T 1760/14 () of 13.12.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T176014.20161213
Datum der Entscheidung: 13 Dezember 2016
Aktenzeichen: T 1760/14
Anmeldenummer: 06007233.7
IPC-Klasse: F16C 33/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Lagerelement
Name des Anmelders: Miba Gleitlager Austria GmbH
Name des Einsprechenden: Federal-Mogul Wiesbaden GmbH
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - Änderungen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 26. Juni 2014 zur Post gegebenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung das europäische Patent Nr. 1717469 widerrufen.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass das Patent wie erteilt (Hauptantrag) den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ nicht genüge, und dass die Hilfsanträge den Erfordernissen des Artikels 123(3) EPÜ nicht genügten.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

III. Eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 13. Dezember 2016 statt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrecht­erhaltung des Patents wie erteilt (Haupt­antrag), hilfs­weise Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis der Hilfsanträge 1 bis 3 eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung oder des Hilfs­antrags 4 eingereicht mit Schreiben vom 24. Oktober 2014.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurück­zuverweisen für den Fall, dass nicht nur Artikel 100 c) EPÜ zu behandeln sei.

IV. Anspruch 1 wie erteilt (Hauptantrag) lautet wie folgt:

"Lagerelement (1) mit einem metallischen Stützkörper (2), einer darüber angeordneten Lagermetallschicht (3) sowie einer über dieser angeordneten Polymerschicht (4), wobei die Polymerschicht (4) ein Polyamidimidharz, Molybdändisulfid (MoS2) und Graphit umfasst, wobei die Polymerschicht (4) direkt auf der Lagermetallschicht angeordnet ist dadurch gekennzeichnet, dass die Polymer­schicht (4) aus einem Gleitlack gebildet ist, der in nassem Zustand aus 60 Gew.-% bis 80 Gew.-% Polyamidimidharz, 15 Gew.-% bis 25 Gew.-% Molybdän­disulfid (MoS2) und 5 Gew.-% bis 15 Gew.-% Graphit besteht, wobei der nasse Polyamidimidharzanteil von 60 Gew.-% bis 80 Gew.-% einen Anteil von 40 Gew.-% bis 80 Gew.-% eines organischen Lösungsmittels, wie z.B. Xylol, enthält."

Die Hilfsanträge sind für diese Entscheidung nicht relevant.

V. Die Beschwerdeführerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Der erteilte Anspruch 1 basiere auf den ursprünglichen Ansprüchen und Absatz [0051] der veröffentlichten Anmeldung. Es sei schon aus dem Wortlaut des ursprünglichen Anspruchs 1 klar, dass die Angaben sich auf den Gleitlack mit Lösungsmittel - d.h. "in nassen Zustand" - bezögen. Die Absätze [0051] und [0057] stellten klar, dass im Gleitlack eine Mischung Polyamidimidharz/Lösungsmittel mit einem Anteil von 60 bis 80% vorhanden sei, wie im erteilten Anspruch verlangt.

Ferner sei es für den Fachmann klar, dass, obwohl in diesem Gebiet auch Vol.% als Einheit für die Angaben verwendet werden könne, im Fall der Erfindung die Zusammen­setzung in Gew.% angegeben sei, denn in der Beschreibung der Erfindung komme lediglich Gew.% vor.

Folglich gehe der Gegenstand des Patents wie erteilt nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.

VI. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Die im erteilten Anspruch 1 enthaltenen Begriffe "in nassem Zustand" und "der nasse Polyamidimidharzanteil" seien weder in dem technischen Gebiet üblich noch klar. Zudem seien diese Begriffe in der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht zu finden. Auf jeden Fall sei aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht klar, ob ein etwaiges Lösungsmittel in den Angaben berücksichtigt sei oder nicht. Aus dem ursprünglichen Anspruch 1, wonach der Anteil des Polyimidharzes von 60-80% vorzugsweise auf das Polyimidharz mit zu entfernendem Lösungsmittel bezogen sei, verstehe man, dass ein Anteil von 20-40% Lösungsmittel vorhanden sei. Dieses stehe jedoch im Widerspruch mit dem Absatz [0051]. Die Beschwerde­führerin selbst scheine im ihrem Schreiben vom 24. Oktober 2014, Seite 3, zweiter Absatz die ursprüngliche Offenbarung anders als jetzt beansprucht auszulegen.

Darüber hinaus sei auch unklar, ob die Angaben im ursprünglichen Anspruch 1 in Vol.% oder in Gew.%. seien. Im vorliegenden technischen Gebiet seien die Zusammensetzungen üblicherweise in Vol.% angegeben. In der Tat sei aus dem Absatz [0011] zu entnehmen, dass dies auch hier der Fall sei. Ein Anteil an MoS2 von 15-25% - wie im Anspruch 1 und im Absatz [0010] festgeschrieben - könne nur in Vol. % angegeben sein, weil er nur dann als hoch im Vergleich zum Stand der Technik anzusehen sei. Auch aus dem Absatz [0051] sei nicht zu entnehmen, dass die Anteile des ursprünglichen Anspruchs 1 in Gew.% seien. Insbesondere, wenn MoS2 mit einer Dichte gemäß E7 (Römpp Online, Version 2.12 "Molybdändisulfid") verwendet werde, sei für die bevorzugte trockene Zusammen­setzung von Absatz [0051] ein Gleitlack mit den beanspruchten Anteilen in Gew.% rein rechnerisch nicht die einzige Möglichkeit, sondern es sei auch möglich, dass diese Anteile in Vol.% angegeben worden seien.

Folglich gehe der Gegenstand des Patents wie erteilt über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.

Entscheidungsgründe

1. Die im erteilten Anspruch 1 enthaltenen Ausdrücke "in nassem Zustand" und "der nasse Polyamidimidharzanteil" werden in der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht benutzt.

Nach der Beschwerdegegnerin seien diese Begriffe unüblich und ihre Bedeutung nicht klar. Die Klarheit des erteilten Anspruchs ist jedoch in diesem Verfahren nicht zu prüfen, weil mangelnde Klarheit keinen Einspruchs­grund darstellt. Vielmehr ist der Anspruch aus der Sicht des Fachmanns auszulegen.

Gemäß dem erteilten Anspruch 1 ist die Polymer­schicht aus einem Gleitlack gebildet, der "in nassem Zustand" aus Polyamidimidharz, Molybdän­disulfid und Graphit besteht. Ferner enthält der "nasse Polyamidimid­harz­anteil" ein organisches Lösungsmittel. Der Fachmann, der versucht zu einer technisch sinnvollen Auslegung des Anspruchs zu gelangen, versteht dadurch, dass der sogenannte "Polyamidimidharzanteil" des Gleitlacks nicht nur Polyamidimidharz sondern auch das organische Lösungs­mittel umfasst. Für ihn ist es somit klar, dass die Polymerschicht gemäß Anspruch 1 aus einem Gleitlack gebildet ist, der aus 15-25 Gew.% Molybdän­disulfid, 5-15 Gew.% Graphit, und 60-80 Gew.% einer Mischung besteht, die Polyamidimid­harz und ein organisches Lösungsmittel (im einem Anteil von 40-80 Gew. % bezogen auf die Mischung) enthält.

Es ist deshalb zu prüfen, ob der so ausgelegte Anspruch in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart ist.

2. Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht betrifft ein Lagerelement mit einem metallischen Stützkörper, einer darüber angeordneten Lagermetallschicht sowie einer über dieser angeordneten Polymerschicht, welche Polyimidharz, Molybdändisulfid und Graphit umfasst. Der "Anteil des Polyimidharzes" ist im Bereich von 60 % bis 80 %, der Anteil von MoS2 ist im Bereich von 15 % bis 25 % und der Anteil an Graphit ist im Bereich von 5 % bis 15 %, wobei "der Anteil des Polyimidharzes vorzugs­weise bezogen ist auf das Polyimidharz mit zu entfernendem Lösungsmittel". Gemäß Anspruch 2 ist das Polyimidharz ein Polyamidimidharz. Ferner offenbart Absatz [0051] der ursprünglichen Beschreibung, dass der Lösungsmittelanteil aus einem Bereich mit einer unteren Grenze von 40 Gew.% und einer oberen Grenze von 80 Gew. % ausgewählt sein kann, "bezogen auf den Harzanteil, d.h. Harz mit Lösungsmittel".

Es ist deshalb für den Fachmann klar, dass die Zusammensetzung der Polymerschicht vorzugsweise das zu entfernende Lösungsmittel umfasst, dessen Anteil im Polyamidimidharzanteil enthalten ist. Mit anderen Worten, definiert der Anspruch nicht die Endzusammen­setzung der Polymerschicht sondern die Zusammensetzung des Gleitlacks, aus dem die Polymer­schicht gebildet ist, und der Anteil von 60-80% bezieht sich auf das Polyamidimidharz mit Lösungs­mittel. Dies entspricht nicht nur dem Verständnis der Beschwerdeführerin (Schreiben vom 24. Oktober 2014, Seite 3, zweiter Absatz; "Beispielweise kann der Lösungsmittelanteil aus einem Bereich mit einer unteren Grenze von 40 Gew.-% und einer oberen Grenze von 80 Gew.-% ausgewählt sein, wie dies auch im erteilten Anspruch 1 enthalten ist. Es wird dabei ausdrücklich auf den Anteil des Harzes mit Lösungsmittel im Gemisch aus Polyamididharz/Lösungsmittel, MoS2 und Graphit Bezug genommen.") sondern steht auch in Einklang mit der Offenbarung von Absatz [0057] der Anmeldung, wonach in der Tabelle 1 Beispiele für die erfindungs­gemäßen Bereiche der Anteile des Polyimidharzes mit zu entfernendem Lösungsmittel, von MoS2 sowie Graphit zusammengestellt sind, und mit der Offenbarung von Absatz [0051], wonach der trockene Harzanteil deutlich niedriger als 60% sein kann.

Dagegen ist die Anspruchsauslegung der Beschwerde­gegnerin, wonach der Anteil von 60-80% nur das Poly­amidimidharz betrifft und 20-40% vom Lösungsmittel vorhanden sind, nicht nachvollziehbar, weil sie in einer Zusammen­setzung von mehr als 100% resultieren und mit der Offenbarung von Absatz [0051] in Widerspruch stehen würde.

Folglich offenbaren die ursprünglichen Ansprüche 1 und 2 und der Absatz [0051] dem Fachmann eine Polymer­schicht, die aus einem Gleitlack gebildet ist, der aus 15-25% Molybdändisulfid, 5-15% Graphit, und 60-80% einer Mischung besteht, die Polyamidimidharz und ein organisches Lösungs­mittel enthält, wobei das Lösungs­­mittel im einem Anteil von 40-80 Gew. % bezogen auf die Mischung enthalten ist.

3. Es bleibt somit zu klären, ob in der ursprünglich eingereichten Anmeldung die Anteile im Gleitlack in Gew.% (wie im erteilten Anspruch 1) oder in einer anderen Einheit angegeben sind.

Wie aus der Würdigung des Stands der Technik ersichtlich ist (Absätze [0004] bis [0006] der Anmeldung), werden in diesem technischen Gebiet die Zusammen­setzungen der Gleitschichten in Gew.% oder in Vol.% angegeben. Somit sind beide Angaben im Prinzip möglich, unabhängig davon, ob die Angabe in Vol.% die weiter verbreitete ist oder nicht.

Gemäß Absatz [0011] zeigt die erfindungsgemäße Zusammensetzung, trotz des hohen Anteils an MoS2 und Graphit im Polyimidharz, im Vergleich zu bereits im Gleitlagerbereich verwendeten Gleitlackbeschichtungen eine Verbesserung der Verschleißfestigkeit des Lager­elementes. Die Verschleißfestigkeit ist keine Eigenschaft des Gleitlacks im nassen Zustand sondern der daraus gebildeten Polymerschicht. Es ist deshalb unmittelbar erkennbar, dass der Anteil an MoS2 und Graphit im Polyimidharz des Absatzes [0011] der trockene Anteil ist, welcher auch in Gew.% höher als im Stand der Technik ist (siehe Absatz [0051] und [0004]). Es ist somit - entgegen der Meinung der Beschwerde­gegnerin - nicht aus dem Absatz [0011] herleitbar, dass die besagten Anteile in Vol.% ausgedrückt sind.

Vielmehr sind in der Beschreibung (in Absatz [0051]) lediglich Anteile in Gew.% zu finden, nämlich der Lösungsmittelanteil und die Anteile in der trockenen Zusammensetzung. Da keine Hinweise vorliegen, die auf das Gegenteil hindeuten, versteht deshalb der Fachmann, dass alle Anteile des erfindungsgemäßen Gleitlacks in Gew.% ausgedrückt sind. Die Tatsache, dass diese für die bevorzugte trockene Zusammensetzung von Absatz [0051] rein rechnerisch nicht die einzige Möglichkeit ist, ist dabei unerheblich.

Folglich offenbart die ursprünglich eingereichte Anmeldung, dass die Polymerschicht aus einem Gleitlack gebildet ist, der aus 15-25 Gew.% Molybdändisulfid, 5-15 Gew.% Graphit, und 60-80 Gew.% einer Polyamidimid­harz und ein organisches Lösungsmittel (im einem Anteil von 40-80 Gew. % bezogen auf die Mischung) enthaltenden Mischung besteht.

Deshalb geht der Gegenstand des Patents wie erteilt nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.

4. Die angefochtene Entscheidung basierte im Hinblick auf den Hauptantrag lediglich auf Artikel 100 c) EPÜ. Zu den anderen Einspruchsgründen hat die Einspruchs­abteilung bisher keine Entscheidung getroffen. Unter diesen Umständen verweist die Kammer in Ausübung ihrer Befugnisse gemäß Artikel 111 (1) EPÜ die Angelegenheit zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurück.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.

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