T 1594/14 () of 6.11.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T159414.20181106
Datum der Entscheidung: 06 November 2018
Aktenzeichen: T 1594/14
Anmeldenummer: 07009566.6
IPC-Klasse: B29C 45/16
A61M 39/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 306 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Medizinisches Arbeitsmittel, medizinische Baugruppe mit einem derartigen Arbeitsmittel sowie Verwendung eines derartigen medizinischen Arbeitsmittels
Name des Anmelders: Raumedic AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Ausreichende Offenbarung (ja)
Patentansprüche - Klarheit (ja)
Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat Beschwerde eingelegt gegen die am 10. April 2014 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung mit der Anmeldenummer 07009566.6 zurückzuweisen.

II. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein europäisches Patent auf Basis der mit Schreiben vom 25. Oktober 2018 eingereichten Unterlagen nach dem Hauptantrag oder der mit Schreiben vom 16. April 2018 eingereichten Unterlagen nach dem Hilfsantrag zu erteilen.

Falls dem Hauptantrag nicht entsprochen wird, wird hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

III. Auf die folgenden Dokumente wird Bezug genommen:

D1: US 5 641 184 A;

D2: US 4 665 959 A;

D3: EP 999 146 A;

D4: US 4 664 659;

D5: US 2005/0238830 A1;

D6: US 2004/0133169 A1.

IV. Der einzige unabhängige Anspruch nach dem Hauptantrag lautet folgendermaßen:

"1. Medizinische Baugruppe

- mit einem medizinischen Arbeitsmittel (1; 14),

-- mit einem eine Zugangsöffnung (3; 16) und einen Hülsenabschnitt (5; 17) aufweisenden Grundkörper (2; 15) aus einem einheitlichen ersten Kunststoffmaterial,

-- mit einem die Zugangsöffnung (3; 16) verschließenden Verschlusskörper (7; 18) aus einem einheitlichen zweiten Kunststoffmaterial mit im Vergleich zum ersten Kunststoffmaterial geringerer Shorehärte,

-- wobei das Arbeitsmittel (1; 14) als Mehrkomponenten-Spritzgussteil gefertigt ist,

-- wobei das erste und das zweite Kunststoffmaterial so aufeinander abgestimmt sind, dass eine Haftverbindung zwischen dem Grundkörper (2; 15) und dem Verschlusskörper (7; 18) vorliegt,

-- wobei das zweite Kunststoffmaterial Durchstech­eigenschaften aufweist und ein thermoplastisches Elastomer (TPE) ist,

- mit einem Verbindungsabschnitt (10) aus einem dritten Kunststoffmaterial, der auf den Hülsenabschnitt (5) des Grundkörpers (2) aufgeschoben und endseitig mit diesem über einen Verbindungsbereich (11) haftend und dicht verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass

- das erste Kunststoffmaterial so auf das dritte Kunststoffmaterial abgestimmt ist, dass eine Haftverbindung zwischen dem Grundkörper (2) und dem Verbindungsabschnitt (10) durch Erwärmung von diesen auf eine Temperatur unter 160° C entsteht,

- das erste Kunststoffmaterial eine Mischung aus Polypropylen (PP) und einem Cycloolefin-Polymer (COP) ist,

-ein Gewichtsprozentverhältnis PP/COP zwischen 90:10 und 10:90 ist,

- der Verbindungsabschnitt (10) ein Acetat- oder Acrylat-Polymer umfasst."

V. Der Vortrag der Beschwerdeführerin ist im Wesentlichen wie folgt:

Grundlage für die Änderungen der Patentanmeldung

Patentanspruch 1 nach dem Hauptantrag sei eine Kombination der ursprünglichen Patentansprüche 1, 3, 4, 9 und 10 mit dem Merkmal, dass das zweite Kunststoffmaterial ein thermoplastisches Elastomer (TPE) sei (vgl. Seite 7, Zeilen 26 bis 28). Die übrigen Ansprüche und die Beschreibung seien entsprechend angepasst.

Klarheit und Ausführbarkeit

Im Anspruch 1 sei definiert, dass eine medizinische Baugruppe ein medizinisches Arbeitsmittel mit einem Grundkörper aus einem ersten Kunststoff­material und einem Verschlusskörper aus einem zweiten Kunststoff­material aufweise. Ferner umfasse die medizinische Baugruppe einen Verbindungsabschnitt aus einem dritten Kunststoffmaterial. Die Materialangaben seien für die drei Kunststoffmaterialien spezifiziert. Der unabhängige Anspruch 1 enthalte somit alle notwendigen strukturellen Merkmale der medizinischen Baugruppe. Die Patentanmeldung gemäß Hauptantrag erfülle die Erfordernisse der Ausführbarkeit und der Klarheit.

Neuheit und erfinderische Tätigkeit

Das Dokument D2 offenbare eine medizinische Baugruppe gemäß des Oberbegriffs von Anspruch 1. Das Dokument D2 zeige jedoch nicht die Unterscheidungs­merkmale gemäß des kennzeichnenden Teils, weshalb der Anspruch neu gegenüber diesem Dokument sei. Auch die weiteren, im Prüfungsverfahren genannten Druckschriften offenbarten jeweils für sich genommen nicht sämtliche Merkmale von Anspruch 1. Die Unterscheidungsmerkmale hätten den technischen Effekt, dass eine medizinische Baugruppe vorteilhaft, insbesondere kostengünstig, hergestellt werden könne. Durch die Abstimmung der Kunststoff­materialien zueinander werde eine besonders vorteilhafte Verbindung zwischen den einzelnen Kunststoffmaterialien erzeugt. Die medizinische Baugruppe sei nicht nur robust sondern auch unkompliziert in der Herstellung. Überraschend sei gefunden worden, dass durch die Abstimmung der Materialien derart, dass die Haftverbindung zwischen dem Grundkörper und dem Schlauchabschnitt durch Erwärmung auf eine Temperatur unter 160 °C entstehe, aufwendige Kunststoffschweißverbindungen entbehrlich seien. Die zugrundeliegende technische Aufgabe bestehe darin, die Herstellung einer medizinischen Baugruppe entsprechend zu verbessern. Auf die Lösung der Aufgabe gebe das Dokument D2 keinen Hinweis, da dieses Polypropylen als Kunststoffmaterial für den Grundkörper nenne (vgl. D2, Spalte 3, Zeile 2). Dass es sich erfindungsgemäß bei dem ersten Kunststoffmaterial um eine Mischung aus Polypropylen und einem Cycloolefin-Polymer (COP) in einem Gewichtsprozentverhältnis PP/COP zwischen 90:10 und 10:90 handeln solle, sei aus dem Dokument D2 nicht bekannt. Auf die weiteren Merkmale des Materials des Verbindungsabschnitts, des zweiten Kunststoffmaterials und die sich einstellende Haftverbindung zwischen dem Grundkörper und dem Verbindungsabschnitt gebe das Dokument D2 ebenfalls keinen Hinweis. Auch den weiteren, im Prüfungsverfahren genannten Druckschriften böten keine Anregung zu der beanspruchten Auswahl von Kunststoff­materialien, um eine medizinische Baugruppe mit den genannten Vorteilen und Eigenschaften herzustellen. Folglich beruhe der Gegenstand von Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Grundlage für die Änderungen der Patentanmeldung

Patentanspruch 1 nach dem Hauptantrag ist eine Kombination der ursprünglichen Patentansprüche 1, 3, 4, 9 und 10 mit dem Merkmal, dass das zweite Kunststoffmaterial ein thermoplastisches Elastomer (TPE) ist, was auf Seite 7, Zeilen 26 bis 28 der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart ist. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 5 und die Beschreibung sind an den geänderten unabhängigen Anspruch angepasst.

Die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ sind somit erfüllt.

2. Klarheit und Ausführbarkeit

2.1 Anspruch 1 ist gerichtet auf eine medizinische Baugruppe mit einem medizinischen Arbeitsmittel mit einem Grundkörper aus einer Mischung aus Polypropylen und einem Cycloolefin-Polymer in einem Gewichtsprozent­verhältnis PP/COP zwischen 90:10 und 10:90, einem Verschlusskörper aus einem thermoplastischen Elastomer und einem Verbindungsabschnitt aus einem Acetat- oder Acrylat-Polymer. Damit definiert der Patentanspruch alle strukturellen Merkmale, die nötig sind, um eine anspruchsgemäße Haftverbindung zwischen dem Grundkörper und dem Verbindungsabschnitt durch Erwärmung auf eine Temperatur unter 160 °C zu erreichen. Folglich ist der Zurückweisungsgrund des durch das Fehlen von struktur­ellen Merkmalen begründeten Mangels an Klarheit durch den in dieser Hinsicht ergänzten Anspruchswortlaut ausgeräumt.

Zudem ist die Offenbarung des Anspruchsgegenstandes in der gesamten Patentanmeldung, insbesondere in den Ausführungsbeispielen und unter Berücksichtigung des Fachwissens ausreichend, damit ein Fachmann die beanspruchte Erfindung ohne unzumutbaren Aufwand ausführen kann. Hinsichtlich der Ausführbarkeit des im kennzeichnenden Teil von Anspruch 1 genannten Aspekts der Haftverbindung zwischen dem Grundkörper und dem Verbindungsabschnitt wird insbesondere auf den Abschnitt auf Seite 9, Zeile 11 bis Seite 10, Zeile 16 der ursprünglich eingereichten Beschreibung (bzw. Seite 10, erste Zeile bis Seite 11, Zeile 8 der angepassten Beschreibung) verwiesen.

Aus den genannten Gründen ist der geltende Anspruch 1 in Einklang mit den Vorschriften der Artikel 83 und 84 EPÜ 1973.

3. Neuheit

3.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 nach dem Hauptantrag unterscheidet sich von dem im Prüfungsverfahren genannten Stand der Technik zumindest dadurch, dass das erste Kunststoffmaterial eine Mischung aus Polypropylen (PP) und einem Cycloolefin-Polymer (COP) ist, wobei ein Gewichtsprozentverhältnis PP/COP zwischen 90:10 und 10:90 ist und der Verbindungsabschnitt ein Acetat- oder Acrylat-Polymer umfasst. Keines der Dokumente D1 bis D6 offenbart diese Materialkombination in einer medizinischen Baugruppe, weshalb der Gegenstand von Anspruch 1 neu ist (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ 1973).

3.2 Erfinderische Tätigkeit

3.2.1 Von den entgegengehaltenen Dokumenten kommt die D2 dem Anspruchsgegenstand insofern strukturell am nächsten, als sie eine medizinische Baugruppe als Mehrkomponenten-Spritzgussteil zeigt, mit einem Grundkörper aus einem Thermoplasten wie Polypropylen und einem Verschluss­körper aus einem thermoplastischen Elastomer (vgl. D2, Spalte 2, Zeilen 39 bis 42 und 61 bis 67). Dieses Dokument bildet daher den nächstkommenden Stand der Technik für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit.

3.2.2 Von dem Dokument D2 unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 dadurch, dass

- das erste Kunststoffmaterial so auf das dritte Kunststoffmaterial abgestimmt ist, dass eine Haftverbindung zwischen dem Grundkörper und dem Verbindungsabschnitt durch Erwärmung von diesen auf eine Temperatur unter 160 °C entsteht,

- das erste Kunststoffmaterial eine Mischung aus Polypropylen (PP) und einem Cycloolefin-Polymer (COP) ist, ein Gewichtsprozentverhältnis PP/COP zwischen 90:10 und 10:90 ist und

- der Verbindungsabschnitt ein Acetat- oder Acrylat-Polymer umfasst.

3.2.3 Die technische Wirkung der anspruchsgemäßen Materialwahl kann darin gesehen werden, dass sich aufgrund der erforderlichen Dampfsterilisation der beanspruchten medizinischen Baugruppe bei den üblichen Sterilisationszeiten und -temperaturen eine haftende und dichte Verbindung des Verbindungsabschnitts am Hülsenabschnitt des Grundkörpers ausbildet, wodurch der Montageaufwand verringert ist (vgl. ursprüngliche Anmeldung, Seite 3, Zeile 19 bis Seite 4, Zeile 11).

Es ist daher die objektive technische Aufgabe der vorliegenden Erfindung, eine medizinische Baugruppe bereitzustellen, deren Herstellungsaufwand reduziert ist (vgl. ursprüngliche Anmeldung, Seite 2, Zeilen 13 bis 15).

3.2.4 Hinsichtlich der im Anspruch 1 vorgeschlagenen Lösung ist festzustellen, dass grundsätzlich bekannt ist, Mischungen von Polypropylen und einem Cycloolefin-Polymer zum Spritzgießen von Medizinprodukten einzusetzen (vgl. D5, Absatz [0039]; D6, Anspruch 11). Jedoch zeigt keine der im Prüfungsverfahren genannten Entgegenhaltungen das beanspruchte Mehrkomponenten-Spritzgussteil aus einem thermoplastischen Elastomer und einer Mischung aus Polypropylen mit einem Cycloolefin-Polymer, das mit einem Verbindungsabschnitt aus einem Acetat- oder Acrylat-Polymer kombiniert ist. Auch die der Erfindung zugrunde liegende Überlegung, die Mischung aus Polypropylen und dem Cycloolefin-Polymer so auf das Acetat- oder Acrylat-Polymer abzustimmen, dass durch Erwärmung des Grundkörpers und des Verbindungsabschnitts auf eine Temperatur unter 160 °C eine Haftverbindung zwischen diesen Teilen entsteht, findet sich nicht im entgegengehaltenen Stand der Technik.

3.2.5 Die Kammer kommt daher zu Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 nach dem Hauptantrag durch den der Kammer vorliegenden, im Prüfungsverfahren genannten Stand der Technik nicht nahegelegt ist. Folglich ist ihm eine erfinderische Tätigkeit zuzusprechen (Artikel 56 EPÜ 1973).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

Beschreibung:

Seiten 1 bis 14 eingereicht mit Schreiben vom 25. Oktober 2018;

Ansprüche:

1 bis 5 eingereicht als Hauptantrag mit Schreiben vom 25. Oktober 2018;

Zeichnungen:

Seiten 1/3 bis 3/3 wie ursprünglich eingereicht

Quick Navigation