T 2170/14 (Vorimprägnat/SCHOELLER) of 18.11.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T217014.20201118
Datum der Entscheidung: 18 November 2020
Aktenzeichen: T 2170/14
Anmeldenummer: 08761274.3
IPC-Klasse: B44C5/04
D21H17/28
D21H17/35
D21H17/37
D21H17/67
D21H19/58
D21H27/26
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VORIMPRÄGNAT
Name des Anmelders: Schoeller Technocell GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Munksjö Dettingen GmbH
Bianchetti Bracco Minoja S.r.l.
Kämmerer Paper GmbH
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(b) (2007)
European Patent Convention Art 100(a) (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0521/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2458/19

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden 1 (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die Einsprüche gegen das europäische Patent Nr. 2 158 096 zurückzuweisen.

II. Die Einsprechende 3 hat ihre zunächst eingelegte Beschwerde im Verlauf des Beschwerdeverfahrens zurückgenommen; kurz danach hat sie auch ihren Einspruch zurückgenommen. Die Einsprechende 2 hat im Beschwerdeverfahren keine inhaltliche Stellungnahme abgegeben.

III. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin, das Streitpatent mangels Ausführbarkeit und mangels erfinderischer Tätigkeit vollständig zu widerrufen.

IV. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) die Beschwerde zurückzuweisen und reichte zwei neue Anspruchssätze als Hilfsanträge 1-2 ein.

V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 teilte die Kammer ihre vorläufige Stellungnahme mit, wonach das Patent in der erteilten Fassung ausführbar und erfinderisch sei.

VI. Die mündliche Verhandlung fand am 18. November 2020 als Videokonferenz statt.

VII. Anspruch 1 wie erteilt (Hauptantrag) lautet:

"Vorimprägnat, das erhältlich ist durch Imprägnieren eines Dekorrohpapiers mit einer Tränkharzlösung, dadurch gekennzeichnet, dass die Tränkharzlösung mindestens einen Polymerlatex und mindestens eine modifizierte Stärke mit einer spezifischen Molekulargewichtsverteilung enthält, wobei sich das Molekulargewicht der Stärkemoleküle folgendermaßen verteilt:

- höchstens 6 Gew.% Moleküle mit einem Molekulargewicht von 0 bis 1.000 g/mol,

- 5 bis 20 Gew.% Moleküle mit einem Molekulargewicht von 1.000 bis 5.000 g/mol,

- 20 bis 40 Gew.% Moleküle mit einem Molekulargewicht von 5.000 bis 25.000 g/mol,

- 20 bis 45 Gew.% Moleküle mit einem Molekulargewicht von 25.000 bis 200.000 g/mol,

- 5 bis 22 Gew.% Moleküle mit einem Molekulargewicht von 200.000 bis 1.000.000 g/mol,

- 0,5 bis 5 Gew.% Moleküle mit einem Molekulargewicht von mehr als 1.000.000 g/mol."

VIII. Die vorliegende Entscheidung stützt sich auf die folgenden Dokumente:

D3: US 2002/0124774 A1

D7: WO 94/00523 A1

D9: Cerestar, "Pour l'industrie du papier", 1994.

D10: WO 2006/002761 A1

D12: R. Klingler, "Probleme der gelchromatographischen Molekulargewichtsbestimmung von Stärkemolekulen", Starch/Stärke 37, Seiten 111-115, 1985.

D15: Cerestar, "Thermally modified starches for the paper industry", 2002.

D22: Feeser, "Stärkeprodukte und Technologie des Einsatzes bei der Herstellung von Papieren für Wellpappe", Wochenblatt für Papierfabrikation 9, 1977.

D51: Handbook of Paper and Board, Herbert Holik (Ed.), Wiley-VCH, 2006, Seite 72.

IX. Am Schluss der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) oder hilfsweise, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage der Hilfsanträge 1 oder 2, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Ausführbarkeit der Erfindung

1.1 Der Einspruchsgrund unter Artikel 100(b) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents nicht entgegen.

1.2 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin sei gemäß den Absätzen [0020]-[0021] des angefochtenen Patents ein Polydispersitätsindex Mw/Mn von 6 bis 23 für die Lösung der gestellten Aufgabe wesentlich. Da Anspruch 1 dieser Parameter nicht definiere, könne die darin definierte Erfindung nicht ausgeführt werden.

Die Beschwerdeführerin machte ferner geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 zu breit sei, insbesondere weil der Begriff "modifizierte Stärke" auch Substanzen wie kationische Stärken umfasse, die inkompatibel mit dem in Anspruch 1 definierten Polymerlatex seien. Dies bedeute, dass der beanspruchte Gegenstand nicht funktionsfähige Ausführungsformen umfasse und daher nicht den Anforderungen des Artikels 83 EPÜ entspreche.

Weiterhin enthalte das Streitpatent nur unzureichende Informationen für die Durchführung der GPC-Messung zur Bestimmung der Molekulargewichtsverteilung. Der Fachmann sei daher gezwungen, mehrere Parameter zu bestimmen, was einen unzumutbaren Aufwand darstelle und den Anforderungen des Artikels 83 EPÜ nicht genüge.

Die Beschwerdeführerin argumentierte zuletzt, dass das Streitpatent das Herstellungsverfahren der Stärke nicht offenbare. Stattdessen offenbare es lediglich (Absatz [0025]), dass die erfindungsgemäßen Stärken "im Handel erhältlich" seien. Es gebe jedoch nur wenige Informationen vom Hersteller (siehe z.B. D15) darüber, wie diese Stärken hergestellt werden können. Gemäß

G 1/92 gelte ein Produkt nur dann als bekannt, wenn seine Zusammensetzung analysiert und reproduziert werden könne. Im vorliegenden Fall könne das Produkt der Erfindung nur unter Verwendung einer im Handel erhältlichen Stärke hergestellt werden. Allerdings würde die Erfindung nicht mehr reproduzierbar sein, wenn das kommerzielle Produkt nicht mehr auf dem Markt wäre. Die Erfindung könne auch nicht unter Berufung auf die parametrische Definition in Anspruch 1 (d.h. die Molekulargewichtsverteilung) ausgeführt werden, weil die Methode zur Messung dieses Parameters nicht ausreichend offenbart sei.

1.3 Die Kammer folgt dieser Argumentation aus folgenden Gründen nicht:

- Die Frage, ob der Polydispersitätsindex ein wesentliches Merkmal zur Erzielung der angeblichen technischen Wirkung der Erfindung ist, kann in bestimmten Konstellationen die erfinderische Tätigkeit betreffen, wenn der beanspruchte Gegenstand ohne dieses Merkmal nicht die für den erfinderischen Schritt notwendige technische Wirkung erzielt. Sie betrifft jedoch nicht die ausreichende Offenbarung der Erfindung, wenn der beanspruchte Gegenstand - wie im vorliegenden Fall - auch ohne dieses Merkmal hergestellt werden kann.

- Außerdem hat die Beschwerdegegnerin geltend gemacht, dass die Stärken mit der beanspruchten Molekulargewichtsverteilung automatisch einen Polydispersitätsindex zwischen 6 und 23 besitzen, was in der ursprünglich eingereichten Erfindung durch die Verwendung von zwei unabhängigen Ansprüche verdeutlicht worden sei.

Die Kammer stellt hierzu fest, dass es keinen gegnerischen experimentellen Beweis gegeben hat, um dies zu widerlegen.

- Die Kammer ist auch nicht von dem Argument überzeugt, dass die Erfindung so breit definiert ist, dass sie nichtfunktionierende Ausführungsformen umfasst, wie z.B. Kombinationen von Latex und kationischen Stärken. Die Beschwerdeführerin scheint davon auszugehen, dass der Fachmann solche inkompatiblen Ausführungsformen in Erwägung ziehen würde. Das Patent enthält jedoch keinen entsprechenden expliziten oder impliziten Hinweis. Vielmehr ist sich der Fachmann solcher Unvereinbarkeiten bewusst.

Richtigerweise ist die Ausführbarkeit nach Artikel 83 und 100(b) EPÜ im Lichte der fachmännischen Kenntnisse auszulegen. Aus diesem Grund sind solche für den Fachmann trivial inkompatiblen Ausführungsformen vom beanspruchten Wortlaut ausgeschlossen (vgl. Punkt 9,

T 521/12).

- Die angeblich unzureichend offengelegte Messmethode für die Molekulargewichtsverteilung führt auch nicht zu einer unzureichenden Offenbarung. Vielmehr stellen die Unterschiede in den Ergebnissen, die bei verschiedenen Messbedingungen beobachtet wurden nach der überwiegenden Rechtsprechung der Beschwerdekammern (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 9. Auflage 2019, II.C.5.5) in der Regel ein Problem des unklaren Schutzumfangs nach Artikel 84 EPÜ dar, nicht aber ein Problem der unzureichenden Offenbarung.

- Die Kammer stimmt zwar mit der Beschwerdeführerin darin überein, dass der Verweis auf kommerziell erhältliche Stärken an sich nicht impliziert, dass die Erfindung ausgeführt werden kann, da eine Erfindung, die solche Stärken enthält, nur ausgeführt werden kann, solange diese Produkte kommerziell erhältlich sind. Die Erfindung wird jedoch nicht in Bezug auf kommerziell erhältliche Stärken definiert, sondern in Bezug auf Stärken mit einer spezifischen Molekulargewichts-verteilung. Die Beschwerdeführerin hat diesbezüglich keine Beweise zur Stützung ihres Arguments vorgelegt, dass ein Fachmann nicht in der Lage sei, Stärken mit der gewünschten Molekulargewichtsverteilung zu erhalten. Es ist auch nicht plausibel, dass dies eine unzumutbare Belastung darstellen würde, da für den Fachmann bekannt ist, wie die Molekulargewichts-verteilung von bekannten Stärken eingestellt (z.B. durch Vermischen von verschiedenen Stärken) und gemessen werden kann. Auch die angeblich unzureichende Offenbarung der Methode zur Messung der Molekulargewichtsverteilung führt nicht zu einer unzureichenden Offenbarung, da diese den Fachmann nicht daran hindern würde, die Stärken der Erfindung zu reproduzieren (wie oben erläutert, würde dies lediglich zu einem unklaren Schutzumfang und damit zu Problemen nach Artikel 84 EPÜ führen). Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass das angefochtene Patent ausreichende Informationen zur Herstellung der Stärken der Erfindung enthält.

1.4 Da keiner der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwände der Ausführbarkeit der Erfindung entgegensteht, ist die Erfindung im Streitpatent ausreichend offenbart.

2. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

2.1 Der Einspruchsgrund unter Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents nicht entgegen.

2.2 Nächstliegender Stand der Technik

2.2.1 Dokument D3 offenbart (Absätze [0014]-[0015]) eine formaldehydfreie Tränkharzlösung für Dekorpapier enthaltend eine Polymerdispersion (d.h. ein Polymerlatex) sowie vorzugsweise eine modifizierte Stärke wie "Dextrin".

Dokument D7 offenbart eine Tränkharzlösung für Dekorpapier enthaltend ein Polymerlatex und ein Bindemittel, z.B. Stärke oder bevorzugt Polyvinylalkohol (Seite 2, Zeile 37-Seite 3, Zeile 4).

2.2.2 Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass sowohl D3 als auch D7 als nächstliegender Stand der Technik betrachtet werden können.

2.2.3 Die Kammer ist jedoch zu dem Schluss gekommen, dass die Offenbarung der D3 näher am Gegenstand des Streitpatents liegt, weil darin die Stärke als bevorzugte Komponente der Tränkharzlösung dargestellt ist, wohingegen in D7 Polyvinylalkohol bevorzugt als Bindemittel, insbesondere in allen Beispielen, eingesetzt wird. Dokument D3 ist daher als nächstliegender Stand der Technik anzusehen.

Die Erfindung unterscheidet sich von D3 dadurch, dass die Stärke die Molekulargewichtsverteilung gemäß Anspruch 1 aufweist.

2.3 Aufgabe

Gemäß dem Streitpatent (Absatz [0020]) besteht die Aufgabe darin, ein durch Imprägnieren mit einer Tränkharzlösung eines Dekorrohpapiers erhältliches formaldehydfreies Vorimprägnat bereitzustellen, das sich insbesondere durch gute Bedruckbarkeit und hohe Spaltfestigkeit auszeichnet.

2.4 Lösung

Zur Lösung der obengenannten Aufgabe schlägt das Streitpatent vor, dass die Tränkharzlösung eine Stärke mit einer Molekulargewichtsverteilung gemäß Anspruch 1 enthält.

2.5 Erfolg der Lösung

2.5.1 Nach dem Streitpatent (Tabelle 2) führt die Anwendung der in Anspruch 1 definierten Stärken (siehe Beispiele 1-8 bzw. Stärken I-III in Tabelle 1) zu Dekorpapieren mit verbesserter z-Festigkeit, Bedruckbarkeit und/oder Vergilbung und verbessertem Lackstand, im Vergleich zu anderen formaldehydfreien alternativen Tränkharzlösungen (Vergleichsbeispiele 1-3 umfassend "Dextrin", Stärke IV und Polyvinylalkohol).

2.5.2 Demgegenüber machte die Beschwerdeführerin geltend, dass die mit ihrer Einspruchsschrift eingereichten Vergleichstests darauf hindeuten, dass Tränkharzlösungen mit Stärke II gemäß dem Streitpatent ("C-Film 07311") ähnliche oder etwas schlechtere Ergebnisse aufweisen als die mit Polyvinylalkohol oder "Solcoat P30" (eine Stärke, die nicht unter den Schutzumfang von Anspruch 1 fällt).

Darüber hinaus sei es wesentlich für die Erfindung, dass die Stärke (vgl. Tabelle 1) einen Polydispersitätsindex zwischen 6 und 23 aufweist (siehe Absatz [0021]). Ohne diesen Index, könne die Erfindung gemäß Anspruch 1 die gestellte Aufgabe in seinem gesamten Umfang nicht lösen. Die im Anspruch 1 definierte Molekulargewichtsverteilung impliziere nicht, dass die Stärke einen solchen Polydispersitätsindexbereich besitzt.

Weiterhin sei die Methode zur Messung der Molekulargewichtsverteilung im Patent nicht ausreichend offenbart. Da die Verwendung unterschiedlicher Methoden zu unterschiedlichen Ergebnissen führe, könne dieser Parameter nicht zuverlässig mit den in Tabelle 2 des Patents dargestellten Effekten in Verbindung gebracht werden.

Folglich, müsse die mit der Erfindung gelöste Aufgabe dahingehend unformuliert werden, dass sie auf die Bereitstellung eines alternativen Vorimprägnats gerichtet sei.

2.5.3 Die Kammer schließt sich dieser Argumentation aus folgenden Gründen nicht an:

- Aus den im Streitpatent dargestellten Vergleichstests geht hervor, dass die in Anspruch 1 definierten Stärken zu Dekorpapieren mit vergleichsweise guten bzw. verbesserten Eigenschaften in Bezug auf Beständigkeit, Bedruckbarkeit, Lackstand und Vergilbung führen, insbesondere im Vergleich zu "Dextrin" (die in D3 verwendete Stärke).

- Der Testbericht der Beschwerdeführerin 1 lässt zwar die Frage aufkommen, ob die beobachteten Verbesserungen für jede erfindungsgemäße Stärke gelten würden. Die Kammer stellt diesbezüglich fest, dass keines der im Test verwendeten Bindemittel ("Solcoat P30" und Polyvinylalkohol) demjenigen, das im nächstliegenden Stand der Technik D3 offenbart wird, nämlich "Dextrin", entspricht. Dieser Testbericht ist daher nicht relevant für die Beurteilung der Effekte der Erfindung gegenüber dem Dokument D3.

- Alle beispielhaften Stärken in Tabelle 1 des Patents (Stärken I-III) liegen sowohl innerhalb des Polydispersitätsindexes von 9-23 als auch innerhalb der in Anspruch 1 definierten Molargewichtverteilungskurve. Wie in Absatz [0023] des Patents angegeben, liefert der Polydispersitätsindex ein Maß für die Breite der Molekulargewichtsverteilungskurve. Es ist daher klar, dass die in Anspruch 1 definierte Molekulargewichtsverteilung eine Alternative zum Polydispersitätsindex darstellt, was mit der Tatsache übereinstimmt, dass jede dieser Alternativen unabhängig voneinander für die Definition der Erfindung in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 2 verwendet wurde.

- Unabhängig davon, ob die Molekulargewichtsverteilung von Anspruch 1 bzw. der Polydispersitätsindex von 6-23 im Wesentlichen den gleichen Schutzumfang bieten oder nicht, hat die Beschwerdeführerin keine Beweise dafür vorgelegt, dass Stärken, die unter Anspruch 1 fallen, aber außerhalb des bevorzugten Polydispersitätsindexbereichs liegen, nicht die technischen Effekte in Tabelle 2 des Patents erzeugen würden. Folglich hat die Kammer keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Verwendung von Stärken mit der Molekulargewichtsverteilung nach Anspruch 1 zu den in Tabelle 2 gezeigten Ergebnissen führen würde.

Die Kammer ist somit zu dem Schluss gekommen, dass die zu lösende Aufgabe, nämlich ein Vorimprägnat bereitzustellen, das vergleichsweise gute bzw. verbesserte Eigenschaften in Bezug auf Beständigkeit, Bedruckbarkeit, Lackstand und Vergilbung aufweist, mit dem beanspruchten Gegenstand gelöst wird.

2.6 Naheliegen der Lösung

2.6.1 Das Dokument D15 offenbart (Seite 3) modifizierte Stärken, die aufgrund ihrer vorteilhaften rheologischen Eigenschaften besonders für die Papierindustrie geeignet sind. Auf Seite 10 der D15 wird darauf hingewiesen, dass die Stärke "C-Film 07311", die unter den Schutzumfang des Anspruchs 1 fällt, ein kostengünstiger und vorteilhafter Ersatz für Latex sein kann.

2.6.2 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass diese Offenbarung den Fachmann veranlassen würde, die Stärke "C-Film 07311" als vorteilhafte Alternative zu der in D3 offenbarten Stärke "Dextrin" zu verwenden. Wenngleich sich die Beispiele in Dokument D15 auf Leimungszusammensetzungen beziehen, gebe es keine signifikanten Unterschiede zwischen diesen Produkten und den Imprägnierharzen der Erfindung. Insbesondere seien, wie in Dokument D51 (Seite 72, 1. Absatz) angegeben, die Leimungsformulierungen nicht nur dazu bestimmt, auf die Oberfläche von Papier aufgetragen zu werden, sondern auch in dessen innere Struktur einzudringen. Da das Patent selbst in Bezug auf den Feststoffgehalt der Formulierung recht weit gefasst sei (der Feststoffgehalt sei in Anspruch 1 nicht einmal definiert) und ausdrücklich darauf hinweise, dass sowohl partielle Imprägnierungen des Papiers (Absatz [0026]) als auch Pigmente/Füllstoffe (Absatz [0031]) von der Erfindung erfasst werden, seien die Unterschiede zwischen der Leimungsformulierung von D15 und dem Imprägnierharz der Erfindung unbedeutend. Jedenfalls sei der Fachperson bekannt, dass die in der Papierindustrie verwendeten Bindemittel für verschiedene Arten von Formulierungen und Papier verwendet werden können, so dass es keinen Grund zu der Annahme gebe, dass sie den Inhalt von D15 nicht berücksichtigen würde, wenn sie nach alternativen Stärken für die Harztränklösung von D3 sucht.

Dokument D15 lege nicht nur alle bevorzugten Stärken der Erfindung offen (Films 7324, 7311 und 7302 jeweils auf Seiten 11, 10 und 8), sondern nenne auch mehrere Gründe für deren Auswahl, wie z.B. das verbesserte Umweltprofil der Produkte (Seite 3) oder sogar die verbesserte Bedruckbarkeit und Beständigkeit (Seiten 8, 10 und 11), die genau zu den von der Erfindung beanspruchten Vorteilen gehören. Darüber hinaus habe der Fachmann immer einen Anreiz, neue Produkte auf dem Markt auszuprobieren.

Folglich würde der Fachmann, wenn er von Dokument D3 ausgehe und nach Alternativen oder sogar nach Alternativen mit einigen Vorteilen suche, erwägen, die in D15 offenbarten Stärken zu verwenden. Der Gegenstand von Anspruch 1 sei somit angesichts von D3 in Kombination mit D15 nicht erfinderisch.

2.6.3 Die Kammer stimmt dieser Argumentation aus den folgenden Gründen nicht zu:

Einerseits enthält die Broschüre D15 keinen einzigen Hinweis, dass die darin definierten Stärken für Tränkharzlösungen und/oder für Dekorpapier verwendet werden können. D15 bezieht sich vielmehr auf Oberflächenleimungszusammensetzungen für konventionelles Papier.

Zwar stimmt die Kammer der Beschwerdeführerin insoweit zu als es gewisse Ähnlichkeiten in den Funktionen und Bestandteilen von Zusammensetzungen für Oberflächenleimung und Tränkharzlösungen gibt. Indes bestehen doch auch gewichtige Unterschiede, insbesondere weil die Erfindung ein Papier mit ganz besonderen Merkmalen betrifft, nämlich ein Dekorpapier. Ausweislich des Streitpatents (Absatz [0034]) zeichnen sich Dekorpapiere insbesondere durch das Fehlen von Massenleimung oder Oberflächenleimung aus, was diese Art von Papier besonders porös und saugfähig macht. Dadurch können Tränkharzlösungen in die Struktur des Papiers eindringen und die Poren teilweise (Teilimprägnierung) oder vollständig (Durchimprägnierung) ausfüllen, um dem Papier bestimmte Eigenschaften wie Beständigkeit oder Bedruckbarkeit zu verleihen. Im Gegensatz dazu sollen Oberflächenleimungen eine Schicht auf der Papieroberfläche bilden, um das Papier zu schützen. Während Oberflächenleimungen, wie Imprägnierharze, dem Papier bestimmte Eigenschaften wie Beständigkeit oder Bedruckbarkeit verleihen sollen, sind diese Eigenschaften eher auf die auf dem Papier gebildete Schicht als auf das Durchdringen und Füllen der Poren des Papiers durch die Leimungsformulierung zurückzuführen (Leimungen, die die Eigenschaften des Papiers innerhalb der Papierstruktur verbessern, werden als Massenleimungen bezeichnet). Es stimmt zwar, dass die Oberflächenleimung auch in die Papierstruktur eindringt, aber dies dient hauptsächlich dazu, diese Beschichtung auf dem Papier zu fixieren.

Die Argumente der Beschwerdeführerin können daher nur den Nachweis erbringen, dass es keinen besonderen Grund gibt, die Stärken in der Broschüre D15 zu verwerfen, wenn man von Dokument D3 ausgeht. Um den Gegenstand des Anspruchs 1 offensichtlich zu machen, reicht es jedoch nicht aus, den Schluss zu ziehen, dass die Stärken von D15 für die Lösung des zugrundeliegenden technischen Problems in Betracht gezogen werden könnten, erforderlich wäre vielmehr, dass sie vom Fachmann in Betracht gezogen werden würden, weil er hierzu veranlasst wird.

Die Tatsache, dass in D15 nicht einmal Dekorpapier erwähnt wird und sich ausschließlich um Zusammensetzungen zur Oberflächenleimung und nicht um Tränkharzlösungen handelt, genügt für die Schlussfolgerung, dass ein Fachmann, der von Dokument D3 ausgeht, dieses Dokument nicht konsultieren würde, selbst wenn die zu lösende Aufgabe nur darin bestünde, eine Alternative zu finden, wie die Beschwerdeführerin argumentiert.

Außerdem besteht die Aufgabe der Erfindung nicht einfach darin, eine Alternative zu finden, sondern bestimmte vorteilhafte Eigenschaften zu erreichen. Auch wenn einige dieser Eigenschaften in D15 erwähnt werden, gibt es keinen Grund zur Schlussfolgerung zu kommen, dass solche Verbesserungen, die bei der Oberflächenleimung von konventionellem Papier beobachtet wurden, auch für Imprägnierharze in Kombination mit Dekorpapieren erzielt werden würden. Folglich kann nur im Nachhinein (d.h. mit Kenntnis der Erfindung und direktem Zugang zu Dokument D15) der Schluss gezogen werden, dass dieses Dokument tatsächlich für die Lösung des zugrundeliegenden technischen Problems in Betracht gezogen werden würde.

Die Kammer ist daher zu dem Schluss gekommen, dass es für den Fachmann ausgehend von D3 nicht offensichtlich war, den Inhalt von Dokument D15 zur Lösung der zugrundeliegenden technischen Aufgabe zu konsultieren.

2.7 Der Gegenstand von Anspruch 1 ist somit ausgehend von D3 erfinderisch.

2.8 Die gleichen Schlussfolgerungen gelten, wenn das Dokument D7 als der nächstliegender Stand der Technik betrachtet würde.

3. Die Kammer ist daher zu dem Schluss gekommen, dass keiner der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegensteht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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