T 1968/14 () of 16.12.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T196814.20191216
Datum der Entscheidung: 16 Dezember 2019
Aktenzeichen: T 1968/14
Anmeldenummer: 07722204.0
IPC-Klasse: A61B 5/11
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: TRAGBARES DIAGNOSTISCHES SYSTEM FÜR GLEICHGEWICHTSFUNKTION
Name des Anmelders: Otocontrol S.A.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (nein)
Klarheit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 13. Mai 2014 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 07722204.0 wegen mangelnder Offenbarung der Erfindung im Sinne von Artikel 83 EPÜ zurückgewiesen wurde.

II. Die Anmelderin (Beschwerdeführerin) legte hiergegen am 9. Juli 2014 Beschwerde ein und entrichtete am selben Tag die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung wurde am 10. September 2014 eingereicht.

III. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Zurückweisung der Anmeldung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge, gekennzeichnet als Hauptantrag und Hilfsanträge I bis V, zu erteilen.

IV. Mit einem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid vom 10. Mai 2019 teilte die Kammer ihre vorläufige Auffassung mit, wonach die Anmeldung nicht den Erfordernissen von Artikel 83 und 84 EPÜ genügte.

V. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2019 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie an der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2019 nicht teilnehmen werde. Die mündliche Verhandlung wurde daraufhin mit Schreiben vom 4. November 2019 abgesagt.

VI. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"1. Mobiles Gleichgewichtsgerät, umfassend am Körper angebrachte Aktoren,

dadurch gekennzeichnet, dass das Gleichgewichtsgerät so ausgebildet ist, dass

a. es bevorzugt als Gürtel insbesondere im Hüftbereich direkt am Körper tragbar ist und

b. es zwei orthogonal zueinanderstehende Gyrometer aufweist, welche die Veränderung einer Körperposition dreidimensional im Raum als Veränderung der Winkelgeschwindigkeit von Vorwärts-, Rückwärts- und Seitwärtsbewegungen des Körpers bestimmen,

wobei

c. die Veränderung einer Körperposition von der Veränderung der Winkelgeschwindigkeit mittels einer Potenzfunktion bestimmt wird,

d. die Aktivität der Aktoren proportional zu der festgestellten Veränderung einer Körperposition ist und

e. innerhalb auf den Bewegungsablauf bezogener Grenzen der Werte der Veränderung einer Körperposition die Aktivierung der Aktoren unterbleibt."

Der abhängige Anspruch 5 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"5. Mobiles Gleichgewichtsgerät nach einem der vorhergehenden Ansprüche,

dadurch gekennzeichnet, dass

Bewegungen des Körpers mittels orthogonal zueinanderstehender Gyrometer als Verschiebungsvektoren a1-a4 in der Form a = (x, y, z) bestimmt werden."

Anspruch 1 des Hilfsantrags I lautet wie Anspruch 1 des Hauptantrags, wobei am Ende von Merkmal b folgende Definition zugefügt wird:

"wobei die Messdaten der Gyrometer zweidimensional erfasst und in eine dreidimensionale Raumpräsentation umgewandelt werden,"

Anspruch 1 des Hilfsantrags II lautet wie Anspruch 1 des Hilfsantrags I, wobei Merkmal c durch folgende Definition ersetzt wird:

"c. Bewegungen des Körpers mittels der Gyrometer als Verschiebungsvektoren a1-a4 in der Form

a = (x, y, z) bestimmt werden und die Veränderung einer Körperposition von der Größe der jeweiligen Verschiebungsvektoren mittels einer Potenzfunktion bestimmt wird"

Anspruch 1 des Hilfsantrags III lautet wie Anspruch 1 des Hilfsantrags I, wobei Merkmal c durch folgende Definition ersetzt wird:

"c. Bewegungen des Körpers mittels der Gyrometer als Verschiebungsvektoren a1-a4 in der Form

a = (x, y, z) bestimmt werden und die Veränderung einer Körperposition von der Größe der jeweiligen Verschiebungsvektoren mittels einer Potenzfunktion f(x)=ax**(2) bestimmt wird,

wobei x den Werten des jeweiligen räumlichen Verschiebungsvektors der Form a = (x, y, z) entspricht wenn x>y, wobei

wenn y>x ist, wird bei der Berechnung der Wert von y verwendet, und

das Ergebnis (f) wird dem Wert x (wenn x>y) bzw. y (wenn y>x) des entsprechenden Verschiebungsvektors eines Raumviertels zugeschlagen,"

Anspruch 1 des Hilfsantrags IV lautet wie Anspruch 1 des Hilfsantrags I, wobei Merkmal c durch folgende Definition ersetzt wird:

"c. Bewegungen des Körpers mittels der Gyrometer als Verschiebungsvektoren a1-a4 in der Form

a = (x, y, z) bestimmt werden und die Veränderung einer Körperposition von der Größe der jeweiligen Verschiebungsvektoren mittels einer Potenzfunktion

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

bestimmt wird,

wobei x den Werten des jeweiligen räumlichen Verschiebungsvektors der Form a = (x, y, z) entspricht wenn x>y, wobei

wenn y>x ist, wird bei der Berechnung der Wert von y verwendet, und

das Ergebnis (f) wird dem Wert x (wenn x>y) bzw. y (wenn y>x) des entsprechenden Verschiebungsvektors eines Raumviertels zugeschlagen,"

Anspruch 1 des Hilfsantrags V lautet wie Anspruch 1 des Hilfsantrags IV, wobei Merkmal e durch folgende Definition ersetzt wird:

"e. innerhalb auf den Bewegungsablauf bezogener Grenzen der Werte der Winkelgeschwindigkeit die Aktivierung der Aktoren unterbleibt."

VII. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die Berechnung der Veränderung der Winkelgeschwindigkeit entlang der z-Achse aus der Veränderung der Winkelgeschwindigkeit entlang der y- oder x-Achse gehörten zur Standardpraxis, bzw. zum allgemeinen Fachwissen auf dem Gebiet der Physik oder Medizintechnik. Diese Berechnung werde zudem in der Anmeldung durch die auf Seite 14, Zeilen 1 bis 9 aufgeführte Formel mit Bezug auf Abbildung 4 erklärt. Ferner offenbare ein Lehrbuch aus dem Jahr 1827 von Joseph von Radowitz entsprechende mathematische Methoden. Passende Literaturstellen seien ebenfalls in Max Koecher, Aloys Krieg: Ebene Geometrie, 3. Auflage, Springer, Berlin 2007, Seiten 97-100, 104-106, 123-127 zu entnehmen. Der Anmelder sei der Meinung, dass 1) die Berechnung der Veränderung der Winkelgeschwindigkeit entlang der z-Achse aus der Veränderung der Winkelgeschwindigkeit entlang der y- oder x-Achse, und 2) die Darstellung von durch zwei orthogonal zueinander stehenden Gyrometern gemessenen Daten als Verschiebungsvektoren zur Standardpraxis gehörten und nicht explizit im Anmeldetext ausführlich erklärt werden müssten. Um die Position des Anmelders zu untermauern, hätten Herr Prof. Dr. Rolf-Dieter Battmer sowie Herr Prof. Dr. Marc Kraft diese Aussagen durch beigefügte Erklärungen bestätigt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag

2.1 Anspruch 1 definiert ein Gerät, bei dem (gemäß Merkmal b) "zwei orthogonal zueinanderstehende Gyrometer die Veränderung einer Körperposition dreidimensional im Raum als Veränderung der Winkelgeschwindigkeit von Vorwärts-, Rückwärts- und Seitwärtsbewegungen des Körpers bestimmen" (Hervorhebungen durch die Kammer).

2.2 Es ist weder aus der Anmeldung ersichtlich, noch hat die Beschwerdeführerin genau erläutert, wie die Position eines Körpers dreidimensional mittels Messungen in lediglich zwei orthogonalen Richtungen (x, y) bestimmt werden kann. Ein dreidimensionaler Körper hat bekannter Weise drei unabhängige Rotationsfreiheitsgrade.

2.3 Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdebegründung lediglich behauptet, dass die Berechnung der Veränderung der Winkelgeschwindigkeit entlang der z-Achse aus der Veränderung der Winkelgeschwindigkeit entlang der y- oder x-Achse zur Standardpraxis, bzw. zum allgemeinen Fachwissen auf dem Gebiet der Physik oder Medizintechnik gehörten. Einen Beleg für eine derartige "Standardpraxis" oder ein solches Fachwissen zum Prioritätsdatum der Anmeldung wurde nicht erbracht. Auf der anderen Seite wird in der Anmeldung die Möglichkeit einer derartigen vermeintlich allgemein bekannten Berechnungsmöglichkeit als "überraschend" dargestellt (siehe Seite 14, Zeilen 11 bis 24). Ein genauer Weg zu ihrer Realisierung wurde jedoch nicht beschrieben.

2.4 Die beiden mit der Beschwerdebegründung eingereichten Erklärungen von Prof. Dr. Rolf-Dieter Battmer und Prof. Dr. Marc Kraft wiederholen nur die oben erwähnten, von der Kammer als unzureichend angesehenen Behauptungen über das, was zur Standardpraxis und zum allgemeinen Fachwissen eines Fachmanns auf dem Gebiet der Physik, Ingenieurwissenschaften und auch in der Medizintechnik gehören soll.

Der Verweis auf die Geometrieformeln auf Seite 14, Zeilen 1 bis 9, die sich auf eine geometrische Darstellung in einer Ebene beziehen, erscheint diesbezüglich nicht aufschlussreich. Daraus ist nämlich nicht ersichtlich, welche Variable "die Veränderung der Körperposition für eine dritte Bezugsachse" (z-Achse) darstellen soll, und in wie fern sich diese aus einer anderen gemessenen Körperposition für eine andere Bezugsachse (x- oder y-Achse) ergibt.

Es ist auch nicht erkennbar, welche "passende Literaturstellen" in den eingereichten Auszügen aus dem Buch "Ebene Geometrie" von Koecher und Krieg oder gar die bloße Erwähnung eines bestimmten Lehrbuchs aus dem Jahre 1827 irgend etwas zur Klärung der vorliegenden Fragen beizutragen vermag.

2.5 Es erscheint ferner widersprüchlich, dass im Merkmal c des Anspruchs 1 die Bestimmung der erwähnten "Veränderung der Körperposition" anders als im oben erwähnten Merkmal b bestimmt wird, nämlich "mittels einer Potenzfunktion". Darüber hinaus scheint diese Bestimmung auch nicht im Einklang mit der Offenbarung auf Seite 25, Zeilen 1 bis 12 zu stehen, wo es anscheinend um die "Verlagerung des Körperschwerpunktes" geht, also nicht um dessen Rotationsfreiheitsgrade wie im Merkmal b.

Selbst wenn im Merkmal c die Bestimmung der Position des Körperschwerpunktes gemeint sein sollte (wozu es jedoch keine eindeutige Grundlage in der Anmeldung gibt), weist die Kammer darauf hin, dass die Position des Körperschwerpunktes von nicht nur einer Variablen (x), sondern von drei unabhängigen Variablen (x, y, z) abhängt. Wie die Position des Körperschwerpunktes in allen drei Achsen (x, y, z) mittels einer "Potenzfunktion" bestimmt werden sollte, wird allerdings auf Seite 25, Zeilen 1 bis 31 nicht ausreichend deutlich angegeben.

2.6 Demzufolge ist der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen kann. Damit sind die Anforderungen von Artikel 83 EPÜ nicht erfüllt.

2.7 Im abhängigen Anspruch 5 ist die Definition, wonach "die Bewegungen des Körpers ... als Verschiebungs-vektoren a1-a4 in der Form a = (x, y, z) bestimmt werden", nicht klar. Die Vektoren "a1" und "a4" sind nicht definiert - bis auf die Trivialität, dass sie drei als "x, y, z" bezeichnete kartesische Komponenten besitzen. Die Bedeutung des Ausdrucks "a1-a4" ist ebenfalls nicht klar. Falls der Ausdruck als a1 minus a4 verstanden werden sollte, bliebe weiterhin unklar, welche Größen a1 und a4 darstellen würden. Falls der Ausdruck als a1 bis a4 verstanden werden sollte, wäre unklar, welche Größen a1, a2, a3 und a4 darstellen würden. Diese Unklarheiten des Anspruchs stellen zunächst einen Klarheitsmangel unter Artikel 84 EPÜ dar.

Bezüglich der besagten Definitionen enthält die Anmeldung selbst in ihrer Gesamtheit keinerlei Erläuterung, so dass auch die diesbezügliche Offenbarung nicht so deutlich und vollständig ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann, entgegen der Anforderung von Artikel 83 EPÜ.

3. Die oben genannten Mängel treffen auf die Hilfsanträge I bis V mutatis mutandis ebenfalls zu.

4. Da die Kammer keinen der eingereichten Anträge als gewährbar erachtet, ist die Beschwerde gegen die Zurückweisung der Anmeldung zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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