European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T161614.20190121 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 21 Januar 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1616/14 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06005423.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01L 5/28 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zum Prüfen der Bremse eines Motors eines Roboters | ||||||||
Name des Anmelders: | YASKAWA Europe GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | KUKA Roboter GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - (nein) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, wonach das Streitpatent in der Fassung des ersten Hilfsantrags die Erfordernisse des EPÜ erfüllt. Insbesondere hatte die Einspruchsabteilung entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 dieses Antrags neu und erfinderisch sei.
II. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vertrat die Kammer die vorläufige Meinung, dass es dem Gegenstand des Anspruchs 1 an erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973) mangele.
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Wie in ihrer Erwiderung auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung angekündigt, blieb die Beschwerdegegnerin der mündlichen Verhandlung fern. Gemäß Regel 115 (2) EPÜ und Artikel 15 (3) VOBK fand die mündliche Verhandlung daraufhin ohne die Beschwerdegegnerin statt. Durch ihr Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung hat sich die Beschwerdegegnerin gegen ein weiteres Vorbringen entschieden. Im vorliegenden Fall wird die Beschwerdegegnerin daher so behandelt, als stütze sie sich lediglich auf ihr schriftliches Vorbringen.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent im gesamten Umfang zu widerrufen.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt in ihrer Beschwerdeerwiderung, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent auf Grundlage der der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung zu Grunde liegenden geänderten Anspruchsfassung aufrechtzuerhalten.
VI. Anspruch 1 des in geändertem Umfang aufrechterhaltenen Patents lautet wie folgt [Merkmalsgliederung durch die Kammer]:
"A. Verfahren zum Prüfen der Bremse (2) eines Motors (1)
eines Roboters,
B. wobei der Motor (1) bei eingefallener Bremse (2) mit
einem definierten Drehmoment angesteuert wird und
C. die Position (phi) des Motors (1) mit dessen
Anfangsposition verglichen wird,
dadurch gekennzeichnet,
D. daß das Verfahren mit einem höherem Drehmoment erneut
durchgeführt wird
E. und zwar so lange, bis sich die Position des Motors
ändert oder das maximal mögliche Motordrehmoment
erreicht ist,
F. wobei das Drehmoment stufenweise erhöht wird und
G. wobei das oder die Drehmomente gespeichert werden und
H. das Verfahren nach einer bestimmten Zeit erneut
durchgeführt wird und
I. die ermittelten Werte mit früher gespeicherten Werten
verglichen werden."
VII. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D1: DE 197 56 752 A1
D5: EP 1 215 475 A2
Entscheidungsgründe
Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ 1973
1. Nächstliegender Stand der Technik
1.1 Merkmale A, B und C
Das Dokument D1 wurde in der Entscheidung der Einspruchsabteilung als nächstliegender Stand der Technik betrachtet. Aus D1 (siehe Spalte 1, Zeile 59 bis Spalte 2, Zeile 1, Spalte 2, Zeilen 28 bis 36 und Spalte 4, Zeilen 46 bis 58) sind die Merkmale A, B und C unstrittig bekannt.
1.2 Merkmal D
Merkmal D definiert, dass "das Verfahren mit einem höheren Drehmoment erneut durchgeführt wird".
Die Kammer interpretiert dieses Merkmal so, dass die in den Merkmalen B und C aufgeführten Verfahrensschritte erneut durchgeführt werden.
Dokument D1 (siehe Spalte 4, Zeilen 48 bis 51) offenbart unstrittig eine erneute Durchführung des Verfahrens mit erhöhtem Drehmoment. Strittig ist jedoch die Frage, ob das erhöhte Drehmoment "definiert" ist, wie es in Merkmal B gefordert wird.
1.2.1 Die Einsprechende ist der Auffassung, dass D1 auch ein definiertes höheres Drehmoment offenbare. Unter Verweis auf Spalte 4, Zeilen 48 bis 51 sowie Anspruch 8 argumentiert sie, dass D1 explizit offenbare, von einem definierten Drehmoment auszugehen und dieses entsprechend einer vorgegebenen Funktion, nach Anspruch 8 gemäß einer Sprung- oder Rampenfunktion, zu verändern. Damit sei auch das erhöhte Drehmoment definiert.
1.2.2 Die Patentinhaberin argumentiert, dass D1 lediglich eine Erhöhung des Anlaufstroms offenbare, woraus sich nicht ableiten lasse, dass der Motor mit einem definierten höheren Drehmoment angesteuert werde. D1 offenbare zwar ein definiertes Anfangsdrehmoment, jedoch kein weiteres "diskretes" Drehmoment im Sinne eines erhöhten und definierten Drehmoments. Die Patentinhaberin ist, entgegen der Meinung der Einsprechenden und der Einspruchsabteilung, der Auffassung, dass ein Drehmoment nur dann "definiert" sei, wenn es einen diskreten Wert annimmt, und sieht die aus D1 bekannten Funktionen nicht als "diskret/definiert" an.
1.2.3 Für die Kammer ist die Argumentation der Einsprechenden und der Einspruchsabteilung (siehe Punkt 6.3 der Entscheidung) überzeugend: Mit der Vorgabe eines definierten Anlaufstroms ist ein Drehmoment verknüpft (s. D1, Spalte 2, Zeilen 46 bis 50). Dieses ist auch bei dessen Änderung gemäß einer vorgegebenen Funktion (z.B. Sprung- oder Rampenfunktion) stets "definiert". Durch die Vorgabe einer Funktion (die ganz allgemein als eindeutige Zuordnung eines Funktionswerts zu einem Funktionsargument definiert ist) werden Drehmomente zu verschiedenen Zeiten festgelegt, womit auch erhöhte Drehmomente "definiert" sind. Damit ist das Merkmal D (in Verbindung mit Merkmal B) in D1 offenbart.
1.3 Merkmal E
Merkmal E definiert, wie lange das Verfahren mit einem erhöhten Drehmoment erneut durchgeführt wird, "und zwar so lange, bis sich die Position des Motors ändert oder das maximal mögliche Motordrehmoment erreicht ist".
1.3.1 Die Einsprechende ist der Auffassung, dass die erste Abbruchbedingung explizit aus D1, Spalte 4, Zeilen 49 bis 51 ("bis ... eine Bewegung erkannt wird"), bekannt sei. Die zweite Abbruchbedingung sei von der Patentinhaberin und der Einspruchsabteilung als implizit im Streitpatent offenbart angesehen worden (siehe Punkte 4.2 und 5.2 der Entscheidung) und sei deshalb auch in D1 implizit offenbart, da auch hier eine Erhöhung des Drehmoments über das maximal mögliche Drehmoment hinaus nicht möglich sei.
1.3.2 Die Patentinhaberin behauptet, dass das Merkmal E dem Dokument D1 nicht zu entnehmen sei.
1.3.3 Für die Kammer ist die Argumentation der Einsprechenden und der Einspruchsabteilung (siehe Punkte 6.4 und 6.5 der Entscheidung) überzeugend, wonach Dokument D1 die erste Abbruchbedingung explizit an der genannten Stelle und die zweite Abbruchbedingung (wie auch das Streitpatent) implizit offenbart.
1.4 Merkmal F
Merkmal F definiert, dass "das Drehmoment stufenweise erhöht wird".
1.4.1 Die Einsprechende ist der Auffassung, dass das Dokument D1 auch das Merkmal F offenbare. Sie argumentiert, dass der Fachmann die Angabe einer Sprungfunktion als eine mehrstufige Sprungfunktion verstehen würde, da eine Erhöhung des Anlaufstroms bis hin zur Detektion einer Bewegung nur mit mehreren Sprüngen möglich sei. Andernfalls würde auch die Angabe, dass die zeitliche Dauer der Sprungfunktion vorgegeben ist (siehe Anspruch 8), keinen Sinn ergeben. Zudem schränke der Anspruch die Stufenhöhe und -länge nicht weiter ein, so dass auch die in D1 vorgeschlagene Rampenfunktion, die in der Realität diskrete Erhöhungen in diskreten Regeltakten umfassen würde, eine stufenförmige Erhöhung darstellen würde.
1.4.2 Die Patentinhaberin argumentiert, dass D1 lediglich eine Sprungfunktion mit fest vorgegebener Zeitdauer bzw. eine Rampenfunktion offenbare, die beide keine stufenförmige Erhöhung gemäß Merkmal F darstellen würden. Insbesondere ließe sich aus der Kombination der Ansprüche 1 und 8 der D1 keine stufenförmige Erhöhung des Drehmoments herleiten, da Anspruch 1 darauf abziele, Werte des Anlaufstroms bei aktivierter und nicht-aktivierter Bremse zu vergleichen.
1.4.3 Die Kammer ist der Meinung, dass das Merkmal F aus D1 bekannt ist. Das Argument, dass die Kombination der Ansprüche 1 und 8 ein anderes Verfahren zur Überprüfung der Bremswirkung betreffe, kann nicht überzeugen. D1 offenbart deutlich (siehe Spalte 4, Zeilen 2 bis 8 und 46 bis 54), eine Positionsänderung des Motors als Abbruchkriterium für die Erhöhung des Drehmoments zu verwenden. Dies wird z.B. auch in Anspruch 3 (auf den Anspruch 8 Rückbezug nimmt) beansprucht, der als Motorparameter den Lageistwert definiert.
Dokument D1 offenbart in Anspruch 8 die Änderung des Anlaufstroms (und damit auch des Drehmoments, siehe Spalte 2, Zeilen 46 bis 50) gemäß einer Sprungfunktion. Dies entspricht einer einmaligen Erhöhung des Drehmoments, wenn diese ausreichend groß ist, die Bremskraft zu überwinden. Damit entspricht eine einmalige (= einstufige) Erhöhung der in Merkmal F beanspruchten stufenweisen Erhöhung.
1.5 Merkmal H
Merkmal H definiert, dass "das Verfahren nach einer bestimmten Zeit erneut durchgeführt wird."
1.5.1 Die Einsprechende argumentiert, dass das Dokument D1 in Spalte 2, Zeile 33 zeige, die Bremsen "in bestimmten Zeitabständen" zu überprüfen und dass damit das Merkmal H offenbart sei.
1.5.2 Die Patentinhaberin argumentiert, dass sich die genannte Stelle nicht auf das Verfahren im Sinne des Anspruchs 1 beziehe und dass deshalb das Merkmal H nicht aus D1 bekannt sei. Sie argumentiert zudem, dass diese in bestimmten Zeitabständen durchgeführte Überprüfung der Bremsen nicht mit der erfindungsgemäßen Ermittlung des zeitlichen Verlaufs der Bremsleistung gleichzusetzen sei, da die Bremsprüfungen in D1 in keinen zeitlichen Bezug zueinander gestellt werden.
1.5.3 Die Kammer folgt in ihrer Meinung der Argumentation der Einsprechenden, wonach das Merkmal H aus D1 bekannt ist. Entgegen der Argumentation der Patentinhaberin sieht die Kammer die Offenbarung aus D1, die Bremsen "in bestimmten Zeitabständen" zu überprüfen (siehe Spalte 2, Zeile 33) als explizite Offenbarung dafür an, ein Prüfverfahren, wie es in den Merkmalen A bis D beansprucht wird und aus D1 bekannt ist (siehe Punkte 1.1 und 1.2.3 oben), wie von Merkmal H gefordert "nach einer bestimmten Zeit erneut" durchzuführen. Merkmal H enthält darüber hinaus keine Einschränkung, die Werte in einen zeitlichen Bezug zueinander zu stellen, so dass dieses Argument der Patentinhaberin nicht überzeugen kann. Damit ist auch das Merkmal H aus D1 bekannt.
1.6 Merkmale G und I
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sieht die Merkmale G und I als nicht in Dokument D1 offenbart. Dies wird von keiner der Verfahrensbeteiligten bestritten.
2. Unterschied
Zusammenfassend sieht die Kammer die Merkmale A, B, C, D, E, F und H in D1 offenbart. Das Verfahren gemäß Anspruch 1 unterscheidet sich von dem aus D1 bekannten Verfahren in den Merkmalen G und I.
3. Technischer Effekt
Die Merkmale G und I definieren, dass "das oder die Drehmomente gespeichert werden und [...] die ermittelten Werte mit früher gespeicherten Werten verglichen werden."
Dies hat den Effekt, dass die zu verschiedenen Zeiten durchgeführten Bremsprüfungen miteinander verglichen werden können.
4. Objektive technische Aufgabe
4.1 Die Einsprechende sieht, ausgehend von den Unterscheidungsmerkmalen G und I, die technische Aufgabe darin, den "zeitlichen Verlauf der Bremsleistung zu ermitteln" und verweist hierzu auf Abschnitt [0012] der Streitpatentschrift.
4.2 Die Patentinhaberin sieht, ausgehend von den Unterscheidungsmerkmalen F, G, H und I, die technische Aufgabe darin, den zeitlichen Verlauf der Bremsleistung besser bzw. schneller zu ermitteln, und verweist hierzu auf die Abschnitte [0005] und [0012] der Streitpatentschrift.
4.3 Die Kammer folgt, ausgehend von den oben erläuterten Unterschieden (siehe Punkt 2.) und dem technischen Effekt (siehe Punkt 3.), der Argumentation der Einsprechenden und sieht die Aufgabe darin, die zeitliche Entwicklung der Bremsleistung zu ermitteln.
5. Erfinderische Tätigkeit - Kombination D1 mit D5
5.1 Die Einsprechende argumentiert, dass sich Dokument D5 mit der gleichen Aufgabe befasse (siehe Absätze [0002], [0004] und [0006]) und explizit offenbare, frühere Messwerte zu speichern und mit aktuellen Messwerten zu vergleichen (s. Spalte 4, Zeilen 18 bis 20, und Figur 2, Schritte 11 und 12). Die Einsprechende argumentiert weiter, dass D5, entgegen der Entscheidung der Einspruchsabteilung, auch das Abspeichern von Drehmomentwerten offenbare. Sie verweist dazu auf die Absätze [0016], [0017] und [0021].
5.2 Die Patentinhaberin argumentiert unter Verweis auf Spalte 5, Zeilen 31 ff. und Absatz [0017], dass D5 lediglich das Abspeichern von Ergebnissen eines Vergleichs, nicht jedoch das Abspeichern der Bremsdrehmomente offenbare.
5.3 Die Argumentation der Patentinhaberin ist für die Kammer aus folgenden Gründen nicht überzeugend: D5 offenbart eine "Auswertung [...] unter Heranziehung früherer Messdaten" (siehe Absatz [0016]). Des Weiteren offenbart D5, dass das Bremsmoment ein charakteristischer Zustand der Bremse ist (siehe Absatz [0017]) und dass "der Bremsenzustand bestimmt und mit früheren Daten verglichen" wird (siehe Absatz [0021]). Damit ist nach Meinung der Kammer eine Speicherung der Drehmomente (Merkmal G) und der Vergleich mit früher gespeicherten Werten (Merkmal I) offenbart. Die von der Einsprechenden angeführte Speicherung der Ergebnisse (siehe Absatz [0016] und Absatz [0021], letzter Satz) erfolgt zusätzlich zur Abspeicherung der Drehmomente.
5.4 Da D5 ebenfalls ein Verfahren zum Überprüfen von Bremsen betrifft und dem Fachmann zur Lösung der oben genannten Aufgabe die Speicherung und den Vergleich von für die Bremswirkung charakteristischen Drehmomenten lehrt, führt ihn die Kombination der Dokumente D1 und D5 zum Gegenstand des Anspruchs 1.
6. Dem Gegenstand des Anspruchs 1 mangelt es daher an erfinderischer Tätigkeit, so dass die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ 1973 nicht erfüllt sind.
Damit ist das Patent gemäß Artikel 101 (3) b) EPÜ zu widerrufen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.