European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T022515.20190212 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 12 Februar 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0225/15 | ||||||||
Anmeldenummer: | 07007952.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01N 22/00 G01N 22/04 A24D 3/02 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Messung der Masse eines Weichmachers und der Feuchtigkeit in einem Filterstab | ||||||||
Name des Anmelders: | TEWS ELEKTRONIK Dipl.-Ing. Manfred Tews | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Spät eingereichter Antrag - konvergierende Anspruchsfassungen Spät eingereichter Antrag - (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsanträge 1 und 2 (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 3 (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 07007952.0 zurückzuweisen.
II. Die Prüfungsabteilung zitiert in ihrer Entscheidung u.a. die folgenden Dokumente:
X2: "Rapid determination of plasticiser content in filter rods at the making machine", W. Sexauer et al., Abstract ST 31 of presentations made at the 2003 Coresta joint meeting of the smoke science and product technology study groups, Freiburg, XP2465510;
X2a: "A New Rapid Determination of Plasticiser Content in Filter Rods at the Rod Maker", W. Sexauer et al., CORESTA Meeting Freiburg September 2003, Vortragsunterlagen zu X2;
T12: "Drop through Modular Test Station DT", Broschüre der Firma Borgwaldt-KC, XP2465511;
D13 "Cigarette Filter Rodmaking - Training Manual", Celanese Corporation, Auszug Kapitel 4, Seite 22 bis Kapitel 5, Seite 3, 1984, Auszug XP3033263;
A19 "Industrial Microwave Sensors", E. Nyfors und P. Vainikainen, ISBN 0-89006-397-4, Artech House, 1989, XP2334964.
III. Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung kam diese zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag gegenüber den Dokumenten X2/X2a nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Der im Laufe der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag I wurde von der Prüfungsabteilung nicht zugelassen, da er verspätet eingereicht worden sei, keine konvergente Weiterentwicklung beträfe und prima facie nicht erfinderisch erschiene.
Am Ende der mündlichen Verhandlung kam die Prüfungsabteilung zu der Auffassung, dass der Gegenstand der Ansprüche des Hilfsantrags II auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Dieser Gegenstand war, bis auf einige Änderungen editorischer Natur durch die Prüfungsabteilung, Gegenstand der Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ vom 23. April 2014.
IV. Nachdem der Anmelder erklärte, den Hauptantrag sowie den höherrangigen Hilfsantrag I aufrecht zu erhalten, hat die Prüfungsabteilung die Anmeldung zurückgewiesen und dies insbesondere damit begründet, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag gegenüber den Dokumenten X2/X2a nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und der Hilfsantrag I nicht zugelassen werde, da er verspätet eingereicht worden sei, keine konvergente Weiterentwicklung beträfe und prima facie nicht erfinderisch erschiene.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte mit ihrer Beschwerdebegründung als Hauptantrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent "auf Grundlage des Hilfsantrags I aus der angefochtenen Entscheidung" zu erteilen", sowie als Hilfsantrag I, ein Patent "im Umfang des Hilfsantrags II aus der angefochtenen Entscheidung" zu erteilen.
VI. Nach Aufforderung durch die Kammer reichte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 5. Oktober 2018 Anspruchssätze zum Haupt- und ersten Hilfsantrag sowie angepasste Beschreibungsseiten ein.
Zudem beantragte die Beschwerdeführerin nun weiter als Hilfsantrag II, das Patent gemäß Anspruchsfassung der am 23. April 2014 ergangenen Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ zu erteilen.
VII. In einem Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK informierte die Kammer die Beschwerdeführerin über ihre vorläufige Meinung zur Zulässigkeit der Anträge, Klarheit der Ansprüche, Offenbarung der Erfindung sowie erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Verfahrens.
VIII. Mit Schreiben vom 11. Januar 2019 reichte die Anmelderin geänderte Ansprüche gemäß der Hilfsanträge III und IV ein und beantragte hilfsweise die Erteilung eines Patents auf Grundlage dieser Anspruchssätze.
IX. Am 12. Februar 2019 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
Die Beschwerdeführerin reichte im Laufe der mündlichen Verhandlung eine geänderte Beschreibung im Rahmen von Hilfsantrag III ein.
Der Schlussantrag der Beschwerdeführerin lautet, die Zurückweisung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage
- der Ansprüche 1-4 gemäß Hauptantrag oder Hilfsantrag I, beide Anspruchssätze eingereicht mit Schreiben vom 5. Oktober 2018, oder
- der Ansprüche 1-4 gemäß Hilfsantrag II, die Gegenstand der Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ vom 23. April 2014 waren, oder
- von Hilfsantrag III mit der folgenden Fassung:
Ansprüche:
Nr. 1-3, eingereicht als Hilfsantrag III mit Schreiben vom 11. Januar 2019,
Beschreibung:
Seiten 1-15, eingereicht als Hilfsantrag III in der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2019,
Zeichnungen:
Seiten 1/3 bis 3/3 in der ursprünglichen Fassung, oder
- der Ansprüche 1-3 gemäß Hilfsantrag IV, eingereicht mit Schreiben vom 11. Januar 2019.
Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.
X. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Messung der Masse eines Weichmachers in einem Filterstab, das folgende Schritte aufweist:
Die Gesamtmasse (M) und der Zugwiderstand (PD) des Filterstabs werden erfaßt und
ein Mikrowellenmeßgerät misst eine Resonanzfrequenzverschiebung (A) und eine Verbreiterung der Resonanzkurve (B) einer in einem Mikrowellenresonator in Gegenwart des zu messenden Filterstabs erzeugten Resonanz, wobei die Masse an Weichmacher in dem Filterstab aus den Meßwerten (A, B) des Mikrowellenmeßgeräts und den Werten der Gesamtmasse (M) und des Zugwiderstands (PD) bestimmt wird."
XI. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Messung der Masse eines Weichmachers und der Feuchte in einem Filterstab, das folgende Schritte aufweist:
Die Gesamtmasse (M) und der Zugwiderstand (PD) des Filterstabs werden erfaßt und
ein Mikrowellenmeßgerät misst eine Resonanzfrequenzverschiebung (A) und eine Verbreiterung der Resonanzkurve (B) einer in einem Mikrowellenresonator in Gegenwart des zu messenden Filterstabs erzeugten Resonanz, wobei der Feuchtegehalt in dem Filterstab aus den Meßwerten des Mikrowellenmeßgeräts (A, B) und der gemessenen Gesamtmasse (M) bestimmt und die Masse an Weichmacher in dem Filterstab aus den Meßwerten (A, B) des Mikrowellenmeßgeräts und den Werten der Gesamtmasse (M) und des Zugwiderstands (PD) bestimmt wird."
XII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II entspricht dem Anspruch 1 der am 23. April 2014 ergangenen Mitteilung gemäß Regel 71 (3) EPÜ und lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Messung der Masse eines Weichmachers und der Feuchte in einem Filterstab, das folgende Schritte aufweist:
Die Gesamtmasse (M) und der Zugwiderstand (PD) des Filterstabs werden erfaßt und
ein Mikrowellenmeßgerät misst eine Resonanzfrequenzverschiebung (A) und eine Verbreiterung der Resonanzkurve (B) einer in einem Mikrowellenresonator in Gegenwart des zu messenden Filterstabs erzeugten Resonanz, wobei der Feuchtegehalt in dem Filterstab aus den Meßwerten Resonanzfrequenzverschiebung (A) und Verbreiterung der Resonanzkurve (B) des Mikrowellenmeßgeräts und der gemessenen Gesamtmasse (M) bestimmt und die Masse an Weichmacher in dem Filterstab aus den Meßwerten Resonanzfrequenzverschiebung (A) und Verbreiterung der Resonanzkurve (B) des Mikrowellenmeßgeräts und den Werten der Gesamtmasse (M) und des Zugwiderstands (PD) bestimmt wird."
XIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Messung der Masse eines Weichmachers und des Feuchtegehalts in einem Filterstab, das folgende Schritte aufweist:
Die Gesamtmasse (M) und der Zugwiderstand (PD) des Filterstabs werden erfaßt und
ein Mikrowellenmeßgerät misst eine Resonanzfrequenzverschiebung (A) und eine Verbreiterung der Resonanzkurve (B) einer in einem Mikrowellenresonator in Gegenwart des zu messenden Filterstabs erzeugten Resonanz, wobei der Feuchtegehalt in dem Filterstab aus den Meßwerten des Mikrowellenmeßgeräts (A, B) und der gemessenen Gesamtmasse (M) bestimmt und die Masse (Mtriacetin) an Weichmacher in dem Filterstab aus den Meßwerten (A, B) des Mikrowellenmeßgeräts und den Werten der Gesamtmasse (M) und des Zugwiderstands (PD) bestimmt wird,
wobei die Bestimmung der Masse an Weichmacher in dem Filterstab (Mtriacetin) durch:
Mtriacetin=a0 + a1 A + a2 B + a3 M + a4 PD,
mit einem vom Titer des Materials abhängigen Koeffizientensatz (a0, a1, a2, a3, a4) erfolgt und der Koeffizientensatz zur Bestimmung der Masse an Weichmacher sich mit einer Zeitdauer nach dem Aufbringen des Triacetins verändert, jedoch innerhalb der ersten zehn Minuten zeitunabhängig ist."
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag
1.1 Zulässigkeit
1.1.1 Die Prüfungsabteilung hat den damaligen Hilfsantrag I (jetzt Hauptantrag) unter Anwendung von Regel 116 EPÜ nicht zugelassen, da er erst in der mündlichen Verhandlung und damit verspätet vorgelegt worden sei. Sie begründete ihre Ermessensentscheidung unter anderem damit, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags I mit dem Gegenstand des Anspruch 1 des zu diesem Zeitpunkt anhängigen Hauptantrags nicht konvergent sei.
1.1.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert im Wesentlichen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung vorgelegten Hilfsantrags I eine konvergente Weiterverfolgung des vorher diskutierten Hauptantrags sei und dass daher das Kriterium mangelnder Konvergenz nicht anwendbar sei.
1.1.3 Gemäß Regel 116 EPÜ liegt es im Ermessen der Prüfungsabteilung, Anträge zur Änderung der Anmeldung nicht zu berücksichtigen, wenn sie nicht vor dem in der Ladung zur mündlichen Verhandlung bestimmten Zeitpunkt vorgebracht werden.
Bei der Erteilung oder Versagung ihrer Zustimmung hat die Prüfungsabteilung ihr Ermessen pflichtgemäß auszuüben. Über die Art und Weise, in der die Prüfungsabteilung ein derartiges Ermessen ausgeübt hat, sollte eine Beschwerdekammer sich nur hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die Prüfungsabteilung ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt hat und damit das ihr eingeräumte Ermessen überschritten hat (vgl. G 7/93, ABl. EPA 1994, 775, Nr. 2.6).
Die Kammer stellt fest, dass mangelnde Konvergenz ein anerkanntes Kriterium ist, nach dem die Prüfungsabteilung ihre Zustimmung zur Zulassung verspätet eingereichter Anträge verweigern kann.
In den Ausführungen der Prüfungsabteilung zur fehlenden Konvergenz, in der auch explizit auf die jeweiligen Einwände der Anmelderin eingegangen wurde, sieht die Kammer eine ausreichende, inhaltlich nicht zu beanstandende Begründung für das von der Prüfungsabteilung ausgeübte Ermessen. Das wird im nachfolgenden Abschnitt in Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin näher erläutert.
Die Kammer stellt daher fest, dass die Prüfungsabteilung ihr Ermessen, den Hilfsantrag I ins Verfahren nicht zuzulassen, nach dem richtigen Kriterium und in angemessener Weise ausgeübt hat.
1.1.4 Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente zur Zulässigkeit des Hilfsantrags sind für die Kammer aus folgenden Gründen nicht überzeugend:
Die von der Beschwerdeführerin zitierten Richtlinien für die Prüfung (Teil H.III.3.3.1.2) betreffen zwar im letzten Satz "zahlreiche unstrukturierte Anträge". Das in den vorhergehenden Sätzen definierte Konvergenzkriterium gilt jedoch ganz allgemein für geänderte Ansprüche in Anträgen, die, auch im Falle eines einzelnen Hilfsantrags, eine konvergente Weiterentwicklung darstellen sollten.
Der für die Konvergenzbestimmung relevante Anspruchssatz ist der zuletzt diskutierte, d.h. in diesem Fall der in der mündlichen Verhandlung diskutierte Hauptantrag mit der am 24. Januar 2014 eingereichten Anspruchsfassung. Dieser war auf ein "Verfahren zur Messung der Masse eines Weichmachers und/oder der Feuchte" gerichtet. Er definiert aber im Weiteren, dass "der Feuchtegehalt [...] und die Masse an Weichmacher [...] bestimmt wird." Damit mag zwar eine Unstimmigkeit bezüglich der "oder"-Kombination im Anspruch vorliegen, die Bestimmung der Feuchte ist jedoch eindeutig Teil des Verfahrens. Deren Streichung wird daher nicht als reine Klarstellung, geschweige denn als Einschränkung, gesehen. Ein geänderter Anspruch, der dieses Merkmal streicht und nun alleinig auf die Bestimmung der Masse an Weichmacher gerichtet ist, ist divergent zum bis dahin verfolgten Gegenstand.
Aus den gleichen Gründen sieht die Kammer, entgegen der Argumentation der Beschwerdeführerin, das Streichen der Bestimmung der Feuchte aus dem Anspruch nicht als eine geringfügige Änderung an.
Zudem ist diese Änderung weder durch die Eingabe eines Dritten (an die Anmelderin weitergeleitet am 6. Februar 2014) noch die Mitteilung der Prüfungsabteilung (datiert 11. Februar 2014) veranlasst. Alle auf diese beiden Schriftstücke hin eingereichten Ansprüche (datiert 24. Januar 2014) beinhalten die Bestimmung der Feuchte. Diese wurde erst während der mündlichen Verhandlung im erneut geänderten Hilfsantrag I gestrichen.
Des Weiteren ist der geänderte Anspruch wieder auf einen ähnlichen Gegenstand gerichtet, wie er im früheren Stadium des Verfahrens (siehe Anspruch 9 vom 23. November 2011 oder Anspruch 1 des Hauptantrags vom 8. Januar 2014) bereits beansprucht, aber mit Einreichung des geänderten Hauptantrags vom 24. Januar 2014 fallengelassen wurde.
Nach Alledem gibt es für die Kammer nach den oben unter Nr. 1.1.3 genannten Grundsätzen keine Veranlassung, sich über das Ermessen der Prüfungsabteilung hinwegzusetzen und ihr eigenes Ermessen auszuüben.
1.1.5 Die Kammer lässt daher den Hauptantrag (= Hilfsantrag I aus der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung) nicht ins Verfahren zu.
2. Hilfsantrag I - Anspruch 1
2.1 Ursprüngliche Offenbarung - Artikel 123 (2) EPÜ
Anspruch 1 basiert auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 12, 14, 15 und 16 und der Klarstellung, dass die Gesamtmasse des Filterstabs gemessen wird (siehe Beschreibung Seite 4, Zeilen 2 bis 5 und Seite 7, letzter Absatz) und ist damit nach Auffassung der Kammer gemäß Artikel 123 (2) EPÜ ursprünglich offenbart.
2.2 Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ 1973
Anspruch 1 ist auf ein Verfahren zur Messung der Masse eines Weichmachers und der Feuchte in einem Filterstab gerichtet.
2.2.1 Nächstliegender Stand der Technik
Dokumente X2 und X2a
Im Rahmen des Prüfungsverfahrens gingen die Prüfungsabteilung und die Anmelderin vom Dokument X2 als nächstliegendem Stand der Technik aus. Dieses Dokument ist die Zusammenfassung einer Präsentation, die 2003 auf dem Coresta Joint Meeting of the Smoke Science and Product Technology Study Groups in Freiburg im Breisgau gegeben wurde. Das Dokument X2a wurde von der Anmelderin im Rahmen des Prüfungsverfahrens eingereicht und zeigt die Folien zu dem Vortrag.
Dokumente X2/X2a und T12
Dokument X2 offenbart, dass für die gezeigten Messungen ein Tews microwave cavity resonator system in eine Borgwaldt-KC DT test station integriert wurde (siehe erster Satz der Zusammenfassung). Die Prüfungsabteilung verwies bezüglich der Merkmale dieser Messstation auf das Dokument T12, eine Broschüre der Firma Borgwaldt-KC zur Drop Through Modular Test Station DT. Auf Grund der Übereinstimmung der Bezeichnung der Messstation in den Dokumenten X2 und T12 sowie der Übereinstimmung der Abbildungen der Messstation in den Dokumenten X2a und T12 ist die Kammer überzeugt, dass es sich bei der in T12 gezeigten Messstation um die in X2 und X2a offenbarte Messstation handelt.
Die Kammer betrachtet daher in Übereinstimmung mit der Prüfungsabteilung den gemeinsamen Offenbarungsgehalt dieser drei Dokumente als nächstliegenden Stand der Technik.
Bestimmung des Feuchtegehalts
Die Dokumente X2/X2a/T12 offenbaren ein Verfahren zur Messung der Feuchte in einem Filterstab, das folgende Schritte aufweist:
- die Gesamtmasse (M) des Filterstabs wird erfasst (X2: gravimetric weight; X2a, Seiten 8 und 9: "M" und "m"; T12, Seite 5: Individual Weight Test Module);
- ein Mikrowellenmessgerät misst eine Resonanzfrequenzverschiebung (A) und eine Verbreiterung der Resonanzkurve (B) einer in einem Mikrowellenresonator in Gegenwart des zu messenden Filterstabs erzeugten Resonanz (X2, 1. Satz: "TEWS microwave cavity resonator system", 3. Satz: "two values of the microwave system"; X2a: Seite 6; T12, 3. und 7. Seite: DTM Moisture Test Module).
Gemäß X2/X2a wird der Feuchtegehalt aus den Meßwerten (A, B) des Mikrowellenmeßgeräts bestimmt (X2, 5. Satz: "The system also determines the water content"; X2a, Seite 6: "Phi: B/A - water content").
Die Kammer interpretiert das Merkmal "Feuchte" als eine Masse und "Feuchtegehalt" als einen prozentualen Gewichtsanteil. Die Feuchte(masse) in kg ist somit als das Produkt aus Feuchtegehalt (in %) und Gesamtmasse (in kg) definiert. Damit muss die gemessene Gesamtmasse notwendigerweise in die Messung der Feuchte mit eingehen.
Die Kammer kommt daher zu der Überzeugung, dass die Dokumente X2/X2a/T12 ein Verfahren zur Messung der Feuchte(masse) mit den im vorliegenden Abschnitt diskutierten Merkmalen offenbaren.
Bestimmung der Masse an Weichmacher
Die Dokumente X2/X2a/T12 offenbaren ein Verfahren zur Messung der Masse eines Weichmachers in einem Filterstab (Überschrift von X2/X2a: "Determination of plasticiser content"), bei dem die Masse an Weichmacher aus den Messwerten (A,B) des Mikrowellenmessgeräts und der gemessenen Gesamtmasse (M) bestimmt wird (X2, 3. Satz: "two [values] by the microwave system and one by gravimetric weight"; X2a: Seiten 6 und 9).
Zudem offenbart das Dokument T12, welches den Aufbau der in X2/X2a verwendeten Messstation zeigt, auch ein Modul (Seite 4: DTPV) zur Messung des Zugwiderstands, womit auch die Erfassung des Zugwiderstands (PD) offenbart ist.
Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass die Dokumente X2/X2a keine Erfassung des Zugwiderstands offenbaren und die Offenbarung des Dokuments T12 unerheblich sei, da die Dokumente X2/X2a ein in sich geschlossenes Verfahren zur Bestimmung der Masse an Weichmacher beträfen, bei dem eine Erfassung des Zugwiderstands nicht notwendig sei. Zudem sei das Modul zur Erfassung des Zugwiderstands lediglich optional und dessen Auswahl aus der Reihe der in T12 offenbarten Messmodule (z.B. Härte oder Länge) im Zusammenhang mit X2a nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.
Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt, da die auf Seite 13 von Dokument X2a gezeigte Messstation eindeutig das auf Seite 4 von T12 näher beschriebene Modul DTPV enthält (erkennbar an den horizontalen und vertikalen Lüftungsschlitzen). Damit ist die Kammer der Meinung, dass in dem aus den Dokumenten X2/X2a/T12 bekannten Verfahren auch der Zugwiderstand (PD) erfasst wird.
2.2.2 Unterschied zum nächstliegenden Stand der Technik
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass weder die Erfassung des Zugwiderstands noch dessen Verwendung bei der Bestimmung der Masse an Weichmacher aus dem nächstliegenden Stand der Technik bekannt sei.
Wie unter Punkt 2.2.1 (siehe letzter Absatz) erläutert, ist die Kammer der Meinung, dass in dem aus den Dokumenten X2/X2a/T12 bekannten Verfahren auch der Zugwiderstand (PD) erfasst wird. Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass sich das Verfahren zur Messung der Masse an Weichmacher nach Anspruch 1 von dem aus
X2/X2a/T12 bekannten Verfahren dadurch unterscheidet, dass der Zugwiderstand bei der Bestimmung der Masse an Weichmacher berücksichtigt werde.
2.2.3 Aufgabe
Die Prüfungsabteilung und die Beschwerdeführerin sehen den Effekt dieses Unterschieds darin, dass eine höhere Messgenauigkeit bei der Bestimmung der Masse an Weichmacher erzielt wird. Daraus ergebe sich die Aufgabe, das Verfahren zur Bestimmung der Masse an Weichmacher zu verbessern.
Die Kammer kann sich dieser Argumentation nicht anschließen. Eine Erhöhung der Genauigkeit ergibt sich nur, wenn der Zugwiderstand als weitere gemessene Größe in die in der Beschreibung auf Seite 10 angegebene Formel für die Masse an Weichmacher eingeht. Da diese Formel jedoch nicht Teil des unabhängigen Anspruchs 1 ist, ergibt sich für die Kammer die Aufgabe, eine Alternative zu der aus X2/X2a/T12 bekannten Bestimmung der Masse an Weichmacher bereitzustellen.
2.2.4 Lösung
Wie unter 2.2.1 diskutiert, ist aus X2/X2a/T12 ein Verfahren zur Bestimmung der Masse an Weichmacher und der Feuchte(masse) bekannt. Dabei werden die Gesamtmasse (M), die Messwerte (A, B) des Mikrowellenmessgeräts und der Zugwiderstand (PD) gemessen.
Dem Fachmann ist aus seinem Fachwissen bekannt, dass sich die Gesamtmasse der Filterstäbe aus der Trockenmasse, der Feuchte(masse) und der Weichmachermasse zusammensetzt. Zur (alternativen) Bestimmung der Weichmachermasse anhand dieser Massenbilanz fehlt ihm daher lediglich die Trockenmasse.
Dem Fachmann ist ebenfalls bekannt, die Trockenmasse aus dem Wert des Zugwiderstands zu bestimmen (siehe Beschreibung der Anmeldung: Seite 12, 2. Absatz bzw. Dokument D13: Seite 22 und Figur 23). Damit ist es für den Fachmann naheliegend, aus dem (mittels des vorhandenen DTPV-Moduls) erfassten Zugwiderstand die Trockenmasse zu bestimmen und diese zusammen mit den ebenfalls bereits vorliegenden Werten für die Gesamtmasse und Feuchte(masse) in die Massenbilanz einzusetzen. Damit gelangt er ohne erfinderische Tätigkeit zur Masse an Weichmacher.
2.2.5 Zu den Argumenten der Beschwerdeführerin
Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass der Fachmann zur Berechnung der Masse an Weichmacher keine Massenbilanz heranziehen würde, da ihm bekannt wäre, dass die Trockenmasse in der Praxis auch einen Anteil an feuchter Masse beinhalten würde.
Diese Argumentation ist für die Kammer nicht überzeugend, da einer Massenbilanz der Form
M gesamt = M trocken + M feucht + M Weichmacher
für den Fachmann im Bereich seines Fachwissens liegt und er diese daher in jedem Fall als eine Alternative zur Berechnung der Weichmachermasse heranziehen würde. Zudem betrifft auch der abhängige Anspruch 2 (basierend auf dem ursprünglich eingereichten Anspruch 17 und der Beschreibung der Anmeldung auf Seite 12, 2. Absatz) die Verwendung einer Massenbilanz.
Die Beschwerdeführerin argumentiert weiter, dass es für den Fachmann nicht naheliegend gewesen wäre, den Zugwiderstand als weitere Größe zur Bestimmung der Masse an Weichmacher heranzuziehen. Die Argumentation der Anmelderin geht dabei stets davon aus, dass die beanspruchte Bestimmung der Feuchte und der Masse an Weichmacher mit Hilfe der in der Beschreibung angegebenen Gleichungsansätze erfolgt, in welche die im Anspruch genannten Größen A, B, M und PD eingehen und in dem berücksichtigt wird, dass sich die Masse an Weichmacher nach einer gewissen Zeitdauer verändert.
Diese Argumentation ist für die Kammer jedoch nicht überzeugend, da der beanspruchte Gegenstand von der Anmelderin viel enger interpretiert wird, als es der Wortlaut des Anspruch 1 erlaubt. Anspruch 1 definiert nur sehr allgemein eine Bestimmung der Feuchte und der Masse an Weichmacher "aus" den gemessenen Größen A, B, M und PD, ohne eine weitere Einschränkung anzugeben, wie diese Größen miteinander zu verknüpfen sind.
2.2.6 Zusammenfassung
Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des
Artikels 56 EPÜ 1973 beruht.
3. Hilfsantrag II
3.1 Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ 1973
Der unabhängige Anspruch 1 unterscheidet sich vom unabhängigen Anspruch 1 des Hilfsantrags I dadurch, dass das bereits vorhandene Merkmal Gesamtmasse (M) nun im ganzen Anspruch einheitlich verwendet wird und dass die bereits vorhandenen Merkmale Resonanzfrequenzverschiebung (A) und Verbreiterung der Resonanz (B) zum besseren Verständnis des Anspruchs an einer weiteren Stelle erneut eingefügt wurden.
Diese Änderungen sind rein sprachlicher Natur, so dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags II inhaltlich nicht vom Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags I unterscheidet. Daher gelten bezüglich der erfinderischen Tätigkeit die gleichen Einwände wie die oben unter Punkt 2.2 für den Hilfsantrag I angegebenen.
Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des
Artikels 56 EPÜ 1973 beruht.
4. Hilfsantrag III
4.1 Zulässigkeit
In Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(1) VOBK lässt die Kammer den Hilfsantrag III als Reaktion auf ihren Bescheid nach Artikel 15 (1) VOBK zu.
4.2 Änderungen - Artikel 123(2) EPÜ
Anspruch 1 wurde dahingehend klargestellt, dass er nun durchgängig die Bezeichnungen "Feuchte" und "Gesamtmasse" enthält. Zudem wurde die Bestimmung der Masse an Weichmacher dahingehend konkretisiert, dass sie anhand der angegebenen Formel erfolgt, wobei die verwendeten Koeffizienten vom Titer des Materials abhängig sind und sich nach einer gewissen Zeitdauer nach dem Aufbringen des Triacetins verändern, jedoch innerhalb der ersten zehn Minuten zeitunabhängig sind.
Die Änderungen basieren auf der Textpassage von Seite 10, letzter Absatz bis Seite 12, erster Absatz der ursprünglich eingereichten Beschreibung und erfüllen nach Ansicht der Kammer die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
4.3 Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ 1973
4.3.1 Nächstliegender Stand der Technik
Die Dokumente X2/X2a/T12 bilden den nächstliegenden Stand der Technik und offenbaren ein Verfahren zur Messung der Masse eines Weichmachers in einem Filterstab (X2/X2a title: Determination of plasticiser content), bei dem die Masse an Weichmacher aus den Messwerten (A,B) des Mikrowellenmessgeräts und der gemessenen Gesamtmasse (M) mit Hilfe der auf Seite 9 des Dokuments X2a angegebenen Formel aus den Mikrowellenmessgrößen A und B sowie der Gesamtmasse bestimmt wird.
4.3.2 Unterschied zum nächstliegenden Stand der Technik
Im Unterschied zu der im nächstliegenden Stand der Technik offenbarten Formel (s. X2a, Seite 9) ist die in Anspruch 1 der Anmeldung angegebene Formel eine reine Linearkombination der Mirkowellenmessgrößen A und B sowie der Gesamtmasse und enthält einen weiteren Term, der den Zugwiderstand berücksichtigt. Zudem verlangt Anspruch 1, dass die Koeffizienten sowohl vom Titer des Materials abhängig als auch innerhalb der ersten zehn Minuten nach Aufbringen des Triacetins zeitunabhängig sind.
4.3.3 Aufgabe
Aus dem oben genannten Unterschied ergibt sich die Aufgabe, die Genauigkeit des aus X2/X2a/T12 bekannten Verfahrens zur Bestimmung der Masse an Weichmacher zu verbessern.
4.3.4 Erfinderische Tätigkeit
Das im nächstliegenden Stand der Technik geschilderte Messverfahren zur Bestimmung der Masse an Weichmacher ist ein in sich geschlossenes Verfahren, zu dem der Fachmann aus X2/X2a/T12 heraus keine Veranlassung hat, weitere Größen bei der Berechnung der Masse an Weichmacher zu berücksichtigen.
Zwar bestimmt die in X2/X2a/T12 verwendete Teststation neben anderen Größen auch den Zugwiderstand, keines dieser als Stand der Technik zitierten Dokumente offenbart jedoch die Verwendung des erfassten Zugwiderstands zur Bestimmung der Masse an Weichmacher bzw. zur Verbesserung der Messgenauigkeit.
Zudem normiert die in X2a offenbarte Formel die Messgrößen A und B mit der Gesamtmasse M (siehe Seiten 8 und 9). Im Gegensatz dazu ist die beanspruchte Formel zu Bestimmung der Weichmachermasse eine reine Linearkombination der Messgrößen A, B, M und PD, und die verwendeten Koeffizienten sind abhängig vom Titer des Materials.
Aus seinem Fachwissen heraus, dokumentiert durch Dokument A19, bekommt der Fachmann allenfalls den Hinweis, ausgehend von den drei bisher vorhandenen Messgrößen A, B und M eine weitere, von diesen Größen unabhängige Messgröße, wie z.B. die Temperatur zu verwenden (siehe Dokument A19, Seite 81, Kapitel 2.5.3 "Auxiliary Measurements"). Auch hier fehlt der Hinweis, den Zugwiderstand (PD) zu verwenden, um die Genauigkeit der Massenbestimmung zu erhöhen.
Damit ist der beanspruchte Ansatz, die Masse an Weichmacher mittels der beanspruchten Linearkombination der Mikrowellenmessgrößen A und B, der Gesamtmasse sowie dem Zugwiderstand zu bestimmen, aus dem Stand der Technik weder bekannt noch durch ihn nahegelegt.
4.4 Abhängige Ansprüche
Die Ansprüche 2 und 3 sind von Anspruch 1 abhängig und deren Gegenstand daher ebenfalls neu und erfinderisch.
5. Beschreibung
Die Beschreibung wurde an die geänderten Ansprüche angepasst.
6. Zusammenfassung
Die Kammer kommt nach Alledem zum dem Schluss, dass die Anmeldung gemäß Hilfsantrag III und die Erfindung, die sie zum Gegenstand hat, die Erfordernisse des EPÜ erfüllt und auf dieser Grundlage ein Patent zu erteilen ist (Artikel 97 (1) EPÜ).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:
- Ansprüche: 1-13 gemäß Hilfsantrag III, eingereicht mit Schreiben vom 11. Januar 2019,
- Beschreibung: Seiten 1-15 gemäß Hilfsantrag III, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2019,
- Zeichnungen: Seiten 1/3 bis 3/3 in der ursprünglichen Fassung.