T 1503/14 (Oral zu applizierende Darreichungsform / BOEHRINGER) of 25.7.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T150314.20190725
Datum der Entscheidung: 25 Juli 2019
Aktenzeichen: T 1503/14
Anmeldenummer: 03743368.7
IPC-Klasse: A61K 9/16
A61K 9/50
A61K 31/4439
A61P 7/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: ORAL ZU APPLIZIERENDE DARREICHUNGSFORM FÜR 3- [(2-{[4-(HEXYLOXYCARBONYLAMINO-IMINO-METHYL)-PHENYLAMINO]-METHYL}-1-METHYL-1H-BENZIMIDAZOL-5-CARBONYL)-PYRIDIN-2-YL-AMINO] -PROPIONSÄURE-ETHYLESTER ODER DESSEN SALZE
Name des Anmelders: Boehringer Ingelheim International GmbH
Name des Einsprechenden: Stötter, Gerd
Sanovel IIaç San. ve Tic. A.S.
Kammer: 3.3.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0057/84
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 1 485 094 wurde mit 12 Ansprüchen erteilt, die auf eine pharmazeutische Zusammensetzung zur oralen Applikation des Wirkstoffs 3-[(2-{[4-(Hexyloxycarbonylamino-imino-methyl)-phenylamino]-methyl}-1-methyl-1 H -benzimidazol-5-carbonyl)-pyridin-2-yl-amino]-propionsäure-ethylester (nachfolgend als Dabigatran Etexilat bezeichnet) oder eines seiner pharmazeutisch akzeptablen Salze gerichtet waren sowie auf ein Verfahren zur Herstellung dieser Zusammensetzung.

II. Gegen die Erteilung des Patents wurde von zwei Einsprechenden Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden fehlende Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit unter Artikel 100 a) EPÜ, unzureichende Offenbarung unter Artikel 100 b) EPÜ sowie unzulässige Erweiterung unter Artikel 100 c) EPÜ angeführt.

Im Verlauf des Einspruchsverfahrens wurden unter anderem die folgenden Beweismittel genannt:

D5: WO 98/37075 A1

D17: US 4,438,091

D18: EP 0 108 898 A1

D19: US 4,367,217

D20: US 6,015,577

D21: EP 0 068 191

D28: Streubel et al, Journal of Controlled Release, 2000, 67, Seiten 101 bis 110

D29: Venkatesh, Pharmaceutical Development and Technology, 1998, 3(4), Seiten 477 bis 485

D32: Thoma et al, Pharm. Ind., 1989, 51, Nr. 1, Seiten 98 bis 101 und 540 bis 543

D33: Thoma et al, Pharm. Ind., 1991, 53, Nr. 7, Seiten 686 bis 690

D34: English Abstract of JP58134033

D36: Shargel et al, Applied Biopharmaceutics & Pharmacokinetics, 1999, 4. Auflage, Seiten 110 bis 125

D37: Shargel et al, Applied Biopharmaceutics & Pharmacokinetics, 1999, 4. Auflage, Seiten 129 bis 138

D40: Encyclopedia of Pharmaceutical Technology, Third Edition, Volume 1, Seiten 411 und 991

D42: Pharmaceutical Dosage Forms, Tablets, 1989, Second Edition, Volume 1, Seiten 132 bis 189

D43: Remington: The Science and Practice of Pharmacy, 2000, Twentieth Edition, Seite 894

D44: English Abstract of JP 03-112928

III. Die Beschwerden des Einsprechenden 01 (nachfolgend Beschwerdeführer 01) und der Einsprechenden 02 (nachfolgend Beschwerdeführerin 02) richten sich gegen

die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent auf der Grundlage des Hilfsantrags 1 aufrechtzuerhalten, dessen Ansprüche die Patentinhaberin mit Schreiben vom 4. Februar 2014 eingereicht hat.

Anspruch 1 dieses Hilfsantrags lautete wie folgt:

"1. Pharmazeutische Zusammensetzung zur oralen Applikation des Wirkstoffs 3-[(2-{[4-(Hexyloxycarbonylamino-imino-methyl)-phenylamino]-methyl}-1-methyl-1H-benzimidazol-5-carbonyl)-pyridin-2-yl-amino]-propionsäure-ethylester oder eines seiner pharmazeutisch akzeptablen Salze, umfassend

ein annähernd sphärisches Kernmaterial, das aus der pharmazeutisch akzeptablen organischen Säure mit einer Wasserlöslichkeit von > 1 g / 250 ml bei 20 °C ausgewählt aus einer Gruppe bestehend aus Weinsäure, Fumarsäure, Bernsteinsäure, Zitronensäure, Äpfelsäure, Glutaminsäure und Asparaginsäure oder eines von deren Hydraten oder sauren Salzen besteht oder diese enthält,

eine binde- und gegebenenfalls trennmittelhaltige Wirkstoffschicht, die das Kernmaterial umschließt,

wobei das Kernmaterial und die Wirkstoffschicht durch eine Isolierschicht bestehend aus einem wasserlöslichen Polymer voneinander getrennt sind."

IV. In der angefochtenen Entscheidung kam die

Einspruchsabteilung zu dem Ergebnis, dass der

beanspruchte Gegenstand des Hauptantrags, d.h. des

Patents in der erteilten Fassung, nicht den

Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genüge.

Hilfsantrag 1, hingegen, erfüllte die Erfordernisse des EPÜ. Zu Artikel 56 EPÜ führte die Einspruchsabteilung insbesondere folgendes aus:

Nächstliegender Stand der Technik für den Gegenstand des Anspruchs 1 sei D5, da es als einziges Dokument den anspruchsgemäßen Wirkstoff Dabigatran Etexilat offenbare. Jedoch nenne D5 keine beispielhaften Arzneiformen mit diesem Wirkstoff. Die technische Aufgabe bestehe in der Bereitstellung einer Formulierung zur oralen Anwendung enthaltend Dabigatran Etexilat, mittels derer die Variabilität des Plasmaspiegels dieses Wirkstoffs über die Gesamtheit der Patienten vermieden werde. Diese Aufgabe werde anhand der gemäß Streitpatent vorgeschlagenen Lösung glaubhaft gelöst. So zeige Figur 2 des Streitpatents, dass erfindungsgemäße Darreichungsformen gemäß den

Beispielen 1 und 2 gegenüber konventionellen

Zubereitungen für eine verbesserte Absorption des

Wirkstoffs bei erhöhtem Magen-pH-Wert sorgen, und

somit eine gleichmäßigere Absorption über die

Gesamtheit der Patienten sicherten. Diese Wirkung

sei ausgehend vom Stand der Technik überraschend,

so dass der Hilfsantrag 1 eine erfinderische

Tätigkeit aufweise.

V. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung legten beide Beschwerdeführer Beschwerde ein. Mit ihren Beschwerdebegründungen beantragten sie, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Mit seiner Beschwerdebegründung reichte der Beschwerdeführer 01 folgende Beweismittel ein:

D47: Erklärung des technischen Experten Professor Dr

Oliver Reiser vom 15. September 2014

D48: Russell et al, Pharmaceutical Research, 1994, Vol. 11, No. 1, Seiten 136 bis 143

D49: Gabr, Eur. J. Pharm. Biopharm., 1992, 38(6), Seiten 199 bis 202

VI. In ihrer Beschwerdeerwiderung vom 17. April 2015 beantragte die Patentinhaberin (nachfolgend Beschwerdegegnerin), die Beschwerden zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie, das Patent auf der Grundlage eines der mit ihrer Beschwerdeerwiderung eingereichten

Hilfsanträge 1 bis 5 aufrechtzuerhalten.

VII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vom 24. Juni 2019 erläuterte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung.

VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 25. Juli 2019 in Anwesenheit des Beschwerdeführers 01 und der Beschwerdegegnerin statt. Hingegen war die Beschwerdeführerin 02 nicht erschienen, reichte aber am gleichen Tag einen Schriftsatz ein, in dem sie die Umstände ihres Nichterscheinens erläuterte.

IX. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente des Beschwerdeführers 01 lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Ausführbarkeit des Hauptantrags:

Laut Anspruch 1 bestehe die Isolierschicht der beanspruchten pharmazeutischen Zusammensetzung aus einem wasserlöslichen Polymer, und schließe somit weitere Bestandteile dieser Schicht aus. Hingegen offenbaren die Absätze 0032, 0038, 0049 und 0055 der Beschreibung des Streitpatents eine Isolierschicht mit Talk als zusätzlichem Bestandteil. Aufgrund dieses Widerspruchs sei die Erfindung nicht ausführbar.

b) Erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags:

Ausgehend von D5 als nächstliegendem Stand der Technik bestehe die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung einer geeigneten pharmazeutischen Formulierung des Dabigatran Etexilats. Die gemäß Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung ergebe sich in naheliegender Wiese aus D5 in Zusammenschau mit dem allgemeinen Fachwissen, belegt durch D36, D37, D40, D42, D43, und ferner bestätigt in D47. Insbesondere offenbare Seite 134, erster Absatz der D37 das Grundprinzip der Verwendung einer organischen Säure zwecks Verbesserung der Wasserlöslichkeit schwach basischer Wirkstoffe in nicht-sauren Bereichen des Magen-Darm-Trakts. Ferner beschreibe die Seite 118, erster vollständiger Absatz der D36, dass eine reduzierte Säuresekretion im Magen mit einer eingeschränkten Absorption schwach basischer Wirkstoffe einhergehe, und zeige somit einen direkten Zusammenhang zwischen Magen-pH-Wert und Absorption des Wirkstoffs auf. Schließlich veranschaulichten D17 bis D20, D28, D29, D33, D34, D44, D48 und D49 den erfolgreichen Einsatz des in D37 offenbarten Grundprinzips anhand von Zusammensetzungen mit beispielhaften schwach basischen Wirkstoffen.

X. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten schriftlichen Argumente der Beschwerdeführerin 02 betreffend die erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Ausgehend von D5 als nächstliegendem Stand der Technik bestehe die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung einer verbesserten oralen Darreichungsform des Dabigatran Etexilats. Die gemäß Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung ergebe sich in naheliegender Wiese aus D5 in Zusammenschau mit dem in D36, D37, D40 und D42 offenbarten allgemeinen Fachwissen. Im Übrigen werden die in D37 genannten Grundprinzipien beispielsweise in D17 bis D21, D28, D29, D32 bis D34 und D44 anhand der darin beschriebenen Zusammensetzungen veranschaulicht.

XI. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Ausführbarkeit des Hauptantrags:

Der von dem Beschwerdeführer 01 geltend gemachte Widerspruch zwischen Anspruch 1 und der Beschreibung des Streitpatents liege nicht vor. Folglich bestehe kein Grund dafür, die Ausführbarkeit des Hauptantrags in Frage zu stellen.

b) Erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags:

Ausgehend von D5 als nächstliegendem Stand der Technik sei die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung einer verbesserten Formulierung von Dabigatran Etexilat anzusehen, wobei die Verbesserung darin bestehe, eine geeignete orale Bioverfügbarkeit dieses Wirkstoffs bei Patienten mit erhöhtem pH-Magen-Wert zu gewährleisten. Die gemäß Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung sei in Ermangelung einer begründeten Erfolgserwartung des Fachmanns, dass die beanspruchte Darreichungsform in vivo eine geeignete orale Bioverfügbarkeit des Dabigatran Etexilats bei Patienten mit erhöhtem Magen-pH-Wert gewährleisten würde, nicht durch den von den Beschwerdeführern herangezogenen Stand der Technik nahegelegt.

XII. Anträge:

Der Beschwerdeführer 01 beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Derselbe Antrag wurde von der Beschwerdeführerin 02 im schriftlichen Verfahren gestellt.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerden zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Ausführbarkeit

1. Der Beschwerdeführer 01 rügte in seiner Beschwerbegründung mangelnde Ausführbarkeit aufgrund eines Widerspruchs bezüglich der Definition der Isolierschicht in Anspruch 1 und in der Beschreibung. Jedoch hat er nicht erläutert, inwiefern dieser Widerspruch eine mangelnde Ausführbarkeit des beanspruchten Gegenstands begründet. Demzufolge kann die Kammer diesem Einwand nicht folgen.

Artikel 56 EPÜ

Nächstliegender Stand der Technik

2. Sowohl die Einspruchsabteilung als auch die Parteien

haben D5 als nächstliegenden Stand der Technik

identifiziert. Die Kammer ist der gleichen Auffassung.

3. D5 offenbart pharmazeutisch wirksame Verbindungen der allgemeinen Formel I, in denen der Substituent E eine RbNH-C(=NH)- Gruppe darstellt (siehe Anspruch 1). Diese umfassen unter anderem den anspruchsgemäßen Wirkstoff Dabigatran Etexilat (siehe Beispiel 113; Anspruch 10) und lassen sich in übliche galenische Zubereitungen einarbeiten (Seite 38, letzter Absatz bis Seite

39, erster Absatz; Beispiele 194 bis 200).

Es steht außer Streit, dass folgende Merkmale des Anspruchs 1 den Unterschied gegenüber D5 bilden:

a) ein annähernd sphärisches Kernmaterial bestehend aus einer organischen Säure gemäß Anspruch 1 oder diese enthaltend;

b) eine dieses Kernmaterial umschließende, bindemittelhaltige Wirkstoffschicht;

c) eine das Kernmaterial und die Wirkstoffschicht trennende Isolierschicht gemäß Anspruch 1.

Objektive technische Aufgabe und Lösung

4. Als Grundlage für die Definition der objektiven technischen Aufgabe ist im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes zunächst festzustellen, welche technische/n Wirkung/en durch das oder die Unterscheidungsmerkmale über die gesamte Breite des Anspruchs 1 erzielt wird/werden. Anschließend ist die objektive technische Aufgabe unter Berücksichtigung dieser Wirkung/en zu formulieren.

4.1 Unstreitig zeigt Figur 2 des Streitpatents glaubhaft, dass erfindungsgemäße, säurehaltige Darreichungsformen gemäß den Beispielen 1 und 2 des Streitpatents im Vergleich zu säurefreien Tabletten mit identischem Wirkstoffgehalt eine deutlich höhere relative orale Bioverfügbarkeit des Dabigatrans (i.e. wirksamer Metabolit des Dabigatran Etexilats; siehe Absatz 0019 des Streitpatents) bei denjenigen Probanden erzielen, die einen erhöhten Magen-pH-Wert aufgrund einer dreitägigen, oralen Vorbehandlung mit Pantoprazol 40 mg b.i.d aufweisen. Hingegen entfalten diese keine besondere technische Wirkung hinsichtlich der relativen oralen Bioverfügbarkeit des Dabigatrans bei nicht entsprechend vorbehandelten Probanden (siehe Figur 2: die relative orale Bioverfügbarkeit beträgt für alle drei Zubereitungen 100%).

4.2 Bezugnehmend auf den Leitsatz der T 57/84 machte der Beschwerdeführer 01 geltend, dass die in Figur 2 gezeigte verbesserte relative orale Bioverfügbarkeit nur unter bestimmten Bedingungen vorliege, nämlich bei mit Pantoprazol vorbehandelten Patienten, während Anspruch 1 breiter gefasst sei und auch Patienten ohne Pantoprazol-Vorbehandlung mit einschließe. Darüber hinaus betreffen die Daten der Figur 2 das Dabigatran Etexilat Mesylat, während die geltend gemachte technische Wirkung nicht für Dabigatran Etexilat in Form der freien Base gezeigt worden sei, obwohl dieses ebenfalls von Anspruch 1 umfasst sei. Entsprechend trete diese Wirkung nicht über den gesamten Bereich des Anspruchs 1 auf, und müsse daher bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe unberücksichtigt bleiben.

4.3 Zudem argumentierten beide Beschwerdeführer im schriftlichen Verfahren, dass sich die in Figur 2 aufgezeigte Verbesserung der relativen oralen Bioverfügbarkeit nicht unbedingt in einer entsprechenden Verbesserung der absoluten Bioverfügbarkeit ausdrücke, so dass die Daten der Figur 2 nicht aussagekräftig seien. Ferner liege nach Ansicht der Beschwerdeführerin 02 mangels Kenntnis der tatsächlichen Magen-pH-Werte der Probanden kein Beleg dafür vor, dass der in Figur 2 dargestellte, mit den erfindungsgemäßen Zusammensetzungen einhergehende geringere Unterschied in der relativen oralen Bioverfügbarkeit auf einen unterschiedlichen pH-Magen-Wert zurückzuführen sei (siehe Punkt 1.2. des Schriftsatzes der Beschwerdeführerin 02 vom 8. Juli 2015).

4.4 Die Kammer kann sich der Ansicht der Beschwerdeführer aus folgenden Gründen nicht anschließen.

4.4.1 Die Sache T 57/84 betraf einen Anspruch, der auf die Verwendung eines Produkts in Holzimprägniermitteln gerichtet war. Die Kammer führte in dieser Entscheidung aus, dass ein Holzschutzmittel unterschiedliche Anforderungen erfüllen müsse. Entsprechend sei es für ein solches Produkt wesentlich, dass dessen hohe Fungizidwirkung unter verschiedenen Bedingungen immer zuverlässig gegeben sei (siehe Punkt 7.2.4. der Entscheidungsgründe).

Hingegen ist Anspruch 1 des Streitpatents nicht auf eine bestimmte Verwendung, sondern auf ein Produkt als solches in Form einer pharmazeutischen Darreichungsform gerichtet. Entsprechend handelt es sich bei der aufgezeigten Verbesserung der relativen oralen Bioverfügbarkeit nicht um ein funktionelles Merkmal des Anspruchs, sondern um eine technische Wirkung der in den anspruchsgemäßen Darreichungsformen zwangsläufig enthaltenden organischen Säure. Demzufolge kann das Argument des Beschwerdeführers 01 nicht überzeugen.

4.4.2 Auch dem weiteren Argument des Beschwerdeführers 01, wonach die geltend gemachte technische Wirkung für Dabigatran Etexilat in Form der freien Base nicht glaubhaft gezeigt worden sei, kann die Kammer nicht beipflichten. Wie von der Beschwerdegegnerin richtig vorgetragen, ist Dabigatran Etexilat in Form der freien Base relativ gut löslich in einem wässrigen, sauren Milieu (siehe Seite 19 ihrer Beschwerdeerwiderung). Dementsprechend bestehen seitens der Kammer keine Zweifel darüber, dass die geltend gemachte technische Wirkung für diese Form des Dabigatran Etexilats ebenfalls erzielt werden kann.

4.4.3 Das Argument der Beschwerdeführer, wonach sich die in Figur 2 aufgezeigte Verbesserung der relativen oralen Bioverfügbarkeit nicht unbedingt in einer entsprechenden Verbesserung der absoluten Bioverfügbarkeit ausdrücke, vermag die Kammer ebenfalls nicht zu überzeugen. Die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung der Beschwerdeführerin 02 beruht auf der Annahme, dass die absolute Bioverfügbarkeit der konventionellen Tablette bedeutend schlechter ist als die der erfindungsgemäßen Zusammensetzungen (siehe Punkt 3.3. ihrer Beschwerdebegründung). Jedoch hat sie für diese Hypothese keinerlei Beleg geliefert. Des Weiteren lehrt Absatz 0016 des Streitpatents, dass der pH-Wert einen bedeutenden Einfluss auf die Wasserlöslichkeit des Dabigatran Etexilats ausübt. Dementsprechend scheinen wirkstoffspezifische - und nicht formulierungsabhängige - Faktoren ausschlaggebend für die absolute Bioverfügbarkeit des Dabigatran Etexilats zu sein.

4.4.4 Zu dem Argument der Beschwerdeführer 02 betreffend die mangelnde Angabe der tatsächlichen Magen-pH-Werte stellt die Kammer fest, dass gemäß Figur 2 die konventionelle, säurefreie Tablette bei Patienten ohne Pantoprazol-Vorbehandlung die gleiche relative orale Bioverfügbarkeit von 100% erzielt wie die beispielhaften, säurehaltigen Kapseln. Dies bedeutet, dass die mit der konventionellen Tablette behandelten Probanden einen sauren Magen-pH-Wert aufweisen müssen. Wenn dem nicht so wäre, dann würde die relative orale Bioverfügbarkeit des Dabigatran Etexilats in Abwesenheit der Säure deutlich geringer ausfallen. Mit Pantoprazol vorbehandelte Probanden besitzen hingegen unstreitig einen höheren Magen-pH-Wert. Dementsprechend zeigen die Daten der Figur 2 glaubhaft, dass der mit den erfindungsgemäßen Kapseln einhergehende geringere Unterschied in der relativen oralen Bioverfügbarkeit auf die Anwesenheit der Säure in diesen Kapseln zurückzuführen ist. Diese senkt den durch die Vorbehandlung mit Pantoprazol bedingten erhöhten Magen-pH-Wert, und erhöht dementsprechend die relative orale Bioverfügbarkeit des Dabigatran Etexilats, während eine derartige Erhöhung mit einer konventionellen, säurefreien Tablette in dieser Patientengruppe mangels Säure nicht erzielt werden kann.

4.5 In Anbetracht des Vorhergesagten kommt die Kammer daher zu dem Schluss, dass die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Verbesserung der oralen Bioverfügbarkeit über den gesamten Bereich des Anspruchs 1 erzielt wird. Ausgehend von D5 ist die objektive technische Aufgabe somit als die Bereitstellung einer verbesserten Formulierung von Dabigatran Etexilat zu formulieren, wobei die Verbesserung darin besteht, eine geeignete orale Bioverfügbarkeit dieses Wirkstoffs bei Patienten mit erhöhtem pH-Magen-Wert zu gewährleisten.

4.6 Als Lösung dieser Aufgabe wird eine pharmazeutische Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 vorgeschlagen.

Naheliegen der Lösung

5. Als nächstes gilt es zu untersuchen, ob sich die

vorgeschlagene Lösung auf naheliegende Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

5.1 In diesem Zusammenhang waren folgende Punkte unter den Beteiligten unstreitig:

a) D5 ist der einzige Stand der Technik, der Dabigatran Etexilat offenbart;

b) D5 nennt weder die Wasserlöslichkeit des Dabigatran Etexilats noch dessen Bioverfügbarkeit;

c) der Fachmann entnimmt D5 unmittelbar und eindeutig, dass Dabigatran Etexilat ein Doppel-Prodrug ist (siehe insbesondere Seite 5, erster vollständiger Absatz in Zusammenschau mit dem in Beispiel 113 und Anspruch 10 offenbarten chemischen Namen des Dabigatran Etexilats).

5.2 Folglich gilt es vorliegend zu erörtern, welches Wissen der Fachmann über Dabigatran Etexilat in Ausübung seiner üblichen Aktivitäten bei der Entwicklung von oralen Darreichungsformen dieses Wirkstoffs vor dem ersten Prioritätstag des Streitpatents besaß.

5.2.1 Die Kammer stimmt mit den Beschwerdeführern dahingehend überein, dass der Fachmann routinemäßig das pKa- und das pH-Profil von Dabigatran Etexilat bestimmen würde (siehe D37, Seite 133, Tabelle 6.1). Dabei würde er feststellen, dass dieser Wirkstoff eine schwach basische Verbindung ist, die sich ausschließlich im sauren pH-Bereich gut löst. In Anbetracht dieser Kenntnis würde er aufgrund seines allgemeinen Fachwissens auch durchaus erwarten, dass die Wasserlöslichkeit von Dabigatran Etexilat in Patienten mit erhöhtem Magen-pH-Wert mittels einer Säure verbessert werden kann, indem diese den erhöhten pH-Wert auf das physiologische, saure Niveau absenkt.

5.2.2 Allerdings gilt es zu prüfen, ob für den Fachmann aufgrund dieser Kenntnisse eine begründete Erfolgserwartung bestand, dass die beanspruchte, säurehaltige Darreichungsform in vivo eine geeignete orale Bioverfügbarkeit des Dabigatran Etexilats bei Patienten mit erhöhtem Magen-pH-Wert gewährleisten würde.

5.2.3 Bezugnehmend auf die Lehre der D36, Seite 118, erster vollständiger Absatz und die Lehre der D34, wonach die Wasserlöslichkeit und dementsprechend die Absorption basischer Wirkstoffe wie beispielsweise Cinnarizin bei geringerem Magen-pH-Wert verbessert sei, sah der Beschwerdeführer 01 eine begründete Erfolgserwartung im vorliegenden Falle für gegeben an.

5.2.4 Die Kammer stellt allerdings fest, dass laut D36 dieser Zusammenhang zwischen verbesserter Wasserlöslichkeit mittels Absenkung des Magen-pH-Werts und verbesserter Absorption nur für einige basische Wirkstoffe mit geringer Wasserlöslichkeit besteht (siehe Seite 118, Zeilen 15 bis 16: "For some basic drugs with limited aqueous solubility [..]"), wie beispielsweise das in D34 und D36 genannte Cinnarizin. Aus dieser Lehre folgert der Fachmann, dass es auf die Art des basischen, schwer wasserlöslichen Wirkstoffs ankommt, ob dieser bei geringem Magen-pH-Wert besser absorbiert wird oder nicht. Da weder D34 noch D36 Dabigatran Etexilat erwähnen, lassen diese Entgegenhaltungen den Fachmann demzufolge im Ungewissen darüber, ob der darin beschriebene Zusammenhang zwischen verbesserter Wasserlöslichkeit mittels Absenkung des pH-Wertes und verbesserter Absorption auch für Dabigatran Etexilat gilt oder nicht.

5.2.5 Auch der übrige, von den Beschwerdeführern herangezogene Stand der Technik vermag dem Fachmann keine weiteren Hinweise bezüglich des Absorptionsverhaltens bzw. der Bioverfügbarkeit des Dabigatran Etexilats zu geben. Insbesondere betreffen die Entgegenhaltungen D17 bis D21, D28, D29, D32 bis D34, D44, D48 und D49 andere, strukturell unterschiedliche Wirkstoffe.

5.2.6 Aus den genannten Gründen kommt die Kammer daher zu dem Schluss, dass für den Fachmann vorliegend keine begründete Erfolgserwartung bestand, dass die beanspruchte, säurehaltige Darreichungsform in vivo eine geeignete orale Bioverfügbarkeit des Dabigatran Etexilats bei Patienten mit erhöhtem Magen-pH-Wert gewährleisten würde. In Ermangelung dieser Erfolgserwartung hätte der Fachmann von aufwändigen in-vivo-Versuchen abgesehen, und wäre dementsprechend nicht in naheliegender Weise zu dem beanspruchten Gegenstand gelangt.

5.2.7 Beide Beschwerdeführer argumentierten ferner, dass die Zusammensetzungen laut Anspruch 1 auch hinsichtlich des Merkmals der Isolierschicht naheliegend seien. Dabei verwiesen sie insbesondere auf das in D40, D42 und D43 dokumentierte allgemeine Fachwissen, welches in D47 bestätigt werde.

5.2.8 Angesichts der obig wiedergegebenen Entscheidungsgründe sind diese Argumente allerdings nicht mehr relevant, so dass sie keiner weiteren Erörterung bedürfen.

5.3 Demzufolge erfüllt der Hauptantrag die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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