T 0102/15 () of 16.6.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T010215.20200616
Datum der Entscheidung: 16 Juni 2020
Aktenzeichen: T 0102/15
Anmeldenummer: 06777650.0
IPC-Klasse: G06Q10/00
H04M1/57
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND SYSTEM ZUM ÜBERTRAGEN EINER ADRESSE IN EIN ELEKTRONISCHES FORMULAR FÜR EINEN TEILNEHMER EINER KOMMUNIKATIONSVERBINDUNG
Name des Anmelders: Unify GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention Art 52(1) (2007)
European Patent Convention R 116 (2007)
European Patent Convention R 137(3) (2010)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
RPBA2020 Art 024(1) (2020)
RPBA2020 Art 025(2) (2020)
Guidelines for examination in the EPO (Fassung vom September 2013) H-II, 2.7.2
Guidelines for examination in the EPO (Fassung vom November 2019) H-II, 2.7.1
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag und Hilfsantrag 1 (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge 2 bis 4
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 06 777 650 zurückzuweisen

- wegen unzulässiger Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung (Artikel 123(2) EPÜ) und mangelnder erfinderischer Tätig­keit (Artikel 52(1) EPÜ und Artikel 56 EPÜ 1973) in Bezug auf den damaligen Hauptantrag und die damaligen Hilfsanträge 1 bis 5 und

- weil die damaligen Hilfsanträge 6 bis 8 unter Regel 137(3) EPÜ nicht in das Prüfungsverfahren zugelassen wurden.

II. Es wird auf folgendes Dokument Bezug genommen:

D7: US 2005/0048958 A1

III. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin (Anmelderin) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents im Umfang des Hauptantrages, hilfsweise im Umfang eines der Hilfsanträge 1 bis 4, alle eingereicht mit der Beschwerdebegründung.

IV. Der Wortlaut des jeweiligen unabhängigen Anspruchs 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 4 lautet wie folgt:

Hauptantrag:

"1. Verfahren zum Übertragen einer PIM-Adresse (EMAIL1, EMAIL2, EMAIL3) in ein elektronisches Formular einer PIM?Anwendung (PIMA_1, PIMA_2, PIMA_3) eines PIM-Systems, bei dem eine Kommunikationsverbindung (RUF, CONF) als eine Konferenz zwischen einer ersten Endeinrichtung (EG1) eines ersten Teilnehmers und einer zweiten Endeinrichtung (EG2) eines zweiten Teilnehmers und mindestens einer weiteren Endeinrichtung (EG3) eines weiteren Teilnehmers über eine Vermittlungsanlage (PBX) in einem Kommunikationssystem (PBX, ...) besteht, wobei ein mit einer PIM?Adresse (EMAIL1, EMAIL2, EMAIL3) zu füllendes Formularfeld für einen Teilnehmer der Kommunikationsverbindung automatisch eingetragen wird, wobei

a) infolge einer Benutzereingabe (M) des ersten Teilnehmers,

i) eine die zweite Endeinrichtung (EG2) im Rahmen der Kommunikationsverbindung (RUF, CONF) identifizierende Kommunikationssystem-Adresse (RUFNO2) und eine die weitere Endeinrichtung (EG3) identifizierende weitere Kommunikationssystem?Adresse (RUFNO3) erfasst wird,

wobei zum Erfassen der Kommunikationssystem-Adressen (RUFNO2, RUFNO3) eine CTI-Meldung (CTIM) von der Vermittlungsanlage (PBX) an eine CTI-Applikation (CTIA) übermittelt wird, welche die Rufnummern (RUFNO1, RUFNO2, RUFNO3) umfasst,

ii) die erfasste Kommunikationssystem-Adresse (RUFNO2) und die weitere Kommunikationssystem?Adresse (RUFNO3)

in eine den zweiten Teilnehmer identifizierende PIM-Adresse (EMAIL2) und in eine den weiteren Teilnehmer

identifizierende weitere PIM?Adresse (EMAIL3) für das PIM-System umgesetzt werden,

iii) die PIM-Adressen (EMAIL1, EMAIL2, EMAIL3) zur PIM-Anwendung (PIMA_1) des ersten Teilnehmers übermittelt (I, F) werden, und

iv) die übermittelten PIM-Adressen (EMAIL2, EMAIL3) in ein Feld des elektronischen Formulars der PIM-Anwendung (PIMA_1) eingetragen werden,

b) die eingetragenen PIM-Adressen (EMAIL2, EMAIL3) als Ziel-Adressen zur elektronischen Übermittlung eines Inhalts des elektronischen Formulars verwendet werden, und

c) das elektronische Formular weitere Eingabefelder aufweist, um weitere Informationen für eine zukünftige Besprechung eingeben zu können, und weiterhin einen Bedienknopf ,,Abschicken" besitzt, um die Bearbeitung des Formulars zu beenden und als Besprechungsanfrage an die den zweiten Teilnehmer identifizierende PIM-Adresse (EMAIL2) und an die den weiteren Teilnehmer identifizierende weitere PIM-Adresse (EMAIL3) zu schicken."

1. Hilfsantrag:

Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass das letzte Merkmal des ersten Teils des Anspruchs wie folgt lautet (Unterschied von der Kammer durch Unterstreichen hervorgehoben):

"wobei ein mit einer durch eine E-Mail-Adresse gebildete PIM?Adresse (EMAIL1, EMAIL2, EMAIL3) zu füllendes Formularfeld für einen Teilnehmer der Kommunikationsverbindung automatisch eingetragen wird,"

2. Hilfsantrag

Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags dadurch, dass

der Ausdruck "Kommunikationsverbindung" im ersten Teil des Anspruchs (zweimal) und im Merkmal i) durch den Ausdruck "Sprach-Kommunikationsverbindung" ersetzt ist,

das erste Vorkommen dieses Ausdrucks von dem Ausdruck "mit mindestens drei Teilnehmern" gefolgt wird,

das Bindewort "und" am Ende des Merkmals b) gestrichen ist und die folgenden Merkmale im Anschluss an das Merkmal c) hinzugefügt sind:

"und

d) beim Abschicken des, mit einem Zeitraum ausgefüllten Besprechungsanfrageformular einen Konferenzserver des Kommunikationssystems dazu zu veranlassen, die Kommunikationssystem?Adresse (RUFNO1) des ersten Teilnehmers, die Kommunikationssystem?Adresse des zweiten Teilnehmers (RUFNO2) und die Kommunikationssystem?Adresse (RUFN03) des weiteren Teilnehmers für eine Konferenzschaltung im angegebenen Zeitraum zu reservieren und/oder den ersten Teilnehmer, den zweiten Teilnehmer und den weiteren Teilnehmer zum Beginn des Zeitraums anzurufen, wozu die CTI-Applikation (CTIA) neben den PIM?Adressen auch die Kommunikationssystem?Adressen der Teilnehmer über einen der Proxy?Anwendungen (T_1, T_2) an die jeweilige PIM-Anwendung (PIMA_1, PIMA_2, PIMA_3) übermittelt wird, und

e) wobei das PIM?System oder der Konferenzserver eine Bestätigungs-E-Mail an die Teilnehmer der zukünftigen Konferenzschaltung übermittelt, beispielsweise mit Angabe von Zugangsdaten zur Konferenz des Konferenzservers."

3. und 4. Hilfsantrag

Anspruch 1 des 3. bzw. 4. Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags dadurch, dass der Ausdruck "Sprach-Kommunikationsverbindung" im ersten Teil des Anspruchs (zweimal) und im Merkmal i) durch den Ausdruck "Telefon-Kommunikationsverbindung" bzw. "Video-Kommunikationsverbindung" ersetzt ist und das Bindewort "und" am Ende des Merkmals b) hinzugefügt ist.

V. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

(a) Haupt- und 1. Hilfsantrag - erfinderische Tätigkeit

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags und des 1. Hilfsantrags habe gegenüber dem in Dokument D7 offenbarten Verfahren den Vorteil, dass beliebige Endgeräte einsetzbar seien, und weise gegenüber diesem Dokument eine erfinderische Tätigkeit auf.

(b) 2. bis 4. Hilfsantrag - Zulassung

Die Hilfsanträge 2 bis 4 basierten auf den der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsanträgen 6 bis 8, welche die Prüfungsabteilung in das Verfahren hätte zulassen müssen. Diese Anträge seien daher in das Verfahren zuzulassen.

Entscheidungsgründe

1. Haupt- und 1. Hilfsantrag - erfinderische Tätigkeit

1.1 Nächstliegender Stand der Technik

Dokument D7 offenbart einen Gegenstand, der zum gleichen Zweck entwickelt wurde wie die beanspruchte Erfindung, nämlich zu einem Verfahren der integrierten Sprach- und Datenkommunikation, welches insbesondere die Übertragung einer PIM-Adresse ("PIM" als Akronym für "Personal Information Management") in ein elektronisches Formular einer PIM-Anwendung erlaubt (siehe Punkt 1.2 unten). Ferner hat Dokument D7 die wichtigsten technischen Merkmale mit der beanspruchten Erfindung gemein (ibid.) und wird daher als der nächstliegende Stand der Technik angesehen.

1.2 Unterschiedsmerkmale

1.2.1 Dokument D7 offenbart (siehe Absätze [0002], [0035], [0037], [0040], [0047], [0060], [0061], [0066], [0069] und [0098]-[0105]; Abbildungen 1, 2c, 10 und 11) verschiedene Verfahren zur Integration von Sprach- und Datenkommunikation in einem einzigen mobilen Kommunikationsgerät 100. Ein Datenverbindungsprogramm 125, welches beispielsweise auf einem Computer 120 eines Host-Systems 160 läuft, ist mit einem mobilen Kommunikationsgerät 100 über ein Datenübertragungsnetzwerk 145 verbunden, welches zur Datenübertragung für Mitteilungen, E-Mails, Sprachnachrichten, Adressbucheinträge, Intranetdaten etc. verwendet wird. Der Computer 120 ist über ein unternehmensinternes lokales Netzwerk 210 mit anderen Computern und mit einem Telefonvermittlungssystem PABX verbunden. Überdies ist das mobile Kommunikationsgerät 100 mit einem Sprachübertragungsnetzwerk 150 zur Übertragung von Telefongesprächen verbunden. Letztere können jedoch auch über das Datenübertragungsnetzwerk 145 übertragen werden ("Voice over IP").

Das mobile Kommunikationsgerät 100 enthält ein PIM-Modul, in welchem die Funktionalitäten eines Datenkommunikationsmoduls 24B integriert sein können, die insbesondere das Senden und Empfangen von E-Mail-Nachrichten mittels einer E-Mail-Anwendung ermöglichen. Mit Bezug auf Abbildungen 10 und 11 wird die automatische Erstellung einer E-Mail-Nachricht bei einem Sprachanruf beschrieben. Auf dem mobilen Kommunikationsgerät 100 werden Daten über die Identifikation des Anrufers CID ("caller ID") empfangen und damit die auf dem Gerät 100 gespeicherte Datenbank nach einem entsprechenden Eintrag durchsucht und eine E-Mail-Nachricht an diesen Anrufer erstellt. Die Nachricht wird entweder automatisch gemäß gespeicherter Voreinstellungen oder nach entsprechender Auswahl durch den Nutzer in einem Menu des mobilen Kommunikationsgerätes 100 erzeugt und kann vor dem Absenden vom Nutzer wie gewünscht geändert werden.

1.2.2 Dokument D7 offenbart somit, unter Verwendung des Wortlauts von Anspruch 1 des Hauptantrags, ein Verfahren zum Übertragen einer PIM?Adresse (E-Mail Adresse des Anrufers) in ein elektronisches Formular (E-Mail-Nachricht) einer PIM?Anwendung (E-Mail-Anwendung) eines PIM-Systems (PIM-Modul), bei dem eine Kommunikationsverbindung (Sprachanrufsverbindung) zwischen einer ersten Endeinrichtung (mobile Kommunikationsgerät 100) eines ersten Teilnehmers (Nutzer des mobilen Kommunikationsgerätes 100) und einer zweiten Endeinrichtung (Endgerät des Anrufers) eines zweiten Teilnehmers (Anrufer) aufgebaut wird, wobei ein mit einer PIM?Adresse (E-Mail-Adresse) zu füllendes Formularfeld für einen Teilnehmer der Kommunikationsverbindung (Nutzer des mobilen Kommunikationsgerätes 100) automatisch eingetragen wird, wobei

a)' infolge einer Benutzereingabe (nach Auswahl in einem Menu des mobilen Kommunikationsgerätes 100) des ersten Teilnehmers,

i)' eine die zweite Endeinrichtung (Endgerät des Anrufers) im Rahmen der Kommunikationsverbindung (Sprachanrufsverbindung) identifizierende Kommunikationssystem-Adresse (CID) erfasst wird,

ii)' die erfasste Kommunikationssystem-Adresse (CID) in eine den zweiten Teilnehmer identifizierende PIM?Adresse (E-Mail-Adresse) für das PIM?System umgesetzt werden,

iii)' die PIM-Adresse (E-Mail-Adresse) zur PIM-Anwendung (E-Mail-Anwendung) des ersten Teilnehmers übermittelt wird, und

iv)' die übermittelten PIM-Adresse (E-Mail-Adresse) in ein Feld des elektronischen Formulars (E-Mail-Nachricht) der PIM-Anwendung (E-Mail-Anwendung) eingetragen wird,

b)' die eingetragene PIM-Adresse (E-Mail-Adresse) als Ziel-Adressen zur elektronischen Übermittlung eines Inhalts des elektronischen Formulars (E-Mail-Nachricht) verwendet wird, und

c)' das elektronische Formular weitere Eingabefelder aufweist, um weitere Informationen (Text der E-Mail-Nachricht) für eine zukünftige Besprechung eingeben zu können, und weiterhin einen Bedienknopf ,,Abschicken" besitzt (implizit offenbart, - um die E-Mail-Nachricht zu verschicken), um die Bearbeitung des Formulars zu beenden.

Dies wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten.

1.2.3 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin gehe aus dem Dokument D7 nicht hervor, dass es sich bei der automatisch generierten E-Mail-Nachricht um eine Besprechungsanfrage handle (Teilmerkmal des Merkmals c)).

Die Kammer ist jedoch der Meinung, dass dieses Teilmerkmal den Inhalt des elektronischen Formulars betrifft und dessen technischer Gehalt lediglich in einem Attribut der Eingabefelder des elektronischen Formulars besteht, welche nämlich so ausgelegt sein müssen, dass das Formular als Besprechungsanfrage ausgeformt sein kann. Dies ist bei der im Dokument D7 offenbarten E-Mail-Nachricht zweifellos der Fall, da der Nutzer in den Text der Nachricht eine solche Anfrage einfügen kann. Das die Besprechungsanfrage betreffende Teilmerkmal des Merkmals c) ist somit im Dokument D7 offenbart.

1.2.4 Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich von dem aus D7 bekannten Verfahren dadurch, dass

A) die Kommunikationsverbindung als Konferenz mit einem weiteren Teilnehmer und entsprechender Endeinrichtung besteht (siehe erster Teil von Anspruch 1 des Hauptantrags), eine die weitere Endeinrichtung identifizierende weitere Kommunikationssystem-Adresse erfasst wird (siehe Merkmal i)) und in eine den weiteren Teilnehmer identifizierende weitere PIM?Adresse umgesetzt wird (siehe Merkmal ii)), wobei PIM-Adressen (Plural) zur PIM-Anwendung des ersten Teilnehmers übermittelt, in ein Feld des elektronischen Formulars eingetragen und als Zieladressen verwendet werden (siehe Merkmale iii), iv) und b)),

B) die Kommunikationsverbindung über eine Vermittlungsanlage geschaltet ist (siehe erster Teil von Anspruch 1 des Hauptantrags), wobei zum Erfassen der Kommunikationssystem-Adressen eine CTI-Meldung von der Vermittlungsanlage an eine CTI-Applikation übermittelt wird, welche die Rufnummern umfasst (siehe Merkmal i)).

1.3 Objektive technische Aufgabe

1.3.1 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass die Wirkung der Unterschiedsmerkmale darin bestehe, dass in dem beanspruchten Verfahren beliebige Endgeräte einsetzbar seien.

1.3.2 Nach Ansicht der Kammer betrifft Merkmalsgruppe A) die Art der Kommunikationsverbindung, welche nämlich in einer Konferenz besteht, aber nicht die in dieser Verbindung verwendeten Endgeräte. Die Wirkung dieser Merkmalsgruppe besteht in einer Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten.

1.3.3 In Bezug auf Merkmalsgruppe B) ist zunächst festzustellen, dass das mit Bezug auf das Ausführungsbeispiel in Abbildungen 10 und 11 des Dokuments D7 beschriebene Telefongespräch von einem externen Gesprächsteilnehmer initiiert wurde, der sich außerhalb der Firewall 162 des Unternehmens befindet und über das Sprachübertragungsnetzwerk 150 mit dem mobilen Kommunikationsgerät 100 verbunden ist (siehe Abbildung 10). Außerdem werden - wie oben unter Punkt 1.2.1 beschrieben - die Daten über die Identifikation des Anrufers CID auf dem mobilen Kommunikationsgerät 100 empfangen und das dort gespeicherte Adressbuch durchsucht, um die entsprechende E-Mail-Adresse zu bestimmen.

Demgegenüber stellt die gemäß Merkmalsgruppe B) beanspruchte Schaltung der Kommunikationsverbindung über eine Vermittlungsanlage lediglich eine Alternative dar. Dadurch können insbesondere Gespräche mit Kollegen im selben Unternehmen geführt werden.

Dass die erfassten Kommunikationssystem-Adressen mit Hilfe der CTI-Applikation in PIM?Adressen umgesetzt werden, ist im Anspruch 1 des Hauptanspruchs nicht beansprucht. Aber selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die gemäß Merkmalsgruppe B) beanspruchte Erfassung der Kommunikationssystem-Adressen mittels CTI-Applikation eine solche Umsetzung impliziert, bedeutet dies nach Ansicht der Kammer nicht zwangsläufig, dass beliebige Endgeräte einsetzbar sind. Die lokale Umsetzung der Kommunikationssystem-Adressen in PIM?Adressen auf dem Endgerät ist nämlich laut Anspruch nicht ausgeschlossen und könnte parallel oder alternativ (z. B. abhängig von der Art der Verbindung) zu einer zentralen Umsetzung vollzogen werden. Außerdem ist es nicht ausgeschlossen, dass das Endgerät weitere beanspruchte Funktionen ausführt, insbesondere diejenigen, welche das Ausfüllen und Abschicken des elektronischen Formulars der PIM-Anwendung betreffen und nicht von Endgeräten mit beschränkten Funktionsmöglichkeiten ausgeführt werden könnten.

Dass beliebige Endgeräte einsetzbar sind, kann somit auch nicht als Wirkung der gemäß Merkmalsgruppe B) beanspruchten Erfassung der Kommunikationssystem-Adressen mittels CTI-Applikation angesehen werden. Vielmehr ist nach Ansicht der Kammer auch deren Wirkung lediglich eine Alternative zu dem aus Dokument D7 bekannten Verfahren.

1.3.4 Daher wird die objektive technische Aufgabe darin gesehen, ein alternatives Verfahren bereitzustellen, welches eine Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten erlaubt.

1.4 Naheliegen

1.4.1 In dem in Dokument D7 offenbarten kombinierten Sprach- und Kommunikationssystem sind Telefongespräche mit Mitarbeitern des Unternehmens über unternehmensinterne Telefongeräte ebenfalls vorgesehen. Solche Gespräche werden über ein Telefonvermittlungssystem PABX geleitet (siehe Abbildung 1). Überdies werden im Dokument D7 verschiedene Ausführungsbeispiele beschrieben, welche Telefonkonferenzen mit mehreren Teilnehmern betreffen. Beispielsweise wird mit Bezug auf die Abbildungen 6 bis 8 die Initiierung einer Telefonkonferenz nach Empfang einer E-Mail-Nachricht, eines Kalendereintrags bzw. einer Erledigungsliste beschrieben.

Gesprächsprotokolle und an die Gesprächspartner gerichtete E-Mail-Nachrichten sind auch bei Gesprächen mit Mitarbeitern des Unternehmens und bei Telefonkonferenzen sinnvoll, bei letzteren ganz besonders, da sie komplexer sind, oft gut dokumentiert werden müssen und weitere Schritte nach sich ziehen. Es wäre daher für den Fachmann naheliegend, diese Möglichkeiten des Ausführungsbeispiels von Abbildungen 10 und 11 zur Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten auch bei Gesprächen mit Mitarbeitern des Unternehmens und bei Telefonkonferenzen bereitzustellen. Die technische Implementierung stellt für den Fachmann keinerlei Schwierigkeiten dar, da die erstellte E-Mail-Nachricht lediglich an alle Teilnehmer der Telefonkonferenz adressiert werden muss.

1.4.2 Das mobile Kommunikationsgerät 100 kann zum Datenaustausch über eine Halterung 110 am Computer 120 angeschlossen werden. Dabei können PIM-Daten, insbesondere Adressbucheinträge, zwischen dem mobilen Kommunikationsgerät 100 und dem Computer 120 ausgetauscht und synchronisiert werden, so dass zwischen den beiden Geräten ein gespiegeltes System entsteht (Dokument D7, Absätze [0035] und [0070]). Es kann also als im Dokument D7 offenbart angesehen werden, dass auch auf dem Computer 120 eine Adressbuchdatenbank mit E-Mail-Adressen und Telefonnummern umfassenden Einträgen gespeichert ist, welche der auf dem mobilen Kommunikationsgerät 100 gespeicherten Datenbank entspricht. Somit läge es für den Fachmann nahe, dass alternativ zu der lokalen Datenbankabfrage auf dem Kommunikationsgerät 100, eine der Rufnummer eines Gesprächsteilnehmers entsprechende E-Mail-Adresse durch eine Suche in dieser zentral gespeicherten Adressbuchdatenbank ermittelt wird. Dies bietet sich insbesondere bei Telefonverbindungen mit unternehmensinternen Endgeräten an, da sie über das Telefonvermittlungssystem PABX geschaltet werden, welches wie der Computer 120 mit dem lokalen Netzwerk 210 verbunden ist. Dazu würde der Fachmann die Vermittlungsanlage so einrichten, dass sie nach Erfassung der Rufnummer des unternehmensinternen Endgeräts über das Netzwerk 210 eine entsprechende Anfrage an die auf dem Computer 120 gespeicherte Adressbuchdatenbank sendet, um anschließend die erhaltene Antwort an das mobile Kommunikationsgerät 100 weiterzuleiten.

1.4.3 Somit ist es für den Fachmann naheliegend, zur Lösung der gestellten Aufgabe die beanspruchten Merkmale A) und B) zu verwenden. Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags weist daher keine erfinderische Tätigkeit auf (Artikel 52(1) EPÜ und Artikel 56 EPÜ 1973).

1.4.4 Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags lediglich dadurch, dass die PIM-Adresse durch eine E-Mail-Adresse gebildet ist. Dies ist, wie oben unter Punkten 1.2.1 und 1.2.2 ausgeführt, im Dokument D7 bereits offenbart. Somit weist der Gegenstand von Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags aus den oben genannten Gründen ebenfalls keine erfinderische Tätigkeit auf (Artikel 52(1) EPÜ und Artikel 56 EPÜ 1973).

2. 2. bis 4. Hilfsantrag - Zulassung

2.1 Die Hilfsanträge 2 bis 4 basieren im Wesentlichen auf den der Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsanträgen 6 bis 8 (siehe Punkte 2.1 bis 2.5 der Beschwerdebegründung).

Diese Anträge waren von der Prüfungsabteilung unter Regel 137(3) EPÜ nicht in das Verfahren zugelassen worden, da sie prima facie nicht die Einwände bzgl. mangelnder erfinderischer Tätigkeit und Erweiterung über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ausräumten (siehe Punkt 8 der Entscheidungsgründe).

2.2 Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass die Prüfungsabteilung die damaligen Hilfsanträge 6 bis 8 in das Verfahren hätte zulassen müssen.

Insbesondere hätte die Prüfungsabteilung die in den Prüfungsrichtlinien, Kapitel H-II, 2.7.2 (Auflage vom September 2013), aufgestellten Regeln zur Zulassung von verspätet eingereichten Anträgen nicht beachtet (siehe Punkt 3 der Beschwerdebegründung).

2.3 Die Kammer stellt zunächst fest, dass im vorliegenden Fall die Beschwerdebegründung vor dem Inkrafttreten am 1. Januar 2020 der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) eingereicht wurde und somit Artikel 12(4) der vor dem Inkrafttreten geltenden Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2007) anzuwenden ist (siehe Artikel 24(1) und 25(2) VOBK 2020).

Gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 ist die Kammer dazu befugt, Anträge nicht in das Verfahren zuzulassen, welche im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassen worden sind.

2.4 Im vorliegenden Fall entsprechen die Hilfsanträge 2 bis 4 im Wesentlichen den der Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsanträgen 6 bis 8, von denen sie sich lediglich durch relativ geringfügige Änderungen zur Behebung von Einwänden unter Artikel 123(2) EPÜ unterscheiden. Insbesondere weisen sie dieselben zusätzlichen Merkmale zur geltend gemachten Begründung der erfinderischen Tätigkeit auf, nämlich die Merkmale d) und e) und das die Sprach-, Telefon-, bzw. Video-Kommunikationsverbindung betreffende Merkmal. Die oben genannte Befugnis unter Artikel 12(4) VOBK 2007 erstreckt sich daher nach Ansicht der Kammer auf die Hilfsanträge 2 bis 4.

2.5 Die der Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsanträge 6 bis 8 wurden (als "Hilfsanträge 4, 5 und 6" bezeichnet) von der Beschwerdeführerin (damaligen Anmelderin) am Vortag (15. Juli 2014) der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung per Telefax eingereicht, d. h. nach dem in der Ladung zur mündlichen Verhandlung unter Regel 116 EPÜ festgesetzten Zeitpunkt (16. Juni 2014), bis zu dem Schriftsätze und/oder Unterlagen eingereicht werden können (siehe Entscheidung, Punkte 19-21 von Sachverhalt und Anträgen; Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Punkt 2; Ladung vom 20. März 2014, vorletzter Absatz).

Für einen solchen Fall wird in dem von der Beschwerdeführerin zitierten Abschnitt H-II, 2.7.2 der Richtlinien für die Prüfung im EPA in der damals gültigen Fassung vom September 2013 ausgeführt, dass die Ausübung des Ermessens unter Regel 116(2) EPÜ und Regel 137(3) EPÜ bezüglich der Zulassung der verspätet eingereichten Anträge dem Grundsatz der "eindeutigen Gewährbarkeit" unterliegt: nicht "eindeutig gewährbare" Anträge sollten nicht in das Verfahren zugelassen werden. Die Prüfung ob die von der Beschwerdeführerin angeführten drei speziellen Kriterien (eindeutige Gewährbarkeit bezüglich der Erfordernisse gemäß Artikel 84 und 123(2) EPÜ, Regel 137(5) und ggf. 139 EPÜ; Konvergenz des beanspruchten Gegenstandes; Neuheit des beanspruchten Gegenstandes) erfüllt sind, stellt dabei lediglich einen zweiten Schritt dar, welcher im Anschluss an einen ersten Schritt auszuführen ist, bei dem zu prüfen ist, ob der beanspruchte Gegenstand "eindeutig nicht gewährbar" ist (siehe Richtlinien für die Prüfung im EPA, Fassung vom September 2013, H-II, 2.7.2, Absatz 4).

Die Begründung der Prüfungsabteilung, dass die damaligen Hilfsanträge 6 bis 8 nicht in das Verfahren zugelassen würden, da sie prima facie nicht die Einwände bzgl. mangelnder erfinderischer Tätigkeit und Erweiterung über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ausräumten, ist Ausdruck dafür, dass die Prüfungsabteilung den in den Richtlinien genannten Vorgaben folgte und zu dem Schluss kam, dass diese Anträge bereits an der genannten ersten Hürde der Zulässigkeitsprüfung scheiterten.

Der Vollständigkeit halber ist zu bemerken, dass in der aktuellen Fassung der Prüfungsrichtlinien in Bezug auf die Zulassung verspätet eingereichter Anträge nur noch der Grundsatz der "eindeutigen Gewährbarkeit" mitsamt einigen Beispielen genannt wird. Die von der Beschwerdeführerin angeführten drei speziellen Kriterien werden jedoch nicht mehr erwähnt (Richtlinien für die Prüfung im EPA, Fassung vom November 2019, H-II, 2.7.1).

2.6 Die Kammer ist somit der Ansicht, dass die Prüfungsabteilung ihr Ermessen unter Regel 137(3) EPÜ nach Maßgabe der richtigen Kriterien, nämlich unter Berücksichtigung des Grundsatzes der "eindeutigen Gewährbarkeit" und außerdem in angemessener Weise ausgeübt hat.

Die Kammer sieht auch keinen Grund, ihr eigenes Ermessen unter Artikel 12(4) VOBK 2007 anders auszuüben.

Die Hilfsanträge 2 bis 4 werden daher nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 12(4) VOBK 2007).

3. Schlussfolgerung

Da die Anmeldungsunterlagen gemäß Hauptantrag und 1. Hilfsantrag und die Erfindung, die sie zum Gegenstand haben, den Erfordernissen des EPÜ bezüglich erfinderischer Tätigkeit nicht genügen und die Hilfsanträge 2 bis 4 nicht in das Verfahren zugelassen werden, ist die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Anmeldung zurückzuweisen, zu bestätigen und die Beschwerde zurückzuweisen (Artikel 97(2) EPÜ und Artikel 111(1) EPÜ 1973).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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