European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T046815.20171023 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 October 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0468/15 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08786231.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | C05C 3/00 C05G 3/00 C05C 1/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Kalkhaltiger Stickstoff-Schwefel-Dünger und Verfahren zu dessen Gewinnung | ||||||||
Name des Anmelders: | Borealis Agrolinz Melamine GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | YARA INTERNATIONAL ASA | ||||||||
Kammer: | 3.3.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - (nein) Spät eingereichter Hilfsantrag - Antrag eindeutig gewährbar (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) betrifft die Zwischenentscheidung der Einspruchs-abteilung das europäische Patent EP-B1-2 178 809 in geänderter Form auf Basis des damaligen dritten Hilfsantrags aufrecht zu erhalten.
II. Die folgenden in der angefochtenen Entscheidung erwähnten Dokumente sind relevant für die vorliegende Entscheidung:
D5: Guidance for UN classification of ammonium nitrate based substances, European fertilizer manufacturers association, 2006
D7: Ammonium Nitrate-Supply/Demand 1957-1977, The British Sulphur Corporation Limited, 1970
D7a: Berechnungen betreffend die Zusammensetzung aus D7 (Seite 35)
III. Mit der Beschwerdebegründung vom 12. Mai 2015 reichte die Beschwerdeführerin u.a. folgende Dokumente ein:
D14: Römpps Chemie Lexikon, Achte neubearbeitete und erweiterte Auflage, Franck'sche Verlagshandlung Stuttgart, Band 3, Seite 2026
D15: Römpps Chemie Lexikon, Achte neubearbeitete und erweiterte Auflage, Franck'sche Verlagshandlung Stuttgart, Band 3, Seite 190
D16: Römpps Chemie Lexikon, Achte neubearbeitete und erweiterte Auflage, Franck'sche Verlagshandlung Stuttgart, Band 3, Seite 192
D17: Römpps Chemie Lexikon, Achte neubearbeitete und erweiterte Auflage, Franck'sche Verlagshandlung Stuttgart, Band 3, Seiten 563-565
IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK war die Kammer der vorläufigen Meinung, dass keiner der vorliegenden Anspruchssätze den Erfordernissen des EPÜ genüge.
V. Daraufhin reichte die Beschwerdegegnerin neue Anspruchssätze sowie Testergebnisse ein.
VI. Die mündliche Verhandlung fand am 23. Oktober statt. Während der Verhandlung reichte die Beschwerdegegnerin einen neuen Hauptantrag und einen neuen 1. Hilfsantrag ein. Alle anderen Anspruchssätze wurden zurückgenommen.
Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"1. Düngemittel, enthaltend einen Massenanteil Ammoniumsulfat, einen Massenanteil Ammoniumnitrat und einen Massenanteil Kalk,
dadurch gekennzeichnet, dass
- der Massenanteil von Kalk 10 bis 25 Massenprozent, und
- der Massenanteil von Ammoniumsulfat 30 bis 50 Massenprozent des Düngemittels beträgt."
Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags lautet wie folgt:
"1. Düngemittel, enthaltend einen Massenanteil Ammoniumsulfat, einen Massenanteil Ammoniumnitrat und einen Massenanteil von Kalk,
dadurch gekennzeichnet, dass
- der Massenanteil von Kalk 16 bis 25 Massenprozent, und
- der Massenanteil von Ammoniumsulfat 30 bis 50 Massenprozent des Düngemittels beträgt."
VII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) können wie folgt zusammengefasst werden:
Zulässigkeit
Die beiden Anspruchssätze seien nicht zuzulassen, da sie Merkmale aus der Beschreibung enthielten und die Komplexität des Falles erhöhen würden. Die Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK sei keine Aufforderung neue Anträge einzureichen, selbst wenn darin der Meinung der Einspruchsabteilung nicht gefolgt werde. Die Anträge hätten zu einem früheren Zeitpunkt eingereicht werden können, da der Grund für die Einreichung spätestens seit der Mitteilung der Kammer bekannt war. Zudem helfe Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags nicht wirklich den Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit auszuräumen.
Die vorgelegten Versuche beträfen den speziellen Fall des Explosionsrisikos im Brandfall, was weder Teil der Anmeldung noch des Verfahrens gewesen sei.
Artikel 56 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht erfinderisch im Hinblick auf D7 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen. D7 lehre in der letzten Tabelle eine Mischung enthaltend Ammoniumsulfat, Ammoniumnitrat sowie Kalk. Auch sei angegeben, dass eine Mischung von Kalk mit Ammoniumnitrat die Explosionsgefahr vermindere (Seite 34, linke Spalte, Zeilen 1 bis 3). Dies sei so zu lesen, dass dies auch für Ammoniumsulfatnitrat gelte, da Ammoniumsulfat kein hohes Explosionsrisiko besitze. D15 bis D17 gäben einen klaren Hinweis die Kalziumcarbonat-Konzentration zu erhöhen, da dies sowohl die Explosionsgefahr als auch die Bodenübersäuerung vermindere. Die Erhöhung des Kalkgehaltes von 9 auf 10% oder 16% habe keinen anderen Effekt als die allgemein bekannte Reduktion der Explosionsgefahr, sowie die ebenfalls bekannte Verhinderung der Bodenübersäuerung. Dieser Effekt sei auch abhängig von der Menge an Ammoniumnitrat, die jedoch nicht im Anspruch angegeben sei.
VIII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) können wie folgt zusammengefasst werden:
Zulässigkeit
Die beiden Anspruchssätze und die Testergebnisse seien als Reaktion auf die vorläufige Stellungnahme der Beschwerdekammer eingereicht worden. Vorher habe kein Anlass bestanden eine dementsprechende Änderung vorzunehmen. Der Umfang der Änderung sei gering und führe nicht zu einem neuen Fall, da die Beschwerdeführerin immer von einer Auslegung ausgegangen sei, die sich mit der jetzigen Fassung decke. Erst im Schreiben vom 19. Oktober hätte die Beschwerdeführerin die Problematik im Zusammenhang mit dem Begriff "umfassend" dargelegt. Zudem sei bekannt, dass Explosionen durch Wärmeeinwirkung hervorgerufen würden, sodass die Testergebnisse nicht als "weit hergeholt" erachtet werden könnten.
Artikel 56 EPÜ
D7 offenbare in der letzten Tabelle die Ausgangsmaterialien zur Herstellung eines Düngemittels durch den Kaltenbachprozess. Dabei würden auch inerte Stoffe zugegeben, die aus Ballast sowie den Beschichtungsmaterialien bestünden. In der Regel würden die Beschichtungsmaterialien 1 bis 2% der Gesamtmasse ausmachen, sodass die angeführte Menge nicht ausschließlich dem Ballast zuzuordnen sei. Kalk sei nur einer von mehreren möglichen, in D7 genannten, Ballaststoffen. Selbst wenn Kalk gewählt würde, so käme es während des Verfahrens zur Ausfällung von Kalziumsulfat, was die Gesamtmenge an Kalk im Endprodukt weiter reduziere, sodass sie deutlich unter der unteren Grenze des beanspruchten Bereiches von 10-25% liege.
Die gegenüber D7 zu lösende Aufgabe bestehe darin, die Versorgung mit wichtigen Pflanzennährstoffen zu garantieren, die Explosionsgefahr zu reduzieren und einer Übersäuerung des Bodens entgegenzuwirken.
Ausgehend von D7 hätte der Fachmann nun jedoch gerade keine Veranlassung bzw. keinen Anreiz gehabt, den Masseanteil an Kalk in einem Ammoniumsulfat-Ammoniumnitrat Düngemittel zu erhöhen. Das in dem Ballast gemäß der D7 enthaltene Calcium diene der Einstellung des Verhältnisses von Ammoniumnitrat zu Ammoniumsulfat. Eine Überdosierung der Calciumverbindungen führe zu einem Unterschuss von Ammoniumsulfat gegenüber Ammoniumnitrat, der unerwünscht sei, weil damit eine geringere Menge vom erwünschten Doppelsalz gebildet werde. Daher schließe der Fachmann aus D7, keinen höheren Ballastanteil als ungefähr 9% einzusetzen. Zwar lehre D7, dass Kalk das Explosionsrisiko von Ammoniumnitrat reduziere, jedoch sei dies für Mengen von etwa 40% Kalk, also deutlich über dem beanspruchten Bereich, offenbart. Auch sei das Explosionsrisiko für Ammoniumsulfatsalpeter geringer, sodass es keinen Anlass gebe Kalk zuzuführen.
Die Testergebnisse zeigten den vorteilhaften Effekt der erhöhten Menge an Kalk auf die Reduzierung von Ammoniumnitrat im Brandfall.
Es sei für einen Fachmann nicht trivial die Komposition eines Düngemittels beliebig zu ändern, um bestimmte bevorzugte Eigenschaften zu verbessern und gleichzeitig andere gewünschte Eigenschaften zu erhalten.
Es sei für den Fachmann nicht ohne weiteres ersichtlich, ob bei gleichzeitiger Anwesenheit von Kalk im Dünger zusammen mit Ammoniumnitrat-Ammoniumsulfat und somit einem sofort erhöhten pH-Wert im Boden die Aktivität der Bakterien noch wunschgemäß stattfinden würde, d.h. ob im Endeffekt das Düngemittel noch ebenso effizient wirke.
IX. Die Anträge der Parteien sind wie folgt:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hauptantrags oder des ersten Hilfsantrags, alle Anträge eingereicht während der mündlichen Verhandlung, aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
Hauptantrag
1. Zulässigkeit: Artikel 13(1) & (3) VOBK
1.1 Der Hauptantrag wurde während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereicht und enthält eine Einschränkung des Anspruchs 1, wie sie sinngemäß von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung angedeutet wurde (siehe z.B. Seite 10 der angefochtenen Entscheidung, zweiter Absatz). Deshalb führt diese Änderung nicht wirklich zu einer grundlegenden Änderung des Falles. Obwohl die Kammer bereits in ihrem Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK darauf hinwies, dass diese Auslegung für die Beschwerdegegnerin günstig sei, kann die Änderung als Reaktion auf die Eingabe der Beschwerdeführerin vom 19. Oktober 2017 angesehen werden, in welcher explizit die Problematik im Hinblick auf den Ausdruck "umfassend" angesprochen wurde.
Zudem macht die Änderung die Diskussion über die Zulässigkeit des Neuheitseinwandes bezüglich D7 überflüssig und dient somit der Verfahrensökonomie. Die Kammer sah deshalb keinen triftigen Grund den Anspruchssatz nicht in das Verfahren zuzulassen.
1.2 D14 bis D17 illustrieren das Fachwissen eines Chemikers auf dem Gebiet der Düngemittelherstellung und sind Teil des Verfahrens. Dies wurde auch nicht von der Beschwerdegegnerin bestritten.
1.3 Die Testergebnisse betreffen den Brandfall und Berechnungen basierend auf folgender Reaktion:
2 NH4NO3 + CaCO3 -> Ca(NO3)2 + 2 NH3 + CO2 + H2O. Die Berechnungen liefern keine Zusatzinformation, außer der bekannten Verminderung des Explosionsrisikos durch Kalk (siehe auch D5). Da sie nichts am Ergebnis der Entscheidung ändern, wird eine Diskussion ihrer Zulässigkeit als nicht notwendig erachtet.
2. Artikel 56 EPÜ
2.1 Erfindung
Die Erfindung betrifft Dünger enthaltend Schwefel und Stickstoff.
2.2 Nächstliegender Stand der Technik
D7 wird als nächstliegender Stand der Technik angesehen. D7 offenbart im letzten Absatz (Seite 35) eine Zusammensetzung für die Herstellung von Ammoniumsulfatsalpeter. Während des Verfahrens wird das Wasser verdampft (Seite 35, rechte Spalte, Zeilen 8 und 9). Das Produkt enthält etwa 41 Massenprozent Ammoniumsulfat (siehe D7a). Knapp 9% (ohne Wasser) des Ausgangsmaterials sind inerte Stoffe, die aus "Ballast" und Beschichtungsmaterialien bestehen. Als Ballast können unterschiedliche Stoffe wie z.B. Kalk eingesetzt werden (Seite 35, rechte Spalte, Zeilen 7 bis 8). Wieviel Ballast im Endprodukt enthalten ist, kann nicht genau berechnet werden, da die Menge an Beschichtungsmaterialien nicht bekannt ist und auch nicht angegeben ist, wieviel von dem eingesetzten Ballast möglicherweise während des Verfahrens reagiert und nicht mehr im Endprodukt vorhanden ist.
2.3 Aufgabe
Gemäß der Beschwerdegegnerin besteht die zu lösende Aufgabe darin einen Dünger bereitzustellen, der die Versorgung des Bodens mit wichtigen Pflanzennährstoffen gewährleistet, der eine reduzierte Explosionsgefahr während der Lagerung aufweist und der Übersäuerung des Bodens entgegenwirkt. Eine verbesserte Versorgung mit Nährstoffen durch das erfindungsgemäße Düngemittel gegenüber D7 ist nicht nachgewiesen. Daher ist die Kammer der Meinung, dass der in D7 offenbarte Dünger die Versorgung des Bodens mit wichtigen Pflanzennährstoffen auch gewährleistet, sodass die gegenüber D7 zu lösende Aufgabe sich nur auf die Reduktion der Explosionsgefahr und die Vermeidung der Übersäuerung des Bodens bezieht (siehe auch Absätze [0037] und [0042] des Patents).
2.4 Lösung
Als Lösung wird ein Düngemittel gemäß Anspruch 1 vorgeschlagen, dadurch gekennzeichnet, dass der Massenanteil von Kalk 10 bis 25 Massenprozent des Düngemittels ist.
2.5 Erfolg der Lösung
Obwohl es fraglich ist, ob die Aufgabe betreffend die Explosionsgefahr über den gesamten Bereich gelöst wird, da Anspruch 1 keine Angaben zum Massenanteil an Ammoniumnitrat, das für die Explosionsgefahr verantwortlich ist, macht (maximal 60 Massenprozent können vorhanden sein) und somit unterschiedliche Verhältnisse von Kalk zu Ammoniumnitrat möglich sind, wird zum Vorteil der Beschwerdegegnerin angenommen, dass die Aufgabe gelöst wird, da es allgemein bekannt ist, dass die Zugabe von Kalk die Explosionsgefahr von Dünger enthaltend Ammoniumnitrat senkt (siehe D5).
Zudem ist es bekannt, dass Kalk der Bodenübersäuerung entgegenwirken kann, sodass kein Anlass besteht an der Lösung dieser Teilaufgabe zu zweifeln.
Die mit Schreiben vom 22. September 2017 eingereichten Testergebnisse sind mit Düngemittel, die 30 bis 50% Ammoniumnitrat enthalten, durchgeführt worden, was nur einen Teil des beanspruchten Bereichs darstellt. Sie betreffen den speziellen Fall des Explosionsrisikos im Brandfall, was einen Spezialfall des Explosionsrisikos darstellt und geben, wie zuvor erwähnt, keine zusätzliche Information als die, dass die Zugabe von Kalk vorteilhaft ist. Anspruch 1 betrifft nicht die Reduzierung des Explosionsrisikos im Brandfall und das Patent offenbart die Sicherheit beim Transport und bei der Lagerung allgemein, sodass diese Versuche nicht relevant sind für die Beantwortung der Frage, ob die gestellte Aufgabe gelöst wurde.
2.6 Naheliegen
Es stellt sich die Frage, ob die Lösung in naheliegender Art und Weise aus dem Stand der Technik hervorgeht.
Ein Fachmann, der ein Chemiker auf dem Gebiet der Düngemittel ist, der, ausgehend von der Ausgangsformulierung in D7, die bereits Ammoniumsulfat, Ammoniumnitrat und Ballast enthält, die oben formulierte Aufgabe lösen will, wird erstens der Formulierung Kalk zuführen, da ihm einerseits bekannt ist, dass Kalk sowohl die Explosionsgefahr reduzieren, als auch die Bodenübersäuerung hemmen kann, und andererseits Kalk bereits als möglicher Ballaststoff angegeben ist (Seite 35, rechte Spalte, Zeilen 7 bis 8), und zweitens die Menge an Kalk so anpassen, dass sowohl die gewünschte Reduktion der Explosionsgefahr als auch verringerte Bodenübersäuerung erreicht wird. Dabei wird der Fachmann zu Zusammensetzungen gemäß Anspruch 1 des Patents gelangen.
Obwohl D7 angibt, dass Ballast nur zugegeben wird, um das Verhältnis von Nitrat zu Sulfat einzustellen (Seite 35, rechte Spalte, Zeilen 3 bis 6), kennt ein Fachmann auch die weiteren Eigenschaften von Kalk und wird diese nutzen, um die gestellte Aufgabe zu lösen. D7 lehrt explizit, dass Kalk das Risiko einer Explosion von Ammoniumnitrat reduziert (Seite 34, linke Spalte, erster Absatz, Zeilen 1 bis 3). Die dort angegebene Zusammensetzung enthält zwar etwa 40% Kalk, jedoch wird auch angegeben, dass Ammoniumsulfatsalpeter ein geringeres Explosionsrisiko hat als Ammoniumnitrat (Seite 34, linke Spalte, zweiter Absatz, Zeilen 3 bis 5). Der Fachmann weiß somit, dass in dem Dünger, der ausgehend von der auf Seite 35 gezeigten Anfangsformulierung erhalten wird, auf jeden Fall weniger Kalk benötigt wird als in einer Formulierung die nur Ammoniumnitrat enthält. Eine Erhöhung des Massenanteils des Kalks in der Ausgangsformulierung wird das molare Verhältnis von Nitrat zu Sulfat verschieben und die Bildung des Doppelsalzes möglicherweise leicht beeinflussen, doch es wird dem Fachmann zugetraut dieser Verschiebung durch leichte Anpassung der Ausgangsmengen an Rohmaterialien entgegenwirken zu können.
Zudem ist dem Fachmann bekannt, dass Kalk der Übersäuerung der Böden entgegenwirkt (z.B. D17: Seite 565, linke Spalte, 3. Absatz, Zeilen 9 bis 11). Das Ziel der Zugabe von Kalk ist es ja gerade der Übersäuerung der Böden entgegenzuwirken, um z.B. die Veränderung der Bodenbiologie zu verhindern (siehe auch Absatz [0013] des Streitpatents), sodass nicht argumentiert werden kann die Zugabe von Kalk wirke sich negativ auf die Aktivität der Bakterien aus.
Der Effekt von Kalk auf das Explosionsrisiko als auch auf den pH des Bodens sind somit Fachwissen.
Die Lösung der gestellten Aufgabe ist deshalb naheliegend ausgehend von D7 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen.
2.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist nicht erfinderisch
Hilfsantrag 1
3. Artikel 13(1) und (3) VOBK - Zulässigkeit des Hilfsantrags
3.1 Gemäß Artikel 13(1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung bzw. Beschwerdeerwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.
Gemäß Artikel 13(3) VOBK werden Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zugelassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder dem bzw. den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist.
Anträge, die im bereits weit vorgerückten Verfahrensstand nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung oder gar erst während dieser selbst eingereicht wurden, können demnach üblicherweise nur bei geringer Komplexität und wenn die gebotene Verfahrensökonomie dem nicht entgegensteht, zugelassen werden.
3.2 Hierzu hat die Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage 2016, IV.E.4.2.5) die Leitlinie entwickelt, dass ein nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung vorgelegter Antrag angenommen werden kann, wenn alle drei der folgenden Kriterien erfüllt sind, d.h. wenn
i) es gute Gründe gibt, diesen Antrag so spät zu stellen (z.B. die Entwicklung der Diskussion und des Verfahrens), wenn
ii) der Antrag nicht über den Umfang der Diskussionen, ausgehend von der Beschwerdebegründung und der Stellungnahme der Beschwerdegegnerin, hinausgeht, oder etwas vereinfacht, wenn der Antrag keine wesentlichen neuen Probleme aufwirft und wenn
iii) der Antrag eindeutig oder offensichtlich gewährbar ist.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf die Frage der Zulassung des vorliegenden Antrags ist folgendes festzustellen:
zu iii) Um einen anschließend an die Diskussion des Gegenstands des Hauptantrags eingereichten Anspruchssatz prima facie gewährbar erscheinen zu lassen, muss erkennbar sein, dass die zuvor erhobenen und diskutierten Beanstandungen so weit wie möglich ausgeräumt wurden. Im vorliegenden Fall kann die Kammer jedoch keinen Grund erkennen, wieso die Lehre den Kalkgehalt (gegenüber dem Hauptantrag) zu erhöhen - um sowohl die Explosionsgefahr als auch die Bodenübersäuerung zu verringern - nicht auch in naheliegender Weise zu Gemischen geführt hätte, die zumindest 16% Kalk enthalten. Es kann deshalb nicht erkannt werden, wieso dieser Antrag prima facie gewährbar sein soll.
3.3 Da mindestens eines der genannten Kriterien, d.h. die Bedingung iii), nicht erfüllt ist, übt die Kammer ihr Ermessen dahingehend aus, den Hilfsantrag nicht in das Verfahren zuzulassen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.