European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T166314.20181018 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 18 October 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1663/14 | ||||||||
Anmeldenummer: | 04002857.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01C 15/00 G01S 5/16 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Bestimmung der räumlichen Lage und Position eines Reflektorstabes in Bezug zu einem Messpunkt | ||||||||
Name des Anmelders: | Trimble Jena GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Leica Geosystems AG | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (nein) Ausreichende Offenbarung - unzumutbarer Aufwand (ja) Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 1475607 in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, Beschwerde eingelegt.
II. Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 52(1), 54(1) und 56 EPÜ, Artikel 100(b) EPÜ in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ, sowie Artikel 100(c) EPÜ in Verbindung mit 123(2) EPÜ angegriffen worden.
III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß Hauptantrag das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügten.
IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten mit.
V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 18. Oktober 2018 statt.
VI. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.
VII. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang mit den Ansprüchen gemäß Hauptantrag oder den Hilfsanträgen 1 bis 16, eingereicht mit Schreiben vom 17. April 2015, jeweils in der Reinschrift.
VIII. Der Wortlaut des Verfahrensanspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet (die aus der angefochtenen Entscheidung bekannte Nummerierung 1A bis 1K der Merkmale des Anspruchs 1 des damaligen Hauptantrags wird übernommen und dem eigentlichen Wortlaut der jeweiligen Merkmale des Anspruchs 1 vorangestellt):
"(1A) Verfahren zur Bestimmung der räumlichen Lage und Position eines an einem im Zielort gelegenen Meß- oder Aufhaltepunkt P positionierten, mit einem Reflektor (3) versehenen Reflektorstabes (1)
(1B) mit Hilfe eines von einer Lichtquelle einer Basisstation (6) zu dem Reflektor (3) ausgesendeten Licht- oder Zielstrahls ZS,
- (1C) wobei der Reflektor (3) und ein mit diesem in einer festen Beziehung stehender, erster Positionssensor (5) ein erstes Koordinatensystem definiert,
- (1D) wobei die Richtung des Lichtstrahls zum Reflektor (3) in einem zweiten Koordinatensystem mit Hilfe des Horizontal- und Vertikalwinkels (Hz; V) der Zielachse (7) der den Lichtstrahl aussendenden Basisstation (6) und die Distanz D von der Basisstation (6) zum Reflektor (3) von der Basisstation (6) aus gemessen wird;
- (1E) und wobei mit einem zweiten Positionssensor (9), der in Zielrichtung der Zielachse (7) der Basisstation (6) angeordnet ist und dessen räumliche Lage und Position zum zweiten Koordinatensystem bekannt ist, die Lage und Orientierung des Reflektorstabes (1) erfaßt wird,
gekennzeichnet durch folgende Verfahrensschritte:
- (1F) Erzeugung von Meßdaten im ersten Koordinatensystem zur Bestimmung der räumlichen Orientierung des Reflektors (3) und damit des Reflektorstabes (1) zum von der Basisstation (6) ausgesendeten Lichtstrahl mittels des ersten Positionssensors (5),
- (1G) Abbildung des Reflektorstabes (1) zusammen mit dem Reflektor (3) durch eine Abbildungsoptik der Basisstation (6) auf den in der Basisstation (6) angeordneten, zweiten Positionssensor (9),
- (1H) Bestimmung der Lage und der Position des Reflektors (3) im zweiten Koordinatensystem aus dem gemessenen Horizontal- und Vertikalwinkel (Hz; V) und der Distanz D von der Basisstation (6) zum Reflektor (3),
- (1I) Bestimmung von Rotationsparametern der räumlichen Orientierung des ersten Koordinatensystems gegenüber dem zweiten Koordinatensystem mittels der mit dem ersten und zweiten Positionssensor (5; 9) erzeugten Meßdaten,
- (1J) Bestimmung der Lage und der Position des am Meßpunkt oder Aufhaltepunkt P positionierten Reflektorstabes (1) im zweiten Koordinatensystem mittels der Lage und der Position des Reflektors (3) im zweiten Koordinatensystem und der Rotationsparameter der räumlichen Orientierung des ersten Koordinatensystems gegenüber dem zweiten Koordinatensystem; und
- (1K) Bestimmung von Koordinaten eines Endes (4) des Reflektorstabes (1) im zweiten Koordinatensystem, abhängig von der bestimmten Lage und Position des Reflektorstabes (1), wobei das Ende (4) am Mess- oder Aufhaltepunkt P aufgelegt ist."
IX. Der Wortlaut des unabhängigen Vorrichtungsanspruchs 3 gemäß Hauptantrag lautet (die aus der angefochtenen Entscheidung bekannte Nummerierung 3A bis 3J der Merkmale des Anspruchs 3 des damaligen Hauptantrags wird übernommen und dem eigentlichen Wortlaut der jeweiligen Merkmalen des vorliegenden Anspruchs 1 vorangestellt):
"(3A) Anordnung zur Bestimmung der räumlichen Lage und Position eines an einem im Zielort gelegenen Meß- oder Aufhaltepunkt P positionierten, mit einem fest angeordneten Reflektor (3) versehenen Reflektorstabes (1), umfassend- (3B) eine Basisstation (6)- (3C) mit einer, einen Licht- oder Zielstrahl ZS in einer Zielachse (7) zu einem Zielort aussendenden Lichtquelle,- (3D) mit einem zweiten Positionssensor (9) zur Erzeugung von Meßwerten und Koordinaten charakterisierenden zweiten Meßdaten, welcher in Zielrichtung der Zielachse (7) der Basisstation (6) angeordnet ist,- (3E) mit einer abbildenden Optik zur Abbildung des Reflektorstabes (1) mit dem Reflektor (3) auf den zweiten Positionssensor (9),- (3F) mit Horizontal- (Hz) und Vertikalwinkel (V) messenden, ersten Meßmitteln zur Bestimmung der Richtung des Licht- oder Zielstrahls ZS, die ein zweites Koordinatensystem definieren,- (3G) und zweite Meßmittel zur Messung der Distanz D von der Basisstation (6) zum Reflektor (3),- (3H) ein, ein erstes Koordinatensystem definierender, erster Positionssensor (5) zur Erzeugung von die Lage und Position des Reflektors (3) zum Zielstrahl ZS charakterisierenden, ersten Meßdaten, welcher in einer definierten Position und Orientierung fest mit dem Reflektor (3) verbunden ist,- (3I) eine Auswerteeinheit (12) zur Ermittlung und Berechnung der räumlichen Lage und Position des am Meß- oder Aufhaltepunkt P positionierten Reflektorstabes (1) in Koordinaten des zweiten Koordinatensystems, wobei die Auswerteeinheit (12), zur Bestimmung von Rotationsparametern der räumlichen Orientierung des ersten Koordinatensystems gegenüber dem zweiten Koordinatensystem, datenmäßig mit dem ersten und dem zweiten Positionssensor (5, 9) sowie, zur Bestimmung der Lage und der Position des Reflektors (3) im zweiten Koordinatensystem, mit den ersten und den zweiten Meßmitteln, zur Messung des Horizontal-(Hz) und des Vertikalwinkels (V) und der Distanz (D), verbunden ist;- (3J) wobei die Auswerteeinheit (12) konfiguriert ist Koordinaten eines Endes (4) des Reflektorstabes (1) im zweiten Koordinatensystem zu bestimmen, abhängig von der bestimmten Lage und Position des Reflektorstabes (1), wobei das Ende (4) am Mess- oder Aufhaltepunkt P aufgelegt ist."
X. Der Wortlaut des unabhängigen Vorrichtungsanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 lautet (die aus der angefochtenen Entscheidung bekannte Nummerierung 3A bis 3I der Merkmale des Anspruchs 3 des Hauptantrags wird übernommen und dem eigentlichen Wortlaut der jeweiligen Merkmale des vorliegenden Anspruchs 1 vorangestellt; zusätzliche Merkmale wurden mit der Bezeichnung 3J, 3K und 3L nummeriert):
"(3A) Anordnung zur Bestimmung der räumlichen Lage und Position eines an einem im Zielort gelegenen Meß- oder Aufhaltepunkt P positionierten, mit einem fest angeordneten Reflektor (3) versehenen Reflektorstabes (1), umfassend- den Reflektorstab (1) und den Reflektor (3);- (3B) eine Basisstation (6)- (3C) mit einer, einen Licht- oder Zielstrahl ZS in einer Zielachse (7) zu einem Zielort aussendenden Lichtquelle,- (3D) mit einem zweiten Positionssensor (9) zur Erzeugung von Meßwerten und Koordinaten charakterisierenden zweiten Meßdaten, welcher in Zielrichtung der Zielachse (7) der Basisstation (6) angeordnet ist,- (3E) mit einer abbildenden Optik zur Abbildung des Reflektorstabes (1) mit dem Reflektor (3) auf den zweiten Positionssensor (9),- (3F) mit Horizontal- (Hz) und Vertikalwinkel (V) messenden, ersten Meßmitteln zur Bestimmung der Richtung des Licht- oder Zielstrahls ZS, die ein zweites Koordinatensystem definieren,- (3G) und zweite Meßmittel zur Messung der Distanz D von der Basisstation (6) zum Reflektor (3),- (3H) ein, ein erstes Koordinatensystem definierender, erster Positionssensor (5) zur Erzeugung von die Lage und Position des Reflektors (3) zum Zielstrahl ZS charakterisierenden, ersten Meßdaten, welcher in einer definierten Position und Orientierung fest mit dem Reflektor (3) verbunden ist,- (3I) eine Auswerteeinheit (12) zur Ermittlung und Berechnung der räumlichen Lage und Position des am Meß- oder Aufhaltepunkt P positionierten Reflektorstabes (1) in Koordinaten des zweiten Koordinatensystems, wobei die Auswerteeinheit (12), zur Bestimmung von Rotationsparametern der räumlichen Orientierung des ersten Koordinatensystems gegenüber dem zweiten Koordinatensystem, datenmäßig mit dem ersten und dem zweiten Positionssensor (5, 9) sowie, zur Bestimmung der Lage und der Position des Reflektors (3) im zweiten Koordinatensystem, mit den ersten und den zweiten Meßmitteln, zur Messung des Horizontal-(Hz) und des Vertikalwinkels (V) und der Distanz (D), verbunden ist; wobei die Auswerteeinheit (12) konfiguriert ist: - (3J) die Rotationsparameter der räumlichen Orientierung des ersten Koordinatensystems gegenüber dem zweiten Koordinatensystem zu bestimmen mittels der mit dem ersten und zweiten Positionssensor (5; 9) erzeugten Meßdaten; - (3K) die Lage und die Position des am Meßpunkt oder Aufhaltepunkt P positionierten Reflektorstabes (1) im zweiten Koordinatensystem zu bestimmen mittels der Lage und der Position des Reflektors (3) im zweiten Koordinatensystem, wobei die Lage des Reflektors (3) im zweiten Koordinatensystem bestimmt wird mittels der Rotationsparameter der räumlichen Orientierung des ersten Koordinatensystems gegenüber dem zweiten Koordinatensystem; und - (3L) Koordinaten eines Endes (4) des Reflektorstabes (1) im zweiten Koordinatensystem zu bestimmen, abhängig von der bestimmten Lage und Position des Reflektorstabes (1), wobei das Ende (4) am Mess- oder Aufhaltepunkt P aufgelegt ist."
XI. Für den Wortlaut der Ansprüche der Hilfsanträge 1, 2 und 4 bis 16 wird auf den Anhang der Beschwerdeerwiderung der Patentinhaberin, eingereicht mit Schreiben vom 17. April 2015, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag
1.1 Zulassung in das Beschwerdeverfahren - Regel 80 EPÜ
1.1.1 Der vorliegende, unabhängige Vorrichtungsanspruch 3 unterscheidet sich von dem von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung als gewährbar angesehenen Vorrichtungsanspruch 3, durch (i) das Streichen der Wörter "ferner dazu" und (ii) das Hinzufügen der Wörter "im zweiten Koordinatensystem" im Merkmal (3J).
1.1.2 Die Einsprechende beantragte, mit Verweis auf Regel 80 EPÜ, den Hauptantrag nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen, weil der Anspruchs 3 im Vergleich zu der von der Einspruchsabteilung als gewährbar angesehenen Fassung Änderungen beinhalte, die nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst seien.
1.1.3 Laut Patentinhaberin wird im Merkmal (3J) die Auswerteeinheit zum ersten Mal im Anspruch 3 konfiguriert. Durch das Streichen der Wörter "ferner dazu" im Satz "wobei die Auswerteeinheit ferner dazu konfiguriert ist" werde klar gestellt, dass keine vorherige Konfiguration der Auswerteeinheit gemäß Anspruch 3 stattgefunden habe. Da das gesamte Merkmal (3J) eine Änderung des erteilten Patents darstellt, sei eine erneute, durch Klarheit veranlasste Änderung des Merkmals (3J) gewährbar.
Das Hinzufügen der Wörter "im zweiten Koordinatensystem" stelle eine Einschränkung des Schutzumfangs des unabhängigen Anspruchs 3 auf ein bestimmtes Koordinatensystem dar. Daher sei auch diese Änderung durch einen Einspruchsgrund veranlasst.
1.1.4 Die Kammer bemerkt, dass die beiden Änderungen das Merkmal (3J), welches an sich bereits eine nach Regel 80 EPÜ gewährbare Änderung des erteilten Patents darstellt, betreffen. Daher steht die Regel 80 EPÜ der Zulassung der beiden Änderungen (i) und (ii) nicht im Wege.
Die Kammer sieht auch keinen Grund, den mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hauptantrag nach Artikel 12(4) VOBK nicht zuzulassen. Die Einsprechende hat sich auf diese Bestimmung auch nicht berufen.
1.2 Zulassung in das Beschwerdeverfahren -Verschlechterungsverbot
1.2.1 Die Einsprechende beantragte, den Hauptantrag nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen, weil die Patentinhaberin keine Beschwerde eingelegt habe und darauf beschränkt sei, das Patent in der der Zwischenentscheidung zugrunde liegenden Fassung zu verteidigen. Aufgrund der Änderungen (i) und (ii) des Merkmals (3J) sei der Schutzumfang des Anspruchs 3 vergrößert worden. Die Patentinhaberin könne dadurch eine bessere Stellung im Beschwerdeverfahren erlangen.
Die Einsprechende argumentierte, dass die Auswerteeinheit gemäß des Anspruchs 3 der Zwischenentscheidung durch die Merkmale (3I) und (3J) in zwei Schritten konfiguriert werde. Durch das Streichen der Wörter "ferner dazu" werde die Auswerteeinheit gemäß des vorliegenden Anspruchs 3 in einem einzigen Schritt durch die Merkmale (3I) und (3J) konfiguriert. Dies stelle eine Verallgemeinerung dar, die den Schutzumfang des Anspruchs 3 vergrößere.
1.2.2 Die Kammer kann dieser Argumentation nicht folgen. In beiden Fassungen des Vorrichtungsanspruchs 3 wird eine Auswerteeinheit definiert, die die Merkmale (3I) und (3J) aufweist. Ob das Merkmal (3J) zu Merkmal (3I) "ferner dazu" kommt oder ob beide Merkmale gleichzeitig in der Vorrichtung vorhanden sind, ändert den Schutzumfang des Vorrichtungsanspruchs nicht.
Das Verschlechterungsverbot steht dem Zulassen des Hauptantrags in das Beschwerdeverfahren daher nicht im Wege.
1.3 Nach alledem wird der Hauptantrag in das Beschwerdeverfahren zugelassen.
1.4 Ausreichende Offenbarung
Das Patent offenbart die Erfindung gemäß Anspruch 1 nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 83 und 100 b) EPÜ 1973).
1.4.1 Die Kammer legt den im Patent verwendeten Ausdruck "Lage und Position" im Sinne von "Orientierung und Position" aus, d.h. die "Lage" ist nur durch rotatorische Freiheitsgrade, und die "Position" ist nur durch translatorische Freiheitsgrade definiert. Diese Auslegung steht im Einklang mit der schriftlichen Aussage der Patentinhaberin in ihrer Beschwerdeerwiderung, Punkt IV.2.1b), sowie mit deren mündlicher Aussage am Vormittag der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer.
Gemäß dem Verfahrensschritt des Merkmals (1H) des Anspruchs 1 sollen die Lage und die Position des Reflektors im zweiten Koordinatensystem aus dem gemessenen Horizontal- und Vertikalwinkel (Hz, V) und der Distanz D von der Basisstation zum Reflektor bestimmt werden.
Aus der Patentbeschreibung erfährt der Fachmann, dass die Basisstation (6) beispielsweise als Theodolit mit Entfernungsmesser realisiert ist (Spalte 7, Zeile 3), d.h. die Basisstation (6) besitzt ein Horizontal- und ein Vertikalwinkelmesssystem (10, 11) zur Messung der Winkel Hz und V, sowie einen Distanzmesser zur Messung der Distanz D (Spalte 7, Zeilen 37 bis 45; Figur 1). Diese Messgeräte befinden sich an der Basisstation (6), welche "ein räumlich feststehendes, übergeordnetes zweites Koordinatensystem mit den Koordinatenachsen X, Y und Z" bildet (Spalte 6, Zeilen 6 bis 12). Anhand dieser Informationen ist es für den Fachmann nachvollziehbar, dass die Messung der Parameter Hz, V und D die Bestimmung der Position des Reflektors in allen drei translatorischen Freiheitsgraden ermöglicht.
Die Bestimmung der Lage des Reflektors anhand der drei Parameter Hz, V und D ist jedoch technisch nicht möglich. Dies wurde von der Patentinhaberin auch nicht bestritten. Auch aus der Beschreibung und der Figur des Patents ergeben sich für den Fachmann keine zusätzlichen Erkenntnisse, wie die rotatorische Lage des Reflektors ausschließlich anhand der Parameter Hz, V und D zu bestimmen sei. Die Beschreibung des Patents bestätigt zwar die Aussage, dass die Lage und die Position des Reflektors aus Hz, V und D bestimmt werden (Spalte 4, Zeilen 15 bis 18; Spalte 8, Zeilen 51 bis 55), gibt jedoch keine Erklärung, wie dies zu erreichen sei.
Es folgt, dass die in Anspruch 1 definierte Erfindung auch in Zusammenschau mit der Patentbeschreibung und der Figur 1 für den Fachmann nicht ausführbar ist.
1.4.2 Die Patentinhaberin trug folgende Gegenargumente vor, um zu belegen, dass die Erfindung ausreichend offenbart sei:
a) Der Fachmann verstehe, dass, trotz des einleitenden Wortes "aus", die Aufzählung der Parameter Hz, V und D im Merkmal (1H) nicht abschließend sei. Weitere Messungen seien notwendig, insbesondere Messungen anhand der ersten und zweiten Positionssensoren (5, 9). Da der Fachmann das Merkmal (1H) Sinn gebend auslege, sei das Merkmal (1H) für den Fachmann technisch nicht sinnlos.
Die Kammer kann dieses Argument nicht nachvollziehen. Der Wortlaut des Merkmals (1H) ist deutlich und lässt keinen anderen Schluss zu, als dass die Lage des Reflektors aus den Parametern Hz, V und D bestimmt wird. Die Patentbeschreibung, die das Merkmal (1H) inhaltsgleich wiedergibt, gibt ebenfalls keinen Anlass, die technische Aussage des Merkmals (1H) in Zweifel zu ziehen. Sollte der Fachmann trotz des Nichtvorhandenseins im Patent eines entsprechenden Hinweises Bedenken bezüglich der technischen Nichtausführbarkeit des Merkmals (1H) hegen, würde er vergeblich im Patent nach Informationen suchen, wie die Lage des Reflektors anders zu bestimmen sei.
b) Im weiteren Verlauf der Debatte erklärte die Patentinhaberin, dass der Fachmann den Begriff "Lage und Position des Reflektors" im Merkmal (1H) als Positionskoordinaten des Reflektors verstehe. Im Merkmal (1J) würde der Fachmann den Begriff "Lage und Position des Reflektors" im Sinne von Orientierung und Position des Reflektors verstehen. Der Fachmann habe die Fähigkeit, den Begriff "Lage und Position des Reflektors" sinnvoll und abhängig vom jeweiligen Kontext auszulegen. Ein Hinweis, den Begriff "Lage und Position" nicht wortwörtlich auszulegen, sondern dem Kontext anzupassen, befände sich im Begriff "Lage und Position des Meßpunktes", Spalte 4, Zeilen 24 und 25. Da es unbestritten sei, dass ein Messpunkt keine rotatorischen Freiheitsgrade habe und daher nicht anhand einer Lage sondern nur anhand einer Position definierbar sei, verstünde der Fachmann, dass der Begriff "Lage und Position" sinnvoll und kontextspezifisch auszulegen sei.
Dieses Argument überzeugt die Kammer nicht, weil identische Begriffe in einer Patentschrift grundsätzlich identisch auszulegen sind. Eine kontextspezifische Auslegung identischer Begriffe im Anspruch übersteigt die Fähigkeit des Fachmanns, insbesondere wenn, wie im vorliegendem Fall, das Patent keine Hinweise oder Rechtfertigungen offenbart, identische Begriffe unterschiedlich auszulegen. Das Vorhandensein im Patent des unstrittig fehlerhaften Begriffs "Lage und Position des Meßpunktes" ist nicht ohne weitere ausdrückliche Hinweise dazu geeignet, dem Fachmann zu offenbaren, dass der Begriff "Lage und Position des Reflektors" ebenfalls fehlerhaft sei. Dabei blieben in der Debatte die Fragen, was die Lage des Reflektors bedeute und wie sie zu bestimmen sei, unbeantwortet.
c) Die von der Einsprechenden erhobenen Einwände gegen das sich bereits im erteilten Patentanspruch 1 befindliche Merkmal (1H) stellten Klarheitseinwände nach Artikel 84 EPÜ 1973 dar. Gemäß gängiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern dürften keine Klarheitseinwände gegen erteilte Ansprüche erhoben werden. Bei eventuell unklaren Ansprüchen müsste die Erfindung in Zusammenschau mit der Beschreibung und den Figuren des Patents sinnvoll gedeutet werden. Anhand der Patentbeschreibung, [0015] und [0031] bis [0037], und der Figur 1, verstünde der Fachmann, unabhängig von eventuellen Unklarheiten im Anspruch 1, wie die Lage des Reflektors zu bestimmen sei, nämlich insbesondere durch Benutzung der Messungen der beiden Positionssensoren.
Wie oben in Punkt 1.4.1 erläutert, ist der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht unklar definiert, sondern technisch nicht realisierbar. Auch im Lichte der Beschreibung und der Figur 1 des Patents ist für den Fachmann nicht ersichtlich, auf welche Art die rotatorischen Freiheitsgrade des Reflektors, d.h. dessen Lage, bestimmt werden. Der pauschale Hinweis der Patentinhaberin auf die Beschreibung, [0015] und [0031] bis [0037], und auf die Figur 1 des Patents genügen dem Fachmann nicht, die Lage des Reflektors ohne unzumutbaren Aufwand zu bestimmen. Insbesondere offenbart das Patent nicht, auf welche Art die Lage des Reflektors anhand der beiden Positionssensoren bestimmt werden soll.
1.4.3 Die Kammer kommt zum Schluss, dass auch im Lichte der Beschreibung und der Figur des Patents die Bestimmung der Lage des Reflektors gemäß dem Merkmal (1H) des Anspruchs 1 technisch nicht realisierbar ist. Der Versuch, nach Umdeutung der Begriffe "Lage und Position des Reflektors", die Erfindung mit Hilfe der Beschreibung und der Figur des Patents zu realisieren, insbesondere die Lage und die Position des Reflektors anhand aller offenbarten translatorischen und rotatorischen Messwerte zu bestimmen, ist mit einem unzumutbaren Aufwand für den Fachmann verbunden.
Daher ist die Erfindung gemäß Anspruch 1 nicht so deutlich und vollständig im Patent offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 83 und 100 b) EPÜ 1973).
2. Hilfsanträge 1, 2, 4 bis 6, 8 bis 10, 12 bis 14 und 16
Laut der Einsprechenden ist die im Anspruch 1 der Hilfsanträge 1, 2, 4 bis 6, 8 bis 10, 12 bis 14 und 16 definierte Erfindung aus den gleichen Gründen wie die Erfindung des Hauptantrags nicht ausführbar. Anspruch 1 der jeweiligen Hilfsanträge 1, 2, 4 bis 6, 8 bis 10, 12 bis 14 und 16 beinhalte das gleiche Merkmal (1H) wie Anspruch 1 des Hauptantrags, und die hinzugekommenen Änderungen seien nicht geeignet, den Einwand der Nichtausführbarkeit zu beseitigen.
Die Patentinhaberin enthielt sich eines Kommentars zu dieser Thematik.
Die Kammer folgt der Meinung der Einsprechenden und kommt zum Schluss, dass die Erfindung gemäß Anspruch 1 der jeweiligen Hilfsanträge 1, 2, 4 bis 6, 8 bis 10, 12 bis 14 und 16 nicht so deutlich und vollständig im Patent offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 83 und 100 b) EPÜ 1973).
3. Hilfsantrag 3
Der Gegenstand des Anspruchs 1 geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und verletzt damit das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ. Die Gründe sind wie folgt:
3.1 Gemäß dem Merkmal (3K) des Anspruchs 1 ist die Auswerteeinheit konfiguriert, um "die Lage und die Position des am Messpunkt oder Aufhaltepunkt P positionierten Reflektorstabes (1) im zweiten Koordinatensystem zu bestimmen mittels der Lage und der Position des Reflektors (3) im zweiten Koordinatensystem, wobei die Lage des Reflektors (3) im zweiten Koordinatensystem bestimmt wird mittels der Rotationsparameter der räumlichen Orientierung des ersten Koordinatensystems gegenüber dem zweiten Koordinatensystem".
3.2 Laut Argumentation der Patentinhaberin während der mündlichen Verhandlung ist das Merkmal (3K) des vorliegenden Anspruchs 1 im Merkmal 1J des Anspruchs 1, auf Seite 10, Zeilen 11 bis 19 und auf Seite 6, Zeilen 7 bis 13 der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen zu finden (siehe auch Beschwerdeerwiderung, Anhang "Ansprüche Änderungsversion (Hilfsantrag 3)", Fußnote auf Seite 2).
3.3 Die Kammer kann dieser Aussage nicht folgen. Insbesondere ist das Merkmal "wobei die Lage des Reflektors (3) im zweiten Koordinatensystem bestimmt wird mittels der Rotationsparameter der räumlichen Orientierung des ersten Koordinatensystems gegenüber dem zweiten Koordinatensystem" in keiner dieser Textstellen zu finden:
- Angebliche Basis im Merkmal 1J:
Gemäß Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht umfasst das Verfahren den Verfahrensschritt "Bestimmung der Lage und der Position des Meßpunktes oder Aufhaltepunktes P im zweiten Koordinatensystem mittels der Lage und der Position des Reflektors (3) und der Rotationsparameter der räumlichen Orientierung des ersten Koordinatensystems gegenüber dem zweiten Koordinatensystem". Der ursprüngliche Anspruch 1 gibt jedoch keine Auskunft über die Art, wie die Lage des Reflektors (3) ermittelt wird.
- Angebliche Basis auf Seite 10, Zeilen 11 bis 19:
Gemäß dieser Textstelle werden "aus der Lage und Position des Reflektors 3, gemessen im zweiten Koordinatensystem der Basisstation 6 mittels der Horizontal- und Vertikalwinkel Hz und V sowie der Distanz D, und den Rotationsparametern (...) die Koordinaten X; Y und Z des Punktes P im zweiten Koordinatensystem der Basisstation 6 berechnet". Dies bedeutet, dass die Rotationsparameter in die Berechnung der Koordinaten des Punktes P einfließen, jedoch nicht, wie im vorliegendem Merkmal (3K) definiert, dass die Rotationsparameter zur Bestimmung der Lage des Reflektors benutzt werden.
- Angebliche Basis auf Seite 6, Zeilen 7 bis 13:
Diese Textstelle offenbart eine Auswerteeinheit zur Bestimmung der Lage und Position des Reflektorstabes, sowie dessen Verbindungen mit den verschiedenen Messmitteln. Die Art der Bestimmung der Lage des Reflektors wird nicht erwähnt.
Keine der von der Patentinhaberin angegebenen Textstellen offenbart die in dem Merkmal (3K) des vorliegenden Anspruchs 1 definierte Art der Bestimmung der Lage des Reflektors. Die Kammer sieht keine sonstigen Textstellen in der ursprünglichen Beschreibung oder Hinweise in der Figur, die eine ausreichende Basis für das geänderte Merkmal (3K) darstellen.
3.4 Es folgt, dass das Merkmal (3K) eine Änderung darstellt, die über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgeht.
4. Hilfsanträge 7, 11 und 15
Laut der Einsprechenden beinhaltet Anspruch 1 der Hilfsanträge 7, 11 und 15 dasselbe Merkmal (3K) wie Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 und verletzt daher das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ.
Die Patentinhaberin enthielt sich eines Kommentars zu dieser Thematik.
Die Kammer folgt der Meinung der Einsprechenden und kommt zum Schluss, dass der Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 7, 11 und 15 Änderungen beinhaltet, die über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen (Artikel 123(2) EPÜ).
5. Aus diesen Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass das Patent widerrufen werden muss.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.