T 0374/15 (Kontrazeptiva enthaltend 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolat/BAYER/MERCK) of 11.4.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T037415.20190411
Datum der Entscheidung: 11 April 2019
Aktenzeichen: T 0374/15
Anmeldenummer: 09075120.7
IPC-Klasse: A61K 31/519
A61K 31/135
A61K 31/7028
A61K 31/00
A61K 31/565
A61K 31/57
A61K 31/525
A61K 31/585
A61K 31/4415
A61P 15/18
A61P 15/12
A61K 31/56
A61K 45/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Pharmazeutische Zusammensetzung enthaltend Gestagene und/oder Estrogene und 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolat
Name des Anmelders: Bayer Intellectual Property GmbH
Merck & Cie
Name des Einsprechenden: Laboratorios Léon Farma, S.A.
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 76(1)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (ja)
Änderungen - kein Disclaimer
Teilanmeldung - Gegenstand geht über den Inhalt der früheren Anmeldung hinaus (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Alternative
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Spät eingereichtes Dokument - Rechtfertigung für späte Vorlage (nein)
Spät eingereichter Antrag - Rechtfertigung für späte Vorlage (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 2 116 249 wurde unter der Anmeldenummer 09 075 120.7 als Teilanmeldung der europäischen Anmeldung 06 753 787.8, einer internationalen Anmeldung, veröffentlicht unter WO2006/120035 (Dokument (12)), eingereicht.

II. Im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren wurden unter Anderem die folgenden Dokumente herangezogen:

(1) WO03/070255

(2) The EFSA Journal, 2004, 135, Seiten 1-20

(14) Lieberman et al. (Ed.), Pharmaceutical Dosage Forms, 2. Auflage, 1989, Band 1, Seiten 195-200

(15) EP 1 044 975 A1

(16) Swarbrick et al. (Ed.),Encyclopedia of Pharmaceutical Technology, 1991, Band 4, Seite iii und Seiten 85-91

(17) Schreiben vom 29. August 2012 vom Anmelder der europäischen Patentanmeldung 11 190 550.1, 7 Seiten

(18) Remington's Pharmaceutical Sciences, 18. Auflage, 1990, Seite 594

(22) Ritschel et al., Die Tablette, 2. Auflage, Seiten 297-299 und 317-318

III. Die Einspruchsabteilung entschied in ihrer Zwischenentscheidung, dass der Hauptantrag nicht den Erfordernissen der Artikel 123(2) und 76(1) EPÜ genüge. Der Gegenstand des Hilfsantrags 1 des Einspruchsverfahrens wurde als nicht unzulässig erweitert, als ausführbar und erfinderisch und somit als den Erfordernissen des EPÜ genügend angesehen.

IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung legten sowohl die Patentinhaberinnen als auch die Einsprechende Beschwerden ein. Die Patentinhaberinnen hatten in der Beschwerdeschrift beantragt, das Patent in der Fassung des im Einspruchsverfahren eingereichten Hauptantrags aufrechtzuerhalten. Eine Beschwerdebegründung wurde von den Patentinhaberinnen nicht eingereicht. Auf den Mangel der fehlenden Beschwerdebegründung wurde seitens der Kammer in Form einer Mitteilung mit Fristsetzung zur Stellungnahme hingewiesen. Eine diesbezügliche Stellungnahme seitens der Patentinhaberinnen ging nicht ein.

V. In der Erwiderung auf die Beschwerde der Einsprechenden beantragten die Patentinhaberinnen, das Patent in der von der Einspruchsabteilung in ihrer Zwischenentscheidung festgestellten Form aufrecht zu erhalten (Hauptantrag). Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2019 legten die Patentinhaberinnen den Anspruchssatz des Hauptantrags, mit einer Erklärung sich beziehend auf redaktionelle Änderungen in der Salznomenklatur und betreffend Tippfehler, nochmals vor.

VI. Am 11. April 2019 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Die Patentinhaberinnen reichten während der Verhandlung einen geänderten Hauptantrag ein. Der Anspruch 1, der identisch zum Anspruch 1 des Hauptantrags vom 4. November 2019 ist, lautet:

"1. Verfahren zur Formulierung eines Arzneimittels enthaltend

- eine tägliche Dosis von 0,4 bis 1 mg des Kalziumsalzes der 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolsäure,

- ein oder mehrere Estrogene und Gestagene,

- optional Vitamin B6 und/oder Vitamin B2,

- sowie pharmazeutisch verträgliche Hilfs-/Trägerstoffe

in der Abwesenheit von Vitamin B12,

dadurch gekennzeichnet, dass das Kalziumsalz der 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolsäure erst nach dem Granulieren aufgezogen wird."

VII. Die für diese Entscheidung maßgeblichen Argumente, die von der beschwerdeführenden Einsprechenden im schriftlichen Verfahren sowie während der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Zulassung des Hauptantrags

Der während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichte Hauptantrag ist nicht zum Verfahren zuzulassen, da er verspätet vorgebracht wurde. Im Beschwerdeverfahren wurde bereits ein neuer Hauptantrag vorgelegt.

Zulassung des Dokuments (22)

Dokument (22) wurde als Reaktion auf die Argumentation der Patentinhaberinnen eingereicht, die Vorteile durch den nachgeschalteten Schritt des Aufziehens eines Kalziumsalzes der 5-Methyl-(6S)-Tetrahydrofolsäure erneut geltend gemacht haben. Dokument (14) zeigt bereits, dass feuchtigkeitsempfindliche Stoffe erst später aufgebracht werden sollen. Dokument (22) offenbart denselben Sachverhalt, nur deutlicher.

Änderungen

Der in den Anspruch 1 eingeführte Disclaimer verstößt sowohl gegen die Erfordernisse, die in den Entscheidungen G 1/03 bzw. G 1/16 als auch in G 2/10 festgelegt wurden. Der Zusatz von Vitamin B12 ist in der Anmeldung bzw. der Stammanmeldung wie eingereicht bevorzugt (Beispiel D enthält Vitamin B12). Die Anmeldung wie eingereicht betrifft explizit zwei Erfindungen. Einerseits werden von Seite 5 bis Seite 12, Zeile 16 Formulierungen beschrieben, andererseits auf Seite 12, Zeilen 17-20, explizit als weitere Aufgabe, ein Verfahren zur Formulierung identifiziert. Diese ein Verfahren betreffende Passage stellt die Zugabe von Vitamin B12 als bevorzugt dar, da sie die resultierende stabile Formulierung betont. Weder die Ansprüche 1, 7 und 41, noch die Beispiele können eine Basis für Anspruch 1 des Hauptantrags liefern, da, ausgehend von den Ansprüchen, zusätzliche Änderungen nötig wären, oder, ausgehend von den Beispielen, keine verallgemeinerbare Lehre vorliegt. Des Weiteren stellt die Beschreibung kein Reservoir für eine Kombination von Merkmalen dar. Insbesondere durch die explizite Erwähnung der zwei Erfindungen können nicht Merkmale, die die Formulierung betreffen, mit Merkmalen, die das Verfahren betreffen, kombiniert werden. Die Passage auf Seite 9, Zeile 16ff. bezieht sich auf den Absatz auf derselben Seite, Zeilen 3 bis 5. Der Gegenstand des Anspruchs 1 hat daher weder eine Basis in der Anmeldung wie eingereicht noch in der Stammanmeldung.

Offenbarung

Bestimmte Ausführungsformen sind nicht ausführbar. Für bestimmte Mengen an Drospirenon und Ethinylestradiol wird kein kontrazeptiver Effekt erreicht. Des Weiteren führt die Verwendung von bestimmten Bindemitteln, wie Polyvinylpyrrolidon, zu instabilen Formulierungen (siehe Absätze [0049] und [0050] des Streitpatents). Auch sind nur kristalline Formen des Kalziumsalzes der 5-Methyl-(6S)-Tetrahydrofolsäure ausreichend stabil für pharmazeutische Zubereitungen (siehe Absätze [0018] und [0019] des Dokuments (15)).

Erfinderische Tätigkeit

Dokument (1) ist der nächstliegende Stand der Technik. Es gibt zwei Unterschiede, nämlich den Unterschied betreffend die Abwesenheit des Vitamins B12, sowie den Unterschied, dass das Kalziumsalz der 5-Methyl-(6S)-Tetrahydrofolsäure erst nach dem Granulieren aufgezogen wird. Durch das nachträgliche Aufziehen wird keine Aufgabe nachweislich gelöst. Eine Stabilisierung des Kalziumsalzes der 5-Methyl-(6S)-Tetrahydrofolsäure findet nicht über die gesamte Breite des Anspruchs statt, siehe Tabelle 2. Auch eine verbesserte Freisetzung wird nicht nachgewiesen. Die technische Aufgabe ist daher als Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zu formulieren. Ein solches Verfahren wird aber nahegelegt. Der nachgeschaltete Schritt des Aufziehens ist durch die Dokumente (14), (16), (17) und (18) nahegelegt. Aus Dokument (14), Seite 198, dritter Absatz, geht hervor, dass ein Vorteil des Vermeidens des Granulierens eines Wirkstoffes darin besteht, dass dieser nicht Feuchtigkeit und Hitze ausgesetzt wird. Der letzte und vorletzte Absatz derselben Seite offenbart, dass die schnelle Freisetzung einer der großen Vorteile eines Verfahrens ist, bei dem der Wirkstoff aufgezogen und nicht verpresst wird. Dokument (16) lehrt, dass direktes Verpressen zu einer schnelleren Freisetzung führt. Da Granulierung bewirkt, dass Wirkstoffe an größere Agglomerate "geklebt" werden, würde der Fachmann Granulierung nicht für in Lösung instabile Wirkstoffe einsetzen (Seite 88, erster vollständiger Absatz). Dies deckt sich mit den Ausführungen der Patentinhaberinnen in einem von ihnen verfassten Schreiben (Dokument (17), Seite 4, 3. Absatz). Weiters wird zum Beleg der schnelleren Freisetzung aus Tabletten, bei denen der Wirkstoff nicht einer Granulierung unterworfen war, die Abbildung 31-9 auf Seite 594 des Dokuments (18) vorgelegt. Dass das Kalziumsalz der 5-Methyl-(6S)-Tetrahydrofolsäure in Lösung instabil ist, ist allgemeines Fachwissen, wie durch Dokument (2), Übergang Seite 5 auf 6, belegt. Das spätere Aufziehen des Kalziumsalzes der 5-Methyl-(6S)-Tetrahydrofolsäure ist daher durch den Stand der Technik nahegelegt und kann keine erfinderische Tätigkeit begründen.

VIII. Die für diese Entscheidung maßgeblichen Argumente, die von den Patentinhaberinnen im schriftlichen Verfahren sowie während der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Zulassung des Hauptantrags

Der während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichte Hauptantrag entspricht der Intention, die bereits schriftlich in der Beschwerdeerwiderung vom 4. November 2015, sowie bei der Einreichung des redaktionell geänderten Hauptantrags am 15. Februar 2019, dargelegt wurde. Die versehentlich von dieser Intention abweichenden Unstimmigkeiten wurden entfernt. Es wurde daher kein neuer Sachverhalt geschaffen.

Zulassung des Dokuments (22)

Dokument (22) wurde erst einen Monat vor der Verhandlung, ohne Begründung für das verspätete Vorbringen, eingereicht. Es kann nicht als Reaktion auf Änderungen angesehen werden, da der Hauptantrag keine Änderungen enthält, die das verspätete Vorbringen rechtfertigen würden.

Änderungen

Anspruch 1 des Hauptantrags betrifft ein Verfahren. Der wesentliche Verfahrensschritt ist in Absatz [0051], Seite 7, Zeilen 44 bis 49, der Veröffentlichung der Anmeldung offenbart. Die Anmeldung wie veröffentlicht ordnet in den Absätzen [0001] bis [0019] die Gabe von Kontrazeptiva in die Folatproblematik bei Schwangerschaften ein. In Absatz [0011] wird dargelegt, dass die Zugabe von Folsäure dazu führen kann, dass grundsätzlich behandelbare Symptome von Vitamin-B12-Mangel nicht erkannt werden. Klar wird daher in Absatz [0020] die Aufgabe beschrieben, dass im Kontext von Kontrazeptiva Folsäure verabreicht werden soll, ohne dass es zur Maskierung der angesprochenen Symptome des Vitamin-B12-Mangels kommt. Aus den Absätzen [0021] und [0022] ist klar ersichtlich, dass die zu verabreichende Formulierung Vitamin B6 und Vitamin B2 enthalten kann, das Vitamin B12 jedoch im Bedarfsfall getrennt von dieser Formulierung zu verabreichen ist. Der Absatz [0020] beschreibt eine Zusammensetzung enthaltend ein oder mehrere Gestagene und optional Vitamin B6 und Vitamin B2, Estrogene und, als Kern der Erfindung, 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolat. Zusätzliche Einschränkungen betreffend das Kalziumsalz und die Dosis können dem Absatz [0033], in dem ein bevorzugter Bereich beschrieben ist, entnommen werden. Obwohl eine Vitamin B12 Zumischung optional möglich ist, ist der Beschreibung jedoch eindeutig zu entnehmen, dass aufgrund der nötigen Diagnostizierbarkeit von Mangelerscheinungen bevorzugt kein Vitamin B12 zugesetzt wird. Der beanspruchte Verfahrensschritt, siehe Absatz [0051], verhindert Verluste von 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolat, wie aus den Beispielen ersichtlich. Das beanspruchte Verfahren findet daher eine Basis in der Anmeldung wie eingereicht.

Offenbarung

Die nötigen Mengen an Gestagen und/oder Estrogen sind dem Fachmann bekannt. Aus den Absätzen [0049] und [0050] des Streitpatents geht keineswegs hervor, dass das Verfahren mit Polyvinylpyrrolidon als Bindemittel überhaupt nicht ausführbar ist. Es ist durchaus möglich, nicht-kristallines Kalzium-L-5-methylfolat in einer kontrazeptiven Zusammensetzung zu formulieren. Die Erfindung ist daher ausreichend offenbart.

Erfinderische Tätigkeit

Dokument (1) ist nicht als nächstliegender Stand der Technik geeignet, da es keinen einzigen Verfahrensschritt zur Herstellung von Arzneimitteln offenbart. Der Unterschied, der geltend gemacht wird, liegt in dem Aufziehen des Kalziumsalzes der 5-Methyl-(6S)-Tetrahydrofolsäure nach der Granulierung. Als technischer Effekt wird die Stabilisierung des Kalziumsalzes der 5-Methyl-(6S)-Tetrahydrofolsäure während des Verfahrens und auch bei der Lagerung erreicht, sowie eine bessere Freisetzung gewährleistet. Dokumente (14) und (16) können dieses spätere Aufziehen nicht nahelegen, da sie nicht von Aufziehen nach einem Granulationsschritt sprechen, sondern ganz allgemein Vergleiche zwischen einem Verfahren basierend auf Granulation und einem Verfahren basierend auf Direkttablettierung betreffen. Ein Aufziehen nach einer vorhergegangenen Granulierung wird nicht erwähnt und damit auch nicht nahegelegt. Eine erfinderische Tätigkeit ist anzuerkennen.

IX. Die endgültigen Anträge der Parteien waren wie folgt:

- Die Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

- Die Patentinhaberinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage des Anspruchssatzes des Hauptantrags, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, hilfsweise basierend auf einem der Anspruchssätze der Hilfsanträge 1 bis 4 wie am 15. Februar 2019 eingereicht.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerden

1.1 Zulässigkeit der Beschwerde der Patentinhaberinnen

Zu der von den Patentinhaberinnen ordnungsgemäß eingelegten Beschwerde (Beschwerdeschrift mit Datum vom 19. Februar 2015 und Gebührenzahlung vom selben Tag) ist keine Beschwerdebegründung innerhalb der gemäß Artikel 108, Satz 3, EPÜ vorgesehenen Frist von vier Monaten ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung eingegangen. Die Beschwerde der Patentinhaberinnen war daher gemäß Artikel 108, Satz 3, EPÜ i.V.m. Regel 101 (1) EPÜ als unzulässig zu verwerfen.

1.2 Die Beschwerde der Einsprechenden ist zulässig.

2. Zulassung des Hauptantrags

Der Gegenstand des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags entspricht dem Gegenstand, der mit dem Schreiben vom 15. Februar 2019 angekündigt wurde. Das Anpassen zweier abhängiger Ansprüche an deren angekündigten Wortlaut führt nicht zu einer Situation, in der Fragen aufgeworfen werden, deren Behandlung der Kammer oder der anderen Partei nicht zuzumuten ist.

Daher hat die Kammer den Hauptantrag in Ausübung ihres Ermessen unter Artikel 13 (1) VOBK zum Verfahren zugelassen.

3. Zulassung des Dokuments (22)

Das Dokument (22) wurde verspätet, nämlich einen Monat vor dem Termin der mündlichen Verhandlung, eingereicht.

Zur Begründung des verspäteten Vorbringens verwies die Einsprechende auf das Vorbringen der Patentinhaberinnen, wonach diese weiterhin die Vorteile des beanspruchten Verfahrens geltend gemacht hätten. Die Einsprechende hat darauf verwiesen, dass das Dokument (22) den Sachverhalt, der bereits aus dem Dokument (14) bekannt ist, weiter verdeutlichen solle.

Die Kammer kann diesem Vorbringen nicht folgen, da sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags, mit Ausnahme von redaktionellen Änderungen in der Salznomenklatur und der Behebung eines Tippfehlers, nicht vom Gegenstand des im Einspruchsverfahren als EPÜ-konform erklärten Gegenstand des ersten Hilfsantrags unterscheidet. Dieser Gegenstand wurde auch im gesamten Beschwerdeverfahren weiter verfolgt. Daher hat sich der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nicht in einer Weise geändert, die das Vorlegen eines neuen Dokuments zu diesem späten Stadium des Verfahrens rechtfertigen würde. Des Weiteren wird darauf verwiesen, dass dieses Dokument, laut Vorbringen der Einsprechenden, nur den Inhalt eines sich bereits im Verfahren befindlichen Dokuments, nämlich des Dokuments (14), verdeutlichen solle.

Die Kammer hat daher in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (1) VOBK das Dokument (22) nicht zum Verfahren zugelassen.

4. Änderungen (Artikel 123 (2) und 76 (1) EPÜ)

Die Beschreibung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Anmeldung entspricht der Beschreibung der Stammanmeldung wie eingereicht, veröffentlicht in Form von Dokument (12), wobei die Ansprüche des Dokuments (12) der Beschreibung der Anmeldung, unter der Bezeichnung "Gegenstand der Anmeldung", als Seiten 26 bis 33 hinzugefügt wurden. Die im Weiteren genannten Passagen sind dem Dokument (12) entnommen. Die Schlussfolgerungen betreffen sowohl die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ als auch die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.

4.1 Dokument (12) legt auf Seite 1, Absatz 1, einleitend dar, dass die Erfindung eine pharmazeutische Zusammensetzung betrifft, die folatmangelbedingten Erkrankungen und Fehlbildungen vorbeugt, ohne dabei die Symptome eines Vitamin-B12-Mangels zu maskieren. Darauf folgt eine Diskussion von Kontrazeptiva und Folatmangel (Seite 1, Zeile 8 bis Seite 3, Zeile 13). Nachdem in diesen Passagen die Vorteile Folatquellen enthaltender Kontrazeptiva herausgearbeitet wurden, folgt eine Feststellung der Probleme, die das Einfügen von Folsäure in orale Kontrazeptiva mit sich bringt. Dieses Einfügen von Folsäure kann frühe, noch behandelbare Symptome eines Vitamin-B12-Mangels maskieren. Durch das Maskieren wird ein Vitamin-B12-Mangel nicht diagnostiziert und behandelt, was irreversible neuropsychiatrische Symptome bewirken kann (Seite 3, Zeilen 14 bis 23). Dies wird auf Seite 5, Zeilen 13 bis 25, zusammengefasst. Dann wird festgestellt, dass die Aufgabe durch eine pharmazeutische Zusammensetzung enthaltend ein oder mehrere Gestagene und/oder Estrogene und 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolat sowie pharmazeutisch verträgliche Hilfs- und Trägerstoffe gelöst wird. In der folgenden Passage wird erklärt, dass eine Behandlung und Vorbeugung folatmangelbedingter Erkrankungen, auch ohne Maskierung von Symptomen eines Vitamin-B12-Mangels durch Verabreichung einzig von 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolat möglich ist. Dann wird festgestellt, dass somit eine Gabe von Vitamin B12 nicht mehr erforderlich ist, um das durch die Maskierung eines Vitamin-B12-Mangels entstehende Gesundheitsrisiko zu vermeiden (Seite 5, Zeile 30 bis Seite 6, Zeile 6). Aus dieser expliziten Feststellung, dass eine Vitamin B12 Gabe nicht nötig ist, und der Beschreibung der Zusammensetzung ohne Vitamin B12 als Inhaltsstoff zu nennen, geht klar hervor, dass die Beschreibung sich auch und bevorzugt auf Zusammensetzungen bezieht, die kein Vitamin B12 enthalten.

Dies ist im Einklang mit den Beispielen: Drei der vier Formulierungsbeispiele enthalten kein Vitamin B12 (siehe Tabelle 7).

Somit geht aus den einleitenden Passagen, der Diskussion der dem Streitpatent zugrundeliegenden Problematik und den Beispielen, klar und eindeutig hervor, dass Ausführungsformen ohne Vitamin B12 vorgesehen sind. Die Gesamtheit der Offenbarung des Dokuments (12) bietet daher eine Grundlage für ein Arzneimittel basierend auf den entsprechenden Hormonen und einer Folatkomponente in Form von 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolsäure, das kein Vitamin B12 enthält.

Die Definition von "in Abwesenheit von Vitamin B12" ist daher direkt dem Dokument (12) zu entnehmen und kein Disclaimer gemäß den Entscheidungen G 1/03, G 2/10 und/oder G 1/16.

4.2 Der Einsatz eines Kalziumsalzes der 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolsäure wird als besonders bevorzugt beschrieben (Seite 9, Zeilen 14 und 15). Die bevorzugt einzusetzende Menge dieses Salzes liegt bei 0,4 bis 1 mg (Seite 9, Zeilen 16 bis 19). Die Einsprechende hat argumentiert, dass diese Passagen sich auf die auf Seite 9, Zeilen 3 bis 5, beschriebene Ethinylestradiol enthaltende Zusammensetzung beziehen. Diesem Argument kann die Kammer nicht folgen, da sich aus dem Aufbau der Beschreibung klar ergibt, dass in diesem Teil der Beschreibung die Hauptinhaltsstoffe des Arzneimittels der Reihe nach näher beschrieben werden (Seite 7, Zeile 18 bis Seite 8, Zeile 22 befasst sich mit den Gestagenen, die Estrogene werden auf Seite 8, Zeile 23 bis Seite 9, Zeile 5 abgehandelt, gefolgt von den 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolaten auf Seite 9, Zeilen 6 bis 21).

4.3 Der Verfahrensschritt des Aufziehens eines 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolats erst nach dem Granulieren ist auf Seite 15, Zeilen 4 bis 7, offenbart. Die Passage auf Seite 15 stammt aus einem Absatz, der beschreibt, wie die Herstellung einer oralen Formulierung enthaltend 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolat "normalerweise" erfolgt. Die Gründe für den Verfahrensschritt des Aufziehens erst nach dem Abschluss des Granulationsprozesses werden erläutert. Es ergibt sich klar, dass diese Gründe mit dem Einsatz des 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolats zusammenhängen. Daher ergibt sich aus der Beschreibung, dass das Verfahren zur Formulierung sämtlicher von der Anmeldung umfassten Arzneimittel, die neben dem 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolat vorhanden sein können, vorgesehen ist.

Daran ändert auch die weitere Argumentationslinie der Einsprechenden nichts, die darauf beruht, dass die Beschreibung zwei Aufgaben beinhaltet und diese die Formulierung von Ethinylestradiol betreffende Aufgabe als "weitere Aufgabe" identifiziert (siehe Seite 12, Zeilen 17 bis 20). Die Offenbarung einer weiteren, spezifischeren Aufgabe beeinflusst im vorliegenden Fall nicht die allgemeinere Offenbarung an den oben genannten Stellen.

4.4 Der Anspruch 1 des Hauptantrags erfüllt daher sowohl die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ als auch die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.

5. Offenbarung

Zur Beurteilung der Ausführbarkeit des beanspruchten Gegenstands muss in Betracht gezogen werden, dass Anspruch 1 des Hauptantrags ein Verfahren zur Formulierung, d.h. Herstellung, eines (Arznei)mittels definiert. Eine kontrazeptive Wirkung ist weder beansprucht noch zu berücksichtigen. Der Anspruch definiert keine Stabilitätsanforderungen. Der Vortrag der Einsprechenden in dieser Hinsicht greift daher nicht. Die Einsprechende hat keine Argumente vorgebracht, die an der Durchführbarkeit des Granulierens als solches, gefolgt von dem Aufziehen des Kalziumsalzes des 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolats, zweifeln lassen. Beide Verfahrensschritte sind Standardverfahren in der Herstellung von festen Arzneimitteln.

Daher ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ausreichend offenbart (Artikel 83 EPÜ).

6. Erfinderische Tätigkeit

6.1 Das Streitpatent befasst sich mit der Bereitstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung, die Gestagene, Estrogene und 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolat enthält (Absatz [0001]). In diesem Kontext wird ein Verfahren angesprochen, das Verluste von 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolat während der Herstellung und Lagerung der Zusammensetzung vermeiden soll (Absatz [0051]).

6.2 Die Einspruchsabteilung und die Einsprechende gehen von Dokument (1) als nächstliegendem Stand der Technik aus. Kein anderes Dokument wurde als nächstliegender Stand der Technik geltend gemacht, obwohl die Patentinhaberinnen die Eignung von Dokument (1) als nächstliegenden Stand der Technik in Zweifel gezogen haben.

Dokument (1) definiert ein Kit enthaltend orale Zusammensetzungen mit a) Estrogenen und/oder Gestagenen, b) einem Tetrahydrofolat ausgewählt aus einer Gruppe, die u.a. 5-Methyl-(6S)-Tetrahydrofolsäure enthält, und c) Vitamin B12 (Anspruch 1). 4 Beispielformulierungen werden in den Beispielen 1 und 2 offenbart. Verfahren zur Herstellung dieser Beispielformulierungen werden nicht beschrieben. An keiner Stelle des Dokument (1) werden Verfahren zur Formulierung der Zusammensetzungen angesprochen. Die oben erwähnten Beispielformulierungen werden als "pills" bezeichnet. Die Kammer geht im Weiteren davon aus, dass orale Kontrazeptiva normalerweise in Tablettenform vorliegen und daher der Begriff "pills" mit "Tabletten" zu übersetzen ist. Die alternative Übersetzungsmöglichkeit, nämlich "Pille", würde komplett unterschiedliche Verfahren zur Formulierung implizieren. Dasselbe gilt für die weitere in Dokument (1) offenbarte Darreichungsform, nämlich eine Kapsel ("capsule", Seite 6, zweiter Absatz). Dokument (1) bietet somit einen Ausgangspunkt, der auf einem auf Allgemeinwissen basierenden Verfahren zur Herstellung einer Tablette enthaltend Estrogene und/oder Gestagene, ein Tetrahydrofolat ausgewählt aus einer Gruppe, die 5-Methyl-(6S)-Tetrahydrofolsäure enthält, und Vitamin B12 beruht.

6.3 Die Parteien sehen den Unterschied zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags und der Offenbarung des Dokuments (1) im Fehlen des Verfahrensschrittes, wonach das Kalziumsalz der 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolsäure erst nach dem Granulieren aufgezogen wird. Beide Parteien haben davon abgesehen, den Unterschied, der sich aus der Abwesenheit von Vitamin B12 ergibt, in ihrem Vortrag zur erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen.

6.4 Die Einsprechende hat die technische Aufgabe als Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zur Formulierung des Arzneimittels, enthaltend die Inhaltsstoffe wie in Anspruch 1 definiert, gesehen.

6.5 Es wurden seitens der Einsprechenden keine begründeten Zweifel geäußert, dass ein Verfahren mit den Verfahrensschritten bestehend aus Granulieren und Aufziehen zu Arzneimitteln führt, siehe Punkt 5. Die Aufgabe kann folglich als gelöst angesehen werden.

6.6 Die Einsprechende sieht den Schritt des Granulierens bereits als im nächstliegenden Stand der Technik offenbart an und betrachtet den Schritt des späteren Aufziehens des Kalziumsalzes der 5-Methyl-(6S)-tetrahydrofolsäure als offensichtlich.

Dies wird auf die Dokument (14), (16), (17) und (18) gestützt.

Dokument (14) lehrt, dass einer der Vorteile der Direktverpressung bei der Herstellung von Tabletten darauf beruht, dass die zu formulierenden Arzneistoffe nicht Feuchtigkeit und Hitze ausgesetzt werden müssen, was sich nachteilig auf deren Stabilität auswirkt (Seite 198, dritter Absatz). Aus dieser Passage kann jedoch keinesfalls ein Schritt des Aufziehens auf bereits geformte Granulationspartikel entnommen werden.

Dokument (16) ist fast wortgleich zu Dokument (14). Es wurde auf die Passage auf Seite 87, letzter Absatz verwiesen. Die hinsichtlich Dokument (14) getroffenen Feststellungen gelten in gleicher Weise. Die weitere zitierte Passage auf Seite 88, 2. Absatz, betrifft das Freisetzungsprofil. Diese Passage vergleicht Tabletten erhalten durch Direktverpressung mit Agglomeraten die aus einem (reinen) Granulationsprozess hervorgehen. Ein Schritt des Aufziehens auf bereits geformte Granulationspartikel wird nicht offenbart.

Die beiden weiteren zitierten Dokumente, Dokumente (17) und (18), offenbaren ebenfalls keinen Verfahrensschritt, der als Aufziehen eines Wirkstoffes nach dem Granulieren angesehen werden kann.

Zusammenfassen ist festzuhalten, dass in keinem der zitierten Dokumente, ein Schritt des Aufziehens eines Wirkstoffes nach einer Granulierung eines Teils der weiteren Inhaltsstoffe offenbart wird. Ein solcher Schritt wird somit auch nicht nahegelegt.

Das beanspruchte Verfahren stellt daher eine nicht naheliegende Alternative dar.

Da die Kammer zum Schluss gekommen ist, dass die von der Einsprechenden formulierte technische Aufgabe der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens erfinderisch ist, besteht keine Notwendigkeit, eine auf einer Verbesserung basierende technische Aufgabe im Rahmen des Aufgabe-Lösung-Ansatzes zu prüfen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrag beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde der Patentinhaberinnen wird als unzulässig verworfen.

2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

3. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 13 des Hauptantrags, eingereicht am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, sowie einer anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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