T 2034/14 (Projektierungstool/SIEMENS) of 17.4.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T203414.20180417
Datum der Entscheidung: 17 April 2018
Aktenzeichen: T 2034/14
Anmeldenummer: 10192254.0
IPC-Klasse: H04L 12/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Geberschnittstellenengineering
Name des Anmelders: Siemens Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (nein): Implementierung der beanspruchten Automatisierung nicht ausreichend beschrieben
Klarheit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung auf Zurückweisung der vorliegenden europäischen Patentanmeldung aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) bezüglich der Ansprüche eines Hauptantrags gegenüber dem folgenden Stand der Technik:

D1: DE-A-101 25 608.

Darüber hinaus ließ die Prüfungsabteilung den verspätet eingereichten Anspruchssatz eines Hilfsantrags nach Regel 116(2) und 137(3) EPÜ nicht ins Verfahren zu, da dessen Anspruch 1 nach Artikel 123(2) EPÜ nicht eindeutig gewährbar sei.

II. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin die Ansprüche des zurückgewiesenen Hauptantrags und geänderte Ansprüche gemäß einem neuen Hilfsantrag ein. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des Hauptantrags oder hilfsweise auf der Basis des Hilfsantrags zu erteilen.

III. Mit einer Mitteilung gemäß Regel 100(2) EPÜ teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung zur Beschwerde mit. Hierbei erhob sie insbesondere Einwände nach Artikel 83, 84 und 123(2) EPÜ. Zudem gab sie auch an, dass der beanspruchte Gegenstand zwar neu sei, aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D1 und der im europäischen Recherchenbericht zitierten und durch die Kammer gemäß Artikel 114(1) EPÜ in das Beschwerdeverfahren eingeführten Druckschrift

D2: EP-A-2 249 217

zu beruhen scheine (Artikel 56 EPÜ).

IV. Mit einem Antwortschreiben reichte die Beschwerdeführerin geänderte Ansprüche gemäß einem neuen Hauptantrag ein und beantragte nunmehr, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage dieses neuen Hauptantrags zu erteilen.

V. In der Anlage zur Ladung für eine mündliche Verhandlung gemäß Artikel 15(1) VOBK ging die Kammer auf den neuen Hauptantrag und die Argumente der Beschwerdeführerin ein und teilte mit, dass der Hauptantrag weiterhin nach Artikel 83, 84, 123(2) und 56 EPÜ nicht gewährbar sei.

VI. Mit Schreiben vom 2. März 2018 reichte die Beschwerdeführerin erneut geänderte Ansprüche gemäß einem Hauptantrag und dreier Hilfsanträge ein.

VII. Am 17. April 2018 fand die anberaumte mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf alle geltenden Anträge zugelassen und erörtert wurden.

Die Beschwerdeführerin beantragte abschließend, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der Ansprüche des Hauptantrags oder der Ansprüche eines der Hilfsanträge I bis III, eingereicht mit dem Schreiben vom 2. März 2018, zu erteilen.

Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung.

VIII. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Engineering-Verfahren mit einem Engineeringsystem zur Daten-Kommunikation zwischen Funktionsmodulen in der Antriebstechnik, wobei ein erstes Funktionsmodul (1) eine erste Geberschnittstelle (2) aufweist, wobei ein zweites Funktionsmodul (11) eine zweite Geberschnittstelle (12) aufweist, wobei die erste Geberschnittstelle (2) der zweiten Geberschnittstelle (12) funktionell zugeordnet wird, wobei das erste Funktionsmodul (1) einer ersten Automatisierungskomponente (3) zugeordnet ist, wobei das zweite Funktionsmodul (11) einer zweiten Automatisierungskomponente (13) zugeordnet ist, wobei eine logische Adresse zur Übermittlung von Geberdaten automatisch festgelegt wird,

wobei Geberschnittstellen (2,12) graphisch durch einen Anwender verknüpft werden, wobei bei einer Verknüpfung von Geberschnittstellen (2,12) unterschiedlichen Typs eine Verknüpfung automatisch verweigert wird und/oder eine Fehlverknüpfung angezeigt wird."

Anspruch 1 des Hilfsantrags I hat folgenden Wortlaut (mit von der Kammer hervorgehobenen Änderungen in Bezug auf Anspruch 1 des Hauptantrags):

"Engineering-Verfahren mit einem Engineeringsystem zur Daten-Kommunikation zwischen Funktionsmodulen in der Antriebstechnik, wobei ein erstes Funktionsmodul (1) eine erste Geberschnittstelle (2) aufweist, wobei ein zweites Funktionsmodul (11) eine zweite Geberschnittstelle (12) aufweist, wobei die erste Geberschnittstelle (2) der zweiten Geberschnittstelle (12) funktionell zugeordnet wird, wobei das erste Funktionsmodul (1) einer ersten Automatisierungskomponente (3) zugeordnet ist, wobei das zweite Funktionsmodul (11) einer zweiten Automatisierungskomponente (13) zugeordnet ist, wobei eine logische Adresse der Geberschnittstellen zur Übermittlung von Geberdaten automatisch festgelegt wird,

wobei Geberschnittstellen (2,12) graphisch durch einen Anwender verknüpft werden, wobei bei einer Verknüpfung von Geberschnittstellen (2,12) unterschiedlichen Typs eine Verknüpfung automatisch verweigert wird und/oder eine Fehlverknüpfung angezeigt wird."

Anspruch 1 von Hilfsantrag II enthält alle Merkmale von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und umfasst zusätzlich den folgenden Absatz:

"wobei die Geberschnittstellen Beschreibungsdaten mit einer Typbeschreibung aufweisen, wobei die Zuordnung mittels einer Modellierung der Geberschnittstellen, einer typsicheren Verschaltung der Geberschnittstellen und einem Aufbau einer internen Kommunikation aus den Modellierungsdaten und der Verschaltungsinformation über das Engineeringsystem erfolgt."

Anspruch 1 von Hilfsantrag III enthält alle Merkmale von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, mit dem Unterschied, dass nunmehr die erste und die zweite Geberschnittstelle graphisch durch einen Anwender verknüpft werden, und umfasst zusätzlich den folgenden Absatz:

"wobei die erste und die zweite Geberschnittstelle modelliert werden bezüglich einer Bezeichnung, Typisierung, Eigenschaft, einem Attribut oder Aktualinformationen,

wobei über die Modellierungsdaten eine zu einer ersten Geberschnittstelle passende zweite Geberschnittstelle ausgewählt und typsicher zugeordnet wird, wobei insbesondere nur typpassende Geberschnittstellen miteinander verschaltbar sind,

wobei die Datenkommunikation abhängig von den Zuordnungen und eingestellten Funktionen vom Engineering-System ermittelt wird, wobei eine automatische Telegrammeinstellung oder eine automatische Kommunikationskonfiguration erfolgt."

Entscheidungsgründe

1. HAUPTANTRAG

Das Engineering-Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags umfasst insbesondere die Verfahrensschritte, dass (mit der Merkmalsgliederung der Kammer)

a) eine logische Adresse zur Übermittlung von Geberdaten automatisch festgelegt wird;

b) Geberschnittstellen graphisch durch einen Anwender verknüpft werden;

c) bei einer Verknüpfung von Geberschnittstellen unterschiedlichen Typs eine Verknüpfung automatisch verweigert wird und/oder eine Fehlverknüpfung angezeigt wird.

1.1 Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

1.1.1 Um die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ zu erfüllen, muss eine europäische Patentanmeldung genügend Informationen enthalten, damit ein Fachmann anhand seines allgemeinen Fachwissens die der beanspruchten Erfindung innewohnende technische Lehre erkennen und entsprechend ausführen kann (vgl. G 2/93, ABl. 1995, 275, Gründe 4). Es muss deshalb untersucht werden, ob die Anmeldung genügend Anleitungen und Informationen enthält, die es dem Fachmann ermöglichen, den Gegenstand von Anspruch 1 in seiner gesamten Breite ohne unzumutbaren Aufwand auszuführen.

1.1.2 Im vorliegenden Fall betreffen Merkmale a) bis c) von Anspruch 1 offensichtlich die Automatisierung von vormals durch einen Nutzer manuell durchgeführter Aktivitäten, wie z.B. konkrete Adresszuweisungen oder Komponenten-Kompatibilitätstest in graphischen Projektierungstools ("Engineering-Systeme" im Jargon der vorliegenden Anmeldung) für industrielle Automatisierungssysteme. Insbesondere soll hierbei gemäß Merkmal a) eine logische Adresse zur Übermittlung von Geberdaten (d.h. Daten von speziellen Automatisierungskomponenten) "automatisch" festgelegt werden, um "eine direkte und manuelle Angabe einer Adresse für eine Schnittstelle" durch den Anwender überflüssig zu machen (vgl. Antwortschreiben der Beschwerdeführerin vom 9. November 2017, Seite 5, vierter Absatz) und somit "eine Vereinfachung des Geberdatenaustauschs" sicherzustellen (vgl. Antwortschreiben der Beschwerdeführerin vom 2. März 2018, Seite 2, erster Absatz).

1.1.3 Die Kammer bemerkt hierzu, dass eine Automatisierung von gängigen manuellen Verfahren in praktisch allen technischen Gebieten eine der vordringlichsten und weitverbreitetsten Zielsetzungen darstellt. Umso wichtiger ist es daher, in einer Patentanmeldung dem Fachmann die relevanten technischen Informationen zur konkreten Implementierung einer solchen Automatisierung zur Verfügung zu stellen. Im vorliegenden Fall sollte daher der Fachmann unter anderem nachvollziehen können, wie die jeweilige logische Adresse im Sinne von Merkmal a) tatsächlich automatisch festgelegt wird.

1.1.4 Die vorliegende Anmeldung enthält jedoch hinsichtlich der Implementierung von Merkmal a), d.h. der automatischen Bestimmung der logischen Adresse einer nicht näher definierten Systemkomponente, nur allgemeine, kursorische Bemerkungen, die mehr mit dem Umstand, dass überhaupt eine automatische Festlegung durchgeführt wird als mit der Frage, wie diese praktisch erfolgt, zu tun haben (mit Hervorhebungen durch die Kammer):

- Seite 4, Zeilen 13-15: "... Dieses Vorsehen von Kommunikationsverbindungen (Adressen, bzw. Bandbreite) erfolgt automatisch. Hierdurch wird ein Anwender entlastet."

- Seite 6, Zeilen 13-20: "die interne Kommunikation wird abhängig von den Zuordnungen und den eingestellten Funktionen vom System ermittelt, wobei hierbei insbesondere einer der folgenden Schritte erfolgt: ... eine automatische Kommunikationskonfiguration (z.B. eine ... logische Adressierung)."

- Seite 10, Zeilen 15-18: "... Dabei wird insbesondere eine ... logische Adresse, zur Übermittlung von Geberdaten zwischen den beiden verschiedenen Automatisierungskomponenten automatisch festgelegt ...".

- Seite 11, Zeilen 16-19: "... Dabei kann sich die logische Adressen [sic] für die Buskommunikation automatisch ändern, wenn ... Geberschnittstellen verändert werden ...".

- Seite 19, Zeilen 16-21: "... wobei die Schnittstellen graphisch ohne Adressangabe verknüpfbar sind und sich die Adressen ... automatisch aus den Schnittstelleninformationen ermitteln lässt ..."

1.1.5 Indes werden in der Anmeldung keine über das Obige hinausgehenden technischen Informationen dem Fachmann bereitgestellt, um den Geberdatenaustausch tatsächlich zu vereinfachen bzw. den Anwender tatsächlich zu entlasten. Insbesondere ist nicht klar und vollständig angegeben,

- nach welchen Kriterien bzw. Schnittstellen-parametern,

- mit welchem Algorithmus und

- durch welche Systemkomponente

die logische Adresse einer nicht definierten Systemkomponente automatisch festgelegt werden soll.

1.1.6 Die Beschwerdeführerin argumentierte in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, dass durch die synergetische Verkopplung der Merkmale a) und b) unter Berücksichtigung der Modellierung der Schnittstellen gemäß Seite 10, Zeile 1 bis Seite 11, Zeile 12 bzw. Seite 14, Zeilen 13-23 der ursprünglichen Beschreibung sich dem Fachmann die Implementierung der automatischen Festlegung der logischen Adresse erschließen würde.

Die Kammer ist von diesem Argument nicht überzeugt. Dem Wortlaut von Anspruch 1 ist keine zeitliche bzw. kausale Abhängigkeit zwischen dem Verfahrensschritt der automatischen Festlegung der logischen Adresse gemäß Merkmal a) und dem Schritt der graphischen Verknüpfung von Geberschnittstellen gemäß Merkmal b) zu entnehmen. Zudem lehrt die ursprüngliche Beschreibung allenfalls, dass die entsprechenden Schnittstellen ohne Adressangabe graphisch verknüpfbar sind und sich die Adressen automatisch aus den Schnittstellen-informationen ermitteln lassen (vgl. Seite 19, Zeilen 16-21). Auch dieser Textstelle kann der Fachmann daher nach Ansicht der Kammer keine über die bloße Verwendung von generellen, nicht näher definierten "Schnittstelleninformationen" hinausgehende technische Information zur konkreten automatischen Festlegung der logischen Adressen entnehmen. Darüber hinaus ist auch bei der besagten Modellierung unklar, welche Modellierungsdaten hierbei als Eingangs- oder Ausgangsdaten konkret berücksichtigt werden sollen.

1.1.7 Somit gelangt die Kammer zu dem Schluss, dass die vorliegende Anmeldung nicht genügend Informationen enthält, um dem Fachmann zu ermöglichen, den Gegenstand von Anspruch 1 in seiner gesamten Breite ohne unzumutbaren Aufwand auszuführen.

1.2 Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

1.2.1 Die Kammer stellt fest, dass Anspruch 1 des Hauptantrags zudem auch nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt.

1.2.2 Merkmal a) von Anspruch 1 lässt nämlich den fachkundigen Leser im Unklaren darüber, welche logische Adresse automatisch festgelegt wird. Im Kontext der vorliegenden Anmeldung könnte nämlich generell

- die Adresse des ersten bzw. zweiten Funktionsmoduls oder

- die Adresse der ersten bzw. zweiten Geberschnittstelle oder

- die Adresse der ersten bzw. zweiten Automatisierungskomponente

gemeint sein. Hierüber sagt Anspruch 1 jedoch nichts aus.

1.3 Aus dem Obigen folgt, dass der Hauptantrag nach Artikel 83 und 84 EPÜ nicht gewährbar ist.

2. HILFSANTRAG I

Anspruch 1 dieses Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des geltenden Hauptantrags darin, dass nunmehr in Merkmal a) eine logische Adresse der Geberschnittstellen automatisch festgelegt wird.

2.1 Infolge dieser Änderung betrachtet die Kammer den Einwand nach Artikel 84 EPÜ nunmehr als ausgeräumt.

2.2 Die Feststellungen und Schlussfolgerungen im Zusammenhang mit der Ausführbarkeit des vorliegenden Gegenstands (Artikel 83 EPÜ) in Punkt 1.1 oben gelten jedoch gleichermaßen für Anspruch 1 dieses Hilfsantrags. Hierzu hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer keine weiteren Gegenargumente vorgebracht.

2.3 Somit ist Hilfsantrag 1 nach Artikel 83 EPÜ nicht gewährbar.

3. HILFSANTRÄGE II und III

Da Anspruch 1 der Hilfsanträge II und III auch das Merkmal a) enthält, sind diese Hilfsanträge aus denselben Gründen wie in Bezug auf Anspruch 1 des Hauptantrags (siehe Punkte 1.1 und 1.2 oben) nach Artikel 83 und 84 EPÜ nicht gewährbar.

Auch zur Gewährbarkeit dieser Hilfsanträge hatte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nichts hinzuzufügen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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