T 0233/15 () of 19.11.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T023315.20191119
Datum der Entscheidung: 19 November 2019
Aktenzeichen: T 0233/15
Anmeldenummer: 06742762.5
IPC-Klasse: H05B 6/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Anordnung zur Leistungsversorgung mehrerer Induktionsspulen bei einem Induktionsgerät
Name des Anmelders: E.G.O. Elektro-Gerätebau GmbH
Name des Einsprechenden: Electrolux Rothenburg GmbH Factory and Development
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(b)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (ja)
Spät eingereichter Antrag - Antrag hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, mit welcher der Einspruch gegen das europäischen Patent Nr. 1 878 309 zurückgewiesen wurde.

II. Die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin vom 10. April 2015 enthielt unter anderem Argumente im Hinblick auf den geltend gemachten Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ, weshalb die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie im gesamten beanspruchten Bereich ausführen könne.

III. Mit Schreiben vom 23. Januar 2019 hat die Beschwerdegegnerin erstmals auf die Beschwerde reagiert und Hilfsanträge 1 bis 5 eingereicht.

IV. In einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK vom 16. Juli 2019 hat die Kammer die Parteien unter anderem darüber informiert, dass die Ausführbarkeit der Erfindung (Artikel 100 b) EPÜ) im Hinblick auf den Hauptantrag (Patent wie erteilt) sowie die Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 5 in das Beschwerdeverfahren während der mündlichen Verhandlung zu erörtern seien.

V. In einer weiteren Eingabe der Beschwerdegegnerin vom 18. Oktober 2019 hat sich diese erstmals im Beschwerdeverfahren ausführlich zu dem Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ geäußert.

VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 19. November 2019 in Anwesenheit der Parteien vor der Kammer statt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der mit Schreiben vom 23. Januar 2019 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5 aufrecht zu erhalten.

VII. Anspruch 1 des erteilten Patents gliedert sich in die folgenden Merkmale (mit Merkmalsnummerierung gemäß der angefochtenen Entscheidung):

M101 Verfahren zur Leistungsversorgung mehrerer Induktionsspulen (L1, L2) bei einem Induktionsgerät (11), wobei jede Induktionsspule (L1, L2) über einen eigenen Frequenzumrichter (19, 20) mit Leistung versorgt wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

M102 beim gemeinsamen Betrieb mehrerer Induktionsspulen die Frequenzen der jeweiligen Frequenzumrichter (19, 20) abhängig von der jeweils vorgesehenen Leistung hinsichtlich einer Frequenzdifferenz (Deltaf) nach einem der folgenden Betriebsmodi eingestellt werden:

M102a a) die Frequenzdifferenz ist gleich Null;

M102b b) die Frequenzdifferenz beträgt weniger als 1 kHz;

M102c c) die Frequenzdifferenz beträgt zwischen 15 kHz und 25 kHz,

M103 wobei die Induktionsspulen (L1, L2) bei jeweiligem Betriebsbeginn mit geforderten Werten für die einzelnen Leistungen und die Gesamtleistung des Induktionsgeräts (11) zuerst mit hoher Frequenz betrieben werden und

M104 anschließend unter Absenken der Frequenz und Erhöhen der Leistung die Gesamtleistung für die Induktionsspulen auf den geforderten Wert eingestellt wird,

M105 wobei eine Induktionsspule (L1) mehr Leistung aufweist als gefordert (P1(fg)) und

M106 eine andere Induktionsspule (L2) weniger Leistung aufweist als gefordert (P2(fg)), wobei

M107 die Induktionsspulen bis dahin dieselbe gemeinsame Frequenz (fg) aufweisen, und

M108 anschließend die Induktionsspule mit der überhöhten Leistung um eine Frequenzdifferenz nach Betriebsmodus c) nach oben gefahren wird in ihrer Frequenz, und

M109 dann die Frequenzen der Induktionsspulen mit der festen Frequenzdifferenz (Deltaf) zueinander so weit abgesenkt werden, bis die Gesamtleistung der Induktionsspulen dem geforderten Wert (FORMEL/TABELLE/GRAPHIK1+FORMEL/TABELLE/GRAPHIK2) für die Gesamtleistung entspricht.

VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 lautet wie folgt (Änderungen sind gegenüber dem Anspruch 1 wie erteilt hervorgehoben):

"Verfahren zur Leistungsversorgung mehrerer Induktionsspulen (L1, L2) bei einem Induktionsgerät (11), wobei jede Induktionsspule (L1, L2) über einen eigenen Frequenzumrichter (19, 20) mit Leistung versorgt wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

beim gemeinsamen Betrieb [deleted: mehrerer ]von genau zwei Induktionsspulen die Frequenzen der jeweiligen Frequenzumrichter (19, 20) abhängig von der jeweils vorgesehenen Leistung hinsichtlich einer Frequenzdifferenz (Deltaf) nach einem der folgenden Betriebsmodi eingestellt werden:

a) die Frequenzdifferenz ist gleich Null;

b) die Frequenzdifferenz beträgt weniger als 1 kHz;

c) die Frequenzdifferenz beträgt zwischen 15 kHz und 25 kHz,

wobei die beiden Induktionsspulen (L1, L2) bei jeweiligem Betriebsbeginn mit geforderten Werten für die einzelnen Leistungen und die Gesamtleistung des Induktionsgeräts (11) zuerst mit hoher Frequenz betrieben werden und

anschließend unter Absenken der Frequenz und Erhöhen der Leistung die Gesamtleistung für die Induktionsspulen auf den geforderten Wert eingestellt wird, wobei die eine Induktionsspule (L1) mehr Leistung aufweist als gefordert (P1(fg)) und [deleted: eine ]die andere Induktionsspule (L2) weniger Leistung aufweist als gefordert (P2(fg)), wobei die beiden Induktionsspulen bis dahin dieselbe gemeinsame Frequenz (fg) aufweisen, und anschließend die Induktionsspule mit der überhöhten Leistung um eine Frequenzdifferenz nach Betriebsmodus c) nach oben gefahren wird in ihrer Frequenz, und

dann die Frequenzen der beiden Induktionsspulen mit der festen Frequenzdifferenz (Deltaf) zueinander so weit abgesenkt werden, bis die Gesamtleistung der beiden Induktionsspulen dem geforderten Wert (FORMEL/TABELLE/GRAPHIK1+FORMEL/TABELLE/GRAPHIK2) für die Gesamtleistung entspricht."

IX. Anspruch 1 jedes der weiteren Hilfsanträge 2 bis 4 umfasst neben weiteren Änderungen jeweils die im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 gekennzeichneten Änderungen gegenüber dem Anspruch 1 des erteilten Patents.

X. Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 ist im Wesentlichen eine Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 9, d.h. er definiert zusätzlich, dass eine Induktionsspule aus mehreren Teilspulen besteht.

XI. Die Argumente der Beschwerdeführerin, sofern sie wesentlich für diese Entscheidung sind, waren wie folgt:

Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ

Der Fachmann sei im vorliegenden Fall ein langjährig auf dem Gebiet von Induktionsöfen tätiger Ingenieur, der zumindest allgemeine Fachkenntnisse im Bereich der Erwärmung von Metallen durch Induktion und deren Anwendung bei Induktionsgeräten und Induktionskochfeldern habe.

Die gesamte Beschreibung des Streitpatents enthalte kein für den Fachmann ohne unzumutbaren Aufwand ableitbares Schema nach dem das Verfahren nach Anspruch 1 auf beliebig viele, beispielsweise 3, 10 oder 20, Induktionsspulen übertragen werden könne, so dass unter Einhaltung der nach den Merkmalen M105 bis M109 gegeben Randbedingungen die Gesamtleistung eingestellt und gleichzeitig die zugrunde liegende Aufgabe, eine möglichst geringe Geräuschentwicklung zu erhalten, erreicht werden könne.

Das Streitpatent offenbare ein für den Fachmann ohne Weiteres nacharbeitbares Schema lediglich für den Fall, dass das Induktionsgerät genau zwei Induktionsspulen aufweise. In dem darüber hinausgehenden beanspruchten Bereich fehle es an einer nacharbeitbaren Lehre.

Daraus folge, dass das Streitpatent den unter Anspruch 1 fallenden Gegenstand nicht so deutlich offenbare, dass der Fachmann ihn mit zumutbarem Aufwand im gesamten beanspruchten Bereich ausführen könne.

Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 5 in das Beschwerdeverfahren

Es werde beantragt den Hilfsantrag 1 sowie die weiteren Hilfsanträge 2 bis 5 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

Die Einreichung der Hilfsanträge erst im Januar 2019 sei deutlich verspätet. Im Übrigen hätte insbesondere der Hilfsantrag 1 in Reaktion auf den in der Einspruchsschrift geltend gemachten Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ bereits im erstinstanzlichen Verfahren vor der Einspruchsabteilung vorgelegt werden sollen.

Weiterhin sei klar, dass die erstmalige Erwiderung auf die Beschwerde seitens der Beschwerdegegnerin erst erfolgt sei, nachdem sich die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. November 2018 nach dem Verfahrensstand erkundigt habe.

Ferner sei Artikel 12 (4) VOBK und nicht Artikel 13 (1) VOBK für die Frage der Zulassung der Hilfsanträge maßgeblich, da Artikel 13 (1) VOBK eine bereits erfolgte Erwiderung voraussetze, die im vorliegenden Fall jedoch nicht vorlag.

XII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin, sofern sie wesentlich für diese Entscheidung sind, waren wie folgt:

Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ

Für die Nacharbeitbarkeit von Ausführungsarten seien nur solche zu werten, die in den Schutzbereich der Ansprüche fallen und die für den Fachmann auch realistisch in Frage kämen. Dementsprechend seien Ausführungsarten, die für den Fachmann erkennbar technisch nicht sinnvoll seien, oder weil sie sofort und problemlos erkennbar nicht in den Schutzbereich der Ansprüche fallen, nicht zu berücksichtigen.

Gemäß einer ersten Möglichkeit erkenne der Fachmann, dass eine Frequenzdifferenz gemäß Anspruch 1 naturgemäß immer nur zwischen zwei Bezugspunkten bzw. zwischen zwei Frequenzumrichtern gelten könne. Dann werde er naturgemäß auch nur eine Ausführung mit zwei Induktionsspulen und zwei Frequenzumrichtern in Erwägung ziehen.

Gemäß einer zweiten Möglichkeit werde der Fachmann eine Frequenzdifferenz immer zwischen zwei Frequenzumrichtern sehen, dies aber so verstehen, dass eben beim Betrieb von mehr als zwei Induktionsspulen, beispielsweise vier Induktionsspulen, eine Frequenzdifferenz naturgemäß nur zwischen zwei dieser Induktionsspulen gemessen werden könne.

Des Weiteren gelte der Betriebsmodus c), wenn gemäß der Merkmale Ml05 und Ml06 zwei Induktionsspulen miteinander verglichen würden ("eine Induktionsspule" gemäß Merkmal M105; "eine andere Induktionsspule" gemäß Merkmal M106). Gemäß Merkmal M107 sollten diese zwei Induktionsspulen bis dahin dieselbe gemeinsame Frequenz aufweisen, also gemäß Betriebsmodus a) arbeiten. Somit bestünde keine Notwendigkeit für eine Einschränkung auf genau zwei Induktionsspulen im Hinblick auf die Ausführbarkeit der Erfindung. Es könnten sehr wohl insgesamt beispielsweise vier Induktionsspulen eines Induktionsgeräts gleichzeitig betrieben werden. Dies entspreche dann dem Merkmal M101. Merkmal M102 definiere nur, wie in festgelegten Stufen hinsichtlich einer Frequenzdifferenz die Frequenzen der für die Induktionsspulen vorgesehenen Frequenzumrichter eingestellt werden können.

Die scheinbar auf den Betrieb von nur zwei Induktionsspulen begrenzte Ausführbarkeit des Anspruchs 1 gelte somit auch für einen Betrieb des Induktionsgeräts mit mehr als zwei Induktionsspulen, wobei die spezielle Einstellung der Frequenzdifferenz nach Betriebsmodus c) für den Fachmann erkennbar nur für zwei Induktionsspulen gelten solle.

Insbesondere werde gemäß der Merkmale M105 und M106 eindeutig nur auf zwei Induktionsspulen Bezug genommen, wobei eine davon mehr Leistung und die andere weniger Leistung als gefordert aufweise. Somit sei es für den Fachmann offensichtlich, dass auch noch weitere Induktionsspulen vorhanden sein und auch betrieben werden können, deren Leistungshöhe aber für das Verfahren keine Rolle spiele. Beansprucht sei eben nur ein Verfahren, welches genau (unter anderem) nach den Merkmalen Ml05 und Ml06 ablaufe.

Die Beschwerdegegnerin hat ferner in dem Schreiben vom 18. Oktober 2019 ein Verfahren zur Leistungsversorgung beschrieben, und dargelegt, wie dieses mit 20 Induktionsspulen ausgeführt werden könne.

Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 5 in das Beschwerdeverfahren

Seitens der Beschwerdegegnerin werde nicht bestritten, dass die Hilfsanträge 1 bis 5 verspätet seien, mithin nach der in Artikel 12 (1) b) VOBK festgelegten Frist von vier Monaten nach Zustellung der Beschwerdebegründung.

Die Einreichung der Hilfsanträge 1 bis 5 sei deshalb verspätet erfolgt, weil es bei der Patentinhaberin interne Unstimmigkeiten im Hinblick auf die Umsetzung des patentgemäßen Verfahrens in Produkten gegeben habe.

Hinsichtlich der Zulassung von verspätetem Vorbringen sei Artikel 13 VOBK anwendbar, dessen Absatz 1 die Kriterien festlege, nach denen die Kammer ihr Ermessen über die Zulassung des geänderten Vorbringens auszuüben habe. Sämtliche dieser Kriterien seien im vorliegenden Fall insbesondere durch den Hilfsantrag 1 erfüllt. Gemäß Artikel 13 (1) VOBK seien die Kriterien zur Ausübung des Ermessens der Kammer insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie.

Der Hilfsantrag 1 sei prima facie geeignet den Mangel an Ausführbarkeit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag zu beseitigen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei ferner zweifellos ursprünglich offenbart, nämlich in dem ursprünglichen Anspruch 2 sowie in Figur 1.

Des Weiteren entstehe durch die Einreichung des Hilfsantrags 1 keine zeitliche Verzögerung, da das Problem der mangelnden Ausführbarkeit zweifellos gelöst werde. Durch die Zulassung dieses Hilfsantrags 1 in das Beschwerdeverfahren werde dieses somit weder erschwert noch verzögert und mache auch keine Verlegung der mündlichen Verhandlung notwendig.

Der Hilfsantrag 1 bringe darüber hinaus keinerlei Komplexität in das Verfahren. Er sei deutlich vor Erlass der Ladung erfolgt, so dass davon ausgegangen werden könne, dass die Beschwerdekammer die sachliche Bearbeitung des Falls erst zu einem Zeitpunkt aufgenommen habe, zu dem der Hilfsantrag 1 vorlag. Eine zeitliche Verzögerung des Beschwerdeverfahrens könne insgesamt angesichts des Zeitpunkts der Beschwerdeeinlegung und Beschwerdebegründung Anfang 2015 durch den Zeitpunkt der Einreichung des Hilfsantrags 1 nicht vermutet oder angenommen werden.

In der Mitteilung der Beschwerdekammer vom 13. November 2018 sei ein voraussichtlicher Bearbeitungstermin dieses Falls im ersten Quartal 2020 genannt worden. Der Hilfsantrag 1 sei jedoch schon am 23. Januar 2019 eingereicht worden. Ferner sei der Hilfsantrag 1 knapp neun Monate vor dem Tag der mündlichen Verhandlung eingereicht worden, sodass die Beschwerdeführerin ausreichend Zeit gehabt habe, den Hilfsantrag 1 eingehend zu studieren. Eine Erwiderung der Beschwerdeführerin auf die Eingabe der Hilfsanträge sei im Übrigen nicht erfolgt.

Für das Ausüben des Ermessens bei der Zulassung eines Hilfsantrags sei nicht nur der Zeitablauf seit Begründung der Beschwerdeeinlegung durch die Beschwerdeführerin zu berücksichtigen, sondern auch die gesamte Zeitdauer des Beschwerdeverfahrens bis zum Zeitpunkt der Einreichung der Hilfsanträge. Insbesondere sei hierbei darauf abzustellen, wie lange vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die Einreichung der Hilfsanträge erfolgt sei. Ferner seien die verspätet eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5 so rechtzeitig eingereicht worden, dass sie in der Mitteilung zur Ladung zur mündlichen Verhandlung berücksichtigt werden konnten.

Es sei außerdem zu beachten, dass die Ausführbarkeit für den Fall von zwei Induktionsspulen bereits im Einspruchsschriftsatz von der Beschwerdeführerin zugestanden worden sei (siehe Einspruchsschriftsatz vom 24. April 2013 auf Seite 18 in der Mitte, und die Gründe der angefochtenen Entscheidung auf Seite 5 unter Punkt 3.1). Auch in der Beschwerdebegründung sei dies explizit von der Beschwerdeführerin anerkannt worden (siehe die Beschwerdebegründung vom 10. April 2015, Seite 6, letzter Absatz bis Seite 7, erster Absatz). Die Beschwerdeführerin habe somit zugestanden, dass der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 eine potentielle mangelnde Ausführbarkeit überwinde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag - Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ

2.1 Die Erfindung gemäß Anspruch 1 des Streitpatents ist nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann sie im gesamten beanspruchten Bereich ausführen kann (Artikel 83 EPÜ).

2.2 Die Beschwerdegegnerin hat im Kern argumentiert, der Anspruch 1 unterliege gewissermaßen einer Zweiteilung, wonach die Merkmale M101 bis M104 auf mehrere Induktionsspulen gerichtet seien, während die Verfahrensschritte gemäß den Merkmalen M105 bis M109 lediglich auf zwei Induktionsspulen anzuwenden seien. Ausführungsformen, bei denen mehr als zwei Induktionsspulen mit Leistung im Sinne des Anspruchs 1 versorgt würden, fielen somit nur unter den Wortlaut des Anspruchs 1, soweit auf genau zwei dieser mehreren Induktionsspulen die Verfahrensschritte M105 bis M109 angewendet werden. Dies würde der Fachmann auch so verstehen, so dass sich ein Mangel an Ausführbarkeit nicht ergebe.

2.3 Die Kammer versteht das Argument der Beschwerdegegnerin so, dass in den Schutzbereich des Anspruchs 1 nur Ausführungsformen fallen, die der Fachmann nacharbeiten kann. Ausführungsformen, bei denen die Merkmale M105 bis M109 auf mehr als zwei Induktionsspulen anzuwenden sind, seien somit nicht von Anspruch 1 umfasst. Dieses Argument überzeugt die Kammer nicht.

Weder die Formulierung "eine Induktionsspule" (M105) bzw. "eine andere Induktionsspule" (M106) noch der Begriff "Frequenzdifferenz" (M108, M109) lassen den zwingenden Schluss zu, dass Ausführungsformen von dem Schutzbereich des Anspruchs 1 ausgeschlossen sind, bei denen die Verfahrensschritte gemäß den Merkmalen M105 bis M109 auf mehr als zwei Induktionsspulen anzuwenden sind.

Die Kammer hält es insbesondere für nicht plausibel, dass der Fachmann dem Anspruch 1 zwar einerseits ein Verfahren zur Leistungsversorgung mehrerer, insbesondere von mehr als zwei Induktionsspulen in Bezug auf die Merkmale M101 bis M104 entnimmt, andererseits aber die Verfahrensschritte gemäß den Merkmalen M105 bis M109 auf genau zwei dieser mehreren Induktionsspulen beschränkt.

Die Merkmale M105 und M106 beziehen sich zwar wörtlich auf "eine Induktionsspule" sowie auf "eine andere Induktionsspule", gleichwohl versteht der Fachmann den Anspruch 1 zweifellos so, dass im Falle von mehr als zwei Induktionsspulen das Verfahren nach den Merkmalen M105 bis M109 auch auf die über zwei hinausgehenden Induktionsspulen anzuwenden ist. Der Wortlaut des Anspruchs 1 enthält jedenfalls nichts, was den Fachmann dazu veranlassen könnte zu glauben, die Formulierung "eine Induktionsspule" bzw. "eine andere Induktionsspule" beziehe sich auf zwei und zwar nur auf genau zwei von mehr als zwei Induktionsspulen.

2.4 Das Argument der Beschwerdegegnerin, wonach der Fachmann erkennen würde, dass die Verfahrensschritte M105 bis M109 lediglich für genau zwei Induktionsspulen ausführbar sind, und nicht ausführbare Ausführungsformen verwerfen würde, ist ebenfalls nicht plausibel. Zum einen führen nicht ausführbare Bereiche eines beanspruchten Gegenstands nicht zwangsläufig dazu, dass diese vom Fachmann als nicht beanspruchte Ausführungsformen verworfen werden. Zum anderen liest der Fachmann den Anspruch 1 im Lichte der zu lösenden Aufgabe, nämlich einen Betrieb von mehreren Induktionsspulen mit möglichst geringer Geräuschentwicklung zu realisieren. Für den Fall, dass mehr als zwei Induktionsspulen vorgesehen sind, wird der Fachmann den Anspruch 1 daher zweifellos so verstehen, dass seine Lehre ungünstige Frequenzdifferenzen zwischen allen Induktionsspulen vermeidet, und somit für den Fall von mehr als zwei Induktionsspulen nicht nur zwischen zwei dieser Induktionsspulen. Dabei wird der Fachmann, anders als von der Beschwerdegegnerin vorgetragen wurde, den Anspruch 1 keineswegs gedanklich in zwei Teile aufteilen, wobei ein Teil des Anspruchs (Merkmale M101 bis M104) auf die über zwei hinausgehenden Induktionsspulen anzuwenden ist, während ein zweiter Teil des Anspruchs (Merkmale M105 bis M109) auf genau zwei der mehr als zwei Induktionsspulen anzuwenden ist. Eine solche Vorgehensweise läuft den Gewohnheiten des verständigen fachmännischen Lesers zu wider, der den Anspruch in seiner Gesamtheit im Lichte der im Patent genannten technischen Aufgabe betrachtet und diese durch den Gegenstand des Anspruchs vollständig und nicht nur teilweise gelöst versteht.

2.5 Für das oben dargelegte Verständnis des Fachmanns des Anspruchs 1 spricht darüber hinaus die Tatsache, dass bereits das Merkmal M102 auf mehrere Induktionsspulen Bezug nimmt, deren Frequenzen der jeweiligen Frequenzumrichter abhängig von der jeweils vorgesehenen Leistung hinsichtlich einer Frequenzdifferenz nach einem der Betriebsmodi a) bis c) eingestellt werden. Der Anspruch 1 umfasst somit bereits nach Merkmal M102 explizit Ausführungsformen, nach denen nicht nur zwei, sondern auch mehr als zwei Induktionsspulen im Betriebsmodus c) betrieben werden können. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Fachmann bei den nachfolgenden auf den Betriebsmodus c) bezogenen Schritten von der expliziten Lehre des Merkmals M102 abweichen sollte, und somit die über zwei hinausgehenden Induktionsspulen im weiteren Verlauf der Handlungsanweisung des Anspruchs 1 unberücksichtigt lassen sollte.

2.6 Insgesamt umfasst der Schutzbereich des Anspruchs 1 somit nicht nur Ausführungsformen, bei denen sich die Merkmale M105 bis M109 nur auf genau zwei von mehreren Induktionsspulen beziehen, sondern ebenso Ausführungsformen, bei denen die entsprechenden Verfahrensschritte dieser Merkmale auf die über zwei hinausgehenden Induktionsspulen anzuwenden sind, die nach Merkmal M102 in einem Betriebsmodus c) zu betreiben sind.

2.7 Die Beschwerdegegnerin hat versucht anhand von Ausführungsbeispielen darzulegen, dass die Erfindung nach ihrer Interpretation des Anspruchs 1 auch für mehr als zwei Induktionsspulen ausführbar ist. Sämtliche Ausführungsbeispiele der Beschwerdegegnerin beruhen dabei jedoch auf der Annahme, dass der Schutzbereich des Anspruchs 1 so auszulegen ist, dass die Verfahrensschritte gemäß den Merkmalen M105 bis M109 nur für genau zwei Induktionsspulen auszuführen seien. Die Kammer hat obenstehende Gründe dargelegt, weshalb diese Annahme unzutreffend ist, und etwaige Belege für die Ausführbarkeit des Verfahrens gemäß Anspruch 1 im gesamten beanspruchten Bereich hat die Beschwerdegegnerin nicht beigebracht. Vielmehr hat sie zugestanden, dass entsprechende Ausführungsbeispiele nicht existieren können, da die Verfahrensschritte gemäß den Merkmalen M105 bis M109 nur für genau zwei Induktionsspulen, nicht aber für mehr als zwei Induktionsspulen, gleichzeitig ausführbar sind.

2.8 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass der Anspruch 1 nicht in seinem gesamten beanspruchten Bereich ausführbar ist und somit die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ nicht erfüllt sind. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents folglich entgegen.

3. Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 4 in das Beschwerdeverfahren

3.1 Die Beschwerdegegnerin hat im Beschwerdeverfahren erstmals mit Schreiben vom 23. Januar 2019 schriftlich zu dem bereits in der Einspruchsschrift vorgebrachten Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ vorgetragen. Insbesondere hat sie erstmals zur Überwindung einer potentiellen mangelnden Ausführbarkeit einen neuen Hilfsantrag 1 sowie weitere Hilfsanträge 2 bis 4 eingereicht.

3.2 Die Kammer ist nicht überzeugt von dem Argument der Beschwerdegegnerin, wonach im Hinblick auf die Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 4 in das Beschwerdeverfahren Artikel 13 VOBK anzuwenden ist. Nach Artikel 13 (1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Die schriftliche Eingabe vom 23. Januar 2019 stellt jedoch das erste schriftliche Vorbringen der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren dar, sodass es sich hierbei nicht um "Änderungen des Vorbringens ... nach Einreichung seiner ... Erwiderung" im Sinne von Artikel 13 (1) VOBK handeln kann, denn eine Änderung in diesem Sinne setzt voraus, dass vorher bereits schriftliches Vorbringen im Rahmen der Beschwerdeerwiderung erfolgt ist. Dies trifft vorliegend jedoch nicht zu.

3.3 Die Eingabe der Beschwerdegegnerin vom 23. Januar 2019 stellt somit grundsätzlich neues Vorbringen dar, welches nicht innerhalb der nach Artikel 12 (1) b) VOBK vorgesehenen Frist, sondern erst mehr als drei Jahre später, eingereicht wurde. Das deutlich verspätete erstmalige Vorbringen der Beschwerdegegnerin liegt dem Beschwerdeverfahren somit grundsätzlich nicht im Sinne von Artikel 12 (1) VOBK zugrunde und stellt somit auch kein Vorbringen dar, welches von der Kammer im Sinne von Artikel 12 (4) VOBK zu berücksichtigen wäre.

3.4 Nach Artikel 12 (4) VOBK hat die Kammer die Befugnis, Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.

Im gesamten erstinstanzlichen Verfahren hat sich die Beschwerdegegnerin schriftlich lediglich kursorisch zu dem Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ geäußert (siehe Punkt II.1 des Schreibens der Beschwerdegegnerin vom 2. Juli 2014).

Die Kammer ist zu dem Schluss gelangt, dass es im Sinne der Verfahrensbeförderung geboten gewesen wäre, bereits im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens zu dem Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ substantiell Stellung zu nehmen sowie vorsorglich einen oder mehrere Hilfsanträge einzureichen. Die Tatsache, dass sich die Einspruchsabteilung in ihrer vorläufigen Meinung zu dem Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ zu Gunsten der Beschwerdegegnerin geäußert hatte, vermag diese Verfahrensbeförderungspflicht nicht auszuhebeln.

3.5 Die Einreichung von Hilfsanträgen 1 bis 4, die im Anspruch 1 jeweils das Merkmal des erteilten Anspruchs 2 aufweisen, dass also genau zwei Induktionsspulen betrieben werden, erfolgte im Rahmen einer erstmaligen Erwiderung auf die Beschwerde erst mehr als drei Jahre nach deren Einlegung und enthielt keinerlei Begründung, inwiefern die entsprechenden Änderungen mögliche Mängel im Hinblick auf Artikel 100 b) EPÜ ausräumen könnten. Erst mit Schreiben vom 18. Oktober 2019, und somit nach Erlass der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK der Kammer, sah sich die Beschwerdegegnerin erstmals im gesamten Verfahren veranlasst, ausführlich zu dem Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ vorzutragen.

Die Kammer sieht in der deutlich verzögerten Reaktion seitens der Beschwerdegegnerin auf den von Anfang an im Verfahren befindlichen Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ, und insbesondere in der Einreichung von entsprechenden Hilfsanträgen in einem derart späten Verfahrensstadium, eine Verletzung der Pflicht zur Verfahrensbeförderung in erster Instanz sowie im Beschwerdeverfahren, denn zumindest hätten die Hilfsanträge innerhalb der Frist nach Artikel 12 (1) b) VOBK vorgelegt werden sollen.

3.6 Insofern ist es auch unbeachtlich, dass die Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 2 möglicherweise geeignet wäre, den Einwand in Bezug auf eine mangelnde Ausführbarkeit im Sinne von Artikel 83 EPÜ zu überwinden.

3.7 Auch hat die Beschwerdegegnerin keine plausible Erklärung geliefert, weshalb Hilfsanträge, insbesondere als Reaktion auf den Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ, erst mehr als drei Jahre nach Einlegung der Beschwerde eingereicht wurden. Die Begründung, es hätte bei der Beschwerdegegnerin intern Unstimmigkeiten im Hinblick auf die Implementierung des geschützten Verfahrens gegeben, überzeugt die Kammer nicht. Es ist nicht ersichtlich und die Beschwerdegegnerin hat nichts dazu vorgetragen, inwiefern etwaige interne Unstimmigkeiten die Beschwerdegegnerin daran gehindert haben sollten, Hilfsanträge in Reaktion auf einen seit Beginn des Einspruchsverfahrens im Jahr 2013 bekannten Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ zu formulieren und einzureichen.

Vielmehr hält es die Kammer für plausibel, dass die Anfrage der Beschwerdeführerin vom 2. November 2018 mit der Bitte um Mitteilung des Verfahrensstandes, sowie die daraufhin erlassene Mitteilung der Kammer vom 13. November 2018, wonach mit einer Bearbeitung der Akte im ersten Quartal 2020 zu rechnen sei, die Beschwerdegegnerin veranlasst hat, erstmalig im Beschwerdeverfahren eine substantielle Erwiderung sowie Hilfsanträge einzureichen.

3.8 Die Kammer hat angesichts der vorliegenden Umstände ihr Ermessen nach Artikel 12 (4) VOBK dahingehend ausgeübt, die Hilfsanträge 1 bis 4 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

4. Zulassung des Hilfsantrags 5 in das Beschwerdeverfahren

4.1 Der Hilfsantrag 5 wurde zusammen mit den Hilfsanträgen 1 bis 4 mit Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 23. Januar 2019 eingereicht. Er entspricht dem im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Hilfsantrag 1. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 umfasst im Wesentlichen eine Kombination der Merkmale der erteilten Ansprüche 1 und 9 (siehe Punkt X. oben). Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 enthält folglich nichts, was den dem Streitpatent entgegen stehenden Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ überwinden könnte. Die Beschwerdegegnerin hat in dieser Hinsicht auch nichts vorgetragen.

Die zum Hauptantrag getroffenen Feststellungen der Kammer im Hinblick auf das Erfordernis von Artikel 83 EPÜ gelten somit für den Hilfsantrag 5 entsprechend. Der Hilfsantrag 5 ist somit prima facie nicht gewährbar.

4.2 Die Kammer hat daher ihr Ermessen in Bezug auf die Zulassung von verspätetem Vorbringen dahingehend ausgeübt, den Hilfsantrag 5 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

5. Ergebnis

Da der Aufrechterhaltung des Streitpatents (Hauptantrag) der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ entgegensteht und die Hilfsanträge 1 bis 5 nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen wurden, war der Beschwerde der Beschwerdeführerin stattzugeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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