T 0633/15 () of 22.1.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T063315.20190122
Datum der Entscheidung: 22 Januar 2019
Aktenzeichen: T 0633/15
Anmeldenummer: 03029867.3
IPC-Klasse: B22D 11/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Stranggiessen von Knüppel- und Vorblocksträngen und Formhohlraum einer Stranggiesskokille
Name des Anmelders: CONCAST AG
Name des Einsprechenden: Primetals Technologies Austria GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent EP-B1-1 547 705 betrifft einen Formhohlraum einer Stranggießkokille.

II. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, das Patent zu widerrufen, da der Gegenstand der Ansprüche in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.

III. Gegen diese Entscheidung legte die Patentinhaberin (die Beschwerdeführerin) Beschwerde ein und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in eingeschränkter Form auf der Grundlage der Ansprüche des Hauptantrags, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin (die Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

IV. In Übereinstimmung mit Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) lud die Kammer die Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung. Als Anhang zur Ladung erließ sie eine Mitteilung, in der die vorläufige Meinung der Kammer dargelegt wurde, dass der geänderte Anspruch 1 nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfülle.

V. Mit einem Schreiben vom 21. Januar 2019 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie an der Verhandlung nicht teilnehmen werde.

VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 22. Januar 2019 wie angekündigt in Abwesenheit der Beschwerdeführerin gemäß Artikel 15(3) VBOK und Regel 115(2) EPÜ statt.

VII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag inklusive einer von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagenen Merkmalsgliederung lautet:

M1-1 "Kokille mit einem Formhohlraum zum Stranggiessen von Knüppel- und Vorblocksträngen,

M1-2 wobei Umfangslinien (13, 15) des Formhohlraumquer-schnittes mindestens in den Eckbereichen (19, 19') des Formhohlraumquerschnittes gebogene Abschnitte (16) aufweisen und

M1-3 Wände des Formhohlraumes (4, 14) gekühlt sind,

M1-4 wobei die gebogenen Abschnitte jeweils der Umfanglinie (13, 15) des Kokillenhohlraumquerschnittes durch eine mathematische Kurvenfunktion mit einem oder zwei Basisparametern (A, B) und mit einem Exponenten (n) festgelegt wird,

M1-5 wobei die Umfangslinien (13, 15) in den hohlkehlartig gebogenen Eckbereichen (19, 19') des Formhohlraumes zur Steuerung einer gezielten Strangschalenumformung Krümmungsverläufe aufweisen, die auf einen max. Krümmungsgrad (1/R) (30 - 30"") an- und von diesem wieder abschwellen und

M1-6 wobei sich der vorbestimmte max. Krümmungsgrad (30 - 30"") von in Stranglaufrichtung sich nachfolgenden Umfangslinien (23 - 23"") der gleichen Eckbereiche mindestens über einen Teilbereich der Kokillenlänge (19, 19') stetig oder unstetig verkleinert.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 11 betreffen bevorzugte Ausführungsformen der in Anspruch 1 definierten Kokille.

VIII. Das für diese Entscheidung wesentliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Eine Kokille gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags sei aus den im Zusammenhang mit den Figuren 2 bis 4 beschriebenen Ausführungsformen direkt und unzweideutig ableitbar. Eine wortwörtliche Angabe technischer Merkmale sei als Basis für die in Anspruch 1 genannten Merkmale nicht erforderlich, um den Erfordernisses des Artikels 123(2) EPÜ zu genügen.

IX. Entsprechend lässt sich das Vorbringen der Beschwerdegegnerin wie folgt zusammenfassen.

Der Wortlaut der Merkmale M1-5 und M1-6 des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag sei aus der ursprünglichen Anmeldung nicht ableitbar. Ferner sei die in der ursprünglichen Anmeldung als essentiell dargestellte Bedingung, dass der Kurvenverlauf der Kokillenform keiner kreisförmigen Bogenlinie folge und dass die Kokille einen gleichmäßigen Sollwärmedurchgang ermögliche, ohne entsprechende Basis in den Anmeldeunterlagen gestrichen worden.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Artikel 123(2) EPÜ

1.1 Anspruch 1 richtet sich auf eine "Kokille mit einem Formhohlraum zum Stranggießen von Knüppel- und Vorblocksträngen..." in Anlehnung an den ursprünglich eingereichten Anspruch 7.

1.2 Die maßgeblichen Änderungen im Vergleich zum ursprünglich eingereichten Anspruch 7 sind im Folgenden hervorgehoben (Hinzufügung, [deleted: Streichung] eines Merkmals):

M1-1 Kokille mit einem Formhohlraum zum Stranggiessen von Knüppel- und Vorblocksträngen,

[deleted: wobei mindestens ein Teilabschnitt der Umfangslinie (13, 15) des Formhohlraumquerschnittes Bogenlinien (23 - 23"') aufweist]

M1-2 wobei Umfangslinien (13, 15) des Formhohlraumquer-schnittes mindestens in den Eckbereichen (19, 19') des Formhohlraumquerschnittes gebogene Abschnitte (16) aufweisen und

M1-3 Wände des Formhohlraumes (4, 14) gekühlt sind,

[deleted: dadurch gekennzeichnet, dass]

M1-4 wobei die [deleted: von einem Kreisbogen abweichenden ]gebogenen Abschnitte jeweils der Umfanglinie (13, 15) des Kokillenhohlraumquerschnittes durch eine mathematische Kurvenfunktion mit einem oder zwei Basisparametern (A, B) und mit einem Exponenten (n) festgelegt wird,

[deleted: und sich die Geometrie von in Stranglaufrichtung sich folgenden Bogenlinien (23 - 23"') entlang der Formhohlraumwand durch stetige oder unstetige Veränderung des Exponenten]

[deleted: und/oder der Basisparameter der Kurvenfunktion]

[deleted: auf einen gleichmässigen Sollwärmedurchgang entlang der Umfangslinie ausrichtet.]

M1-5 wobei die Umfangslinien (13, 15) in den hohlkehlartig gebogenen Eckbereichen (19, 19') des Formhohlraumes zur Steuerung einer gezielten Strangschalenumformung Krümmungsverläufe aufeisen, die auf einen max. Krümmungsgrad (1/R) (30 - 30"") an- und von diesem wieder abschwellen und

M1-6 wobei sich der vorbestimmte max. Krümmungsgrad (30 - 30"") von in Stranglaufrichtung sich nachfolgenden Umfangslinien (23 - 23"") der gleichen Eckbereiche mindestens über einen Teilbereich der Kokillenlänge (19, 19') stetig oder unstetig verkleinert.

1.3 Änderungen beruhend auf einer Streichung von Merkmalen

1.3.1 Die Bedingung gemäß ursprünglichem Anspruch 7, dass sich die Geometrie von in Stranglaufrichtung sich folgenden Bogenlinien (23 - 23"') entlang der Formhohlraumwand auf einen gleichmäßigen Sollwärmedurchgang entlang der Umfangslinie ausrichtet (siehe auch Beschreibung zu Figur 3, Seite 6, Zeile 27 bis Seite 7, Zeile 6), ist durch die vorgenommenen Änderungen nicht mehr vorhanden (siehe Streichung in Merkmal M1-4).

Ein gleichmäßiger Sollwärmedurchgang in der Kokille ist dabei essentiell, um eine gleichmäßige Kühlung der sich bildenden Strangschale zu gewährleisten. Eine Basis für die Streichung dieses Merkmals wurde von der Beschwerdeführerin nicht identifiziert.

1.3.2 Auch schließt der geänderte Anspruch 1 in Merkmal M1-4 nicht mehr aus, dass die Bogenlinie der Umfanglinie (13, 15) des Kokillenhohlraumquerschnittes eine Kreisform aufweisen darf.

Eine Lehre für die Verallgemeinerung gemäß Anspruch 1, wonach es möglich ist, dass die Bogenlinie eine Kreisform aufweist, lässt sich in der ursprünglichen Anmeldung nicht finden, die vielmehr in sich schlüssig stets das Gegenteil lehrt (siehe Anspruch 7, Beschreibung zu Figur 2, Seite 6, Zeile 24).

1.3.3 Das Streichen der oben genannten Merkmale aus dem Wortlaut des ursprünglichen Anspruchs 7 stellt daher eine unzulässige Erweiterung gegenüber dem Inhalt der ursprünglichen Anmeldung dar.

1.4 Änderungen beruhend auf einer Hinzufügung von Merkmalen

1.4.1 Der Wortlaut der Merkmale M1-5 und M1-6 wird in der ursprünglichen Anmeldung als solches nicht offenbart.

1.4.2 Die in den Figuren 2 bis 4 illustrierten Beispiele, die von der Beschwerdeführerin als Basis für die vorge-nommenen Änderungen identifiziert werden, vermitteln im Allgemeinen die Lehre, dass die Bogenlinie in den Eckbereichen der speziellen Kurvenfunktion |X|**(n) + |Y|**(n) = |R|**(n) genügt. Eine Ableitung bestimmter Eigenschaften aus den Kurvenlinien und ihres Verlaufs ist gemäß den Beispielen daher immer mit der speziellen Kurvenfunktion verknüpft, die in Anspruch 1 allerdings nicht definiert wird. Eine entsprechende Lehre für Kurvenlinien, die nicht der speziellen Kurvenfunktion genügen, ist der Anmeldung nicht zu entnehmen.

1.4.3 Auch wird für alle Ausführungsformen gemäß den Figuren 2 bis 4 der Beispiele (siehe Seite 5, Zeile 12 bis Seite 8, Zeile 17) eine Mindestanforderung für die Größe des Eckenbereichs ("beidseitig mindestens 10 % der Seitenlänge") und eine Auswahl der Exponenten unter einer bestimmten Zielsetzung gelehrt ("Formraum so gestalten, dass die sich bildende Strangschale über den Kokillenumfang gesehen gleichmäßig abkühlt und sich in der Strangschale möglichst ein symmetrisches Temperaturfeld einstellt", "gleichmäßiger Sollwärmedurchgang").

Eine Verallgemeinerung auf alle Formen von gebogenen Abschnitten auf Basis beliebiger mathematischer Exponentialfunktionen gemäß Anspruch 1 lässt sich allerdings nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Beispiele und den zugehörigen Figuren der ursprünglichen Anmeldung ableiten.

1.4.4 Selbst wenn man die in den ursprünglichen Figuren 2 bis 4 dargestellten Ausführungen in Anbetracht der obigen Einwände losgelöst von der zugehörigen, einschränkenden Beschreibung betrachtet, vermitteln die schematischen Zeichnungen nicht direkt und unzweideutig die Merkmale M1-5 und M1-6.

Den Figuren 2 bis 4 ist beispielsweise nicht zweifelsfrei zu entnehmen, dass die Umfangslinien einer mathematischen Exponentialfunktion folgen sollen, da die Figuren 2 bis 4 keinen Hinweis auf bestimmte mathematische Funktionen geben.

Selbst wenn man akzeptiert, dass sich der Krümmungsgrad der Bogenlinien zu den Ecken hin steigert und danach wieder abfällt, kann aus den Zeichnungen zudem nicht zweifelfrei abgeleitet werden, dass sich der Krümmungsgrad der einzelnen Bogenlinien stetig oder unstetig in Stranglaufrichtung verändert (siehe Bogenlinien in Figur 2).

1.4.5 Das Hinzufügen der Merkmale M1-5 und M1-6 generiert daher eine technische Lehre, die über die Lehre der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht.

1.5 Zusammenfassend kommt die Kammer daher zu dem Schluss, dass das Patent in der Fassung des Hauptantrags nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt.

Die Beschwerde der Patentinhaberin gegen den Widerruf ihres Patents hat daher keinen Erfolg.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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