T 0318/15 (ECKART / PIGMENTE) of 7.5.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T031815.20180507
Datum der Entscheidung: 07 Mai 2018
Aktenzeichen: T 0318/15
Anmeldenummer: 08872586.6
IPC-Klasse: C09C 1/00
A61K 8/25
A61Q 1/02
A61Q 1/04
A61Q 1/08
A61Q 1/10
A61Q 1/12
A61Q 3/02
A61Q 1/06
A61K 8/19
C09D 5/36
C08K 9/02
A61Q 13/00
A61Q 17/04
A61Q 19/00
A61Q 19/10
A61K 8/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: EFFEKTPIGMENTE BASIEREND AUF KÜNSTLICH HERGESTELLTEN SUBSTRATEN MIT ENGER GRÖSSENVERTEILUNG
Name des Anmelders: Eckart GmbH
Name des Einsprechenden: BASF SE
Merck Patent GmbH
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 52(1)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag und Hilfsantrag I) : nein
Erfinderische Tätigkeit - Neuformulierung der technischen Aufgabe
Erfinderische Tätigkeit - Willkürliche Auswahl
Zulässigkeit des Hilfsantrags II eingereicht in der mündlichen Verhandlung: nein - Nicht eindeutig gewährbar
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden 1 (BASF SE) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 217 664 in geändertem Umfang auf Basis der Ansprüche gemäß dem damals anhängigen Hauptantrag.

II. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß dem vor der Einspruchsabteilung anhängigen Hauptantrag lautet wie folgt:

"1. Effektpigmente, umfassend künstliche plättchenförmige Substrate, die mindestens eine optisch wirksame Beschichtung aufweisen, dadurch gekennzeichnet, dass die Effektpigmente eine Volumen-gemittelte Größensummendurchgangsverteilungskurve mit den Kennzahlen D10, D50 und D90 aufweisen, wobei diese Größensummendurchgangsverteilungskurve einen Span DeltaD von 0,7 - 1 ,4 aufweist und der Span DeltaD gemäß Formel (I) berechnet ist:

DeltaD = (D90 - D10)/ D50, (I)

und wobei die mittlere Dicke der künstlichen plättchenförmigen Substrate 500 nm bis 2.000 nm beträgt, wobei die Standardabweichung der Dicke der künstlichen Substrate 15 % bis 100 % beträgt."

Dieser Anspruchsatz enthält inter alia die abhängigen Ansprüche 5 und 6, die wie folgt lauten:

"5. Effektpigmente nach einem der vorangehenden Ansprüchen, dadurch gekennzeichnet, dass die mindestens eine optisch wirksame Beschichtung einen Brechungsindex von n >=1,9 aufweist und aus der Gruppe, die aus Metalloxid, Metallhydroxid, Metalloxidhydrat, Metallsuboxid und Mischungen davon besteht, ausgewählt wird."

"6. Effektpigmente nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass die Effektpigmente in einem Rakelabzug eines Lackes, enthaltend 6 Gew.-% Effektpigmente in einem farblosen Nitrozelluloselack, bezogen auf das Gesamtgewicht des Lackes, mit 76 µm Naßfilmdicke nach dessen Trocknung ein 90% Quantil der Farbabstandsverteilung DeltaC*90 im a*-b*-Farbraum von 0,5 bis 8,0 aufweisen."

III. Im Einspruchsverfahren hatten beide Einsprechende die Einspruchsgründe unter Artikel 100(a) (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und 100(b) EPÜ unter Bezugnahme auf inter alia folgende Beweismittel geltend gemacht:

D2: EP 2 009 066 A1;

D4: WO 2006/110359 A2;

D11: Xirallic T60-10 SW Crystal Silver for Coatings, Product Information, Merck, April 2006; und

D13: Dierk, A., Schulz, E., Thurn-Schneller, A., "Star Effects on Borosilicate", 23rd IFSCC Congress, Orlando, 2004.

IV. Die Einspruchsabteilung kam inter alia zu den folgenden Schlüssen:

- Der Hauptantrag erfüllt die Erfordernisse der Artikel 83 und 84 EPÜ.

- Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist neu und erfinderisch gegenüber den Dokumenten D2 und D4.

V. In ihrer Beschwerdebegründung focht die Beschwerdeführerin (Einsprechende 1) die Begründung der Einspruchsabteilung an. Sie bestritt nach wie vor die Neuheit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag. Zudem bestritt sie das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik. Außerdem sei der Gegenstand des Anspruchs 6 gemäß Hauptantrag auch nicht erfinderisch und/oder verstöße er gegen Artikel 83 EPÜ.

VI. In ihren Erwiderungen auf die Beschwerdebegründung vertritt die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) nach wie vor die Auffassung, dass der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hauptantrag ausführbar und neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Sie reichte zudem sechs Anspruchssätze als Hilfsanträge I bis VI ein.

VII. In einer in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erlassenen Mitteilung brachte die Kammer ihre vorläufige, nicht-bindende Meinung zu gewissen Punkten zum Ausdruck. Die Kammer äußerte inter alia Bedenken hinsichtlich der technischen Bedeutung des im Anspruch 1 enthaltenen Merkmals "die Standardabweichung der Dicke der künstlichen Substrate 15% bis 100% beträgt" (im Folgenden als die Standardabweichung der Dicke bezeichnet).

VIII. Mit einem Schreiben vom 07.03.2018 hielt die Beschwerdeführerin alle ihre Einwände aufrecht. Die von der Beschwerdegegnerin eingereichten Hilfsanträge I bis VI seien zudem ins Verfahren nicht zuzulassen und verstießen teilweise gegen Artikel 123(2) EPÜ.

IX. Mit einem Schreiben vom 09.04.2018 bestritt die Beschwerdegegnerin einige Punkte der vorläufigen Meinung der Kammer, unter anderem in Bezug auf die Bedeutung der Standardabweichung der Dicke, und vertrat die Auffassung, dass die Hilfsanträge I bis VI zulässig seien.

X. Mit Schreiben vom 02. Mai 2018 kommentierte die Beschwerdeführerin unter anderem weiter über die Bedeutung der Standardabweichung der Dicke.

XI. Die nach Artikel 107 EPÜ Verfahrensbeteiligte (Einsprechende 2, Merck Patent GmbH) hat sich im gesamten Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

XII. Am 7. Mai 2018 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Während der Verhandlung reichte die Beschwerdegegnerin einen neuen Hilfsantrag II ein und nahm die früher eingereichten Hilfsanträge II bis VI zurück. Erörtert wurden insbesondere die technische Bedeutung der Standardabweichung der Dicke, die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes und die Zulässigkeit des neu eingereichten Hilfsantrages II.

XIII. Anträge

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 1) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Streitpatents im Umfang eines der Hilfsanträge I, eingereicht mit Schreiben vom 26. August 2015 und II, eingereicht in der mündlichen Verhandlung.

XIV. Die Argumente der Beschwerdeführerin, die von Relevanz für die vorliegende Entscheidung sind, können wie folgt zusammengefasst werden:

Technische Bedeutung der "Standardabweichung der Dicke"

- Für die Interpretation der Beschwerdegegnerin, wonach die Standardabweichung der Dicke eine "relative" Standardabweichung sei, befinde sich keinerlei Stützung im Streitpatent, in dem lediglich die Rede von einer "Standardabweichung" sei.

- Daher sei sie als "absolute" Standardabweichung sigma zu verstehen.

- Gehe man von einer Normalverteilung der Dicke aus, würden sich im Fall einer Standardabweichung sigma von 100% (Hauptantrag) bzw. 70% (Hilfsantrag I) Grenzmesswerte der Dicke der Substrate im untersten Bereich ergeben, die negativ sind, und somit keine technische Bedeutung haben.

Einwände unter Artikel 56 EPÜ

- Das Dokument D2 sei der nächstliegende Stand der Technik.

- Man könne die in Anspruch 1 angegebene "Standardabweichung der Dicke" als einziges Unterscheidungsmerkmal (wenn überhaupt) ansehen.

- Der beanspruchte Parameter schließe jedoch einen großen Anteil an Substraten mit sehr kleinen Dicken nicht aus.

- Daher könne man diesem vermeintlichen Unterscheidungsmerkmal keine glaubhafte technische Wirkung zuordnen, insbesondere im Fall eines Wertes von 100% bzw. 70%.

- Die technische Aufgabe liege lediglich in der Bereitstellung weiterer Pigmente. Die in Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung sei im Lichte des allgemeinen Fachwissens naheliegend.

- Selbst wenn man eine verbesserte Farbreinheit berücksichtigen würde, sei die Optimierung der Substratsdicke, um die Farbreinheit der Pigmente zu erhöhen, in Lichte des Dokuments D13 naheliegend.

- Somit beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag bzw. Hilfsantrag I nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

- Der Gegenstand aller abhängigen Ansprüche sei aus ähnlichen Gründen auch nicht erfinderisch.

Einwände bezüglich der Zulässigkeit des Hilfsantrages II:

- Die in Anspruch 1 des Hilfsantrages II vorgebrachten Änderungen könnten die Einwände bezüglich der mangelnden erfinderischen Tätigkeit prima facie nicht beseitigen, da eines der zwei neu eingeführten Merkmale bereits aus D2 bekannt sei und das 90% Quantil Merkmal bereits als ein inhärentes Merkmal der in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag definierten Pigmente anzusehen sei (siehe Absatz [0087] des Streitpatentes).

- Sei dies nicht der Fall, finde der Fachmann im gesamten Streitpatent keine Lehre, wie solche Pigmente mit dem angegebenen 90% Quantil herstellbar seien. Folglich, wie bereits im Bezug auf den Anspruch 6 in der Beschwerdebegründung ausgeführt wurde, seien die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt.

- Die Zulässigkeit der Änderungen im Hinblick auf Artikel 123(2) EPÜ sei auch fraglich.

- Hilfsantrag II sei daher nicht prima facie gewährbar und werfe sogar neue Fragen auf.

- Hilfsantrag II sei somit nicht zulässig.

XV. Die Beschwerdegegnerin trug diesbezüglich im Wesentlichen Folgendes vor:

Technische Bedeutung der "Standardabweichung der Dicke"

- Bei der in Anspruch 1 angegebenen "Standardabweichung der Dicke" handele es sich unzweideutig um eine "relative" Standardabweichung. Dies sei aus der angegebenen Einheit Prozent [%] ersichtlich.

- Die Dickenverteilung von künstlichen Substraten sei keine Normalverteilung, sondern eine schiefe Verteilung, insbesondere eine rechtsschiefe Verteilung, d.h. mit einem arithmetischen Mittelwert, der rechts vom Kurvenmaximum liege.

- Für solche rechtsschiefe Verteilungen ergeben sich im Fall von relativen Standardabweichungen von 100% bzw. 70% keine negative Werte.

- Die Standardabweichung sei für den Fachmann ein klarer und bekannter Begriff, deren Wert unabhängig von der Form der Verteilung immer durch herkömmliche Messinstrumente bestimmbar sei.

- Man verwende typischerweise eine Charge von etwa hundert Partikeln und auf Basis der Verteilung ihrer Dicke bestimme man die relative Standardabweichung. Dies sei für den Fachmann eine Standardprozedur. Negative Werte seien offensichtlich ausgeschlossen.

Einwände unter Artikel 56 EPÜ

- D2 stelle keinen angemessenen nächstliegenden Stand der Technik dar, weil diesem Dokument eine andere technische Aufgabe im Vergleich zum Streitpatent zugrunde liege.

- Die Farbreinheit sei in D2 gar nicht angesprochen. Insbesondere sei die absolute Partikelgröße in D2 von äußerster Relevanz, wobei dieser Parameter gemäß Streitpatent bei der Verbesserung der Farbreinheit irrelevant sei.

- Die in Anspruch 1 angegebenen Span (DeltaD), mittlere Dicke und Standardabweichung der Dicke verursachen kumulativ eine verbesserte Farbreinheit (siehe Absätze [0035]-[0036] des Streitpatentes).

- Ausgehend von D2 sei der Anspruchsgegenstand nicht auffindbar. Auch D13 könne ihn nicht nahelegen. Diesem Dokument entnehme der Fachmann lediglich, die Partikelgröße kleiner zu machen, die Konzentration der Partikel zu erhöhen und die Pigmente aus einem größeren Abstand zu betrachten, um eine gleichmäßige Farbe wahrzunehmen.

- Somit beruhe der Hauptantrag so wie der Hilfsantrag I auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Einwände bezüglich der Zulässigkeit des Hilfsantrages II:

- Der Hilfsantrag II stelle eine ernsthafte Bemühung der Beschwerdegegnerin dar, die erhobenen Einwände auszuräumen.

- Der Anspruchsgegenstand sei auf Pigmente eingeschränkt worden, die nicht nur die Kombination der angegebenen Span (DeltaD), mittlere Dicke und Standardabweichung der Dicke aufweisen, sondern auch zusätzlich das angegebene 90% Quantil erfüllen.

- Im Bezug auf die Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung sei es insbesondere zu bemerken, dass nur wenige Versuche notwendig seien, um zum Anspruchsgegenstand zu gelangen. Dies sei zwar eine aufwendige Herangehensweise, stelle jedoch für den Fachmann keinen unzumutbaren Aufwand dar.

- Hilfsantrag II werfe keine neuen Fragen auf und sei prima facie gewährbar. Er sei somit zulässig.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag - Anspruch 1 - Die "Standardabweichung der Dicke"

1. Anspruch 1 des Hauptantrages (gesamter Wortlaut unter II, supra) definiert Effektpigmente, umfassend künstliche Substrate, "wobei die Standardabweichung der Dicke der künstlichen Substrate 15% bis 100% beträgt".

2. Die Parteien waren uneins hinsichtlich der technischen Bedeutung dieses Merkmals.

2.1 Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, dass sich gemäß der statistischen Definition einer Normalverteilung, im Fall einer Standardabweichung sigma von 100%, Substrate mit negativen Dicken ergeben würden. Solche negative Werte der Dicke haben aber keine technische Bedeutung. Dem besagten Merkmal könne man somit keine klare technische Bedeutung zuordnen.

2.2 Die Beschwerdegegnerin vertrat hingegen erstens die Auffassung, dass die in Anspruch 1 angegebene Standardabweichung der Dicke als eine relative Standardabweichung, auch bekannt als Variationskoeffizient, anzusehen sei. Letztere ergebe sich aus dem Quotient aus der absoluten Standardabweichung (sigma) und dem arithmetischen Mittelwert. Zudem sei die Dickenverteilung von künstlichen Substraten keine Normalverteilung, sondern eine rechtsschiefe Verteilung (der arithmetische Mittelwert liegt rechts vom Kurvenmaximum). Für solche rechtsschiefe Verteilungen ergeben sich im Fall von relativen Standardabweichungen von 100% keine negativen Werte. Außerdem sei die relative Standardabweichung für den Fachmann ein klarer und bekannter Begriff, deren Wert für eine gegebene Charge von Pigmenten unabhängig von der Form der Verteilung immer durch herkömmliche Messinstrumente bestimmbar sei. Negative Werte seien offensichtlich ausgeschlossen.

2.3 Die Kammer merkt erstens an, dass die in Anspruch 1 angegebene Standardabweichung als "relative" Standardabweichung zu verstehen ist. Dies ist aus der verwendeten Einheit Prozent [%] ersichtlich. Wäre die absolute Standardabweichung (im Stand der Technik als "sigma" gekennzeichnet) gemeint, hätte man die Einheit der jeweiligen Messgröße der Dicke (in diesem Fall nm) verwendet. Nach dem Dafürhalten der Kammer ist daher für den Fachmann unzweideutig, dass die angegebene Standardabweichung als Quotient aus der absoluten Standardabweichung (sigma) und dem arithmetischen Mittelwert anzusehen ist.

2.4 Die Art (Form) der Dickenverteilung ist im Anspruch 1 nicht erwähnt. Die Behauptung der Beschwerdegegnerin, diese sei zwangsläufig als eine rechtsschiefe Verteilung anzusehen, wurde durch keinerlei Beweismittel bestätigt. Die Kammer kann jedoch nachvollziehen, dass für eine gegebene Charge von Pigmenten der arithmetische Mittelwert sowie die absolute Standardabweichung (sigma), und somit die relative Standardabweichung, für den Fachmann ohne Aufwand bestimmbar sind.

2.5 Die Kammer kommt somit zum Schluss, dass die in Anspruch 1 angegebene Standardabweichung einen klaren Parameter darstellt, der die Grundgesamtheit der Substraten der beanspruchten Effektpigmente kennzeichnet, ohne jedoch jegliche Information über die Art (Form) der Verteilung der Dicke der Substrate dieser Pigmente zu liefern.

2.6 Diese Auslegung der Standardabweichung der Dicke gemäß Anspruch 1 wurde von der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung auch nicht bestritten.

Hauptantrag - Anspruch 1 - Erfinderische Tätigkeit

3. Die Erfindung

3.1 Die vorliegende Erfindung betrifft Effektpigmente mit verbesserten optischen Eigenschaften, umfassend künstliche plättchenförmige Substrate, die mindestens eine optisch wirksame Beschichtung aufweisen (siehe das Streitpatent, Absatz [0001] und Anspruch 1).

3.2 Laut Streitpatent:

"[0003] Die optische Wirkung von Effektpigmenten beruht auf der gerichteten Reflexion von Licht an überwiegend flächig ausgebildeten, zueinander im Wesentlichen parallel ausgerichteten lichtbrechenden Pigmentteilchen. [...] Je nach Zusammensetzung der Beschichtung(en) der Pigmentteilchen erzeugen Interferenz-, Reflexions- und Absorptionsphänomene Farb- und Helligkeitseindrücke. Unregelmäßigkeiten in der zu beschichtenden Substratoberfläche oder farbige Verunreinigungen des Substrats können zu unerwünschten Streulichteffekten oder Farbunreinheiten im Endprodukt führen [...] Künstliche Substrate bieten [...] qualitativ hochwertige Pigmente mit neuen Farb- und Glanzeffekten."

"[0012] Der vorliegenden Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, neue Effektpigmente mit verbesserten optischen Eigenschaften, insbesondere mit einer gegenüber dem Stand der Technik erhöhten Farbreinheit bei einem konstanten Lichteinfalls- und Beobachtungswinkel, bereitzustellen."

4. Der nächstliegende Stand der Technik

4.1 Es bestand kein Einvernehmen zwischen den Parteien, welches Dokument als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden soll. In der mündlichen Verhandlung nannte die Beschwerdeführerin diesbezüglich das Dokument D2, wobei die Beschwerdegegnerin hingegen ausführte, dass weder D2 noch die anderen von der Beschwerdeführerin herangezogenen Dokumente einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellten.

4.2 Die Kammer merkt an, dass gemäß Absatz [0012] des Streitpatents die der vorliegenden Erfindung zugrundeliegende Aufgabe in ihrer allgemeinsten Formulierung in der Bereitstellung von Pigmenten mit verbesserten optischen Eigenschaften liegt. Nur zweitrangig wird eine erhöhte Farbreinheit erwähnt (siehe "insbesondere" Absatz [0012]). Die allgemeinste Aufgabe der Erfindung gleicht der im Absatz [0010] von D2 genannten Aufgabe: "to provide a luster pigment capable of achieving highly lustrous appearance and particulate appearance". Angesichts der im Streitpatent bzw. in D2 ähnlich angesprochenen technischen Problematik und beschriebenen Pigmente ist daher die Kammer davon überzeugt, dass D2 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt.

4.3 In der Tat offenbart D2 Pigmente, umfassend künstliche plättchenförmige Substrate, die mindestens eine optisch wirksame Beschichtung und einen hohen Glanz aufweisen (vgl. inter alia Absätze [0010], [0026] und [0038] bis [0040]).

4.4 Insbesondere offenbaren die in D2 enthaltenen Beispiele 4 bis 6, 9 bis 11 und 13 (vgl. Tabellen 2, 4, 5 und 7) unstreitig Pigmente, die künstliche plättchenförmige Substrate (Glasplättchen) mit einer optisch wirksamen Beschichtung (aus Titanoxid) umfassen, und einen gemäß Anspruch 1 des Streitpatents berechneten Span (DeltaD) aufweisen, der sich innerhalb des im Anspruch 1 genannten Bereichs 0.7 bis 1.4 befindet. Aus den Tabellen 2, 4, 5 und 7 des D2 ergeben sich nämlich Werte des Spans (DeltaD), die sich von 0.79 (Beispiel 9) bis 1.18 (Beispiel 13) erstrecken. Zudem haben alle in den oben genannten Beispielen offenbarten Pigmente eine Dicke von 1300 nm (vgl Absätze [0065] i. V. mit [0068], [0074] i. V. mit [0077], [0083] i. V. mit [0086]), die innerhalb des in Anspruch 1 erwähnten Bereichs von 500 nm bis 2000 nm liegt.

4.5 Die Beschwerdegegnerin war der Ansicht, dass D2 kein angemessener nächstliegender Stand der Technik sei. Trotz dieser Behauptung hat sie allerdings kein Dokument genannt, das einen besseren Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellen würde. Die Bestimmung des nächstliegenden Standes der Technik ist aber ein unabdingbarer Schritt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gemäß dem "Aufgabe-Lösung" Ansatz.

4.6 Nach dem Dafürhalten der Kammer ist daher D2 und insbesondere jedes der Beispiele 4 bis 6, 9 bis 11 und 13 (siehe 4.4, supra) als der angebrachteste Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit anzusehen.

5. Die technische Aufgabe formuliert von der Beschwerdegegnerin

Die Beschwerdegegnerin hat sich auf Absätze [0012], [0035] und [0036] des Streitpatents bezogen und ausgeführt, dass die technische Aufgabe der Erfindung gegenüber D2 in der Bereitstellung von Pigmenten mit einer verbesserten Farbreinheit liege.

6. Die Lösung

Als Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent die Effektpigmente gemäß Anspruch 1 vor (Wortlaut unter Punkt II, supra), die unter anderem dadurch gekennzeichnet sind, dass (Hervorhebung durch die Kammer):

"die Standardabweichung der Dicke der künstlichen Substrate 15% bis 100% beträgt."

7. Der Erfolg der Lösung

7.1 Mit Bezug auf Absätze [0035] und [0036] des Streitpatents hat die Beschwerdegegnerin ausgeführt, dass die in Anspruch 1 angegebenen Span (DeltaD), mittlere Dicke und Standardabweichung der Dicke der Substrate kumulativ zu einer verbesserten Farbreinheit führen. Dies sei durch die Ergebnisse der im Streitpatent enthaltenen Beispiele bestätigt. Diese zeigen, dass Pigmente nach Anspruch 1 ein niedrigeres 90% Quantil, und dadurch eine bessere Farbreinheit, aufweisen als Pigmente des Standes der Technik. Die Pigmente der Erfindung hätten keinen Regenbogeneffekt. Ein kommerzielles Beispiel davon sei in den Figuren 3 und 4 der D11 gezeigt. Die technische Aufgabe (5, supra) sei somit durch die in Anspruch 1 definierten Pigmente gelöst.

7.2 Die Kammer ist jedoch von dieser Argumentation nicht überzeugt, und zwar aus den folgenden Gründen.

7.2.1 Die in der Tabelle 4 im Absatz [0116] des Streitpatents beschriebenen Ergebnisse zeigen lediglich, dass Pigmente gemäß Anspruch 1 (mit einer mittleren Dicke von 1 mym (1000 nm) und einer Standardabweichung der Dicke von ca. 40%, siehe Absatz [0108]) ein niedrigeres 90% Quantil als zwei kommerzielle Pigmente aufweisen. Diese kommerziellen Pigmente sind allerdings durch einen Span (DeltaD) von 1,46 bzw. 1,66 gekennzeichnet, der außerhalb des in Anspruch 1 genannten Bereichs von 0,7 bis 1,4 liegt (siehe Tabelle 3 in Absatz [0112] des Streitpatents, insbesondere die letzte Spalte).

7.2.2 Die Pigmente gemäß dem nächstliegenden Stand der Technik haben hingegen unstreitig einen gemäß Anspruch 1 des Streitpatents berechneten Span DeltaD, der sich innerhalb des in Anspruch 1 genannten Bereichs 0.7 bis 1.4 befindet sowie eine Dicke, die innerhalb des in Anspruch 1 erwähnten Bereichs von 500 nm bis 2000 nm liegt (siehe 4.4, supra). Ein Vergleich zwischen den beanspruchten Pigmenten und den Pigmenten gemäß dem nächstliegenden Stand der Technik im Hinblick auf die Farbreinheit (90% Quantil) ist weder im Streitpatent enthalten noch wurde von der Beschwerdegegnerin vorgelegt.

7.2.3 Das Streitpatent lehrt ferner in Absatz [0019]:

"Überraschenderweise wurde gefunden, dass Substrate mit engem Span in der Teilchengrößenverteilung, die mit wenigstens einer optisch wirksamen Beschichtung beschichtet sind, eine deutlich höhere Farbreinheit gegenüber Effektpigmenten mit einem breiteren Span, wie dies im Stand der Technik der Fall ist, aufweisen."

und in Absatz [0036]:

"Effektpigmente, deren künstliche Substrate eine mittlere Dicke von 500 bis 2000 nm und zugleich einen Span DeltaD von 0,7 bis 1,4 aufweisen, die gewünschte außerordentliche Farbreinheit bei einem konstanten Lichteinfalls- und Beobachtungswinkel aufweisen." (Hervorhebungen durch die Kammer).

7.2.4 Auch laut den Absätzen [0086] und [0087] wird der reine Farbton bzw. die erhöhte Farbreinheit (90% Quantil) der beanspruchten Pigmente dem engen in Anspruch 1 definierten Span (DeltaD) (und der mittleren Dicke) zugeordnet.

7.2.5 Aus den besagten Passagen des Streitpatents ergibt sich für die Kammer, dass eine verbesserte Farbreinheit der Pigmente nach Anspruch 1 gegenüber den im nächstliegenden Stand der Technik (4.4, supra) offenbarten Pigmenten nicht begründet und nicht plausibel ist, weil beide für die Farbreinheit in Frage kommenden Parameter, Span (DeltaD) und mittlere Dicke, gleichwertig sind.

7.2.6 Die Beschwerdegegnerin hat auf Absatz [0035] des Streitpatents verwiesen, der eine angebliche Wirkung der beanspruchten Standardabweichung der Dicke der Substrate offenbare. Laut diesem Absatz: "Unterhalb einer Standardabweichung von 15 % werden farbflopende Effektpigmente erhalten. Oberhalb einer Standardabweichung von 100 % sind derart viele dickere Pigmente in dem gesamten Pigmentensemble enthalten, dass es dann zu schlechterer Orientierung und damit zu Glanzverlusten kommt" (Hervorhebung durch die Kammer).

7.2.7 Die Standardabweichung der Dicke der Substrate der Pigmente gemäß dem nächstliegenden Stand der Technik ist nicht bekannt. Es ist allerdings unstreitig, dass diese Pigmente einen hohen Glanz aufweisen. Dies wird übrigens in D2 auch durch die Ergebnisse der Beispiele 17 bis 19 und 21 bis 23 des D2, die die Pigmente gemäß dem Beispielen 11, 10, 5, 6 und 9 einsetzen, bestätigt. Da es mit den Pigmenten gemäß dem nächstliegenden Stand der Technik daher nicht "zu Glanzverlusten kommt" (7.2.6, supra), ist jegliche Wirkung der Pigmente nach Anspruch 1 im Vergleich zu den Pigmenten des nächstliegenden Standes der Technik im gesamten Bereich der beanspruchten Standardabweichung der Dicke der Substrate, und insbesondere für den Wert von 100%, nicht plausibel.

7.2.8 Da ferner die in Anspruch 1 genannte Standardabweichung der Dicke keine Einschränkung im Bezug auf die genaue Verteilung der Dicke der Substrate bedeutet (siehe 2.5, supra), sind auch Verteilungen mitumfasst, die einen großen Anteil an Substraten mit sehr kleinen Dicken einschließen. Für solche Substrate ist jegliche Verbesserung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik auch nicht plausibel.

7.3 Aus den oben genannten Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass eine verbesserte Farbreinheit gegenüber den Pigmenten des nächstliegenden Standes der Technik (4.4, supra) durch die beanspruchten Pigmente im gesamten Bereich des Anspruchs 1 nicht bewiesen wurde und nicht plausibel ist.

7.4 Demzufolge muss die gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik tatsächlich gestellte Aufgabe weniger ehrgeizig neu formuliert werden.

8. Neuformulierung der Aufgabe

8.1 In Abwesenheit jeglicher technischen Wirkung kann die gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik gestellte Aufgabe nur darin bestehen, weitere Effektpigmente nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 bereitzustellen.

8.2 Insbesondere im Hinblick auf die Beispiele des Streitpatents ist unstreitig, dass diese weniger ehrgeizige Aufgabe durch die Effektpigmente nach Anspruch 1 tatsächlich gelöst wird.

9. Naheliegen der Lösung

9.1 Die in Anspruch 1 definierten Pigmente unterscheiden sich von den Pigmenten gemäß dem nächstliegenden Stand der Technik (4.4, supra) lediglich dadurch, dass "die Standardabweichung der Dicke der künstlichen Substrate 15% bis 100% beträgt."

9.2 Es bleibt zu entscheiden, ob es für den mit der zu lösenden technischen Aufgabe (8.1, supra) befassten Fachmann im Hinblick auf den Stand der Technik und allgemeines Fachwissen naheliegend war, die Pigmente des nächstliegenden Standes der Technik derart abzuändern, dass die Standardabweichung der Dicke der Substrate im in Anspruch 1 erwähnten Bereich liegt.

9.3 Es ist unbestritten, dass auch die Substrate der Pigmente gemäß dem nächstliegenden Stand der Technik (4.4, supra) eine gewisse Dickenverteilung und somit eine relative Standardabweichung der Dicke aufweisen müssen. Dies liegt in der Natur aller existierenden Grundgesamtheiten der Substrate von Pigmenten aufgrund ihrer Herstellung.

9.4 Der mit der Implementierung der Lehre nach dem nächstliegenden Stand der Technik befasste Fachmann wird dann unter den nach der Lehre von D2 hergestellten Substraten (siehe zum Beispiel Absatz [0031]) zwangsläufig eine Grundgesamtheit von Substraten auswählen, die eine gewisse Dickenverteilung und relative Standardabweichung aufweisen.

9.5 Es ist auch unbestritten, dass der in Anspruch 1 genannte Standardabweichungsbereich von 15% bis 100% mit keiner speziellen Form der Dickenverteilung verbunden ist (2.5-2.6, supra). Dieser Bereich stellt daher lediglich eine von verschiedenen äquivalenten naheliegenden Möglichkeiten dar, die der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und den Umständen entsprechend berücksichtigen würde, um die technische Aufgabe (8.1, supra) zu lösen. Eine solche Auswahl ist als willkürlich anzusehen und ist mit keinem erfinderischen Schritt verbunden.

9.6 Die Kammer kommt somit zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag die Erfordernisse der Artikel 52(1) und 56 EPÜ nicht erfüllt. Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.

Hilfsantrag I - Anspruch 1 - Erfinderische Tätigkeit

10. Anspruch 1 laut Hilfsantrag I unterscheidet sich vom Anspruch 1 laut Hauptantrag lediglich dadurch, dass "die Standardabweichung der Dicke der künstlichen Substrate 20% bis 70% beträgt" (Hervorhebung durch die Kammer).

10.1 Die Argumente der Beschwerdegegnerin im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes sind die gleichen, die für den Hauptantrag geltend gemacht wurden.

10.2 Nach dem Dafürhalten der Kammer ändert die Einschränkung der Standardabweichung der Dicke der Substrate auf 20% bis 70% nichts an den unter 7.2.1 bis 7.2.8, supra, ausgeführten Überlegungen.

10.3 Auch für den gesamten Bereich der Standardabweichung der Dicke der Substrate von 20% bis 70%, und insbesondere für den Wert von 70%, ist jegliche Wirkung der Effektpigmente nach Anspruch 1 im Vergleich zu den Pigmenten des nächstliegenden Standes der Technik nicht begründet und nicht plausibel.

10.4 Demzufolge ändert sich auch die technische Aufgabe nicht, die lediglich in der Bereitstellung weiterer Effektpigmente nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 liegt (8.1, supra).

10.5 Auch in diesem Fall stellt daher die beanspruchte Auswahl einer Standardabweichung der Dicke der Substrate von 20% bis 70% lediglich eine unter verschiedenen äquivalenten naheliegenden Möglichkeiten dar, die der Fachmann ohne erfinderisches Zutun den Umständen entsprechend berücksichtigen würde, um die technische Aufgabe zu lösen (9.3 bis 9.5, supra). Eine solche Auswahl ist als willkürlich anzusehen und ist mit keinem erfinderischen Schritt verbunden.

10.6 Die Kammer kommt somit zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag I die Erfordernisse der Artikel 52(1) und 56 EPÜ nicht erfüllt. Der Hilfsantrag I ist daher nicht gewährbar.

Nicht-Zulassung des Hilfsantrags II

11. Der Hilfsantrag II wurde von der Beschwerdegegnerin erst während der mündlichen Verhandlung eingereicht.

11.1 Seine Zulässigkeit obliegt daher nach Artikel 13(1)(3) VOBK dem Ermessen der Kammer.

11.2 Die Beschwerdegegnerin hat ausgeführt,

- dass der Hilfsantrag II eine ernsthafte Bemühung darstelle, die erhobenen Einwände auszuräumen und

- dass er keine neue Fragen aufwerfe, und somit

- dass er prima facie gewährbar sei.

11.3 Anspruch 1 gemäß diesem Antrag lautet (Änderungen im Vergleich zum Anspruch 1 des Hilfsantrags I sind hervorgehoben):

1. Effektpigmente, umfassend künstliche plättchenförmige Substrate, [...] wobei die Standardabweichung der Dicke der künstlichen Substrate 20 % bis 70 % beträgt, wobei die mindestens eine optisch wirksame Beschichtung einen Brechungsindex von n >=1,9 aufweist und aus der Gruppe, die aus Metalloxid, Metallhydroxid, Metalloxidhydrat, Metallsuboxid und Mischungen davon besteht, ausgewählt wird, wobei die Effektpigmente in einem Rakelabzug eines Lackes, enthaltend 6 Gew.-% Effektpigmente in einem farblosen Nitrozelluloselack, bezogen auf das Gesamtgewicht des Lackes, mit 76 µm Naßfilmdicke nach dessen Trocknung ein 90% Quantil der Farbabstandsverteilung DeltaC*90 im a*-b*-Farbraum von 0,5 bis 8,0 aufweisen."

11.4 Die Kammer bemerkt, dass die Beschwerdegegnerin nicht überzeugend erklären konnte, warum ein solcher Antrag nicht bereits früher gestellt werden konnte, obwohl sie mit ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung bereits 6 Hilfsanträge eingereicht hatte.

11.5 Bereits auf den ersten Blick stellt dieser Anspruchssatz nunmehr technische Merkmale in den Vordergrund, die im bisherigen Beschwerdeverfahren keine zentrale Rolle gespielt haben und die dem Verfahren in einem sehr späten Stadium eine neue Richtung geben.

11.6 Die Kammer ist zudem überzeugt, dass Hilfsantrag II die Einwände im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit prima facie nicht ausräumt und möglicherweise neue Fragen aufwirft, und dies aus den folgenden Gründen.

11.6.1 Das erste hinzugefügte Merkmal betreffend den Brechungsindex der Beschichtung der Substrate ist unstreitig im nächstliegenden Stand der Technik (4.4, supra) offenbart.

11.6.2 Das zweite hinzugefügte Merkmal betrifft den Bereich des 90% Quantils, das die beanspruchten Effektpigmente aufweisen müssen, d.h. ein zu erreichendes Ergebnis.

11.6.3 Wie oben unter 7.2.4 schon angemerkt, wird laut Streitpatent (siehe Absätze [0086] und [0087]) das gewünschte 90% Quantil der beanspruchten Effektpigmente lediglich dem engen in Anspruch 1 definierten Span (DeltaD) (und der mittleren Dicke) zugeordnet.

11.6.4 Es ist deshalb streitig und prima facie nicht ersichtlich, ob dieses Merkmal eine Einschränkung auf die beanspruchten Pigmente überhaupt bewirkt oder vielmehr als ein inhärentes Merkmal von Pigmenten, die einen Span (DeltaD) und eine mittlere Dicke nach Anspruch 1 (und nach dem nächstliegenden Stand der Technik) aufweisen, anzusehen ist.

11.6.5 Zudem, wie bereits in der Beschwerdebegründung im Bezug auf den Anspruch 6 des Hauptantrags ausgeführt wurde, ist prima facie nicht ersichtlich, wie sich Pigmente herstellen lassen, die ein 90% Quantil aufweisen, das im beanspruchten Bereich liegt. In diesem Fall würde sich dann prima facie die Frage der Ausführbarkeit des beanspruchten Gegenstandes nach Artikel 83 EPÜ stellen.

11.6.6 Eine mögliche Verletzung von Artikel 123(2) EPÜ wurde auch von der Beschwerdeführerin angesprochen.

11.7 Demzufolge kommt die Kammer zum Schluss, dass der Hilfsantrag II nicht prima facie eindeutig gewährbar ist und sogar neue Fragen im Bezug auf die Patentierbarkeit aufwirft.

11.8 Daher hat die Kammer in der Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(1) und (3) VOBK, beschlossen, den Hilfsantrag II nicht zuzulassen.

Zusammenfassung

12. Keiner der Anträge der Beschwerdegegnerin ist entweder gewährbar oder zulässig.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Das Patent wird widerrufen.

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