T 0696/15 () of 11.12.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T069615.20181211
Datum der Entscheidung: 11 Dezember 2018
Aktenzeichen: T 0696/15
Anmeldenummer: 07724817.7
IPC-Klasse: A47F 3/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VORRICHTUNG ZUR ZURSCHAUSTELLUNG VON GEGENSTÄNDEN
Name des Anmelders: Glasbau Hahn GmbH
Name des Einsprechenden: Goppion S.p.A.
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Patentansprüche - mangelnde Klarheit kein Einspruchsgrund
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit Zwischenentscheidung vom 8. Januar 2015 hat die Einspruchsabteilung das Europäische Patent Nr. 2142050 auf der Grundlage der Europäischen Patentanmeldung

EP07724817.7 in geändertem Umfang in der Fassung des damaligen Hauptantrags aufrechterhalten.

In ihrer Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Ergebnis, dass die geänderten Ansprüche des Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllen und dass der beanspruchte Gegenstand auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 52(1) und 56 EPÜ).

II. Gegen die vorgenannte Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Einsprechende (im Folgenden: Beschwerdeführerin) am 18. März 2015 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdegebühr wurde am selben Tag entrichtet und die Beschwerdebegründung am 18. Mai 2015 eingereicht.

III. Stand der Technik

D9 Auszug aus dem Buch "Annali del Laboratorio

Museotecnico", Band III, veröffentlicht in 2002, Goppion S.r.l. in Trezzano sul Naviglio (Italien): Deckblätter, Seiten 39 bis 54, Seiten 85 bis 100 und Seite 259

D12 Auszug aus dem Buch "The Royal Armouries in

Leeds. The making of a museum", 1996, Ed. Royal Armouries Museum, Derek Walter, Guy Wilson, Seite 95 sowie weitere, verschiedene Seiten

D13 EP 0775459 A2

IV. Die Beteiligten haben folgende Anträge gestellt:

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

V. Der unabhängige Anspruch 1 entspricht dem Anspruch 1 des Hauptantrags im Einspruchsverfahren und lautet:

"Vorrichtung zur Zurschaustellung oder Aufbewahrung von Gegenständen mit einem vorzugsweise quadratischen oder rechteckigen Grundriss und mit einer vorderen, einer hinteren, einer oberen, einer rechten und einer linken Seitenfläche, einem Sockel oder zusätzlich mit einem Oberteil anstelle der oberen Seitenfläche, wobei sämtliche Seitenflächen oder zumindest ein Teil derselben aus Glasscheiben bestehen, der Innenraum in seinem unteren Bereich mit einer Auflagefläche abschließt und die Vorrichtung gegenüber der Außenluft weitgehend luftdicht abgeschlossen ist, wobei die Vorrichtung aus zwei symmetrischen, vertikal von einander getrennten Hälften (8, 9) besteht, wobei der Sockel (6) und das eventuell vorhandene Oberteil (14) einen Teil der vorderen (1), hinteren (2), rechten {3) und linken Seitenfläche (4) bildet, wobei die beiden Hälften (8, 9) horizontal und parallel durch geeignete Mittel voneinander bzw. zueinander bewegbar sind, wobei die Auflagefläche (7) von der Bewegung ausgeschlossen ist,

dadurch gekennzeichnet,

dass die beiden Hälften (8, 9) an Führungen (10, 11) beweglich angebracht sind, welche paarweise im Innern des Sockels (6) und gegebenenfalls auch innerhalb des Oberteils (14) untergebracht sind,

dass im Innern des Sockels (6) eine Anordnung (12) vorhanden ist, mit welcher die Führungen (10,11) und die Auflagefläche (7) fest verbunden sind,

dass die Führungen (10, 11) aus einem festen und einem beweglichen Teil bestehen, wobei der feste Teil mit der Anordnung (12) fest verbunden ist und die beiden Hälften (8, 9) als beweglicher Teil im festen Teil verschiebbar gelagert sind,

dass am festen Teil der Führungen (10, 11) jeweils ein elektromotorisch betriebener Antrieb angebracht ist, durch welchen der bewegliche Teil der Führungen (10, 11) bewegbar ist."

VI. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen wie folgt vorgetragen:

a) Klarheit

Durch das Wort "gegebenenfalls" im Merkmal des Anspruchs 1, wonach die beide Hälften an Führungen beweglich angebracht sind, welche paarweise im Inneren des Sockels und gegebenenfalls auch innerhalb des Oberteils untergebracht sind, seien derart unterschiedliche Auslegungen der kennzeichnenden Merkmale möglich, welche insgesamt zu Unklarheit des beanspruchten Gegenstands im Sinne von Artikel 84 EPÜ führen würden.

b) Erfinderische Tätigkeit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von D9 dadurch, dass, anstatt der in D9 eingesetzten manuell betätigbaren Antriebsvorrichtung, jeweils am festen Teil der Führungen ein elektromotorisch betriebener Antrieb angebracht sei.

Die beanspruchte Art des elektromotorisch betriebenen Antriebs bzw. seine örtliche Lage hätten keine spezifische technische Wirkung; sie stellten lediglich eine unter einer geringen Anzahl, nämlich vier bis fünf, von äquivalenten Antriebsmöglichkeiten dar ausgehend von der Darstellung gemäss Figur 3 des Streitpatents. Die Auswahl der an sich aus D12 oder D13 bekannten Antriebsvariante benötige kein erfinderisches Zutun durch den Fachmann.

VII. Die Stellungnahme der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden:

Der nächstliegende Stand der Technik werde durch D9 und nicht durch die Figur 3 des Patents dargestellt. Die lehre der D12, einen von den Führungen getrennten Motor bei schweren Vitrinen einzusetzen, würde der Fachmann in naheliegender Weise an D9 derart anwenden, dass er den zentral gelagerten, aus einer Kurbel bestehenden manuellen Antrieb von D9 durch einen elektromotorischen Antrieb an gleicher Stelle ersetzen würde. D13 betreffe eine vertikal öffnende Vitrine mit Elektromotoren, die ebenfalls separat von den Führungen angebracht seien. Der Fachmann würde daher auch bei Betrachtung von D12 und D13 nicht zur beanspruchten Erfindung gelangen.

Sollte entsprechend den Ausführungen der Beschwerdeführerin die Figur 3 des Streitpatents den Ausgangspunkt für die Angriffslinie der mangelnden erfinderischen Tätigkeit anstelle von D9 bilden, so würde der darauf gebildete Angriff auf einer rein rückschauenden Betrachtung beruhen.

VIII. Am 11. Dezember 2018 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, am Ende welcher die Kammer ihre Entscheidung verkündet hat.

Entscheidungsgründe

1. Artikel 84 EPÜ - Klarheit

Der Einwand mangelnder Klarheit nach Artikel 84 EPÜ seitens der Beschwerdeführerin ist nach der Entscheidung der Grossen Beschwerdekammer G0003/14 vom 24. März 2015 außer Acht zu lassen, da der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltene Anspruch 1 aus der Kombination der erteilten Ansprüche 1, 3, 4, 7 und 9 besteht.

Folglich sind die in der angefochtenen Entscheidung vom 8. Januar 2015 angegebenen Gründe hinsichtlich der Klarheit des Anspruchs 1 von der Kammer nicht zu überprüfen und der diesbezüglich mit der Beschwerdebegründung wiederholte Angriff außer Acht zu lassen.

2. Erfinderische Tätigkeit

2.1 Nächstliegender Stand der Technik: D9

Der Buchauszug D9 offenbart eine Vitrine, also eine Vorrichtung zur Zurschaustellung oder Aufbewahrung von Gegenständen (S.98, Bilder oben) mit einem quadratischen oder rechteckigen Grundriss, mit einer vorderen, einer hinteren, einer oberen, einer rechten und einer linken Seitenfläche aus Glasscheiben, und mit einem Sockel. Der Innenraum schließt in seinem unteren Bereich mit einer Auflagefläche ab. Die Vitrine ist gegenüber der Außenluft weitgehend luftdicht abgeschlossen (S.99, Abbildung II).

Die bekannte Vitrine besteht aus zwei symmetrischen, vertikal von einander getrennten Hälften (S.98, Bild rechts oben; S.99, Bild I), wobei der Sockel einen Teil der vorderen, hinteren, rechten und linken Seitenfläche bildet (S.98, Bild rechts oben). Die beiden Hälften sind horizontal und parallel durch geeignete Mittel voneinander bzw. zueinander bewegbar (S.98, Bild rechts oben; S.99, Abbildung I), wobei die Auflagefläche von der Bewegung ausgeschlossen ist (S.98, Bild rechts oben). Die beiden Hälften sind an Führungen beweglich angebracht, die paarweise seitlich im Inneren des Sockels untergebracht sind (S.98, Bild rechts oben, Führungen an den Seiten).

Im Inneren des Sockels ist eine Anordnung vorhanden, mit welcher die Führungen und die Auflagefläche fest verbunden sind. Dieses Merkmal ist unstrittiger Weise in D9 implizit offenbart, weil die Führungen selbstverständlich einen mit der Auflagefläche verbundenen festen/unbeweglichen Teil aufweisen müssen. Die Anordnung besteht in D9 also in dem Element, welches die Auflagefläche und einen Teil der Führungen verbindet, wobei die Führungen jeweils ein festes Teil und ein bewegliches Teil umfassen und die festen Teile mit der Anordnung fest verbunden sind (S.98, Bild rechts oben; S.99, Abbildung I).

Bei dieser bekannten Vorrichtung werden die beide Hälften von bzw. zueinander mittels einer manuell betätigten Vorrichtung bewegt. Diese Vorrichtung umfasst eine Kurbel, die einem Ritzel und zwei Zahnstangen antreibt (S.98, rechte Spalt; S.99, Abbildung I). Diese Elemente der manuell betätigbaren Antriebsvorrichtung sind zentral, getrennt/separat von den Führungen angeordnet (s. S.99, Abbildung I).

2.2 Unterschied gegenüber D9

Der aus D9 bekannte nächstliegende Stand der Technik offenbart somit die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 sowie ein Großteil des Kennzeichens.

Insbesondere ist auch ein Teil des letzten kennzeichnenden Merkmals in D9 offenbart, da die bekannte Vitrine eine manuell betätigbare Antriebsvorrichtung (Kurbel, Ritzel, Zahnstangen) umfasst, durch welche die beweglichen Führungen bewegbar sind.

Wie bereits in der angefochtenen Entscheidung festgehalten, unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von D9 also lediglich dadurch, dass, anstatt der manuell betätigbaren Antriebsvorrichtung, jeweils am festen Teil der Führungen ein elektromotorisch betriebener Antrieb angebracht ist.

2.3 Aufgabe

Die technische Wirkung des unterscheidenden Merkmals ist, dass das Öffnen der Vitrine durch motorische Kraft ausgeführt wird.

Die mit der vorliegenden Erfindung zu lösende objektive technische Aufgabe besteht demnach darin, die Bedienung von größeren bzw. schwereren Vitrinen zu erleichtern.

2.4 Keine naheliegende Lösung im Stand der Technik

Die Kammer ist aufgrund folgender Überlegungen zur Entscheidung gelangt, dass der Fachmann auch bei Heranziehen von D12 oder D13 nicht in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gefunden hätte.

2.4.1 In D12 erhält der Fachmann die allgemeine Lehre, motorisierte Öffnungsvorrichtungen für Vitrinen einzusetzen (Seite 95, Bild rechts oben und letzter Absatz, Zeilen 4-7).

Wie die Motorisierung bei einer wie in Seite 95, oberes Bild dargestellten Vitrine zu gestalten wäre, wird in D12 nicht näher offenbart. Es liegt natürlich im Bereich der üblichen Tätigkeit des Fachmannes, geeignete Motorisierungen ins Auge zu fassen, wobei zu diesem Zwecke viele unterschiedliche Alternativen (Motorart, Antriebsart, Motorlagerungsort, usw.) sich anbieten würden.

In der vorliegenden Sache liegen die denkbaren geeigneten Ausführungsvarianten für einen motorischen Antrieb jedoch nicht alle in gleichermaßen auf der Hand. Die sich dem Fachmann direkt anbietende Art und Weise, die allgemein in D12 angesprochene Motorisierung des Öffnungsmechanismus auf die Vitrine gemäß D9 anzuwenden, besteht nämlich zweifellos darin, die den Ritzel betätigende manuelle Kurbel durch einen elektrisch motorisierten Antrieb zu ersetzen und dabei den Grundaufbau des Antriebs sowie dessen Lagerort unverändert zu lassen.

Bei der praktischen Umsetzung dieses Gedankens könnte der Fachmann vielleicht noch in naheliegender Weise den in D9 vorgesehenen, die Zahnstangen antreibenden Ritzel als Abtriebswelle des elektrischen Antriebsmotors umgestalten und dabei den Motor im Sockel, aber stets zentral und getrennt von den Führungselementen, in einer geeigneten Art einbauen.

Dass der Fachmann in einem oder mehreren weiteren Schritt(en) den elektromotorisch betriebene Antrieb duplizieren und jeweils am festen Teil des Führungspaares im Sockel anbringen würde, geht jedoch deutlich über dem hinaus, was er ohne weitere Anregung bzw. ohne erfinderischen Gedanke zu tun pflegen würde.

2.4.2 Die Kammer ist auch zur Überzeugung gelangt, dass der Fachmann ausgehend von einer Vitrine gemäß D9, welche aus zwei symmetrischen, vertikal von einander getrennten Hälften besteht, das grundsätzlich andere Aufbaukonzept einer horizontal in zwei Teilen getrennten Vitrine von D13 bei der Suche einer adäquaten Lösung nicht berücksichtigt/herangezogen hätte.

Hätte er dennoch von der Gesamtlehre nur einen Teilaspekt des in D13 offenbarten Gegenstands übernehmen wollen, nämlich ganz allgemein das Einsetzen von Elektromotoren zum Öffnen/Schließen einer Vitrine, so hätte er weitere Gedankensschritte tätigen müssen, wie der manuell betätigbare Spindel-Zahnstangen-Antrieb bei der Vitrine gemäß D9 durch eine oder mehrere Elektromotoreinrichtung(en) zu ersetzen gewesen wäre. Die Schlussfolgerung der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann ohne Weiteres zum Ergebnis gefunden hätte, einen elektromotorisch betriebenen Antrieb jeweils am festen Teil der zwei Führungen anzubringen und somit in die Führungseinrichtung zu integrieren, wurde nicht näher substantiiert.

2.4.3 Die Kammer ist daher zum Ergebnis gelangt, dass der Einwand mangelnder erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D9 und bei Heranziehen von D12/D13 auf einer rückschauender Betrachtung bzw. auf einer ex post facto Analyse beruht und daher nicht zutrifft.

2.4.4 Der Vollständigkeit halber ist noch festzustellen, dass die von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung vorgetragene Argumentationslinie, wonach der Fachmann ausgehend von einem Vitrinenaufbau gemäß der Figur 3 des Streitpatents in naheliegender Weise zur beanspruchten Vorrichtung gelangt wäre, weil er dafür lediglich eine aus höchstens vier bis fünf alternativen Unterbringungsmöglichkeiten für den Elektromotor auswählen müsste, ohne dass dadurch zusätzliche Effekte bzw. Vorteile erreicht würden, an der Sache vorbei geht, weil nicht von einem nachgewiesenen Stand der Technik nach Artikel 54(2) EPÜ ausgegangen wird.

Ein derartig artikulierter Angriff vermag dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz, der bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stets anzuwenden ist, keineswegs zu entsprechen.

2.5 Im Ergebnis bestätigt die Kammer die Begründung der Einspruchsabteilung in ihrer Zwischenentscheidung, nämlich dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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