T 0182/15 () of 1.2.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T018215.20180201
Datum der Entscheidung: 01 Februar 2018
Aktenzeichen: T 0182/15
Anmeldenummer: 05793959.7
IPC-Klasse: C08L 101/00
C08J 3/00
C08L 23/06
C08L 23/10
B29C 45/00
C08L 23/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 357 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: POLYMERMISCHUNGEN FÜR SPRITZGUSS ANWENDUNGEN
Name des Anmelders: InnoGEL AG
Name des Einsprechenden: Clariant Produkte (Deutschland) GmbH
GRAFE Color Batch GmbH
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 111(1)
Schlagwörter: Neuheit - (ja) Hauptantrag
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die am 19. November 2014 zur Post gegeben wurde und mit der das europäische Patent Nr. 1814953 widerrufen worden ist.

II. Das Patent wie erteilt enthielt sieben Ansprüche. Anspruch 1 lautete wie folgt:

"1. Spritzguss-Formkörper, erhalten aus einer Polymermischung, wobei:

a) die Polymermischung ein synthetisches erstes Polymer P(i) und mindestens ein zweites synthetisches Polymer P(j) und gegebenenfalls ein Quellungsmittel für P(i) und/oder P(j) aufweist;

b) das Polymer P(i) einen Polymerisationsgrad DP(P(i)) > 3000 und mindestens eine Art von kristallisierbaren Sequenzen A mit einem Polymerisationsgrad DPs(P(i)) dieser Sequenzen > 20 aufweist;

c) das Polymer P(j) aus denselben Monomereinheiten aufgebaut ist wie die Sequenzen A von P(i) und der Polymerisationsgrad DP(P(j)) von P(j) 15 < DP(P(j)) < 400 ist;

wobei bei der Herstellung des Spritzguss-Formkörpers:

d) die Polymermischung molekulardispers gemischt und eine Phasenseparation der beiden Polymere P(i) und P(j) unterdrückt wird;

e) die Polymermischung mittels eines Spritzgussverfahrens zu dem Spritzguss-Formkörper geformt wird; und

f) bei der Erstarrung der Polymermischung unter Heterokristallisation ein Netzwerk ausgebildet wird."

III. Gegen die Erteilung des europäischen Patents wurden zwei Einsprüche eingelegt. Die Einsprechenden hatten den Widerruf des Streitpatents beantragt.

IV. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde inter alia auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D18: DE 1 202 488

D23: Polymer Werkstoffe; (1999), Gottfried W.-Ehrenstein, 2. Auflage, Hanser Fachbuch, ISBN 3-446-211-616 und 978-3-446-211-612

V. Der Entscheidung lagen die erteilte Fassung (Hauptantrag) und der erste bis dritte Hilfsantrag, eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 24. September 2014, zugrunde.

VI. In der angefochtenen Entscheidung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die erteilten Ansprüche die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllten.

Der Begriff "molekulare Vermischung" in Anspruch 1 sei als eine "so gut wie mögliche Vermischung" auszulegen. Daraus folge, dass die Merkmale "molekulare Vermischung", "Heterokristallisation" und "Netzwerkbildung" den beanspruchten Gegenstand vom Stand der Technik nicht abgrenzten. Der beanspruchte Gegenstand sei aber ausreichend offenbart.

In Bezug auf die Neuheit offenbare das Beispiel 1 der D18 eine Mischung aus einem Polyethylen mit Polymerisationsgrad von 1457 und einem handelsüblichen mikrokristallinen Wachs mit Polymerisationsgrad von 20-25. Die aus der Beschreibung ableitbaren Polymerisationsgrade von ca. 3571 und 4464 seien auf die Polymermischung des Beispiels 1 anwendbar. Darüber hinaus sei die Mischung gemäß Beispiel 1 nach Vermischung in einem Banburry-Mischer zu einem Spritzguss-Formteil verarbeitet worden. Somit sei der beanspruchte Gegenstand nicht neu gegenüber D18.

Anspruch 1 des ersten und zweiten Hilfsantrags sei unklar (Artikel 84 EPÜ), weil die Messmethode zur Bestimmung der Viskosität nicht offenbart sei. Anspruch 1 des dritten Hilfsantrags erfülle nicht die Erfordernisse der Artikel 123(2) und (3) EPÜ.

VII. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und reichte mit der Beschwerdebegründung acht Hilfsanträge sowie drei Dokumente, darunter D40 (Expertengutachten Prof. Schmidbaur), ein.

VIII. Am 29 September 2017 erging eine Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern. Die Kammer teilte darin ihre vorläufige Meinung zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung mit.

IX. Die mündliche Verhandlung fand am 1. Februar 2018 in der Anwesenheit der Beschwerdeführerin und der Einsprechenden 2 (Beschwerdegegnerin II) statt. Die Einsprechende 1 (Beschwerdegegnerin I) war bei der Verhandlung nicht vertreten, wie mit Brief vom 25. Januar 2018 mitgeteilt.

X. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Hauptantrag

Neuheit gegenüber D18

Im Beispiel 1 der D18 sei der Polymerisationsgrad des Polymers P(i) nicht gemäß Anspruch 1 des Streitpatents. Eine Kombination der Einzelheiten über die Herstellung des Spritzguss-Formkörpers gemäß Beispiel 1 mit der Lehre betreffend das Molekulargewicht auf Spalte 3 der D18 sei nicht zulässig. Darüber hinaus sei aus der Beschreibung der D18 allein eine mehrfache Auswahl notwendig, um zu dem beanspruchten Gegenstand zu gelangen. Die resultierende Kombination an Merkmalen sei jedenfalls in D18 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.

Der Begriff der Heterokristallisation im Anspruch 1 impliziere, dass es sich bei einer molekulardispersen Mischung um eine so gut wie mögliche Mischung auf "molekularer Ebene" handele. Die Aufnahme des niedermolekularen Polymers P(j) in das Netzwerk der hochmolekularen Komponente P(i) gemäß Streitpatent sei durch die jeweiligen strukturellen Vorgaben begünstigt und der Austritt von P(j) aus dem Formkörper sei aufgrund der Heterokristallisation verhindert, so wie dies in D40 erläutert sei. Eine molekulardisperse Mischung von P(i) und P(j) gemäß Anspruch 1 des Streitpatents sei somit nicht nur als eine "so gut wie mögliche Vermischung" anzusehen, sondern vielmehr als eine "maximale Vermischung", bei der einzelne Moleküle P(j) in P(i) gemischt vorlägen. Die Merkmale "molekulardisperses Mischen", "Heterokristallisation" und "Netzwerkbildung" seien somit entgegen der Entscheidung der Einspruchsabteilung doch geeignet, den beanspruchten Gegenstand vom Stand der Technik und insbesondere von D18 abzugrenzen.

In D18 seien zwar zahlreiche Verfahren zum Mischen der Polymere genannt, es handele sich aber lediglich um klassische Mischverfahren zur Herstellung von homogenen Mischungen, so wie in D23 offenbart. Das Mischen mit einem Banburry-Mischer gemäß Beispiel 1 der D18 sei auch nicht ausreichend, um eine maximale Vermischung gemäß Streitpatent zu erzeugen. Dies sei auch aus dem Vergleich der mechanischen Eigenschaften gemäß Streitpatent (Abbildungen 4-6) und gemäß D18 (Vergleichsbeispiel) ersichtlich. Durch die Abbildungen 4-6 sei belegt, dass die streitpatentgemäbetae Vermischung so gut sei, dass die mechanischen Eigenschaften der Polymermischung durch Zugabe des Polymers P(j) nicht beeinträchtigt seien. Dies sei im Falle der Mischungen gemäß D18 nicht der Fall. Demnach sei die Erhaltung einer molekulardispersen Verteilung und die darauffolgende Netzwerkbildung in D18 weder explizit noch implizit offenbart.

Anspruch 1 des Hauptantrags sei somit neu gegenüber D18.

Zurückverweisung

Da die erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags in der ersten Instanz nicht diskutiert worden sei, sei die Angelegenheit, falls die Neuheit anerkannt werde, an die erste Instanz zurückzuverweisen.

XI. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin II können wie folgt zusammengefasst werden:

Hauptantrag

Neuheit gegenüber D18

D18 betreffe ein Verfahren zur Verbesserung der Verarbeitungseigenschaften von Olefinpolymerisaten (analog zu dem Polymer P(i) des Streitpatents) durch den Zusatz von einem mikrokristallinen Wachs (analog zu dem Polymer P(j) des Streitpatents). Es sei in D18 selbstverständlich, dass überall wo "Olefinpolymerisat" erwähnt sei, "Polyethylen" implizit gemeint sei. In der Spalte 3 sei ein Bereich an Molekulargewicht offenbart, der einem Bereich an Polymerisationsgraden von 3565 bis 4465 entspreche. Somit sei ein Polyethylen mit einem Polymerisationsgrad von mehr als 3000 in D18 offenbart. Dieses Polyethylen bestehe dann aus mehr als 20 Ethyleneinheiten, die als kristallisierbare Sequenzen bekannt seien. Darüber hinaus seien aus der Spalte 4 mikrokristalline Wachse aus Ethylen und einem Polymerisationsgrad von 20 bis 25 bekannt. Die Polymermischungen der D18 seien auch zu Spritzguss-Formkörper geformt (Spalte 3).

Die Polymermischungen aus P(i) und P(j) gemäß Streitpatent seien gewöhnliche homogene Polymermischungen. Ein Einfluss der Molekulardispersion auf die Eigenschaften des Spritzguss-Formkörpers sei durch die Abbildungen 4-6 des Streitpatents nicht belegt. Die Mischungen gemäß Streitpatent seien deshalb von den Mischungen gemäß D18 nicht zu unterscheiden. Somit sei Anspruch 1 des Hauptantrags nicht neu gegenüber D18.

Zurückverweisung

Falls die Neuheit anerkannt werde, sei die Angelegenheit an die erste Instanz zurückzuverweisen um eine Überprüfung der erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags durch zwei Instanzen zu ermöglichen.

XII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 8, eingereicht mit der Beschwerdebegründung.

XIII. Die Beschwerdegegnerin II beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

XIV. Die Beschwerdegegnerin I hat in Bezug auf die Beschwerde keine Anträge eingereicht.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Neuheit gegenüber D18

1.1 D18 betrifft ein Verfahren zur Verbesserung der Verarbeitungseigenschaften von Olefinpolymerisaten durch Zusatz von 1 bis 50 Gewichtsprozent, bezogen auf die Gesamtmischung, eines mikrokristallinen Wachses, dadurch gekennzeichnet, dass als Olefinpolymerisat ein Homo- oder Mischpolymerisat eines 1-Olefins mit einer Dichte von wenigstens 0,94 und einer Kristallinität von wenigstens 75% verwendet wird (Anspruch 1). Darüber hinaus lehrt D18 die Herstellung von Fasern, Filmen oder Formkörper durch Spritzgiessen oder Strangpressen (Spalte 3, Zeile 67 bis Spalte 4, Zeile 4).

1.2 Die in den Olefinpolymerisaten zugesetzten mikrokristallinen Wachse gemäß D18 sind langkettige Verbindungen aus gesättigten Kohlenwasserstoffe. Die in D18 verwendeten handelsüblichen mikrokristallinen Wachse haben ein Molekulargewicht von 580 bis 700 und bestehen im Durchschnitt aus 41 bis 50 Kohlenstoffatomen (Spalte 4, Zeilen 5-42). Daraus kann geschlossen werden, dass diese Wachse Ethyleneinheiten aufweisen und einen Polymerisationsgrad von umgerechnet ca. 20 bis 25 haben, also innerhalb des beanspruchten Bereichs von zwischen 15 und 400 entsprechend dem Polymer (j) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags.

1.3 D18 lehrt weiterhin, dass die Wachsmenge in der Polymermischung vom Molekulargewicht des mit dem Wachs zu mischenden Polymers und von der beabsichtigten Verwendung der Polymermischung abhängt (Spalte 3, Zeilen 30-33). Soll das Wachs beispielsweise einem Olefinpolymeren mit einem Molekulargewicht von 50 000 zugemischt werden, so liegt der bevorzugte Gehalt an mikrokristallinem Wachs in der Mischung zwischen 5 und 15 Gewichtsprozent. Haben die Polymeren ein Molekulargewicht von 100 000 bis 125 000, so liegt der bevorzugte Gehalt an mikrokristallinem Wachs in der Mischung zwischen 10 und 25 Gewichtsprozent (Spalte 3, Zeilen 33-41).

1.4 Das zentrale Argument der Beschwerdegegnerin II in Bezug auf den Einwand der mangelnden Neuheit bestand darin, dass die Lehre der D18 betreffend das Molekulargewicht von 100 000 bis 125 000 sich auf Polyethylen beziehen würde, weil Polyethylen in D18 besonders hervorgehoben sei (Spalte 2, Zeile 50 bis Spalte 3, Zeile 3). Ein solches Polyethylen mit Molekulargewicht von 100 000 bis 125 000 hätte einen Polymerisationsgrad von umgerechnet 3565 bis 4456 und würde infolgedessen dem Polymer P(i) gemäß Anspruch 1 entsprechen. Darüber hinaus sei nach Meinung der Beschwerdegegnerin II die Verwendung einer Polymermischung in Spritzguss-Formkörper in D18 explizit erwähnt.

1.5 Die Kammer kann dem Argument der Beschwerdegegnerin II jedoch nicht folgen. Es ist zwar richtig, dass die technische Offenbarung der D18 als Ganzes betrachtet werden muss, und dass die einzelnen Abschnitte dieses Dokuments in deren Gesamtzusammenhang betrachtet werden müssen. Es ist allerdings bei der Beurteilung der Neuheit nicht zulässig, verschiedene Passagen eines Dokuments zu kombinieren, sofern das Dokument nicht eine entsprechende Lehre enthält.

1.6 Im vorliegenden Fall lehrt D18 in der Spalte 3, Zeilen 30-34, dass die Menge an mikrokristallinem Wachs in der Polymermischung, das Molekulargewicht des verwendeten Olefinpolymers und die beabsichtigte Verwendung der Polymermischung alle in Zusammenhang stehen. In diesem Kontext lehrt allerdings D18 nur, dass, wenn Olefinpolymere mit Molekulargewicht von 100 000 bis 125 000 verwendet werden, der bevorzugte Gehalt an Wachs in der Polymermischung zwischen 10 und 25 Gewichtsprozent liegt. Die Weiterverarbeitung dieser spezifischen Polymermischungen zu Spritzguss-Formkörpern ist darin weder offenbart noch ist sie als "beabsichtigte Verwendung" solcher Polymermischungen erkennbar. D18 deutet zwar im ersten Absatz der Spalte 4 im allgemeinen auf die Verarbeitung von Polymermischungen mit einer Spritzguss- oder Strangpressvorrichtung zur Herstellung von Fasern, Filmen oder Formkörper, allerdings ohne einen Hinweis darauf, dass Polyethylen mit einem Molekulargewicht von 100 000 bis 125 000 sich überhaupt für die Herstellung von Spritzguss-Formkörpern eignen würde. Im Gegenteil weist das Beispiel 1 von D18 auf die Verwendung von Polyethylen mit niedrigerem Molekulargewicht hin, da die Herstellung der darin offenbarten Spritzguss-Formkörper aus einem Polyethylen mit Molekulargewicht von 40 800 (Polymerisationsgrad von 1457) erfolgt. Somit kann die geltend gemachte Merkmalskombination aus den einzelnen Abschnitten der D18 betreffend den Einsatz eines Polyethylens, die Auswahl eines Molekulargewichtes zwischen 100 000 und 125 000 und die Herstellung eines Spritzguss-Formkörpers nicht als unmittelbar und eindeutig offenbart angesehen werden.

1.7 Diese Überlegungen gelten ebenso für die Beurteilung der Neuheit im Lichte des Beispiels 1 der D18. In ihrer Entscheidung entschied die Einspruchsabteilung, dass ausgehend vom Spritzguss-Formkörper gemäß Beispiel 1 der D18, der aus einem mikrokristallinen Wachs und einem Polyethylen mit einem Molekulargewicht von 40 800 hergestellt wurde, die Kombination mit den offenbarten Molekulargewichten zwischen 100 000 und 125 000 in der Spalte 3, Zeilen 30-41 eine einfache Auswahl wäre. Allerdings befindet sich in der Beschreibung der D18 keine eindeutige Lehre, die spezifisch auf die Verwendung von Polyethylen mit Molekulargewichten zwischen 100 000 und 125 000 in Spritzguss-Formkörper hindeutet.

1.8 Unter diesen Umständen findet die Kammer, dass weder die allgemeine Beschreibung der D18, noch das Beispiel 1 gelesen in Kombination mit der Beschreibung, eine Polymermischung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags offenbaren.

1.9 In Ergänzung zur Diskussion der Neuheit gegenüber D18 stellte sich weiterhin die Frage, ob die Polymermischung gemäß Beispiel 1 der D18, die durch Vermischung des mikrokristallinen Wachses und des Polyethylens in einem Banburry-Mischer für 10 Minuten bei 154°C entstand, als molekulardisperse Vermischung im Sinne von Anspruch 1 des Hauptantrags zu sehen ist und ob bei der Erstarrung der Polymermischung unter Heterokristallisation ein Netzwerk ausgebildet wird.

1.10 Die Erhaltung einer molekulardispersen Verteilung der Polymeren wurde von der Beschwerdeführerin als ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber D18 gesehen und ist im Streitpatent als eine notwendige Voraussetzung zur Bildung eines Netzwerks dargestellt (Absätze 4 und 50 bis 54). Der Begriff der molekulardispersen Verteilung ist allerdings im Streitpatent selbst nicht definiert. In dieser Hinsicht wurde mit Verweis auf D40 geltend gemacht, dass der Fachmann unter einer molekulardispersen Verteilung, eine "so gut wie mögliche Mischung auf molekularer Ebene" verstehen würde (Beschwerdeschrift, Seite 15, erster Absatz), also eine maximale Vermischung die über eine gewöhnliche makroskopisch homogene Masse hinaus gehen würde (Beschwerdeschrift, Seite 17, die ersten zwei Absätze).

1.11 In Bezug auf das Mischverfahren der Polymermischung lehrt das Streitpatent vier Varianten, deren Einsatz von der Menge des Polymers P(j) in der Mischung abhängt (Absatz 52). Aus der Beschreibung dieser vier Mischvarianten ist ersichtlich, dass das Mischverfahren mit zunehmender Menge an P(j) in der Mischung aufwendiger wird, wobei alle Varianten gewöhnliche Mischaggregate verwenden und keine weitere Angaben über die Mischtemperatur und die Dauer des Mischvorgangs vorgeschrieben werden. Bei einem verhältnismäßig niedrigen Gehalt an P(j) in der Mischung (bis rund 3 %) erscheint sogar den Einsatz eines einfachen Taumelmischers in Verbindung mit einer Spritzvorrichtung genügend, um eine ausreichende Vermischung zu erhalten (erste Mischvariante, Spalte 13, Zeilen 48-58). Daraus schließt die Kammer, dass den Begriffen der molekulardispersen Verteilung und der Bildung eines Netzwerks, wie sie im Streitpatent verwendet sind, breite Auslegungen zuzuweisen sind.

1.12 Dies ist im Falle des Beispiels 1 der D18 insbesondere relevant (Tabelle I), denn die Menge des mikrokristallinen Wachs im Polyethylen kann, so wie im Streitpatent, verhältnismäßig klein sein (0,5 %, beziehungsweise 1,0 % und 3,0 % in den Versuchen 2-4). Das Mischverfahren der Polymermischung erfolgt gemäß Beispiel 1 der D18 in einem Banburry-Mischer für 10 Minuten in der Schmelze bei einer Temperatur von 154°C, also oberhalb des Erweichungspunktes des mikrokristallinen Wachses (82-85°C, Spalte 5, Zeile 7). D18 offenbart weiterhin, dass die Verträglichkeit der Polymere in der Polymermischungen nach solchen Mischverfahren so ist, dass das Wachs nicht aus dem Polymeren ausblutet (Spalte 3, Zeilen 20-29). Daraus schließt die Kammer, dass D18, und insbesondere das Mischverfahren des Beispiels 1, implizit das Merkmal der Unterdrückung einer Phasenseparation, sowie dies in Anspruch 1 des Streitpatents erfordert wird, erfüllt. Das Mischverfahren gemäß Beispiel 1 der D18 enthält auch, sowie bei der ersten Mischvariante des Streitpatents, die Weiterverarbeitung der Polymermischung in einer Spritzgussvorrichtung (Spalte 5, Zeilen 15-17). Einen Grund, warum die Vermischung gemäß Beispiel 1 nicht zu einer molekulardispersen Verteilung im Sinne des Streitpatents führen würde, erkennt die Kammer nicht. In dieser Hinsicht ist das Argument der Beschwerdeführerin basierend auf D40, nachdem es sehr unwahrscheinlich sei, dass eine molekulardisperse Verteilung im Beispiel 1 der D18 erhalten wurde, ohne dass dies belegt wird, nicht relevant (D40, Seite 7, letzter Absatz).

1.13 Darüber hinaus erfordert Anspruch 1 des Hauptantrags, dass nach der Herstellung des Spritzguss-Formkörpers bei der Erstarrung der Polymermischung unter Heterokristallisation ein Netzwerk ausgebildet wird. Die Voraussetzung zur Erhaltung dieses Netzwerks ist gemäß Absatz 50 des Streitpatents die Herstellung einer Schmelze aus der Polymermischung, wobei die Komponenten in molekulardisperser Verteilung vorliegen. Das Polyethylen und das Wachs des Beispiels 1 der D18 sind auch in der Schmelze vermischt und die resultierende Schmelze kann im Sinne des Streitpatents als molekulardispers gesehen werden. Darüber hinaus können Polyethylen und Wachs des Beispiels 1 der D18 im Sinne des Absatzes 4 des Streitpatents als aufeinander angepasst gesehen werden, weil beide Polymeren auf einer gemeinsamen kristallisierbaren Sequenz A (Ethyleneinheit) basieren. Die Erhaltung eines Netzwerks nach Erstarrung des daraus hergestellten Spritzguss-Formkörper ist somit im Beispiel 1 der D18 auch implizit offenbart.

1.14 Die Berücksichtigung der Abbildungen 4-6 des Streitpatents ändert an dieser Schlussfolgerung nichts. Diese Abbildungen zeigen den Einfluss der Menge an Wachs und des Abkühlungsverfahrens auf die mechanischen Eigenschaften (E-Modul, Bruchdehnung und Schlagzähigkeit) von Spritzguss-Formkörper gemäß Streitpatent (Absatz 54). Darin sind keine Polymermischungen offenbart, für die die Verteilung nicht molekulardispers wäre, und es sind auch keine Polymermischungen gezeigt, die unter gleichen Bedingungen erhalten und gemessen wurden, wie sie in D18 beschrieben sind. Die Abbildungen 4-6 erlauben somit keine Schlussfolgerungen über die Verteilung der Polymere in den Polymermischungen gemäß D18. Darüber hinaus wurde auch nicht gezeigt, inwiefern die mechanischen Eigenschaften von Spritzguss-Formkörpern Rückschlüsse auf die Verteilung der Polymeren auf molekularer Ebene in der Polymermischung erlauben könnten. Die in den Abbildungen 4-6 des Streitpatents gezeigten Eigenschaften sind somit für die Beurteilung der Neuheit gegenüber D18 nicht relevant.

1.15 Da D18 allerdings eine Polymermischung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags nicht offenbart (Punkte 1.1 bis 1.8, oben), ist der beanspruchte Gegenstand neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ gegenüber D18.

2. Zurückverweisung

2.1 In Bezug auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ hat die Einspruchsabteilung entschieden, dass der geltende Hauptantrag gegenüber D18 im Sinne von Artikel 54 EPÜ nicht neu war. Die erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags wurde nicht behandelt. Da die Kammer die Neuheit des Hauptantrags gegenüber D18 anerkannt hat, erachtet es die Kammer für angemessen, dem Antrag beider Parteien folgend, von ihrer Befugnis gemäß Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch zu machen und die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung auf der Basis des Hauptantrags (Ansprüche wie erteilt) an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

Quick Navigation