European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T171114.20180223 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 Februar 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1711/14 | ||||||||
Anmeldenummer: | 01927846.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | F03D 7/04 F03D 9/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINER WINDENERGIENANLAGE SOWIE WINDENERGIEANLAGE | ||||||||
Name des Anmelders: | Wobben, Aloys | ||||||||
Name des Einsprechenden: | NORDEX ENERGY GmbH Bonus Energy A/S Vestas Wind Systems A/S Vestas Benelux B.V. |
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Kammer: | 3.2.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - Erweiterung Anspruch 1 (nein) Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 1 (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung am 9. Juli 2014 zur Post gegeben, das europäische Patent Nr. 1 282 744 nach Artikel 101(3)b) zu widerrufen.
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hatte am 12. August 2014 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung war am 19. November 2014 eingegangen.
II. Die Einsprüche der Einsprechenden 1,2,3 und 4 gegen das Patent waren auf die Gründe Artikel 100 a), 54 und 56 EPÜ, und Artikel 100 b) EPÜ gestützt.
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2008 hatte die Einsprechende 3, mit Fax vom 22. Dezember 2008 die Einsprechende 4, und mit Schreiben vom 6. Dezember 2013 die Einsprechende 1 ihren Einspruch zurückgezogen.
III. Die Einspruchsabteilung war in der mündlichen Verhandlung am 16. März 2010 der Auffassung, dass die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) der Aufrechterhaltung des Patents gemäß Haupt- und Hilfsantrag 2, und die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ (unzulässige Erweiterung) gemäß Hilfsantrag 1 entgegenstünden. Hilfsantrag 3 wurde nicht ins Verfahren zugelassen.
In T 2534/10 vom 23. April 2012 hatte die Kammer (in anderer Zusammensetzung) entschieden, dass die Einspruchsabteilung das Verfahren mit der Maßgabe fortzusetzen habe, dass über die am 16. März 2010 entschiedenen Haupt- bzw. Hilfsanträge 1 bis 3 nicht erneut verhandelt werde.
Das Einspruchsverfahren wurde in der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2013 fortgesetzt, und schließlich vertagt. Daraufhin wurde das Einspruchsverfahren in der mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 2014 wieder aufgenommen. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) der Aufrechterhaltung des Patents gemäß Hilfsantrag 5 bis 8 und 9 bis 10 entgegenstünden. Die Hilfsanträge 8A und 8B wurden nicht in das Verfahren zugelassen. Hilfsantrag 4 wurde wegen angeblicher Bindungswirkung aus T 2534/10 nicht diskutiert.
In ihren Entscheidungen hatte die Einspruchsabteilung unter anderem die folgenden Beweismittel berücksichtigt:
D1 = Preussen Elektra Netz: "Netzanschlussregeln", Stand 1. Dezember 1999
D2 = Dr.S.Heier "Winkraftanlagen im Netzbetrieb", B.G.Teubner Stuttgart, 1996; Seiten 310-347;
D23 = Anschreiben der Firma RWE Aktiengesellschaft an die Herren H. Fehrmann und Bernhard Ellermann vom 8. August 1994;
D24 = Anschreiben der Firma RWE Aktiengesellschaft an die Herren H. Fehrmann und Bernhard Ellermann vom 12. Februar 1996;
D27 = I.A. Erinmez et al.: "NGC experience with frequency control in England and Wales - Provision of frequency response by generators"; IEEE, 1998
D28 = Dr.G.Bergauer et al.:"Frequenzabhängige Maßnahmen zur Vermeidung von Großstörungen bzw. zurVerminderung ihrer Auswirkungen", VEO Journal 1-2/98.
IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK vom 22. Januar 2018 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit.
Eine mündliche Verhandlung fand am 23. Februar 2018 unter Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien statt. Nach Diskussion über Anträge zur Befangenheit der Einspruchsabteilung und Rückerstattung der Beschwerdegebühr, sowie zu den im Einspruch entschiedenen Haupt- und Hilfsanträgen, stellte die Kammer die Gewährbarkeit des Hilfsantrags 6 fest. Die Beschwerdeführerin zog daraufhin alle mit Beschwerdebegründung gestellten Haupt- und Hilfsanträge zurück. Auch die zuvor gestellten Befangenheitsanträge und der Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr wurden zurückgenommen. Stattdessen wurde einzig Hilfsantrag 6 als neuer Hauptantrag aufrechterhalten.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang der Ansprüche des Hauptantrags, der als Hilfsantrag 6 mit Schreiben vom 27. Mai 2013 eingereicht wurde.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende 2) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags (vormals Hilfsantrag 6) hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren zum Betreiben einer Windenergieanlage mit einem Generator zum Abgeben elektrischer Leistung an ein elektrisches Netz, wobei die Windenergieanlage einen mit dem Generator gekoppelten Rotor mit Rotorblättern mit Pitchregelung aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass die von dem Generator an das Netz abgegebene Leistung in Abhängigkeit der Netzfrequenz des elektrischen Netzes geregelt bzw. eingestellt wird und dass die in das Netz eingespeiste Leistung verringert wird, wenn die Netzfrequenz mehr als 3? über ihrem Sollwert liegt, um einem weiteren Anstieg der Netzfrequenz entgegenzuwirken, wobei eine Regelungseinrichtung die Netzfrequenz misst und Leistungsschalter eines Wechselrichters derart steuert, dass die Ausgangsfrequenz der Netzfrequenz entspricht und wobei die mechanische Leistung der Windenergieanlage reduziert wird, indem die verstellbaren Rotorblätter in den Wind angestellt werden."
VII. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:
Fachübliche Bauteile eines Frequenzumrichters müssten im geänderten Anspruch 1 des Hauptantrags nicht extra genannt werden. Daher beruhe Anspruch 1 insbesondere unmittelbar und eindeutig auf Seite 3 der Anmeldung, Art. 123(2) EPÜ.
Zum Anmeldetag des Patents stelle sich die Frage der Netzbeeinflussung durch eine Windkraftanlage nicht, sie würde einfach vom Netz getrennt, vgl. D1, D23 und D24: dezentrale Erzeugungseinheit. Dieses Verständnis ("mind-set" des Fachmanns) sei auch D2, vgl. Seite 311, zu entnehmen. Ausgehend von D2 sei Anspruch 1 daher bereits nicht nahegelegt, weil das Herunterregeln der Leistung einer Windkraftanlage bei Netzfrequenzschwankungen als Überwindung eines Vorurteils anzusehen sei. Darüber hinaus sei, selbst wenn Herunterregeln beim Betrieb konventioneller Kraftwerke zur Frequenzhaltung in Betracht gezogen werde, die Anpassung der Regelung an eine Windkraftanlage nach Anspruch 1 nicht nahe gelegt, insbesondere mittels Pitchregelung. Anspruch 1 sei daher erfinderisch im Lichte der D2 und D1 (bzw. D27, D28), Art. 56 EPÜ.
VIII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:
Ursprünglich im Kontext offenbarte Bauteile entfielen in Anspruch 1. Anspruch 1 stelle daher ein unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar, Art.123(2) EPÜ.
Entscheidend für die Frequenzhaltung im Netz sei nur die relative Grösse des Energieerzeugers im Vergleich zur Grösse des Netzes. Dies werde auch in D2 auf den Seiten 311 und 312 unmissverständlich dargelegt, insbesondere in Hinblick auf leistungsstärkere Windkraftanlagen vor dem Anmeldezeitpunkt des Patents. Die Netzanschlussregeln für konventionelle Kraftwerke (siehe D1, D27 oder D28), würden daher ausgehend von D2 eine Leistungsreduktion der Windkraftanlage aus D2 zur Frequenzhaltung suggerieren. Hierfür könne ohne weiters die Pitchregelung der D2 verwandt werden. Anspruch 1 sei daher im Lichte der D2 und D1 (bzw. D27, D28), nahe gelegt, und nicht erfinderisch, Art. 56 EPÜ.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen
2.1 Übereinstimmend beruht der vorliegende Anspruch 1 zunächst auf den Ansprüchen 1, 3 und 7 der Anmeldung (wie veröffentlicht). Der Umstand, dass die Windenergieanlage (WEA) in Anspruch 1 Rotorblätter mit Pitchregelung aufweist, geht zwangsläufig aus dem ursprünglichen Anspruch 7 hervor, wo verstellbare Rotorblätter in den Wind gestellt werden.
2.2 Darüber hinaus wurde folgende Formulierung im vorliegenden Anspruch 1 hinzugefügt:
"...um einem weiteren Anstieg der Netzfrequenz entgegenzuwirken, wobei eine Regelungseinrichtung die Netzfrequenz misst und Leistungsschalter eines Wechselrichters derart steuert, dass die Ausgangsfrequenz der Netzfrequenz entspricht und..."
2.2.1 Diese Änderung basiert auf Seite 3, dritter Absatz, vorletzter Satz, und den Figuren 1 und 3 der ursprünglichen Beschreibung (wie veröffentlicht).
Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass manche der ursprünglich auf Seite 3 beschriebenen Bauteile des Ausführungsbeispiels nach Figur 3 in der neu hinzugefügten Änderung unzulässig entfielen, beispielsweise ein Gleichrichter 2, Kondensator 3, Mikroprozessor myP, oder Leistungsschalter des Wechselrichters.
Die Kammer schließt sich jedoch der Auffassung der Beschwerdeführerin an, wonach diese Bauteile bei fachüblichen Frequenzumrichtern einer WEA mit Pitchregelung stets zur Anwendung gelangen und daher aus Sicht des Fachmanns im vorliegenden Anspruch 1 nicht zusätzlich genannt werden müssen. So besteht ein Umrichter mit Gleichstromzwischenkreis aus einem Gleichrichter und einem Wechselrichter. Auch die Glättung des Gleichstroms mit einem Kondensator und die Steuerung der Leitungsschalter des Wechselrichters durch einen Mikroprozessor der in Anspruch 1 beanspruchten Regelungseinrichtung verstehen sich von selbst.
2.2.2 Dass durch die Regeleinrichtung einem weiteren Anstieg der Netzfrequenz entgegengewirkt werden soll, ist schließlich auf Seite 4, erster Absatz, vorletzter Satz (wie veröffentlicht) explizit beschrieben. Unbestritten wird einem weiteren Ansteigen der Netzfrequenz in beiden Ausführungsbeispielen der Regelungseinrichtung (Figuren 3 und 4) durch eine Verringerung der vom Generator in das Netz abgegebenen elektrischen Leistung begegnet, also entgegengewirkt.
2.3 Zusammengefasst geht der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag für den Fachmann daher unmittelbar und eindeutig aus dem Kontext der ursprünglich eingereichten Anmeldung hervor.
Der Hauptantrag erfüllt somit die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Es herrscht Übereinstimmung, dass die Betriebsführung einer pitchgeregelten WEA in Dokument D2, vgl. Seite 327, zweiter Absatz, einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 darstellt.
3.2 Unstreitig unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der Offenbarung aus D2 durch seine Merkmale im Kennzeichen, nämlich dadurch,
- dass die von dem Generator an das Netz abgegebene Leistung in Abhängigkeit der Netzfrequenz des elektrischen Netzes geregelt bzw. eingestellt wird
- und dass die in das Netz eingespeiste Leistung verringert wird, wenn die Netzfrequenz mehr als 3 (pro Tausend) über ihrem Sollwert liegt, um einem weiteren Anstieg der Netzfrequenz entgegenzuwirken, wobei eine Regelungseinrichtung die Netzfrequenz misst und Leistungsschalter eines Wechselrichters derart steuert, dass die Ausgangsfrequenz der Netzfrequenz entspricht
- und wobei die mechanische Leistung der Windenergieanlage reduziert wird, indem die verstellbaren Rotorblätter in den Wind angestellt werden.
3.3 Diesen unterscheidenden Merkmalen liegt die Aufgabe zugrunde, Netzfrequenzschwankungen zufolge Einspeisung der von der WEA abgegebenen Leistung zu vermeiden bzw. erheblich zu reduzieren, vgl. Patent, Absatz 0014.
Dadurch sollen z.B. elektrische Maschinen im Netz (insbesondere beim Betrieb der WEA in schwachen Netzen) vor Schäden bewahrt werden, vgl. Patent, Absätze 0005 und 0007.
3.4 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass sich für den Fachmann ausgehend von D2 die Frage der Netzbeeinflussung durch eine WEA zum Anmeldetag des Patents nicht stellte ("mind-set" des Fachmanns).
3.4.1 WEA's seien zum damaligen Zeitpunkt als Kleinkraftwerke mit geringer Nennleistung zu verstehen, d.h. als sogenannte dezentrale Erzeugungseinheiten, im Gegensatz zu konventionellen Großkraftwerken mit hohen Nennleistungen, vgl. D1, Punkte 3.1 (Großkraftwerke) und 3.2 (dezentrale Erzeugungseinheiten). WEA's würden bei Störungen im Netz daher einfach vom Netz getrennt, und zwar innerhalb von 200 ms, vgl. D1 (Punkt 3.2.3), D23 (Seite 3, 5.Abs.), und D24 (Seite 3, 5.Abs.).
Deshalb werde auch auf Seite 311 der D2, vorletzter Absatz, darauf hingewiesen, dass Kleinkraftwerke wie WEA's nichts zur Einhaltung der Netzparameter (d.h. der Netzzustandsgrößen Frequenz, Spannung) beitragen könnten. Sie würden "weitgehend als beliebig zuschaltbare negative Verbraucher" angesehen und als dezentrale Einrichtungen - wie in D1 - frühzeitig vom Netz getrennt, etwa bei schlagartigem Ausfall großer Erzeuger (konventionelle Kraftwerke). Damit fielen noch höhere Anteile aus, die das Netz z.B. bei genügend hohem Windangebot stützen könnten.
3.4.2 Anspruch 1 des Patents sei auf den Betrieb einer einzelnen WEA gerichtet und nicht etwa auf den Betrieb eines Windparks bestehend aus mehreren WEA's mit entsprechend höherer Leistungsabgabe ans Netz.
Ausgehend von D2, die vom Generator einer WEA an das Netz abgegebene Leistung in Abhängigkeit der Netzfrequenz zu regeln bzw. einzustellen und bei steigender Netzfrequenz zu verringern, wie im Kennzeichen des Anspruchs 1 gefordert, stelle für den Fachmann daher die Überwindung eines Vorurteils dar, da sich die Problematik der Einhaltung der Netzparameter (Frequenz, Spannung) für eine einzelne WEA in D2 nicht stelle.
Aufgrund seines Fachwissens zum Anmeldetag sei der Fachmann vielmehr angehalten, eine WEA der D2 bei Überfrequenz einfach abzuschalten, also bei starken Netzfrequenzschwankungen vom Netz zu trennen. Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 für den Fachmann bereits aus diesem Grund nicht nahe gelegt.
3.5 Dieser Auffassung vermag sich die Kammer nicht anzuschließen.
3.5.1 Wie von der Beschwerdegegnerin dargelegt, kommt es nur auf die relative Größe des Energieerzeugers im Vergleich zur Größe des Netzes an. Im Fall der im Patent, vgl. Absatz 0007, genannten "schwachen" Netze kann die eingespeiste Leistung einer kleineren WEA in Hinblick auf den Einfluss auf die Netzparameter daher sehr wohl maßgeblich sein. Das Patent verhält sich nicht zur Größe des Netzes bzw. zum Energiebereich der in Anspruch 1 betriebenen WEA.
Selbst bei einer einzelnen WEA (d.h. kein Windpark) muss aus der Sicht des Fachmanns zum Anmeldetag des Patents jedenfalls gelten: je größer die abgegebene Leistung der WEA im Vergleich zur Größe des Netzes ist, desto mehr steigt der stützende Einfluss der WEA auf Frequenz- und Spannungsschwankungen (Netzparameter) im Netz.
3.5.2 Im Gegensatz zur Ansicht der Beschwerdeführerin wird auf Seite 311 der D2, vorletzter Absatz, ausdrücklich betont, dass nur "bisher" davon ausgegangen werde, dass Kleinkraftwerke wie WEA's nichts zur Einhaltung der Netzparameter beitragen könnten - mit anderen Worten, jetzt eben nicht mehr. Zudem wird im Abschnitt oberhalb auf Seite 311 der D2, drittletzter Absatz, erwähnt, dass in den nächsten Jahren sehr hohe Windkraftanteile im Netz zu erwarten seien, und Netzeinwirkungen und möglicherweise erforderliche Maßnahmen zur Netzregelung erheblichen Umfang annehmen könnten.
Auch auf der nachfolgenden Seite 312 der D2 wird bereits angeregt, in Zukunft netzstützende Maßnahmen zu ergreifen, um den Wert der WEA vom negativen Verbraucher zu einer netzstützenden Größe erheblich zu steigern. Zu diesem Ergebnis führe eine Regelung und Betriebsführung der eingesetzten WEA's, das dem konventionellen Kraftwerkscharakter nahe komme.
3.6 Aus dem Vorstehenden gelangt die Kammer zum Schluss, dass der Fachmann zum Anmeldetag des Patents ausgehend von D2 sehr wohl mit dem Betrieb von WEA's größerer Leistung in Relation zur Netzgröße und der damit verbundenen Notwendigkeit einer Netzregelung in Hinblick auf schwankende Netzfrequenzen konfrontiert wird, und zwar ohne das von der Beschwerdeführerin angezogene Vorurteil zu - bisher - dezentral betriebenen Kleinkraftwerken überwinden zu müssen.
Der Fachmann würde daher für den Betrieb einer leistungsstarken WEA aus D2, insbesondere in schwachen Netzen, ohne weiters die üblichen (und bekannten) Maßnahmen zur Frequenzhaltung im Netz beim Betrieb konventioneller Großkraftwerke in Betracht ziehen.
Unbestritten entnimmt der Fachmann hierzu durchgehend die Idee, eine gestufte Leistungsreduktion der am Generator des Kraftwerks erzeugten Leistung als frequenzbedingte Maßnahme zur Vermeidung von Störungen bzw. zur Verminderung ihrer Auswirkungen im Netz vorzunehmen, vgl. D1 (Punkt 3.1.5), D27 (Seite 591, linke Spalte, vorletzter Absatz), und D28 (Seite 75, mittlere und rechte Spalte; Seite 77, Tabelle 1).
3.7 Die Kammer stimmt jedoch mit der Beschwerdeführerin überein, dass konventionelle Kraftwerke und WEA's technisch sehr unterschiedlichen Leistungsregelungen unterliegen.
So werden bei üblichen Kraftwerken bei Netzfrequenzschwankungen zunächst Eingriffe in die Primärenergieversorgung des Kraftwerks vorgenommen (einstellbare Regelstatik), und erst bei größeren Störungen des Gleichgewichts zwischen Erzeugung und Verbrauch werden Sekundär- bzw. Tertiärregelungen wirksam, um die Nennfrequenz von 50 Hz wieder herzustellen. Vgl. D28, Seite 76 (Abb.2: Statikkennlinie), Seite 75 (mittlere und rechte Spalte: Primär-, Sekundär- Tertiärregelung), und Seite 77 (Tabelle 1: zuerst Leistungsreduktion durch Aktivierung der Primärregelreserven des Kraftwerks; später z.B. Abschalten von Maschinensätzen, Zuschalten von Speicherpumpen, etc., zur Sekundär-/Tertiärregelung).
Wie von der Beschwerdeführerin ausgeführt, wird eine WEA hingegen immer mit einer variablen Leistung zufolge Wind (im Teillast bzw. Volllastbereich) betrieben. Da die Leistung zufolge Wind schwankt, ist sie auch nicht mittels Zugriff auf eine Regelstatikkurve wie bei konventionellen Kraftwerken einstellbar, ganz zu Schweigen von der Art und Weise zusätzlicher Sekundär- oder Tertiärregelungen.
3.8 Die Kammer folgt daher der Auffassung der Beschwerdeführerin, dass, selbst wenn der Fachmann die Idee der gestuften Leistungsreduktion in Abhängigkeit der Netzfrequenz von Großkraftwerken auf eine WEA aus D2 übertragen würde, die Frage der technischen Umsetzung für eine WEA der D2 offen bleibt.
Wie von der Beschwerdeführerin argumentiert, bestehen hierzu mehrere Möglichkeiten, wie beispielsweise die Generatorleistung zu erhöhen (Steuerung Erregerleistung), die Anlage leicht aus dem Wind zu drehen, Energie in die Erde abzuleiten, usw.. Die Beschwerdegegnerin führt aus, dass die Pitchverstellung einer WEA aus D2 ebenfalls eine naheliegende Möglichkeit wäre.
Unbestritten erfolgt mittels der Pitchverstellung beim Vollumrichterkonzept der D2 zur Leistungsregelung jedoch keine Regelung des Blatteinstellwinkels im Teillastbereich. Die Pitchverstellung wird erst im Volllastbereich wirksam, um dadurch bei zu starkem Wind die Leistung der WEA auf die maximal erlaubte Nennleistung zu begrenzen, vgl. D2, Seite 327, zweiter Absatz: Begrenzung der Abgabeleistung. Folglich stellt die Verstellbarkeit der Rotorblätter zwar eine aus D2 bekannte Funktion da, deren Verwendung zielt aber auf eine Regelung zur Begrenzung der Leistung nach oben ab. Wie von der Beschwerdeführerin ergänzt, würden aus der Sicht des Fachmanns zusätzliche Eingriffe in die Blattverstellung auch gegen deren Lebensdauer sprechen.
Demgegenüber wird bei der geforderten Anstellung der Rotorblätter in den Wind im Verfahren nach Anspruch 1 des Patents stets ein Reduzieren der Leistung nach unten sowohl im Teillast- als auch im Volllastbereich der WEA für die Frequenzhaltung im Netz ermöglicht.
3.9 Zusammenfassend kommt die Kammer daher zum Schluss, dass, selbst wenn der Fachmann ausgehend vom Betrieb einer WEA aus D2 zur Frequenzhaltung das Konzept der stufenweisen Leistungsreduktion der am Generator erzeugten Leistung in Betracht ziehen würde, die technische Umsetzung für eine WEA der D2 nicht nahe liegt, da erstens dafür mehrere Möglichkeiten zur Auswahl stünden, und zweitens die Pitchverstellung in D2 eine andere Verwendung suggeriert, nämlich die Leistung der WEA bei zu hohen Windgeschwindigkeiten nach oben auf die zulässige Nennleistung zu begrenzen. Auch der bekanntgewordene Stand der Technik kann hierzu keine Anregungen oder Hinweise liefern.
Ob ausgehend von D2 die in Anspruch 1 beanspruchte Begrenzung der Netzfrequenz auf 3 (3 pro thousand) über ihrem Sollwert für den Fachmann im Hintergrund der Vorgaben der Netzbetreiber für den Fachmann naheliegt, oder nicht, kann dahingestellt bleiben.
3.10 Der Gegenstand des Verfahrens nach Anspruch 1 beruht somit im Lichte der Dokumente D2 und D1 (oder D27, D28) auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.
3.11 Die Beschreibung ist entsprechend angepasst worden und erfüllt die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ. Die Kammer stellt daher fest, dass unter Berücksichtigung der mit dem Hauptantrag vorgenommenen Änderungen das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen. Somit kann das Patent in geänderter Fassung aufrechterhalten werden, Artikel 101 (3) a) EPÜ.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtenen Entscheidungen werden aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche:
- Anspruch 1 wie im Hauptantrag (ehemaliger Hilfsantrag 6, eingereicht am 27.Mai 2013),
Beschreibung:
- Seite 2, wie eingereicht während der mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer;
- Seite 3, der veröffentlichten Patentschrift,
Zeichnungen:
- Figuren Nr. 1-6 der veröffentlichten Patentschrift.