T 0202/15 () of 15.1.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T020215.20160115
Datum der Entscheidung: 15 Januar 2016
Aktenzeichen: T 0202/15
Anmeldenummer: 11002277.9
IPC-Klasse: B60T 17/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Luftaufbereitungsanlage für ein Fahrzeug
Name des Anmelders: WABCO GmbH
Name des Einsprechenden: Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, die am 24. November 2014 zur Post gegeben wurde und mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2399794 aufgrund des Artikels 101 (2) EPÜ zurückgewiesen worden ist.

II. Die Einspruchsabteilung hat im Wesentlichen festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von den Dokumenten

DE 31 39 682 A1 (D2)

DE 195 15 895 A1 (D7) oder

DE 10 2008 056 322 A1 (D8)

jeweils in Kombination mit den Dokumenten

DE 10 2007 046 944 A1 (D9) oder

DE 10 2007 058 385 A1 (D10)

auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

III. Mit der Beschwerdebegründung legte die Beschwerdeführerin die Dokumente

DE 199 46 874 A1 (D12)

EP 1 734 342 A1 (D13) und

DE 10 2005 032 922 A1 (D14)

vor.

IV. Am 15. Januar 2016 wurde vor der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in erteilter Fassung aufrechtzuerhalten.

V. Der erteilte Anspruch 1 lautet wie folgt:

Luftaufbereitungsanlage (1) für ein Fahrzeug, wobei die Luftaufbereitungsanlage (1) aufweist:

einen Drucklufteingang (4) zum Anschluss eines Kompressors (2),

einen Lufttrockner (5) zum Trocknen der über den Drucklufteingang (4) eingegebenen Druckluft,

einen Drucksensor (30, 30a) zum Messen eines Luftdrucks (P) und Erzeugen eines Druckmesssignals (S3), und

eine Steuereinrichtung (20) zur Aufnahme des Druckmesssignals (S3), und Steuerung der Betriebsphasen der Luftaufbereitungsanlage (1),

wobei die Luftaufbereitungsanlage (1) betreibbar ist in mindestens folgenden Betriebsphasen:

einer Förderphase zum Fördern von Luft mit einem höheren Druck durch den Lufttrockner (5) und

einer Regenerationsphase zum Regenerieren des Lufttrockners (5) durch Ablassen von Luft mit einem niedrigeren Druck durch den Lufttrockner (5),

dadurch gekennzeichnet, dass

in einem Bereich (7) hinter dem Lufttrockner (5) eine Messeinrichtung (32) zur Messung eines vom Druck verschiedenen Zustandswertes der Druckluft und zur Erzeugung mindestens eines zweiten Messsignals (S4) und Ausgabe des zweiten Messsignals (S4) an die Steuereinrichtung (20) vorgesehen ist, und

die Steuereinrichtung (20) aus einem Vergleich des Druckmesssignals (S3) und des zweiten Messsignals (S4) einen Zustand der Messeinrichtung (32) beurteilt.

VI. Die Beschwerdeführerin brachte im Wesentlichen die folgenden Argumente vor:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Bis auf das letzte Merkmal des kennzeichnenden Teils, nämlich dass die Steuerein­richtung aus einem Vergleich des Druckmesssignals und und eines zweiten Messsignals den Zustand der Messeinrichtung beurteilt, offenbare D2 als nächster Stand der Technik bereits alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1. So zeige insbesondere die Figur 4 der D2 eine Luftaufbereitungsanlage gemäß dem Oberbegriff von Anspruch 1, wobei weiterhin in dem Bereich hinter dem Lufttrockner ein Feuchtesensor (32) angebracht ist, dessen Signal an die Messeinrichtung (33) weitergeleitet werde. Der Erfindung liege die in der Patentschrift genannte Aufgabe zugrunde, eine Luftaufbereitungsanlage zur Verfügung zu stellen, mit der eine Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Sensors ermöglicht werde.

Dem Fachmann dränge sich aus der Formulierung des Anspruchs 1 die naheliegende Interpretation auf, dass für die Durchführung des Vergleichs das zweite Messsignal in der Einheit des Drucks benötigt würde, daher komme entweder ein zweiter Druckwert als Messsignal S4 in Betracht, oder ein Zustandswert als Hilfsgröße, die allein zum Vergleich diene.

Zudem seien dem Fachmann auch die physikalischen Zusammenhänge bekannt, so dass er mit der in der Figur 4 der D2 offenbarten Hardware ohne erfinderisches Zutun in der Lage sei, entsprechende Vergleichsmessungen zur Validierung von Sensoren zu implementieren. Letztlich unterscheide sich die Vorrichtung gemäß Figur 4 von der vorliegenden Erfindung nur durch wenige Zeilen Softwarecode, in denen der Vergleich zweier Messwerte auf der Grundlage allgemein bekannter physikalischer Zusammenhänge - hier der Taupunktkurve - vorgenommen werde.

Die Auswertung von Sensorsignalen unterschiedlicher physikalischer Größen zur Überprüfung der Funktions­fähigkeit eines Systems sei allerdings im Stand der Technik allgemein bekannt. So offenbare D9, dort insbesondere Absatz [0020], dass durch die Auswertung von Druck- und Temperaturwerten festgestellt werde, ob eine Leckage des Drucksystems vorliege oder nicht. Auch D10 offenbare eine Auswertung mehrerer Sensorsignale zur Überprüfung einer Funktionsfähigkeit.

Das Dokument D12 erkläre, dass es dem Fachmann bekannt sei, bekannte physikalische oder technische Zusammenhänge, etwa in Form von Kennfeldern, zur Beurteilung komplexer Systeme heranzuziehen. So zeige D12 ein Diagnoseverfahren von Sensoren in einem Verbrennungsmotor. Verschiedene Sensortypen (Luftmengen­messer, Drehzahlgeber, Saugrohrdrucksensor, Abgas­sonde, etc.) bestimmten jeweils einen Wert für die Luft­menge, die in den Verbrennungsmotor ströme. Zur Beurteilung der Funktionsweise der Messeinrichtungen und des Verbrennungsmotors würden die auf unterschiedlichen Wegen gewonnenen Werte miteinander verglichen. Dabei werde unter anderem ein erster Wert für die Luftmenge, der durch einen Luftmassenmesser - und somit ohne Beteiligung eines Drucksensors - gemessen werde, mit einem zweiten Wert für die Luftmenge verglichen, der unter Beteiligung eines Saugrohrdruckgebers gemessen wurde. Das Dokument D13 zeige im Wesentlichen dieselben technischen Zusammenhänge wie das Dokument D12. Das Dokument D14 lehre eine gegenseitige Plausibilisierung von Temperatur- und Drucksensoren im Fahrzeug. Aus den Messsignalen würde jeweils ein Wert für die Luftdichte bestimmt und die Werte von verschiedenen Sensorpaaren miteinander verglichen. Daher würde der Druckwert eines Sensors mit dem Temperaturwert eines anderen Sensors auf Plausibilität geprüft und damit könne der Zustand der Messeinrichtung beurteilt werden. Die Dokumente D12, D13 und D14 sollten in das Verfahren zugelassen werden. Es sei erst durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung klargeworden, wie Anspruch 1 zu interpretieren sei. D2 stelle zwar den nächsten Stand der Technik dar, aber auch ausgehend von den Dokumenten D7 oder D8, jeweils kombiniert mit den o.g. Dokumenten ergebe sich ebenfalls ein Mangel an erfinderischer Tätigkeit.

VII. Die Beschwerdegegnerin erwiderte die Argumente wie folgt:

Keines der im Verfahren befindlichen Dokumente offenbare die zentrale erfinderische Idee, nämlich dass eine von Druck verschiedene Zustandsgröße gemessen werde, mit der es möglich sei, das Messsystem für diese Zustandsgröße zu beurteilen. Da keines der Dokumente dieses Merkmal offenbare, könne auch kein Mangel an erfinderischer Tätigkeit begründet werden.

So offenbare das Dokument D2, welches der nächste Stand der Technik sei, ein Messsystem, welches sich in der Tat im Aufbau nicht wesentlich von dem der strittigen Erfindung unterscheide. Allerdings sei nicht offenbart, dass der Wert des Feuchtesensors auch dazu herangezogen werde, das Feuchtemesssystem zu beurteilen.

Dies aber sei auch in D9 oder D10 nicht gezeigt. Dort nämlich werde nicht das Messsystem in seinen Eigenschaften überprüft, sondern der Luftaufbereiter selbst: es könne festgestellt werden, ob Leckagen vorlägen oder in welchem Zustand sich der Filter befinde.

Die Dokumente D12 bis D14, die erst mit der Beschwerdebegründung vorgelegt wurden, dürften nicht in das Verfahren zugelassen werden, da sie nicht relevant seien. Insbesondere setzen sie sich nicht mit einem Druckluftsystem auseinander, sondern mit Brennkraftmaschinen.

Des Weiteren offenbarten auch diese Dokumente keine Erfassung von Zustandswerten der Druckluft. An verschiedenen Stellen im Motor werden Drücke und Luftmengen gemessen und auf die Messwerte auf Plausibilität geprüft. Dabei handele es sich aber nicht um Druckluft, sondern die jeweilige Luft, die im Ansaugrohr, in der Abgasanlage - vorhanden ist. Darüber hinaus offenbare z.B. D12 nur den Vergleich gleicher Sensoren: die Drucksignale des Saugrohrsensors würden mit dem Umgebungsdruck verglichen.

Der Fachmann würde diese Dokumente auch nicht in Betracht ziehen, da sie sich nicht mit Luftaufbereitern auseinandersetzten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die im erteilten Anspruch 1 definierte Erfindung beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.

2.1 Insbesondere legt das Dokument D2 in Kombination mit D9 oder D10 nicht den Gegenstand des Anspruchs 1 nahe.

2.1.1 Das Dokument D2 offenbart nicht das Merkmal des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1, dass die Steuereinrichtung aus einem Vergleich des Druckmesssignals und des zweiten Messsignals einen Zustand der Messeinrichtung beurteilt.

Die mit diesem Merkmal zu lösende Aufgabe wird darin gesehen, eine Luftaufbereitungsanlage zur Verfügung zu stellen, mit der eine aktuelle Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Sensors ermöglicht wird, vgl. Absatz [0006] der Patentschrift.

Diese Punkte werden von den Parteien nicht bestritten.

2.1.2 Zu dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass der Anspruch 1 einen Interpretationsspielraum hinsichtlich des zweiten Messwertes aufweise, was dazu führe, dass eben nicht ausgeschlossen werden könne, dass der zweite Messwert schon aus Gründen der einfachen Vergleichbar­keit ebenfalls einen Druckwert oder eine abgeleitete Hilfsgröße darstelle, stellt die Kammer fest, dass der zweite Messwert als ,,ein vom Druck verschiedener Zustandswert der Druckluft" definiert ist. Dies schließt eindeutig und klar Messgrößen aus, die auf einer Zustandsgröße Druck beruhen. Daher kann auch der dem Fachmann möglicherweise naheliegende Vergleich zweier Druckwerte die erfinderische Tätigkeit vorliegend nicht in Frage stellen.

2.1.3 Hinsichtlich ihrer Argumentation, dass in D9 eine Analyse unterschiedlicher Sensorwerte vorgenommen und im Ergebnis auf einen Zustand geschlossen werde (vgl. Absatz [0020]) folgt die Kammer der Beschwerdeführerin insoweit, als dass D9 zwar die Funktionsfähigkeit einer Luftauf­bereitungsanlage in Bezug auf Leckagen offenbare, nicht aber die Beurteilung des Zustands des (Temperatur-) Messsystems.

So beschreibt D9, dass durch die Messung des Systemdrucks und der Temperatur festgestellt werden kann, ob sich im System ein Leck befindet oder ob der Druckabfall durch eine Temperaturänderung zustande gekommen ist. Dabei wird nicht festgestellt, ob das Temperaturmesssystem richtig arbeitet. Dies aber definiert das letzte Merkmal im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1, siehe oben. Daher offenbart auch die Zusammenschau der Dokumente D2 und D9 nicht alle Merkmale der beanspruchten Erfindung.

Das Dokument D10 zeigt ein Filtersystem in einer Druckluftanlage, bei dem anhand eines Druckvergleichs vor und nach einem Filter überprüft wird, ob ein Bauteil des Luftaufbereiters defekt ist. Somit offenbart auch D10 keine Überprüfung eines Messsystems auf der Grundlage unterschiedlicher physikalischer Größen.

2.2 Auch die erst mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente D12 bis D14 offenbaren nicht das Merkmal, dass ein weiterer Zustandswert der Druckluft erfasst wird, um den Zustand des Messsystems zu beurteilen. Da diese Dokumente nicht die erfinderische Tätigkeit in Frage stellen können, kann dahin gestellt bleiben, ob sie ins Verfahren zuzulassen sind oder nicht.

2.2.1 D12 und D13 setzen sich mit der Erfassung von Sensorwerten sowie deren Vergleich und Plausibilisierung im Bereich von Brennkraftmaschinen auseinander. Die Beschwerdeführerin argumentiert hierbei, dass die von der Brennkraftmaschine angesaugte Luft im Staurohr, im Bereich des Luftmengensensors oder im Abgasstrang mit der Druckluft der Luftaufbereitungsanlage gleichzusetzen sei.

Dazu ist zunächst festzustellen, dass innerhalb einer Brennkraftmaschine keine Druckluft im Sinne der Erfindung vorhanden ist; folglich werden auch keine Zustandswerte der Druckluft gemessen, wie dies im Anspruch 1 definiert ist. Es findet weiterhin keine Erfassung unterschiedlicher physikalischer Größen desselben Zustands statt, sondern es werden unterschiedliche Zustände miteinander verglichen und auf Plausibilität geprüft.

Aus diesem Grund greift auch der Einwand der Beschwerdeführerin nicht, dass der D12 (bzw. der D13) mindestens zu entnehmen sei, dass der Fachmann auf der Grundlage von bekannten physikalischen Gesetzen und Messungen von verschiedenen Größen eine Plausibilisierung von Sensordaten durchführe.

2.2.2 Auch das Dokument D14 setzt sich mit der Überprüfung von Sensordaten an Brennkraftmaschinen auseinander. Da auch hier keine Druckluft im Sinne der Erfindung vorhanden ist und folglich keine Zustandswerte der Druckluft gemessen werden, stellt aus den in 2.2.1 genannten Gründen auch die Kombination von D2 und D14 nicht die erfinderische Tätigkeit in Frage.

2.3 Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass das Dokument D2 der nächste Stand der Technik und damit der geeignetste Ausgangspunkt für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit ist. Tatsächlich geht die Lehre der Dokumente D7 oder D8, von denen die Beschwerde­führerin alternativ ausgegangen ist, um den Mangel an erfinderischer Tätigkeit zu begründen, unbestritten nicht über das, was schon aus Dokument D2 bekannt ist, hinaus. Somit sind die Angriffslinien ausgehend von D7 oder D8 nicht in der Lage, den vorgebrachten Mangel an erfinderischer Tätigkeit besser zu begründen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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