T 0026/15 () of 12.9.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T002615.20190912
Datum der Entscheidung: 12 September 2019
Aktenzeichen: T 0026/15
Anmeldenummer: 09090001.0
IPC-Klasse: B61L 1/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schienenfahrzeug mit einer Induktionsschleife zur Gewährleistung einer niederohmigen elektrischen Verbindung zwischen Rädern des Schienenfahrzeugs und Fahrschienen
Name des Anmelders: Bombardier Transportation GmbH
Name des Einsprechenden: Siemens Aktiengesellschaft
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Abwägung absehbarer Vor- und Nachteile
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 082 943 in geändertem Umfang in der Fassung gemäß erstem Hilfsantrag. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand der erteilten unabhängigen Ansprüche gegenüber dem Dokument

D1: EP 0 500 757 B1

nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

II. Gegen diese Entscheidung haben zunächst beide Parteien Beschwerde eingelegt. Die Einsprechende hat allerdings in Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer mit dem Schreiben vom 21. Mai 2019 ihre Beschwerde wieder zurückgenommen und angekündigt, keine weiteren Eingaben zu machen und nicht an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

III. Am 12. September 2019 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte,

die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Einspruch zurückzuweisen, d.h. das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte schriftsätzlich sinngemäß, die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.

IV. Anspruch 1 gemäß einzigem Antrag, also wie erteilt, hat folgenden Wortlaut:

"Schienenfahrzeug mit einer Induktionsschleife (1) zur Gewährleistung einer niederohmigen elektrischen Verbindung zwischen Rädern (115, 116) des Schienenfahrzeugs und Fahrschienen (101, 102), auf denen die Räder (115, 116) rollen, durch Induktion einer elektrischen Spannung in eine durch die Räder (115, 116), durch Abschnitte zumindest einer der Fahrschienen und durch elektrische Verbindungen zwischen Rädern (115, 116) gebildete sekundäre Stromschleife,

dadurch gekennzeichnet, dass

die Induktionsschleife unterflur eines Fahrzeugchassis des Schienenfahrzeugs und in Fahrtrichtung zwischen zwei Drehgestellen (107, 119) des Schienenfahrzeugs angeordnet ist."

Anspruch 11 ist ein korrespondierender unabhängiger Verfahrensanspruch.

V. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) waren im Wesentlichen wie folgt:

D1 offenbare nicht, dass die Induktionsschleife zwischen zwei Drehgestellen angebracht sei. Der Gegenstand von Anspruch 1 und 11 sei daher neu.

Ausgehend von dem Schienenfahrzeug gemäß Dokument D1 sei die Anordnung der Induktionsschleife zwischen den Drehgestellen nicht nahegelegt. D1 lehre, dass die Induktionsschleife eng mit der sekundären Schleife, gebildet aus Achsen, Rädern und den dazwischen liegenden Schienenabschnitten, induktiv gekoppelt sein müsse. Der wesentliche Faktor hierfür sei die räumliche Nähe beider Schleifen zueinander. Ohne zusätzliche Maßnahmen, würde eine zwischen den Drehgestellen angeordnete Induktionsschleife einen größeren Abstand zu den Fahrschienen haben als in D1, wo der Abstand lediglich einen halben Rad-Durchmesser betrage. Für den Erhalt der induktiven Kopplung seien daher Zusatzmaßnahmen nötig. Die Beschreibung erläutere solch zusätzliche Maßnahmen, wie elektrische Leitungen, mehrere Windungen der Induktionsschleife und die Anordnung der Induktionsschleife unterhalb des Fahrzeugchassis. Eine nachteilige Veränderung an der Lehre der D1 ohne kompensierende Zusatzmaßnahmen würde der Fachmann daher nicht vornehmen ohne erfinderisch tätig zu werden.

Im Übrigen bestünde der Vorteil der Anordnung zwischen den Drehgestellen darin, dass der Bauraum dort größer und die Möglichkeiten bezüglich der Anordnung und Größengestaltung der von der Induktionsschleife umlaufenden Fläche erweitert seien. Darüber hinaus sei die Unterbringung im Falle von Drehgestellen mit Antriebsmotoren und Getrieben erleichtert und das durch die Induktionsschleife erzeugte elektromagnetische Feld würde die Antriebsmotoren weniger beeinflussen. Ein weiterer Vorteil bestehe darin, dass der ohmsche Widerstand mehrerer Rad-Schienen Kontaktpunkte verbessert würde, nicht nur derjenigen eines Drehgestells, da sie alle Teil der sekundären Induktionsschleife seien. In der D1 würde nur das Problem angesprochen, dass die von der Induktionsschleife umgebene Fläche so groß wie möglich sein solle. Dies sei aber im Rahmen der D1 lediglich bezogen auf die Größe des Bauraumes im Drehgestell zu verstehen. Alle anderen Vorteile blieben in D1 unerwähnt. Daher erhalte der Fachmann aus D1 keine Hinweise auf die anspruchsgemäße Ausgestaltung des Schienenfahrzeuges.

VI. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) waren im Wesentlichen wie folgt:

Der Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt sei nicht neu gegenüber dem aus Dokument D1 bekannten Schienenfahrzeug. Die Lehre der D1 sei nicht auf Drehgestelle mit mehreren Achsen eingeschränkt. Vielmehr werde lediglich offenbart, dass die Induktionsschleife zwischen Räder/Achs-Paaren angeordnet sein müsse. Da es auch einachsige Drehgestelle gebe, erhalte der Fachmann die Information, dass die Induktionsschleife unterflur zwischen zwei Drehgestellen angeordnet werden könne. Darüber hinaus werde in Spalte 4, Zeilen 14 bis 24 offenbart, dass die Fläche der Induktionsschleife so groß wie möglich sein sollte. Somit lese der Fachmann mit, dass die Induktionsschleife auch zwischen den Drehgestellen angeordnet werden könne.

Wollte man ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber D1 in der Anordnung der Induktionsschleife zwischen den Drehgestellen sehen, so löse dies die objektive Aufgabe, eine alternative Anordnung der Induktionsschleife an dem Schienenfahrzeug bereitzustellen. Diese Lösung sei indes offensichtlich.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Mündliche Verhandlung

Die Beschwerdegegnerin war, wie mit Schreiben vom 21. Mai 2019 angekündigt, bei der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht vertreten. Damit beschränkt sie sich wie mit ihrem Schreiben bereits angekündigt, auf ihr schriftliches Vorbringen. Das Verfahren wurde gemäß Regel 115 (2) EPÜ und Artikel 15 (3) VOBK ohne die ordnungsgemäß geladene Beschwerdegegnerin fortgesetzt.

3. Antrag der Beschwerdegegnerin

Durch die Rücknahme ihrer Beschwerde hat die Einsprechende konkludent zum Ausdruck gebracht, dass sie die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Streitpatent auf der Grundlage von Hilfsantrag 1 aufrechtzuerhalten, nicht mehr angreift. Nach der Beschwerderücknahme war der Antrag der Einsprechenden deshalb dahingehend auszulegen, dass sie (nur noch) die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin begehrt. Ein weitergehender Antrag wäre im Übrigen wegen des Verschlechterungsverbots (Verbot der reformatio in peius) zurückzuweisen gewesen.

4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ mit Artikel 56 EPÜ)

4.1 Nächstliegender Stand der Technik

Das beanspruchte Schienenfahrzeug hat den Zweck, einen niederohmigen Kontakt zwischen seinen Rädern und den Schienen herzustellen, um eine Gleisbesetztmeldung zuverlässiger zu machen. Dies ist auch der Zweck des Schienenfahrzeuges der D1, siehe Spalte 1, Zeilen 3 bis 7 und Spalte 1, Zeile 29 bis Spalte 2, Zeile 7. Die anspruchsgemäße Lösung nutzt eine Induktionsschleife aus, die einen Strom in eine Sekundärschleife induzieren kann, welche aus den Schienenabschnitten und Achsen besteht. Dies ist auch der Ansatz gemäß D1, siehe Spalte 2, Zeilen 8 bis 10 und Zeilen 37 bis 51.

Die Kammer ist daher überzeugt, dass D1 eine angemessene Wahl für den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.

4.2 Unterscheidungsmerkmale

Dokument D1 offenbart in Spalte 3, Zeilen 4 bis 6 direkt und eindeutig, dass die Induktionsschleife auf dem Drehgestell angeordnet ist. ("Mounted on the bogie is a loop aerial 12 [...]")

Dokument D1 enthält hingegen keine eindeutige und direkte Offenbarung einer Induktionsschleife, die in Fahrtrichtung zwischen zwei Drehgestellen des Schienenfahrzeugs angeordnet ist. Die Behauptung der Beschwerdegegnerin, die Lehre der D1 sei nicht auf mehrachsige Drehgestelle eingeschränkt, mag zutreffen. Ihre Schlussfolgerung, aus der fehlenden Einschränkung auf mehrachsige Drehgestelle folge, dass im Falle einachsiger Drehgestell die Induktionsschleife als zwischen den Drehgestellen offenbart anzusehen sei, ist hingegen nicht zutreffend. Dokument D1 enthält nämlich keine direkte und eindeutige Offenbarung von Schienenfahrzeugen mit einachsigen Drehgestellen und infolgedessen auch keine direkte und eindeutige Offenbarung darüber, wie eine Induktionsschleife an einem solchen Schienenfahrzeug angebracht wäre.

In der Passage in Spalte 4, Zeilen 14 bis 24 der D1, wird zwar offenbart, dass die Fläche der Induktionsschleife so groß sein sollte, wie es die Einschränkungen durch das Design des Fahrzeugs zulassen. Dies ist aber im Gesamtzusammenhang des Dokuments zu verstehen und bezieht sich auf die offenbarte an einem Drehgestell angebrachte Induktionsschleife.

Daher offenbart D1 nicht, dass die Induktionsschleife unterflur eines Fahrzeugchassis des Schienenfahrzeugs und in Fahrtrichtung zwischen zwei Drehgestellen des Schienenfahrzeugs angeordnet ist.

4.3 Technische Aufgabe

Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, dass durch die Anordnung zwischen den Drehgestellen zum Ersten bei Vorhandensein von Antriebsmotoren am Drehgestell die Montage erleichtert werde, zum Zweiten mehr Flexibilität bezüglich der Ausgestaltung und Anordnung der Induktionsschleife bestehe und zum Dritten eine niederohmige Verbindung von mehr Radaufstandspunkte als im Stand der Technik mit nur einer Induktionsschleife gesichert werden könne.

Der erstgenannte angebliche Vorteil überzeugt die Kammer nicht. Da der Anspruchsgegenstand nicht auf Drehgestelle mit Antriebsmotoren eingeschränkt ist, wird die diesbezügliche genannte technische Wirkung nicht über die volle Breite des Anspruchs erzielt.

Demgegenüber trifft es zu, dass der Vorteil einer erhöhten Flexibilität durch den größeren Bauraum erreicht wird. Allerdings wird dieser Vorteil durch den Nachteil einer geringeren induktiven Kopplung erkauft. Es gehört nämlich zum Fachwissen des einschlägigen Fachmannes, dass die Güte der induktiven Kopplung zweier Stromschleifen von ihrem Abstand und vom Verhältnis ihrer Flächen abhängt und maximal wird, wenn die Flächen ähnlich groß sind und die Schleifen einen möglichst geringen Abstand haben. Ein Verlagerung zwischen die Drehgestelle bedeutet, wie die Beschwerdeführerin selbst zutreffend vorgetragen hat, einen größeren Abstand zu den Schienen und damit zur Sekundärschleife. Darüber hinaus wird die Sekundärschleife im anspruchsgemäßen Fall durch die Abstände der inneren Achsen der Drehgestelle bestimmt und ist damit deutlich größer als im Fall der D1, wo sie durch die Abstände der Achsen eines einzelnen Drehgestells bestimmt wird. Dies, wie auch der erhöhte Abstand, führt bei gleichbleibender Fläche der Induktionsschleife zu einer verringerten induktiven Kopplung. Deshalb müsste der größere Abstand nach den zutreffenden Angaben der Beschwerdeführerin durch andere Maßnahmen, die in der Beschreibung des Streitpatents erläutert werden, kompensiert werden. Anspruch 1 enthält indes keinerlei Merkmale, die diesen nachteiligen technische Effekt beseitigen.

Bezüglich des dritten angeblichen Vorteils, einer Gewährleistung einer niederohmigen Verbindung von mehr Radaufstandspunkten als im Stand der Technik ist die Kammer nicht überzeugt. Es handelt sich vielmehr um einen technischen Effekt, der bereits in der D1 verwirklicht wird. Auch dort wird der Strompfad der Sekundärschleife nicht ausschließlich durch die Drehgestellachsen bestimmt. Vielmehr wird auch in D1 Strom durch die Achsen anliegender Drehgestelle fließen, denn es kommt hierfür nicht darauf an, ob die beteiligten Achsen am selben Drehgestell angeordnet sind. Es ist vielmehr allein der ohmsche Widerstand der einzelnen Strompfade entscheidend. Die Beschwerdeführerin hat aber nicht dargelegt, dass hier ein Unterschied zwischen dem beanspruchten Gegenstand und dem der D1 besteht.

Aus diesen Gründen scheint die tatsächlich gelöste Aufgabe darin zu bestehen, unter Inkaufnahme einer verschlechterten induktiven Kopplung eine Alternative für die Anbringung der Induktionsschleife mit erhöhter Flexibilität bereit zu stellen.

4.4 Bewertung der Lösung

Es ist für den Fachmann jedoch unmittelbar absehbar, dass der im Vergleich zum Bauraum zwischen zwei Achsen eines einzigen Drehgestells deutlich größere Bauraum zwischen den Drehgestellen mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung der Induktionsschleife ermöglicht. Ebenso ist für den Fachmann absehbar, dass sich die induktive Kopplung aufgrund der beiden Effekte des größeren Abstandes der Schleifen einerseits und des gegebenenfalls verringerten Flächenverhältnisses andererseits verschlechtern wird.

Für die durch Anspruch 1 vorgeschlagene Verlegung der Leiterschleife beim Schienenfahrzeug gemäß D1 muss der Fachmann daher lediglich eine Abwägung zwischen für ihn leicht absehbaren Vor- und Nachteilen treffen. Die leicht absehbaren Nachteile werden gemäß Anspruchsgegenstand auch durch keine Maßnahme kompensiert oder durch weitere nicht absehbare positive technische Wirkungen begleitet. Die Beschwerdeführerin hat darauf hingewiesen, dass in der Beschreibung solche Maßnahmen zur Kompensation genannt seien. Für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit ist allerdings der Anspruchsgegenstand zugrunde zulegen. Bei der anspruchsgemäßen Ausgestaltung nimmt der Fachmann lediglich einen leicht absehbaren Nachteil in Kauf, um einen anderen absehbaren Vorteil zu verwirklichen. Hierdurch wird keine erfinderische Tätigkeit begründet.

Daher beruht der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend vom Schienenfahrzeug gemäß D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

5. Daher weist die Kammer den Antrag der Beschwerdeführerin zurück.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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