenommen werden.

2.7 Aus diesen Gründen ist die Kammer davon überzeugt, dass der Fachmann D2 zurate ziehen und mit D9 kombinieren würde. Somit beruht der Gegenstand von Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

3. Da der Hauptantrag (einziger Antrag) aus den oben genannten Gründen nicht gewährbar ist, erübrigt sich eine Erörterung der vom Beschwerdegegner unter Artikel 100 b) EPÜ erhobenen Einwände.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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