T 1338/14 () of 12.7.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T133814.20180712
Datum der Entscheidung: 12 Juli 2018
Aktenzeichen: T 1338/14
Anmeldenummer: 08716178.2
IPC-Klasse: B41M 5/50
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Herstellen eines flächigen, bedruckten Bauteils
Name des Anmelders: hülsta-werke Hüls GmbH & Co. KG
Flooring Industries Limited, SARL
Name des Einsprechenden: Surteco SE
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 112(1)(a)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 3 (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 4 (nein)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0279/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 132 042 zurückgewiesen worden ist.

II. Gegen das Patent sind zwei Einsprüche eingelegt worden. Sie stützten sich auf die in Artikel 100 a) EPÜ ge­nannten Ein­spruchsgründe der fehlenden Neuheit, Artikel 54 EPÜ 1973 und der mangelnden erfinderische Tätigkeit, Arti­kel 56 EPÜ 1973.

III. Einer dieser Einsprüche wurde mit Schreiben vom 9. Dezem­ber 2011 zurückgenommen.

IV. Am 12. Juli 2018 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

V. Die Beschwerdeführerin beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen.

VI. Die Beschwerdegegnerinnen (Patentinhaberinnen) bean­tragten als Hauptantrag, die Beschwerde zurückzuweisen, oder hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuhe­ben und das europäische Patent auf der Grundlage einer der mit Schreiben vom 12. Juni 2018 als Hilfsanträge 1 bis 3 eingereichten Anspruchssätze oder des in der mündlichen Verhandlung als Hilfsantrag 4 eingereichten Anspruchsatzes aufrechtzuerhalten. Weiterhin stellten die Beschwerdegegnerinnen einen Antrag auf Vorlage an die Grosse Beschwerdekammer.

VII. Im Beschwerdeverfahren wurde auf die Druckschrift E1: EP 1 749 676 A1 Bezug genommen.

VIII. Anspruch 1 gemäß Haupt­an­trag lautet wie folgt:

"Verfahren zum Herstellen eines flächigen, bedruck­ten oder bedruckbbaren [sic] Bauteils (7), insbe­sondere für Boden-, Wand-, Decken und/oder Möbelan­wendungen, wobei auf einen flächigen Grundkörper (8) des Bauteils (7) eine beharzte, bedruckbare oder bedruckte Papier­schicht (1) unter Druck- und Hitzeeinfluss aufgebracht wird, wobei die Papier­schicht (1) nicht vollständig durch­beharzt ist und wobei die oberseitige Druckseite (2) der Papier­schicht (1) zumindest im wesentlichen harz­frei ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Papierschicht (1) derart definiert von der Unterseite (5) her beharzt wird, dass der der Druck­seite (2) zugewandte obere Papierschicht­bereich (3) mit geringem oder ohne Harz­anteil sich über maximal 30% der Dicke (d) der Papier­schicht (1) erstreckt."

IX. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nur durch folgenden Zusatz am Ende des An­spruchs:

"wobei sich der Übergang des oberen Papierschicht­bereichs (3) zu einem unteren Papierschichtbereich (4) mit hohem Harzanteil durch eine abrupte Ände­rung des Konzentrationsgefälles auszeichnet, wäh­rend das Konzentrationsgefälle von der Unterseite des unteren Papierschichtbereichs (4) zu dessen Oberseite einer­seits und von der Unterseite des oberen Papierschicht­be­reichs (3) zu dessen Ober­seite andererseits im Wesentlichen konstant ist oder kontinuierlich abnimmt, und wobei der obere Papierschichtbereich (3) und der untere Papier­schichtbereich (4) derart ausgebildet sind, dass der Konzentrationsabfall des Harzanteils im oberen Papierschichtbereich (3) wenigstens um den Faktor zwei größer ist als im unteren Papierschicht­bereich (4)".

X. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unter­scheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nur dadurch, dass der Text "maximal 30% der Dicke" durch den Text "maximal 20% der Dicke" ersetzt ist.

XI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 nur dadurch, dass der Text "maximal 20% der Dicke" durch den Text "maximal 10% der Dicke" ersetzt ist.

XII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 lautet (die Ände­run­gen gegenüber dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag wur­den von der Kammer unterstrichen):

"Verfahren zum Herstellen eines flächigen, bedruck­ten oder bedruckbbaren [sic] Bauteils (7), insbe­sondere für Boden-, Wand-, Decken und/oder Möbelan­wendungen, wobei auf einen flächigen Grundkörper (8) des Bauteils (7) eine beharzte, bedruckbare oder bedruckte Papier­schicht (1) unter Druck- und Hitzeeinfluss aufgebracht wird, wobei die Papier­schicht (1) nicht vollständig durch­beharzt ist und wobei die oberseitige Druckseite (2) der Papier­schicht (1) zumindest im wesentlichen harz­frei ist, wobei die Papierschicht (1) derart definiert von der Unterseite (5) her beharzt wird, dass der der Druck­seite (2) zugewandte obere Papierschicht­bereich (3) mit geringem oder ohne Harzanteil sich über maximal 30% der Dicke (d) der Papierschicht (1) erstreckt, und wobei, die Papierschicht (1) erst nach dem Beharzen mit einer Farbschicht (6) bedruckt wird, dadurch gekenn­zeichnet, daß die aufgebrachte Farbschicht (6) während und/oder nach dem Bedrucken getrocknet wird und dass die Trocknung bei einer Temperatur unterhalb der Reak­tivierungstemperatur des Harzes im Bereich zwischen 40°C und 150°C erfolgt."

XIII. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Hauptantrag - Neuheit gegenüber der Druckschrift E1

Absatz [0020] der Druckschrift E1, insbesondere Zeilen 15 bis 18 offenbare, dass "der an die Oberseite 16 angrenzende Bereich der Papierbahn 10 ganz oder zumin­dest im Wesentlichen frei von Melaminharz" bleibe. Bei­de Anspruchs­alternativen seien somit aus der Druck­schrift E1 be­kannt. Eine Obergrenze werde für diesen Bereich in der Druckschrift E1 nicht angegeben. Die Untergrenze werde von der Oberseite der Papierbahn gebildet und sei daher dieselbe wie die des beanspruch­ten Be­reichs im Anspruch 1 des Streitpatents, der sich über maximal 30% der Dicke der Papierschicht erstrecke: dieser im Anspruch 1 be­an­spruchte Bereich überlappe sich mit dem in der Druckschrift E1 offen­barten Bereich an seinem An­fangspunkt, nämlich an der Oberseite der Papierbahn bei 0% der Dicke der Papier­schicht. Somit sei auch die Anforderung für eine Aus­wahlerfin­dung nicht gegeben, weil es wegen dieser Überlappung am Anfangs­punkt "0% der Dicke der Papier­schicht" keinen Abstand zum aus der Druckschrift E1 offenbarten Bereich geben könne.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei gegenüber der Druck­schrift E1 nicht neu.

Hilfsanträge 1 bis 3 - Neuheit gegenüber der Druck­schrift E1

Das Konzentrationsgefälle sei in der Druckschrift E1 implizit offenbart, weil es die zwingende Konsequenz davon sei, dass die Papierschicht von unten beharzt werde. Absätze [0033] und [0034] der Druckschrift E1 offenbaren, dass Wasser als Sperrschicht beim Beharzen eingesetzt werde. Dies sei das gleiche Herstellungsver­fahren wie im Streit­patent (Absatz [0015]), so dass sich zwingend das gleiche Er­geb­nis einstellen müsse, nämlich ein Kon­zentra­tions­gefälle um den Faktor zwei.

Der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 der Hilfs­an­träge 1 bis 3 sei gegenüber der Druck­schrift E1 nicht neu.

Hilfsantrag 4 - Erfinderische Tätigkeit in Bezug auf die Druck­schrift E1

Die Druck­schrift E1 offenbare ebenfalls (z.B. im Absatz [0035]), dass die Papierschicht erst nach dem Beharzen mit einer Farbschicht bedruckt werde.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 unterscheide sich von der Druckschrift E1 nur in der aktiven Trocknung der aufgebrachten Farbschicht.

Die Aufgabe bestehe darin das viele Wasser in der Tinte nach dem Drucken zu beseitigen.

Gemäß Absatz [0024] und Figur 3b der Druck­schrift E1 werde die freie Oberseite 16 der Papierbahn 10, bei­spielsweise in einem Tintenstrahl­druckverfahren mit einem Muster als Farbschicht 26 bedruckt. Diese Farb­schicht 26 werde vor dem Trocknen bevorzugt teilweise von der Papierbahn 10 aufgesaugt und hafte dadurch sehr gut an der Papierbahn.

Es sei für den Fachmann nahe­liegend gegebe­nen­falls die Tinte nach dem Drucken aktiv zu trocknen, in einem Tem­pe­raturbereich, der für das Harz unkritisch sei. Das Harz bestimme hierbei die obere Temperatur, da sonst das Produkt beim Trocknen zerstört werde. Trock­nen sei für den Fachmann ein üblicher Vorgang mit vorausseh­ba­rem Effekt, bei dem keine er­fin­derische Tätig­keit gefordert sei.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfs­an­trags 4 beruhe somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausge­hend von der Druck­schrift E1.

Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer (siehe nachstehend Seite 8, letzter Absatz)

Die Frage der Beschwerdegegnerinnen solle nicht der Grossen Beschwerdekammer vorgelegt werden, weil:

- die konkrete Untergrenze bei 0% der Dicke der Papier­schicht unmittelbar und eindeutig im Stand der Technik E1 offenbart sei; und

- diese Frage wegen der Überlappung der Bereiche keine Rolle bei der zu treffenden Entscheidung spiele.

XIV. Die Beschwerdegegnerinnen haben im schriftlichen Ver­fahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesent­li­chen Folgendes vorgetragen:

Hauptantrag - Neuheit gegenüber der Druckschrift E1

Die Druck­schrift E1 offenbare keine definierte Ober­grenze für die Ausdehnung des im wesentlichen unbe­harz­ten Bereichs. Der Gegenstand des Streitpatents grenze sich davon dadurch ab, dass die Dicke der Papierschicht mit geringem oder ohne Harz­an­teil bis maximal 30% umfasse. Das Streitpatent gebe in den Absätzen [0012] und [0013] zwei hierdurch erzielte Effekte an. Gemäß der Druck­schrift E1 (Absatz [0029]) übernehme die nicht harzge­tränkte Oberfläche des Papiers die Funktion eines Adapters oder Primers für das Druckverfahren: Die Druckschrift E1 lehre somit nicht nur, dass die Ober­seite und der an die Oberseite angrenzende Bereich Harzfrei seien. Der Gegenstand des Streitpatents sei zudem als Auswahlerfin­dung anzusehen, bei der die Druckschrift E1 entweder keine Bereiche offenbare, oder bei der aus dem bekannten, vergleichs­weise großen impliziten Bereich von 0,01% bis 99,9% nur ein kleiner Teil­bereich bean­sprucht werde, wodurch die Neuheit gegeben sei.

Hilfsanträge 1 bis 3 - Neuheit gegenüber der Druck­schrift E1

Der jeweilige Anspruch 1 gemäß Hilfsanträge 1 bis 3 beinhalte das zusätzliche Merkmal einer abrupten Ände­rung des Konzentrationsgefälles um den Faktor zwei. Dies werde in der Druckschrift E1 nicht offenbart. Die Druckschrift E1 offenbare keine klare Trenn­linie für die Abgrenzung des beharzten Bereichs der Papier­schicht gegenüber dem im Wesentlichen unbe­harzten Be­reich. Der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 sei daher neu.

Hilfsantrag 4 - Erfinderische Tätigkeit in Bezug auf die Druck­schrift E1

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 un­ter­scheide sich von der Druckschrift E1 in der aktiven Trocknung der aufgebrachten Farbschicht, so dass die Trocknung bei einer Temperatur unterhalb der Reak­ti­vierungstemperatur des Harzes im Bereich zwischen 40°C und 150°C erfolge.

Die Aufgabe bestehe darin, beim Bedrucken mit Tinte mit einem hohem Wasseranteil ein gutes Druck­ergebnis zu erreichen.

Die Druckschrift E1 lehre (z.B. Absatz [0015]), dass verschiedene Parameter (z.B. die Auswahl des Papiers und der Färbeflüssigkeit sowie gegebenenfalls einer Vorbehandlung der zu bedruckenden Oberfläche) aufein­ander abgestimmt werden müssten, um die ange­strebte hohe Druckqualität (Absatz [0006]) zu erzielen. Die Druckschrift E1 lehre somit nicht aktiv unter der Reak­ti­vierungstemperatur des Harzes zu trocknen.

Es gehöre nicht zum allgemeinen Fachwissen des Fach­manns bei über 40°C vor dem endgültigen Verpressen aktiv zu trocknen, weil dies ein Aktivierungsrisiko für das Harz bedeute.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfs­an­trags 4 beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Vorlage einer Frage an die Grosse Beschwerdekammer

Wegen einer Abweichung von der Rechtssprechung solle die folgende Frage der Grossen Beschwerdekammer vorge­legt werden:

"Kann man in Fällen, wo Bereichsgrenzen nicht unmittel­bar und eindeutig im Stand der Technik offenbart sind, davon ausgehen, dass ein nicht derart offenbarter Be­reich neuheitsschädlich ist?"

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Fehlende Neuheit des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 1

1.1 Die Druckschrift E1 offenbart ein Verfahren zum Her­stel­len eines flächigen, bedruck­ten oder bedruckbaren Bauteils (Figuren 1 und 3). Hierbei sind die "Menge des auf die Unterseite 12 aufgebrachten Melaminharzes 14, seine Viskosität, das Flächengewicht, die Faserart, die Fasergröße sowie der Bindemittelart des Papierblattes (10), seine Dicke und Porosität und die Temperatur [] derart aufeinander abgestimmt, dass das Melaminharz 14 die Papierbahn 10 von der Unterseite 12 zur Oberseite 16 nicht vollständig durchtränkt bzw. durchdringt, sondern der an die Oberseite 16 angrenzende Bereich der Papierbahn 10 ganz oder zumindest im Wesentlichen frei von Melaminharz (durch schwarze Punkte angedeutet) bleibt und die Saugfähigkeit seines Rohzustandes unverändert behält" (Absatz [0020], Spalte 4, Zeilen 8 bis 19, Figur 1).

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

1.2 Die Parteien sind sich lediglich uneinig bezüglich der Offenbarung des Merkmals, "dass der der Druck­seite zugewandte obere Papierschichtbereich mit geringem oder ohne Harzanteil sich über maximal 30% der Dicke der Papierschicht erstreckt".

1.3 Der voranstehend zitierte Absatz [0020] der Druck­schrift E1 offenbart insbesondere in Zeilen 15 bis 18, dass "der an die Oberseite 16 angrenzende Bereich der Papierbahn 10 ganz oder zumin­dest im Wesentlichen frei von Melaminharz [] bleibt". Gemäß der Druck­schrift E1 (Absatz [0024] und Figur 3) kann auf "die freie Ober­seite 16 der Papier­bahn 10, die durch die Beschichtung der Unterseite 12 mit Melamin­harz nicht oder kaum ver­ändert ist, [] unter Nutzung herkömmlicher Druck­technik und Datenverarbei­tung bei­spielsweise in einem Tinten­strahldruckverfahren ein Muster in hoch qualitativer Weise gedruckt werden, wie durch die Farbschicht 26 angedeutet (Abschnitt b)".

Der an die Oberseite der Papierbahn angrenzende Bereich der Papierbahn der Druckschrift E1 entspricht somit dem "der Druck­seite zugewandte obere Papierschichtbereich" des Anspruchs 1 des Streitpatents.

1.4 Anspruch 1 des Streitpatents beinhaltet die fol­genden zwei Alternativen:

- Alternative 1 bei der, der "der Druck­seite zuge­wandte obere Papierschichtbereich" "ohne Harz­anteil" ist, und

- Alternative 2 bei der, der "der Druck­seite zuge­wandte obere Papierschichtbereich" mit "geringem Harz­an­teil", d.h. laut Oberbegriff des Anspruchs 1, "im we­sent­lichen harz­frei" ist.

Die Druckschrift E1 offenbart ebenfalls (siehe oben 1.3) sowohl die Al­ter­native 1 bei der, der "der Druck­seite zugewandte obere Pa­pierschichtbereich" "ganz ... frei von Melamin­harz ... bleibt" d.h. "ohne Harzanteil" ist, als auch die Alter­native 2 bei der, der "der Druck­seite zugewandte obere Pa­pier­schicht­bereich" "im we­sent­lichen harz­frei" ist.

1.5 Die Druckschrift E1 offenbart keine Obergrenze für die­sen "an die Oberseite 16 angrenzende[n] Bereich der Pa­pier­bahn 10" (Druckschrift E1, Spalte 4, Zeilen 15 und 16, Figur 1), was auch von den Beschwerdegegnerinnen hervor­geho­ben wurde.

Dagegen wird die Untergrenze des in der Druckschrift E1 offenbarten Bereichs von der Oberseite der Papier­bahn gebildet und entspricht daher sozusagen 0% der Dicke der Papierschicht.

Der im Anspruch 1 des Streitpatents beanspruchte "der Druck­seite zuge­wandte obere Papierschichtbereich mit geringem oder ohne Harzanteil" beginnt ebenfalls an der Oberseite der Papier­bahn und beginnt daher auch bei 0% der Dicke der Papierschicht.

Diese Untergrenze des beanspruchten Papierschicht­bereichs ist aber bereits aus der Druckschrift E1 bekannt, so dass der beanspruchte Bereich in seiner Untergrenze bei 0% der Dicke der Papierschicht nicht neu ist.

1.6 Die von den Beschwerdekammern angewendeten Grundsätze zur Neuheit von Auswahl­er­findungen werden z.B. auch in T 279/89 (nicht veröffentlicht) zusammengefasst (vgl. weitere Entscheidungen in der Rechtsprechung der Be­schwerdekammern des EPA, 8. Auflage, 2016, I.C.6.3.1). Danach ist die Auswahl eines Teilbereichs numerischer Zahlenwerte aus einem größeren Bereich neu, wenn unter anderem auch das Kriterium (in der Recht­sprechung als Kriterium b) bezeichnet), dass der ausgewählte Teilbe­reich einen genügenden Abstand von dem - durch Bei­spiele belegten - bekannten Bereich hat, erfüllt ist.

Da sich der im Anspruch 1 be­an­spruchte Bereich mit dem in der Druckschrift E1 offen­barten Bereich an seinem An­fangspunkt, nämlich an der Oberseite der Papierbahn bei 0% der Dicke der Papierschicht überlappt, ist bereits das voranstehende Kriterium eines genügenden Abstands von dem bekann­ten Bereich nicht gegeben. Entgegen des Vortrags der Beschwerdegegnerinnen handelt es sich deshalb beim Gegenstand des Anspruchs 1 nicht um eine Auswahlerfin­dung.

1.7 Infolgedessen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber der Druck­schrift E1 nicht neu (Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ 1973).

2. Hilfsanträge 1 bis 3 - Fehlende Neuheit des Gegen­stan­des des jeweiligen Anspruchs 1

2.1 Die voranstehende Begründung der fehlenden Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist unab­hängig von der beanspruchten 30%-igen Obergrenze des Be­reichs. Die in dem jeweiligen Anspruch 1 der Hilfs­anträge 2 und 3 vorgenommene Verkleinerung dieser Ober­grenze auf 20% bzw. 10% kann daher die Neuheit des beanspruchten Bereichs nicht begründen.

2.2 Zwischen den Parteien war daher auch nur die Offenba­rung des Merkmals der "abrupten Ände­rung des Konzen­trationsgefälles", insbesondere "dass der Konzentra­tionsabfall des Harzanteils im oberen Papierschicht­bereich wenigstens um den Faktor zwei größer ist als im unteren Papierschicht­bereich" (jeweilige Anspruch 1 der Hilfs­anträge 1 bis 3), strittig.

2.3 Das Streitpatent offenbart in den Absätzen [0015] und [0048] die Verwendung einer sich nicht mit dem Harz mischenden Sperrflüs­sig­keit zur Erzielung der defi­nierten Schichtdicke des oberen Papier­schicht­bereichs derart, dass sich eine Sperrschicht ent­spre­chender Dicke in der Papierschicht für das Harz bildet. Nach dem Beharzen der Papierschicht wird die Sperrflüssig­keit verdampft. Der ursprünglich von der Sperrflüssig­keit eingenommene Raum bildet dann den oberen Papier­schichtbereich.

2.4 Die Druckschrift E1 offenbart das gleiche Verfahren: Wie in Figur 6 dargestellt, "dringt von der Unterseite her flüssiges Kunstharz 44 in die Papierbahn ein. Von der Oberseite her dringt Wasser 46 in die Papierbahn ein". "Die beiden Flüssigkeiten sind nicht ineinander löslich und durchdringen sich daher nicht, so dass die obere Flüssigkeit in gewisser Weise eine Sperrschicht für die untere Flüssigkeit und umgekehrt bildet. Das Kunstharz 44 dringt somit nicht bis an die Oberseite der Papier­wand 10 vor". Das Wasser 46 wird an­schlie­ßend verdampft (Absätze [0033] und [0034], Figuren 6 und 7).

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

2.5 Die Kammer geht davon aus, dass das gleiche Herstel­lungs­verfahren im Streitpatent sowie im Stand der Technik E1 dieselbe Wirkung erreicht. Im Streitpatent sind diesbezüglich auch keine weiteren Maßnahmen vor­ge­se­hen und es wurden von den Beschwerdegegnerinnen auch keine geltend gemacht. Somit wird im Stand der Technik E1 mit der Verwendung der Sperr­flüssigkeit notwen­diger­weise ebenfalls ein ent­sprechend steiles ("Faktor zwei") Konzen­tra­tions­gefälle des Harzes an der Grenze zur Sperrflüssig­keit realisiert. Somit ist in der Druck­schrift E1 eine abrup­te Ände­rung des Konzen­tra­tionsgefälles, insbesondere "dass der Konzentra­tions­abfall des Harzanteils im oberen Papierschicht­bereich wenigstens um den Faktor zwei größer ist als im unteren Papierschicht­bereich", implizit offenbart.

2.6 Infolgedessen ist der Gegenstand des jeweiligen An­spruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 gegenüber der Druck­schrift E1 nicht neu (Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Ver­bin­dung mit Artikel 54 EPÜ 1973).

3. Hilfsantrag 4 - Mangelnde erfinderische Tätigkeit aus­gehend von der Druckschrift E1

3.1 Es war letztendlich unstreitig zwischen den Parteien, dass sich der Ge­gen­stand des Anspruchs 1 gemäß Hilfs­antrag 4 von der Druckschrift E1 dadurch unterscheidet, dass die aufge­brachte Farb­schicht getrocknet wird und, dass die Trocknung bei einer Temperatur un­ter­halb der Reak­tivierungs­tempe­ratur des Harzes im Bereich zwischen 40°C und 150°C erfolgt (entsprechend dem kennzeich­nen­den Teil des Anspruchs 1 gemäß Hilfs­antrag 4).

3.2 Beide Parteien brachten den von diesem Unterschied be­wirkten technischen Effekt mit dem hohen Was­ser­anteil der (Tintenstrahl)Tinte in Verbindung, welcher durch die Trocknung unterhalb der Reak­tivierungs­tempe­ratur des Harzes im Bereich zwischen 40°C und 150°C getrock­net werden kann, um somit ein gutes Druck­ergebnis zu erzielen. Die Kammer sieht auch keinen An­lass davon abzuweichen.

3.3 Die entsprechende objektive technische Aufgabe besteht somit darin, beim Bedrucken mit Tinte mit einem hohem Wasser­an­teil ein gutes Druckergebnis zu erzielen.

3.4 Dem Fachmann ist bekannt, dass Tinte nach dem Drucken trocknen muss (siehe z.B. Druck­schrift E1, Absatz [0024]). Dies gilt um so mehr, wenn die Tinte einen hohen Wasseranteil aufweist.

Der Fachmann der von der Druckschrift E1 ausgeht und die Aufgabe lösen möchte, beim Bedrucken mit Tinte mit einem hohem Wasser­an­teil ein gutes Druckergebnis zu erzielen, wird im Rahmen seines üblichen fachlichen Han­delns eine aktive Trocknung vor­se­hen und dabei einen dafür geeigneten Tempera­turbe­reich fest­legen. Denn der Fachmann kennt die Eigenschaften von Wasser und weiß, dass dieses bei erhöhten Tempera­turen verdunstet und bei circa 100°C zu kochen anfängt: Der zum Trocknen d.h. zum Verdunsten von Wasser geeignete Tempera­turbe­reich muss daher zwingend über der Raum­temperatur liegen, weil ansons­ten damit keine nen­nens­werte (zusätzliche) Trocknung erreicht werden kann. Die Ober­grenze des Tempera­turbe­reichs darf aber auch nicht so hoch sein, dass die zu trocknende be­druck­te Papier­schicht dadurch beschädigt wird. Der Fachmann wird des­halb die Obergrenze zwingend unweit oberhalb der 100°C Grenze, bei der Wasser kocht, wählen.

Der Fachmann wird also im Rahmen seiner üblichen fachmännischen Überlegungen in einem Temperaturbereich arbeiten, der in den beanspruchten Tem­peraturbereich von 40°C bis 150°C fällt. Eine erfinderische Tätig­keit kann darin nicht gesehen werden.

Sollte das Harz unterhalb der bedruckten Papierschicht zum Zeitpunkt der angestrebten Trocknung noch nicht durch­gehärtet sein, so liegt es ebenfalls im Rahmen der üb­lichen fachmännischen Überlegungen des Fach­manns sein noch in der Herstellung befindliches Produkt nicht beim Trocknen zu zerstören, so dass entsprechend die Tempe­raturobergrenze unterhalb der Reak­tivierungs­temperatur des entsprechenden Harzes gewählt würde. Auch diese Situation ist vom Fachmann im Rahmen seiner üblichen fachmännischen Überlegungen vorher­zusehen und würde entsprechend berücksichtigt. Eine erfinderische Tätigkeit kann damit nicht begründet werden.

3.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfs­an­trags 4 beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ 1973).

4. Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer

4.1 Nach Artikel 112 (1) a) EPÜ befasst eine Beschwerde­kammer die Große Beschwerdekammer mit einer Frage, wenn sie zur Sicherung einer einheitlichen Rechts­an­wendung dafür eine Ent­scheidung für erforderlich hält.

4.2 Im vorliegenden Fall ist die Beantwortung der vorge­leg­ten Frage für die zu treffende Entscheidung nicht rele­vant, weil die Untergrenze des beanspruchten Bereichs unmittel­bar und eindeutig im Stand der Technik E1 offenbart ist und der beste­henden Rechsprechung gefolgt wurde (siehe Punkt 1. oben). Somit besteht kein Grund zu Annahme, dass die Rechtsanwendung nicht einheitlich sei.

4.3 Schon aus diesem Grund gibt es keinen Anlass, die Frage der Be­schwer­de­gegnerinnen der Grossen Beschwerdekammer vorzulegen. Der Antrag auf Vorlage an die Grosse Beschwerdekammer wird daher zurückgewiesen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das europäische Patent wird widerrufen.

3. Der Antrag auf Vorlage an die Grosse Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.

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