T 1886/14 () of 30.4.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T188614.20190430
Datum der Entscheidung: 30 April 2019
Aktenzeichen: T 1886/14
Anmeldenummer: 06793087.5
IPC-Klasse: C07C 51/41
C07C 57/04
B01J 14/00
C08F 20/06
C08F 220/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: NEUTRALISATIONSVERFAHREN
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: Nippon Shokubai Co., Ltd.
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Patentansprüche - Klarheit im Einspruchsverfahren
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 17. Juli 2014, das europäische Patent EP 1 940 766 gemäß dem zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Hauptantrag der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) in geänderter Form aufrechtzuerhalten.

II. Im Einspruchsverfahren war das Patent unter Artikeln 100(a) und 100(b) wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und mangelnder Offenbarung angegriffen worden.

III. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 11, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht, lauten wie folgt:

1. Neutralisationsverfahren, wobei mindestens eine ethylenisch ungesättigte Carbonsäure zumindest teilweise mit einer Base, wahlweise unter Zusatz von Wasser, vorneutralisiert wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorneutralisation kontinuierlich durchgeführt wird, dass die vorneutralisierte Lösung teilweise in die Vorneutralisation rückgeführt wird und dass die vorneutralisierte Lösung in mindestens zwei Teillösungen aufgeteilt wird, wobei mindestens eine Teillösung nachbehandelt wird, so dass Teillösungen mit unterschiedlichem Neutralisationsgrad und/oder Feststoffgehalt entstehen, und wobei der Neutralisationsgrad der vorneutralisierten Lösung durch Zugabe von Base erhöht wird oder der Neutralisationsgrad der vorneutralisierten Lösung durch Zugabe von ethylenisch ungesättigter Carbonsäure gesenkt wird und/oder der Feststoffgehalt der vorneutralisierten Lösung durch Zugabe von Wasser gesenkt wird.

11. Vorrichtung zur kontinuierlichen Neutralisation, umfassend

i) eine Ringleitung R,

ii) mindestens eine erste Zuleitung Z1 in die Ringleitung R,

iii) mindestens eine zweite Zuleitung Z2 in die Ringleitung R,

iv) mindestens einen Wärmeaustauscher W in der Ringleitung R, wobei sich der Wärmeaustauscher W in Flussrichtung hinter den Zuleitungen Z1 und Z2 befindet,

v) mindestens zwei Ableitungen An aus der Ringleitung R, wobei sich die Ableitungen An in Flussrichtung hinter dem Wärmeaustauscher W befinden,

vi) mindestens eine Zuleitung ZXn1 und/oder ZXn3 in mindestens einer Ableitung An,

vii) eine Pumpe P und

viii) wahlweise einen Behälter B zwischen dem Wärmeaustauscher W und der Ableitungen An.

IV. In ihrer Entscheidung bezog sich die Einspruchsabteilung unter anderem auf folgende Dokumente:

D2b: WO 2004/094482 (englische Übersetzung)

D8: US 5397845

D15: WO 01/09273

D22: EP 0372706

D23: US 6388000

D24: WO 03/095410

Weitere Dokumente, auf die im Beschwerdeverfahren Bezug genommen wurde, und die in der vorliegenden Entscheidung erwähnt werden, sind:

D3: EP 0574202

D37: WO 2006/10030

V. In der angefochtenen Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, das das beanspruchte Verfahren gemäß Artikel 83 EPÜ ausführbar sei. Neuheit wurde als gegeben angesehen. Erfinderische Tätigkeit wurde ausgehend von D2b, D4, D8, D22, D23 und D24 behandelt und festgestellt, dass ausgehend von keinem dieser Dokumente das beanspruchte Verfahren nahegelegt sei. Gleiches gelte für die in Anspruch 11 beanspruchte Apparatur.

VI. In ihrer Beschwerdebegründung, ihrem einzigen Sachvortrag im Beschwerdeverfahren, bezieht sich die Beschwerdeführerin zusätzlich auf die im Einspruchsverfahren nicht zugelassenen Dokumente D25-D31 sowie die neu eingereichten Dokumente D32-D40 und argumentiert in den entscheidungsrelevanten Fragen im Wesentlichen wie folgt:

a) Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

Der geänderte Anspruch 1 sei unklar, da er mehrere Lesarten zulasse. Insbesondere könne der Anspruch auch so gelesen werden, dass die teilweise Rückführung der vorneutralisierten Lösung in die Vorneutralisation bereits der beanspruchten Aufteilung in mindestens zwei Teillösungen entspricht. Dieser Lesart entsprechend würde dem Verfahren nur eine einzige Teillösung entnommen, die dann einer Nachbehandlung zugeführt wird, oder auch nicht, da die Zugabe von Base im Neutralisationskreislauf auch schon der beanspruchten Nachbehandlung der Teillösungen entsprechen würde. Eine Auftrennung des Produktstroms in zwei Teillösungen, wie etwa von Figur 1 suggeriert, sei dem Wortlaut des Anspruchs nach nicht verlangt.

Des weiteren sei nicht klar, was genau unter dem Begriff "unterschiedlichem" Neutralisationsgrad und/oder Feststoffgehalt zu verstehen sei.

b) Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

Im oben beschriebenen Fall mit nur einem erhaltenen Produktstrom könne das der Anmeldung zugrundeliegende Problem, nämlich die Herstellung von Lösungen mit unterschiedlichem Neutralisationsgrad und/oder Feststoffgehalt, nicht gelöst werden.

Des weiteren enthalte die Beschreibung keine Anleitung, wie etwa erreicht werden solle, dass beide entnommenen Produktströme gleichen Neutralisationsgrad und Feststoffgehalt haben, der aber von dem der vorneutralisierten Lösung abweicht. Insbesondere sei nicht klar, wie in diesem Zusammenhang der "Unterschied" im Feststoffgehalt und/oder des Neutralisationsgrads bestimmt werden solle.

c) Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

Der oben beschriebenen Fall mit nur einem erhaltenen Produktstrom entspreche dem in D24 beschriebenen Verfahren, insbesondere sei ein solches Verfahren auf Seiten 6/7 der D24 beschrieben.

Des weiteren sei auch der Fall mit mehr als einer Produktlösung in D24 vorbeschrieben, nämlich auf Seiten 28/29. Insbesondere werde in dem dort beschriebenen Beispiel nur ein Teil der erhaltenen Acrylatlösung mit Natriumperoxodisulfat, einer Base, behandelt, die daher den Neutralisationsgrad beeinflusse.

d) Erfinderische Tätigkeit Artikel 56 EPÜ)

Die Beschwerdeführerin geht von vier verschiedenen Dokumenten aus, ohne sich auf einen nächsten Stand der Technik festzulegen, nämlich von D2, D24, D22 und D23. Ausgehend von D2, D22 und D23 liege der Unterschied des beanspruchten Verfahrens in der kontinuierlichen Durchführung der Vorneutralisation. Dies sei jedoch aus verschiedenen Dokumenten des Standes der Technik, etwa D24 oder den neu zitierten Dokumenten D33-D36, bekannt.

Ausgehend von D24 bestehe das unterscheidende Merkmal des beanspruchten Verfahrens, falls überhaupt, darin, dass zwei verschiedene Teillösungen an vorneutralisierter Acrylatlösung erhalten werden, die sich in Neutralisationsgrad und/oder Feststoffgehalt unterscheiden. Dies sei bereits schon in D24 nahegelegt, da ja in dem dort beschriebenen Beispiel nur ein Teil der erhaltenen Acrylatlösung mit Natriumperoxodisulfat, einer Base, behandelt und daher den Neutralisationsgrad beeinflusst werde. Zur weiteren Verwendung von Acrylatlösungen verschiedenen Neutralisationsgrads in der Produktion von Polymeren wurde auch auf D3 und D37 verwiesen.

Die in Ansprüchen 11 und 12 beanspruchte Apparatur sei ausgehend von D15 nahegelegt.

VII. In der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung, ihrem einzigen Sachvortrag im Beschwerdeverfahren, argumentiert die Beschwerdegegnerin in den entscheidungsrelevanten Fragen im Wesentlichen wie folgt:

a) Klarheit (Art. 84 EPÜ)

Aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 gehe klar hervor, dass im Verfahren zwei unterschiedliche Monomerlösungen erzeugt werden sollen. Ein interner Stoffstrom der Vorneutralisation stelle keine solche Monomerlösung dar.

Die Begriffe Neutralisationsgrad und Feststoffgehalt seien allgemein gebräuchlich.

Im übrigen bezögen sich die vorgebrachten Argumente auf Merkmale, die bereits in den erteilten Ansprüchen enthalten seien.

b) Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

Die Argumentation der Beschwerdeführerin sei in diesem Punkt eine Wiederholung der Klarheitseinwände. Die Beschreibung, die Beispiele und die Abbildung lieferten dem Fachmann ausreichende Informationen, um das beanspruchte Verfahren auszuführen.

c) Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

D24 offenbare keine Aufteilung einer vorbehandelten Teillösung in mindestens zwei Teillösungen und die Nachbehandlung einer dieser Lösungen wie beansprucht.

d) Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

D2 befasse sich mit einer anderen Aufgabe und sei daher als nächster Stand der Technik ungeeignet.

D22 und D23 unterschieden sich vom beanspruchten verfahren zumindest in der Abwesenheit der kontinuierlichen Vorneutralisation und der teilweisen Rückführung. Da in diesen beiden Dokumenten als wesentlicher Schritt eine Alterung der vorneutralisierten Lösung nötig ist, würde der Fachmann diesen Verfahrensschritt auch nicht kontinuierlich durchführen.

Ausgehend von D24 unterscheide sich das beanspruchte Verfahren darin, dass zwei verschiedene Teillösungen an vorneutralisierter Acrylatlösung erhalten werden, die sich in Neutralisationsgrad und/oder Feststoffgehalt unterscheiden. Dies sei in D24 nicht erwähnt.

Die in Anspruch 11 beanspruchte Apparatur sei ausgehend von D15 nicht nahegelegt, da sie keine zwei Ableitungen offenbare. D15 befasse sich mit der Herstellung genau einer Reinigungsmittelzusammensetzung, so dass kein Anlass bestanden hätte, noch eine weitere Ableitung anzubringen.

VIII. Mit Bescheid vom 9. August 2018 wurden die Parteien für den 13. März 2019 zu einer mündlichen Verhandlung geladen.

IX. Mit Eingabe vom 24. September 2018 erklärte die Beschwerdeführerin, an der anberaumten Verhandlung nicht teilzunehmen.

X. Mit Bescheid vom 4. Dezember 2018 wurden die Parteien über die vorläufige Einschätzung der Kammer informiert.

XI. Mit Bescheid vom 14. März 2019 wurde die Ladung zur mündlichen Verhandlung aufgehoben.

XII. Die Anträge der Parteien sind wie folgt:

a) Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Des weiteren beantragt sie, die Dokumente D25-D40 ins Verfahren zuzulassen.

Der Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung wurde durch die Eingabe vom 24. September 2018 wieder zurückgenommen.

b) Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Des weiteren beantragt sie, die Dokumente D25-D40 unter Artikel 114(2) EPÜ nicht ins Verfahren zuzulassen.

Sollte die Beschwerde nicht zurückgewiesen werden, beantragt sie hilfsweise mündliche Verhandlung.

Weiterhin hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis einer der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1-8.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag

2. Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

Die im Einspruchsverfahren geänderten Ansprüche ergeben sich aus einer Kombination erteilter Ansprüche. Insbesondere ergibt sich der geänderte Anspruch 1 aus einer Kombination der erteilten Ansprüche 1, 2-4, 6 und 8.

Wie von der Beschwerdegegnerin angeführt, beziehen sich die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente auf Merkmale, die bereits in den erteilten Ansprüchen enthalten sind.

Im Hinblick auf die Entscheidung G03/14 sind die geänderten Ansprüche daher keinem Klarheitseinwand zugänglich, da eventuelle Unklarheiten nicht durch die durchgeführten Änderungen begründet sind.

3. Auslegung des Anspruchs 1

Verschiedene Einwände der Beschwerdeführerin beziehen sich auf eine Auslegung des Anspruchs 1 in der Weise, dass die teilweise Rückführung der vorneutralisierten Lösung in die Vorneutralisation bereits der beanspruchten Aufteilung in mindestens zwei Teillösungen entspricht. Dieser Lesart entsprechend würde dem Verfahren nur eine einzige Teillösung entnommen. Ein derartiger Prozess entspräche dem in Figur 1 des Patents aufgezeichneten Schema, bei dem der Strom A2 weggelassen ist.

Die Kammer kann sich dieser Lesart nicht anschließen. Der Anspruch verlangt einerseits eine teilweise Rückführung der vorneutralisierten Lösung in die Vorneutralisation, und andererseits die Aufteilung der vorneutralisierten Lösung in mindestens zwei Teillösungen. Wie von der Beschwerdegegnerin ausgeführt, entstehen dabei mindestens zwei Teillösungen mit unterschiedlichem Neutralisationsgrad und/oder Feststoffgehalt. Nach Ansicht der Kammer kann die zirkulierende Vorneutralisationslösung nicht als eine derartige entstehende Teillösung angesehen werden, schon allein deshalb nicht, weil die zirkulierende Vorneutralisationslösung kein "Teil" der vorneutralisierten Lösung ist, sondern deren Gesamtheit darstellt.

Die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Auslegung widerspricht daher dem Wortlaut des Anspruchs und findet auch keinerlei Stütze in der Beschreibung des Patents.

Anspruch 1 des Hauptantrags verlangt daher die Entstehung von mindestens zwei Teillösungen, von denen mindestens eine nachbehandelt wird, wie in Figur 1 illustriert.

4. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

Die vorgebrachten Einwände der Beschwerdeführerin, die sich auf Ausführungsformen beziehen, bei denen nur eine Tellösung dem Kreislauf der Vorneutralisation entnommen wird, sind irrelevant, da solche Ausführungsformen nicht beansprucht werden (vgl. Punkt 3).

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Beschreibung enthalte keine detaillierte Beschreibung des Falles, dass beide entnommenen Produktströme gleichen Neutralisationsgrad und Feststoffgehalt haben, der aber von dem der vorneutralisierten Lösung abweicht, mag zutreffen. Dies allein ist aber kein Grund, dem beanspruchten Verfahren mangelnde Ausführbarkeit zu bescheinigen. Die Beschwerdeführerin hat keinerlei Gründe angeführt, aus denen ein Fachmann daran gehindert sein sollte, ein derartiges Verfahren auszuführen. Wie von der Beschwerdegegnerin richtigerweise vorgebracht wurde, sind die Begriffe "Neutralisationsgrad" und "Feststoffgehalt" allgemein gebräuchlich. Deren Bestimmung bereitet dem Fachmann daher keine Schwierigkeiten.

Der Einwand mangelnder Ausführbarkeit kann daher nicht durchgreifen.

5. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

Da Anspruch 1 des Hauptantrags zwei entstehende Teillösungen verlangt, ist das Vorbringen der Beschwerdeführerin, D24 offenbare auf Seiten 6/7 ein Verfahren mit mit nur einem erhaltenen Produktstrom für die Frage der Neuheit irrelevant.

Auch das Beispiel auf Seiten 28/29 der D24 offenbart keine Auftrennung in zwei Teillösungen wie beansprucht. Die dort beschriebene Auftrennung führt einen Teil der Lösung in die Destillationskolonne zurück, d. h. in den Quenchkreis (Vorneutralisation). Nur eine Teillösung wird diesem Kreis entnommen (siehe Seite 28, Zeile 42). Ebenso offenbart der folgende Schritt (Seite 29 oben) die Nachbehandlung nur einer Lösung, von einer zweiten Teillösung, ob nachbehandelt oder nicht, ist nicht die Rede.

Neuheit über D24 ist daher gegeben.

6. Zulassung der Dokumente D25-D40 ins Beschwerdeverfahren

Diese Dokumente wurden von der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren bzw. zu Beginn des Beschwerdeverfahrens eingereicht. Sie wurden im Zusammenhang mit den vorgebrachten Einwänden unter Artikel 56 EPÜ erörtert.

6.1 D25-D31

Diese Dokumente wurden von der Einspruchsabteilung nicht ins Verfahren zugelassen, da sie nach der Einspruchsfrist gemäß Artikel 99(1) EPÜ eingereicht wurden und als prima facie nicht relevant angesehen wurden, siehe Punkt 11 der angefochtenen Entscheidung.

Gemäß Artikel 12(4) VOBK liegt es im Ermessen der Kammer, Dokumente nicht ins Verfahren zuzulassen, die bereits in der ersten Instanz nicht ins Verfahren zugelassen wurden.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, diese Dokumente illustrierten das allgemeine Fachwissen bzw. seien als Reaktion auf die Argumente des Patentinhabers bezüglich erfinderischer Tätigkeit eingereicht worden.

Dies sind allerdings Gesichtspunkte, die eine Einspruchsabteilung typischerweise in Betracht zieht, wenn sie über die Zulassung verspätet eingereichter Dokumente entscheidet. Die Beschwerdeführerin hat keine Argumente vorgebracht, weshalb einzelne dieser Dokumente in besonderer Weise relevant gewesen wären und von der Einspruchsabteilung daher hätten zugelassen werden müssen.

Die Kammer sieht deshalb keine Veranlassung, die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung in Frage zu stellen und lässt diese Dokumente nicht ins Beschwerdeverfahren zu.

6.2 D32-D40

Diese Dokumente wurden zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht.

Aus den weiter unten aufgeführten Gründen sieht die Kammer D24 als nächsten Stand der Technik an. Das einzige der neu eingereichten Dokumente, das im Zusammenhang mit der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten von D24 ausgehenden Argumentationslinie für den vorliegenden Hauptantrag erwähnt wird, ist D37. Bei D37 handelt es sich jedoch um ein Dokument, das nach dem Anmeldetag des vorliegenden Patents veröffentlicht wurde; solche Dokumente sind gemäß Artikel 56 EPÜ kein Stand der Technik für die Frage der erfinderischen Tätigkeit und daher irrelevant für deren Beurteilung. Keines der anderen eingereichten Dokumente kommt in der genannten Argumentation der Beschwerdeführerin vor.

Die Kammer sieht daher keine Veranlassung, über die Zulässigkeit der Dokumente D32-D40 zu entscheiden.

7. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

7.1 Nächster Stand der Technik für Anspruch 1

Das vorliegend beanspruchte Verfahren hat zum Ziel, mindestens zwei vorneutralisierte Acrylatlösungen mit verschiedenem Neutralisationsgrad und/oder Feststoffgehalt zur Verfügung zu stellen (siehe Absätze [0001], [0017] des Patents). Auf diese Weise können zwei oder mehr Polymerisationsanlagen aus einer gemeinsamen Neutralisation versorgt werden (siehe Absatz [0063] des Patents).

Keines der von den Parteien als nächster Stand der Technik vorgeschlagenen Dokumente verfolgt explizit den Zweck, gleichzeitig Acrylatlösungen verschiedenen Neutralisationsgrads und/oder Feststoffgehalts als Ausgangsprodukte verschiedener Polymerisationsreaktionen bereitzustellen. Unter den vorgeschlagenen Dokumenten erachtet die Kammer D24 als das dem beanspruchten Verfahren am nächsten kommende Dokument, und zwar aus den folgenden Gründen:

D24 offenbart ein Verfahren zur Herstellung einer vorneutralisierten Acrylatlösung durch Absorption gasförmiger Acrylsäure in eine wässrige basische Lösung, siehe etwa Absatz 1 der Beschreibung. Ein Teil der vorneutralisierten Lösung wird dabei in den Quenchkreislauf zurückgeführt, siehe Seite 6 und 7. Das Verfahren wird kontinuierlich durchgeführt (Seite 7 Zeile 17/18). Der Neutralisationsgrad der erhaltenen Lösung kann nachträglich nach Bedarf eingestellt werden (siehe Seite 10, Zeilen 25ff). Dies entspricht zumindest dem Bestreben des Patents, eine Acrylatlösung mit variablem Neutralisationsgrad herzustellen.

D2b beschäftigt sich mit der Herstellung von wasserabsorbierenden Polyacrylaten (siehe etwa erster Absatz der Beschreibung). Dabei wird insbesondere das Problem gelöst, den Polymerisationsschritt zu optimieren, und zwar dergestalt, dass die Monomerlösung getrennt mit Oxidations- und Reduktionsmittel versetzt und zur Polymerisation wieder zusammengeführt wird (siehe etwa Seite 24 mittlerer Absatz). Ein derartiges Verfahren wird in Beispiel 1 illustriert. Auch wenn das zugesetzte Reduktionsmittel (Ascorbinsäure) einen Einfluss auf den Neutralisationsgrad haben mag, so werden doch Neutralisationsgrad und/oder Feststoffgehalt als wünschenswert zu beeinflussende Größen der zur Polymerisation verwendeten Monomerlösungen in D2b nicht erwähnt. D2b ist daher dem Zweck des beanspruchten Verfahrens weiter entfernt.

D22 offenbart ein diskontinuierliches Verfahren zur Herstellung einer neutralisierten Acrylatlösung, wobei mehrere Neutralisationsschritte hintereinandergeschaltet werden, unterbrochen von einem Alterungsschritt (siehe etwa Anspruch 1). Diese Verfahrensweise führt laut D22 dazu, dass bei einem nachgeschalteten Polymerisationsverfahren ein Polymer mit wenig Restmonomer erhalten wird (siehe etwa Seite 3, Zeilen 49-56). Zwar wird etwa in Beispiel 5 die erhaltene Acrylatlösung intermediär aufgeteilt und ein Teil mit einer weiteren Monomerlösung versetzt, was den Feststoffgehalt beeinflussen könnte (und der beanspruchten "Nachbehandlung" entspricht), allerdings werden die Lösungen zur Polymerisation wieder zusammengeführt, und der Zweck der "Nachbehandlung" wird nicht weiter erläutert. Überdies stimmt die Kammer dem von der Bescherwerdegegnerin vorgebrachten Argument zu, dass der laut D22 unumgängliche Alterungsschritt mit einer kontinuierlichen Verfahrensführung, wie im vorliegenden Patent, unvereinbar ist. Gleiches gilt für D23, das ebenfalls einen Alterungsschritt der vorneutralisierten Acrylatlösung vorsieht (siehe etwa "Production 16" in Spalten 32/33). Diese Dokumente sind daher ebenfalls weiter vom beanspruchten Verfahren entfernt, als D24.

7.2 Aufgabe

Die mit dem Patent zu lösende Aufgabe kann darin gesehen werden, ein Verfahren zur Herstellung teilneutralisierter Acrylatlösungen zu finden, mittels dessen auf einfache Weise zwei oder mehr Produktionsanlagen aus einer gemeinsamen Neutralisation individuell versorgt werden können, siehe Absatz [0063] der Beschreibung.

Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, eine solche Formulierung der technischen Aufgabe sei unzulässig, da die Verwendung der Lösungen zur Versorgung verschiedener Polymerisationsanlagen nicht Bestandteil des Anspruchs ist.

Allerdings beruht der Aufgabe-Lösungs-Ansatz ja gerade darauf, dass eine Aufgabe formuliert wird, deren Lösung dann durch die Kombination der im Anspruch definierten technischen Merkmale erreicht wird. Die Aufgabenstellung an sich muss sich dabei nicht im Anspruch widerspiegeln, sondern die zur Lösung der Aufgabe benötigten technischen Merkmale.

7.3 Lösung der Aufgabe

Ausgehend von D24 wird die Aufgabe anspruchsgemäß dadurch gelöst, dass die vorneutralisierte Lösung in mindestens zwei Teillösungen aufgeteilt wird, von denen mindestens eine Teillösung einer Nachbehandlung zur Veränderung des Neutralisationsgrads und/oder des Feststoffgehalts unterzogen wird.

Die auf diese Weise erhaltenen Teillösungen können dann individuell in verschiedene Polymerisationsreaktoren eingespeist werden.

7.4 Naheliegen der Lösung

Diese Lösung der Aufgabe ist dem Fachmann aus dem zitierten Stand der Technik nicht nahegelegt.

D24 selbst enthält keinen Hinweis darauf, dass mehr als eine Teillösung aus dem Verfahren ausgeschleust werden kann, und welchem Zweck dies dienen sollte. Der von der Beschwerdeführerin zitierte Absatz auf Seite 10 (Zeilen 25-40) beschreibt zwar, dass eine nachträgliche Einstellung des Neutralisationsgrads wünschenswert sein kann. Eine Aufteilung in mehrere Teillösungen ist aber nicht erwähnt. Das ebenfalls herangezogene Beispiel auf Seite 28, Zeilen 28-40) offenbart eine teilweise Rückführung in die Destillation, nicht eine Aufteilung in zwei Produktströme. Das weitere Argument, die auf Seite 29 im ersten Absatz beschriebene Nachbehandlung betreffe mit 6000 g Produkt nur einen Teil der erhaltenen Lösung, da insgesamt viel mehr Produkt erzeugt wurde, ist ebenfalls nicht überzeugend. Dieses Beispiel dient der Illustration des sich der Herstellung der Acrylatlösung anschließenden Polymerisationsverfahrens und nicht der Erläuterung der Herstellung der Acrylatlösung an sich. Der Fachmann erhält daraus keinen Anhaltspunkt, dem Neutralisationsverfahren verschiedene Teilströme zu entnehmen.

Die Beschwerdeführerin hat weiterhin auf D3 verwiesen, insbesondere auf die Beispiele 1, 9 und 10. In diesen Beispielen werden Acrylatlösungen unterschiedlichen Neutralisationsgrads polymerisiert. Ein Fachmann wisse daher, dass Polyacrylate verschiedenen Neutralisationsgrads in separaten Polymerisationsreaktoren hergestellt werden könnten. Allerdings ist die Kammer der Ansicht, dass selbst dieses Wissen den Fachmann ausgehend von der D24 nicht zu dem beanspruchten Verfahren führen würde. Die in D3 als Ausgangsprodukte der Polymerisation verwendeten Acrylatlösungen unterschiedlichen Neutralisationsgrads könnten ja auch etwa sequentiell durch ein Verfahren gemäß der D24 hergestellt werden. Einen Hinweis darauf, einem Neutralisationsverfahren zwei verschiedene Produktströme zu entnehmen, wie vorliegend beansprucht, erhält der Fachmann aus D3 nicht.

7.5 Erfinderische Tätigkeit von Anspruch 11

Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die in Anspruch 11 beanspruchte Vorrichtung sei ausgehend von D15 nahegelegt. Die in D15 beschriebene Vorrichtung habe zwar nur eine Ableitung aus der Ringleitung, da aber mit dem Anbringen einer weiteren Ableitung kein technischer Effekt verbunden sei, sei die beanspruchte Apparatur nahegelegt.

Die Kammer kann sich dieser Meinung nicht anschließen. D15 offenbart eine Apparatur, die zur Herstellung von Reinigungsmitteln verwendet wird. Dies ist für den Fachmann kein geeigneter Ausgangspunkt für eine Vorrichtung zur kontinuierlichen Neutralisation, die in der Neutralisation von Acrylsäurelösungen eingesetzt wird. Selbst wenn der Fachmann D15 dennoch als Ausgangspunkt gewählt hätte, so wurde doch im Rahmen der Argumentation der erfinderischen Tätigkeit des Verfahrensanspruchs gezeigt, dass die Entnahme zweier Produktströme für den Fachmann nicht naheliegend war. Dies gilt analog für die in Anspruch 11 beanspruchte Apparatur, die ja durch das Vorhandensein zweier solcher Ableitungen gekennzeichnet ist (Merkmal v). In der in D15 beschriebenen Apparatur zweigt nur eine Ableitung aus der Ringleitung aus (siehe Abbildung 2).

8. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass die vorgebrachten Gründe einer Aufrechterhaltung des Patents in der Fassung der vorliegenden Hauptantrags nicht entgegenstehen, wie auch von der Einspruchsabteilung entschieden.

Die vorgelegten Hilfsanträge brauchen daher nicht weiter behandelt zu werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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