European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T133814.20180712 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 12 Juli 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1338/14 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08716178.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | B41M 5/50 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zum Herstellen eines flächigen, bedruckten Bauteils | ||||||||
Name des Anmelders: | hülsta-werke Hüls GmbH & Co. KG Flooring Industries Limited, SARL |
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Name des Einsprechenden: | Surteco SE | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 3 (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 4 (nein) Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 132 042 zurückgewiesen worden ist.
II. Gegen das Patent sind zwei Einsprüche eingelegt worden. Sie stützten sich auf die in Artikel 100 a) EPÜ genannten Einspruchsgründe der fehlenden Neuheit, Artikel 54 EPÜ 1973 und der mangelnden erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ 1973.
III. Einer dieser Einsprüche wurde mit Schreiben vom 9. Dezember 2011 zurückgenommen.
IV. Am 12. Juli 2018 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen.
VI. Die Beschwerdegegnerinnen (Patentinhaberinnen) beantragten als Hauptantrag, die Beschwerde zurückzuweisen, oder hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent auf der Grundlage einer der mit Schreiben vom 12. Juni 2018 als Hilfsanträge 1 bis 3 eingereichten Anspruchssätze oder des in der mündlichen Verhandlung als Hilfsantrag 4 eingereichten Anspruchsatzes aufrechtzuerhalten. Weiterhin stellten die Beschwerdegegnerinnen einen Antrag auf Vorlage an die Grosse Beschwerdekammer.
VII. Im Beschwerdeverfahren wurde auf die Druckschrift E1: EP 1 749 676 A1 Bezug genommen.
VIII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Verfahren zum Herstellen eines flächigen, bedruckten oder bedruckbbaren [sic] Bauteils (7), insbesondere für Boden-, Wand-, Decken und/oder Möbelanwendungen, wobei auf einen flächigen Grundkörper (8) des Bauteils (7) eine beharzte, bedruckbare oder bedruckte Papierschicht (1) unter Druck- und Hitzeeinfluss aufgebracht wird, wobei die Papierschicht (1) nicht vollständig durchbeharzt ist und wobei die oberseitige Druckseite (2) der Papierschicht (1) zumindest im wesentlichen harzfrei ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Papierschicht (1) derart definiert von der Unterseite (5) her beharzt wird, dass der der Druckseite (2) zugewandte obere Papierschichtbereich (3) mit geringem oder ohne Harzanteil sich über maximal 30% der Dicke (d) der Papierschicht (1) erstreckt."
IX. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nur durch folgenden Zusatz am Ende des Anspruchs:
"wobei sich der Übergang des oberen Papierschichtbereichs (3) zu einem unteren Papierschichtbereich (4) mit hohem Harzanteil durch eine abrupte Änderung des Konzentrationsgefälles auszeichnet, während das Konzentrationsgefälle von der Unterseite des unteren Papierschichtbereichs (4) zu dessen Oberseite einerseits und von der Unterseite des oberen Papierschichtbereichs (3) zu dessen Oberseite andererseits im Wesentlichen konstant ist oder kontinuierlich abnimmt, und wobei der obere Papierschichtbereich (3) und der untere Papierschichtbereich (4) derart ausgebildet sind, dass der Konzentrationsabfall des Harzanteils im oberen Papierschichtbereich (3) wenigstens um den Faktor zwei größer ist als im unteren Papierschichtbereich (4)".
X. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nur dadurch, dass der Text "maximal 30% der Dicke" durch den Text "maximal 20% der Dicke" ersetzt ist.
XI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 nur dadurch, dass der Text "maximal 20% der Dicke" durch den Text "maximal 10% der Dicke" ersetzt ist.
XII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 lautet (die Änderungen gegenüber dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag wurden von der Kammer unterstrichen):
"Verfahren zum Herstellen eines flächigen, bedruckten oder bedruckbbaren [sic] Bauteils (7), insbesondere für Boden-, Wand-, Decken und/oder Möbelanwendungen, wobei auf einen flächigen Grundkörper (8) des Bauteils (7) eine beharzte, bedruckbare oder bedruckte Papierschicht (1) unter Druck- und Hitzeeinfluss aufgebracht wird, wobei die Papierschicht (1) nicht vollständig durchbeharzt ist und wobei die oberseitige Druckseite (2) der Papierschicht (1) zumindest im wesentlichen harzfrei ist, wobei die Papierschicht (1) derart definiert von der Unterseite (5) her beharzt wird, dass der der Druckseite (2) zugewandte obere Papierschichtbereich (3) mit geringem oder ohne Harzanteil sich über maximal 30% der Dicke (d) der Papierschicht (1) erstreckt, und wobei, die Papierschicht (1) erst nach dem Beharzen mit einer Farbschicht (6) bedruckt wird, dadurch gekennzeichnet, daß die aufgebrachte Farbschicht (6) während und/oder nach dem Bedrucken getrocknet wird und dass die Trocknung bei einer Temperatur unterhalb der Reaktivierungstemperatur des Harzes im Bereich zwischen 40°C und 150°C erfolgt."
XIII. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Hauptantrag - Neuheit gegenüber der Druckschrift E1
Absatz [0020] der Druckschrift E1, insbesondere Zeilen 15 bis 18 offenbare, dass "der an die Oberseite 16 angrenzende Bereich der Papierbahn 10 ganz oder zumindest im Wesentlichen frei von Melaminharz" bleibe. Beide Anspruchsalternativen seien somit aus der Druckschrift E1 bekannt. Eine Obergrenze werde für diesen Bereich in der Druckschrift E1 nicht angegeben. Die Untergrenze werde von der Oberseite der Papierbahn gebildet und sei daher dieselbe wie die des beanspruchten Bereichs im Anspruch 1 des Streitpatents, der sich über maximal 30% der Dicke der Papierschicht erstrecke: dieser im Anspruch 1 beanspruchte Bereich überlappe sich mit dem in der Druckschrift E1 offenbarten Bereich an seinem Anfangspunkt, nämlich an der Oberseite der Papierbahn bei 0% der Dicke der Papierschicht. Somit sei auch die Anforderung für eine Auswahlerfindung nicht gegeben, weil es wegen dieser Überlappung am Anfangspunkt "0% der Dicke der Papierschicht" keinen Abstand zum aus der Druckschrift E1 offenbarten Bereich geben könne.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei gegenüber der Druckschrift E1 nicht neu.
Hilfsanträge 1 bis 3 - Neuheit gegenüber der Druckschrift E1
Das Konzentrationsgefälle sei in der Druckschrift E1 implizit offenbart, weil es die zwingende Konsequenz davon sei, dass die Papierschicht von unten beharzt werde. Absätze [0033] und [0034] der Druckschrift E1 offenbaren, dass Wasser als Sperrschicht beim Beharzen eingesetzt werde. Dies sei das gleiche Herstellungsverfahren wie im Streitpatent (Absatz [0015]), so dass sich zwingend das gleiche Ergebnis einstellen müsse, nämlich ein Konzentrationsgefälle um den Faktor zwei.
Der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 sei gegenüber der Druckschrift E1 nicht neu.
Hilfsantrag 4 - Erfinderische Tätigkeit in Bezug auf die Druckschrift E1
Die Druckschrift E1 offenbare ebenfalls (z.B. im Absatz [0035]), dass die Papierschicht erst nach dem Beharzen mit einer Farbschicht bedruckt werde.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 unterscheide sich von der Druckschrift E1 nur in der aktiven Trocknung der aufgebrachten Farbschicht.
Die Aufgabe bestehe darin das viele Wasser in der Tinte nach dem Drucken zu beseitigen.
Gemäß Absatz [0024] und Figur 3b der Druckschrift E1 werde die freie Oberseite 16 der Papierbahn 10, beispielsweise in einem Tintenstrahldruckverfahren mit einem Muster als Farbschicht 26 bedruckt. Diese Farbschicht 26 werde vor dem Trocknen bevorzugt teilweise von der Papierbahn 10 aufgesaugt und hafte dadurch sehr gut an der Papierbahn.
Es sei für den Fachmann naheliegend gegebenenfalls die Tinte nach dem Drucken aktiv zu trocknen, in einem Temperaturbereich, der für das Harz unkritisch sei. Das Harz bestimme hierbei die obere Temperatur, da sonst das Produkt beim Trocknen zerstört werde. Trocknen sei für den Fachmann ein üblicher Vorgang mit voraussehbarem Effekt, bei dem keine erfinderische Tätigkeit gefordert sei.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 beruhe somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift E1.
Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer (siehe nachstehend Seite 8, letzter Absatz)
Die Frage der Beschwerdegegnerinnen solle nicht der Grossen Beschwerdekammer vorgelegt werden, weil:
- die konkrete Untergrenze bei 0% der Dicke der Papierschicht unmittelbar und eindeutig im Stand der Technik E1 offenbart sei; und
- diese Frage wegen der Überlappung der Bereiche keine Rolle bei der zu treffenden Entscheidung spiele.
XIV. Die Beschwerdegegnerinnen haben im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Hauptantrag - Neuheit gegenüber der Druckschrift E1
Die Druckschrift E1 offenbare keine definierte Obergrenze für die Ausdehnung des im wesentlichen unbeharzten Bereichs. Der Gegenstand des Streitpatents grenze sich davon dadurch ab, dass die Dicke der Papierschicht mit geringem oder ohne Harzanteil bis maximal 30% umfasse. Das Streitpatent gebe in den Absätzen [0012] und [0013] zwei hierdurch erzielte Effekte an. Gemäß der Druckschrift E1 (Absatz [0029]) übernehme die nicht harzgetränkte Oberfläche des Papiers die Funktion eines Adapters oder Primers für das Druckverfahren: Die Druckschrift E1 lehre somit nicht nur, dass die Oberseite und der an die Oberseite angrenzende Bereich Harzfrei seien. Der Gegenstand des Streitpatents sei zudem als Auswahlerfindung anzusehen, bei der die Druckschrift E1 entweder keine Bereiche offenbare, oder bei der aus dem bekannten, vergleichsweise großen impliziten Bereich von 0,01% bis 99,9% nur ein kleiner Teilbereich beansprucht werde, wodurch die Neuheit gegeben sei.
Hilfsanträge 1 bis 3 - Neuheit gegenüber der Druckschrift E1
Der jeweilige Anspruch 1 gemäß Hilfsanträge 1 bis 3 beinhalte das zusätzliche Merkmal einer abrupten Änderung des Konzentrationsgefälles um den Faktor zwei. Dies werde in der Druckschrift E1 nicht offenbart. Die Druckschrift E1 offenbare keine klare Trennlinie für die Abgrenzung des beharzten Bereichs der Papierschicht gegenüber dem im Wesentlichen unbeharzten Bereich. Der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 sei daher neu.
Hilfsantrag 4 - Erfinderische Tätigkeit in Bezug auf die Druckschrift E1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 unterscheide sich von der Druckschrift E1 in der aktiven Trocknung der aufgebrachten Farbschicht, so dass die Trocknung bei einer Temperatur unterhalb der Reaktivierungstemperatur des Harzes im Bereich zwischen 40°C und 150°C erfolge.
Die Aufgabe bestehe darin, beim Bedrucken mit Tinte mit einem hohem Wasseranteil ein gutes Druckergebnis zu erreichen.
Die Druckschrift E1 lehre (z.B. Absatz [0015]), dass verschiedene Parameter (z.B. die Auswahl des Papiers und der Färbeflüssigkeit sowie gegebenenfalls einer Vorbehandlung der zu bedruckenden Oberfläche) aufeinander abgestimmt werden müssten, um die angestrebte hohe Druckqualität (Absatz [0006]) zu erzielen. Die Druckschrift E1 lehre somit nicht aktiv unter der Reaktivierungstemperatur des Harzes zu trocknen.
Es gehöre nicht zum allgemeinen Fachwissen des Fachmanns bei über 40°C vor dem endgültigen Verpressen aktiv zu trocknen, weil dies ein Aktivierungsrisiko für das Harz bedeute.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Vorlage einer Frage an die Grosse Beschwerdekammer
Wegen einer Abweichung von der Rechtssprechung solle die folgende Frage der Grossen Beschwerdekammer vorgelegt werden:
"Kann man in Fällen, wo Bereichsgrenzen nicht unmittelbar und eindeutig im Stand der Technik offenbart sind, davon ausgehen, dass ein nicht derart offenbarter Bereich neuheitsschädlich ist?"
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag - Fehlende Neuheit des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 1
1.1 Die Druckschrift E1 offenbart ein Verfahren zum Herstellen eines flächigen, bedruckten oder bedruckbaren Bauteils (Figuren 1 und 3). Hierbei sind die "Menge des auf die Unterseite 12 aufgebrachten Melaminharzes 14, seine Viskosität, das Flächengewicht, die Faserart, die Fasergröße sowie der Bindemittelart des Papierblattes (10), seine Dicke und Porosität und die Temperatur [] derart aufeinander abgestimmt, dass das Melaminharz 14 die Papierbahn 10 von der Unterseite 12 zur Oberseite 16 nicht vollständig durchtränkt bzw. durchdringt, sondern der an die Oberseite 16 angrenzende Bereich der Papierbahn 10 ganz oder zumindest im Wesentlichen frei von Melaminharz (durch schwarze Punkte angedeutet) bleibt und die Saugfähigkeit seines Rohzustandes unverändert behält" (Absatz [0020], Spalte 4, Zeilen 8 bis 19, Figur 1).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
1.2 Die Parteien sind sich lediglich uneinig bezüglich der Offenbarung des Merkmals, "dass der der Druckseite zugewandte obere Papierschichtbereich mit geringem oder ohne Harzanteil sich über maximal 30% der Dicke der Papierschicht erstreckt".
1.3 Der voranstehend zitierte Absatz [0020] der Druckschrift E1 offenbart insbesondere in Zeilen 15 bis 18, dass "der an die Oberseite 16 angrenzende Bereich der Papierbahn 10 ganz oder zumindest im Wesentlichen frei von Melaminharz [] bleibt". Gemäß der Druckschrift E1 (Absatz [0024] und Figur 3) kann auf "die freie Oberseite 16 der Papierbahn 10, die durch die Beschichtung der Unterseite 12 mit Melaminharz nicht oder kaum verändert ist, [] unter Nutzung herkömmlicher Drucktechnik und Datenverarbeitung beispielsweise in einem Tintenstrahldruckverfahren ein Muster in hoch qualitativer Weise gedruckt werden, wie durch die Farbschicht 26 angedeutet (Abschnitt b)".
Der an die Oberseite der Papierbahn angrenzende Bereich der Papierbahn der Druckschrift E1 entspricht somit dem "der Druckseite zugewandte obere Papierschichtbereich" des Anspruchs 1 des Streitpatents.
1.4 Anspruch 1 des Streitpatents beinhaltet die folgenden zwei Alternativen:
- Alternative 1 bei der, der "der Druckseite zugewandte obere Papierschichtbereich" "ohne Harzanteil" ist, und
- Alternative 2 bei der, der "der Druckseite zugewandte obere Papierschichtbereich" mit "geringem Harzanteil", d.h. laut Oberbegriff des Anspruchs 1, "im wesentlichen harzfrei" ist.
Die Druckschrift E1 offenbart ebenfalls (siehe oben 1.3) sowohl die Alternative 1 bei der, der "der Druckseite zugewandte obere Papierschichtbereich" "ganz ... frei von Melaminharz ... bleibt" d.h. "ohne Harzanteil" ist, als auch die Alternative 2 bei der, der "der Druckseite zugewandte obere Papierschichtbereich" "im wesentlichen harzfrei" ist.
1.5 Die Druckschrift E1 offenbart keine Obergrenze für diesen "an die Oberseite 16 angrenzende[n] Bereich der Papierbahn 10" (Druckschrift E1, Spalte 4, Zeilen 15 und 16, Figur 1), was auch von den Beschwerdegegnerinnen hervorgehoben wurde.
Dagegen wird die Untergrenze des in der Druckschrift E1 offenbarten Bereichs von der Oberseite der Papierbahn gebildet und entspricht daher sozusagen 0% der Dicke der Papierschicht.
Der im Anspruch 1 des Streitpatents beanspruchte "der Druckseite zugewandte obere Papierschichtbereich mit geringem oder ohne Harzanteil" beginnt ebenfalls an der Oberseite der Papierbahn und beginnt daher auch bei 0% der Dicke der Papierschicht.
Diese Untergrenze des beanspruchten Papierschichtbereichs ist aber bereits aus der Druckschrift E1 bekannt, so dass der beanspruchte Bereich in seiner Untergrenze bei 0% der Dicke der Papierschicht nicht neu ist.
1.6 Die von den Beschwerdekammern angewendeten Grundsätze zur Neuheit von Auswahlerfindungen werden z.B. auch in T 279/89 (nicht veröffentlicht) zusammengefasst (vgl. weitere Entscheidungen in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 8. Auflage, 2016, I.C.6.3.1). Danach ist die Auswahl eines Teilbereichs numerischer Zahlenwerte aus einem größeren Bereich neu, wenn unter anderem auch das Kriterium (in der Rechtsprechung als Kriterium b) bezeichnet), dass der ausgewählte Teilbereich einen genügenden Abstand von dem - durch Beispiele belegten - bekannten Bereich hat, erfüllt ist.
Da sich der im Anspruch 1 beanspruchte Bereich mit dem in der Druckschrift E1 offenbarten Bereich an seinem Anfangspunkt, nämlich an der Oberseite der Papierbahn bei 0% der Dicke der Papierschicht überlappt, ist bereits das voranstehende Kriterium eines genügenden Abstands von dem bekannten Bereich nicht gegeben. Entgegen des Vortrags der Beschwerdegegnerinnen handelt es sich deshalb beim Gegenstand des Anspruchs 1 nicht um eine Auswahlerfindung.
1.7 Infolgedessen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber der Druckschrift E1 nicht neu (Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ 1973).
2. Hilfsanträge 1 bis 3 - Fehlende Neuheit des Gegenstandes des jeweiligen Anspruchs 1
2.1 Die voranstehende Begründung der fehlenden Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist unabhängig von der beanspruchten 30%-igen Obergrenze des Bereichs. Die in dem jeweiligen Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 vorgenommene Verkleinerung dieser Obergrenze auf 20% bzw. 10% kann daher die Neuheit des beanspruchten Bereichs nicht begründen.
2.2 Zwischen den Parteien war daher auch nur die Offenbarung des Merkmals der "abrupten Änderung des Konzentrationsgefälles", insbesondere "dass der Konzentrationsabfall des Harzanteils im oberen Papierschichtbereich wenigstens um den Faktor zwei größer ist als im unteren Papierschichtbereich" (jeweilige Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 3), strittig.
2.3 Das Streitpatent offenbart in den Absätzen [0015] und [0048] die Verwendung einer sich nicht mit dem Harz mischenden Sperrflüssigkeit zur Erzielung der definierten Schichtdicke des oberen Papierschichtbereichs derart, dass sich eine Sperrschicht entsprechender Dicke in der Papierschicht für das Harz bildet. Nach dem Beharzen der Papierschicht wird die Sperrflüssigkeit verdampft. Der ursprünglich von der Sperrflüssigkeit eingenommene Raum bildet dann den oberen Papierschichtbereich.
2.4 Die Druckschrift E1 offenbart das gleiche Verfahren: Wie in Figur 6 dargestellt, "dringt von der Unterseite her flüssiges Kunstharz 44 in die Papierbahn ein. Von der Oberseite her dringt Wasser 46 in die Papierbahn ein". "Die beiden Flüssigkeiten sind nicht ineinander löslich und durchdringen sich daher nicht, so dass die obere Flüssigkeit in gewisser Weise eine Sperrschicht für die untere Flüssigkeit und umgekehrt bildet. Das Kunstharz 44 dringt somit nicht bis an die Oberseite der Papierwand 10 vor". Das Wasser 46 wird anschließend verdampft (Absätze [0033] und [0034], Figuren 6 und 7).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
2.5 Die Kammer geht davon aus, dass das gleiche Herstellungsverfahren im Streitpatent sowie im Stand der Technik E1 dieselbe Wirkung erreicht. Im Streitpatent sind diesbezüglich auch keine weiteren Maßnahmen vorgesehen und es wurden von den Beschwerdegegnerinnen auch keine geltend gemacht. Somit wird im Stand der Technik E1 mit der Verwendung der Sperrflüssigkeit notwendigerweise ebenfalls ein entsprechend steiles ("Faktor zwei") Konzentrationsgefälle des Harzes an der Grenze zur Sperrflüssigkeit realisiert. Somit ist in der Druckschrift E1 eine abrupte Änderung des Konzentrationsgefälles, insbesondere "dass der Konzentrationsabfall des Harzanteils im oberen Papierschichtbereich wenigstens um den Faktor zwei größer ist als im unteren Papierschichtbereich", implizit offenbart.
2.6 Infolgedessen ist der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 gegenüber der Druckschrift E1 nicht neu (Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ 1973).
3. Hilfsantrag 4 - Mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift E1
3.1 Es war letztendlich unstreitig zwischen den Parteien, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 von der Druckschrift E1 dadurch unterscheidet, dass die aufgebrachte Farbschicht getrocknet wird und, dass die Trocknung bei einer Temperatur unterhalb der Reaktivierungstemperatur des Harzes im Bereich zwischen 40°C und 150°C erfolgt (entsprechend dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4).
3.2 Beide Parteien brachten den von diesem Unterschied bewirkten technischen Effekt mit dem hohen Wasseranteil der (Tintenstrahl)Tinte in Verbindung, welcher durch die Trocknung unterhalb der Reaktivierungstemperatur des Harzes im Bereich zwischen 40°C und 150°C getrocknet werden kann, um somit ein gutes Druckergebnis zu erzielen. Die Kammer sieht auch keinen Anlass davon abzuweichen.
3.3 Die entsprechende objektive technische Aufgabe besteht somit darin, beim Bedrucken mit Tinte mit einem hohem Wasseranteil ein gutes Druckergebnis zu erzielen.
3.4 Dem Fachmann ist bekannt, dass Tinte nach dem Drucken trocknen muss (siehe z.B. Druckschrift E1, Absatz [0024]). Dies gilt um so mehr, wenn die Tinte einen hohen Wasseranteil aufweist.
Der Fachmann der von der Druckschrift E1 ausgeht und die Aufgabe lösen möchte, beim Bedrucken mit Tinte mit einem hohem Wasseranteil ein gutes Druckergebnis zu erzielen, wird im Rahmen seines üblichen fachlichen Handelns eine aktive Trocknung vorsehen und dabei einen dafür geeigneten Temperaturbereich festlegen. Denn der Fachmann kennt die Eigenschaften von Wasser und weiß, dass dieses bei erhöhten Temperaturen verdunstet und bei circa 100°C zu kochen anfängt: Der zum Trocknen d.h. zum Verdunsten von Wasser geeignete Temperaturbereich muss daher zwingend über der Raumtemperatur liegen, weil ansonsten damit keine nennenswerte (zusätzliche) Trocknung erreicht werden kann. Die Obergrenze des Temperaturbereichs darf aber auch nicht so hoch sein, dass die zu trocknende bedruckte Papierschicht dadurch beschädigt wird. Der Fachmann wird deshalb die Obergrenze zwingend unweit oberhalb der 100°C Grenze, bei der Wasser kocht, wählen.
Der Fachmann wird also im Rahmen seiner üblichen fachmännischen Überlegungen in einem Temperaturbereich arbeiten, der in den beanspruchten Temperaturbereich von 40°C bis 150°C fällt. Eine erfinderische Tätigkeit kann darin nicht gesehen werden.
Sollte das Harz unterhalb der bedruckten Papierschicht zum Zeitpunkt der angestrebten Trocknung noch nicht durchgehärtet sein, so liegt es ebenfalls im Rahmen der üblichen fachmännischen Überlegungen des Fachmanns sein noch in der Herstellung befindliches Produkt nicht beim Trocknen zu zerstören, so dass entsprechend die Temperaturobergrenze unterhalb der Reaktivierungstemperatur des entsprechenden Harzes gewählt würde. Auch diese Situation ist vom Fachmann im Rahmen seiner üblichen fachmännischen Überlegungen vorherzusehen und würde entsprechend berücksichtigt. Eine erfinderische Tätigkeit kann damit nicht begründet werden.
3.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ 1973).
4. Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer
4.1 Nach Artikel 112 (1) a) EPÜ befasst eine Beschwerdekammer die Große Beschwerdekammer mit einer Frage, wenn sie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung dafür eine Entscheidung für erforderlich hält.
4.2 Im vorliegenden Fall ist die Beantwortung der vorgelegten Frage für die zu treffende Entscheidung nicht relevant, weil die Untergrenze des beanspruchten Bereichs unmittelbar und eindeutig im Stand der Technik E1 offenbart ist und der bestehenden Rechsprechung gefolgt wurde (siehe Punkt 1. oben). Somit besteht kein Grund zu Annahme, dass die Rechtsanwendung nicht einheitlich sei.
4.3 Schon aus diesem Grund gibt es keinen Anlass, die Frage der Beschwerdegegnerinnen der Grossen Beschwerdekammer vorzulegen. Der Antrag auf Vorlage an die Grosse Beschwerdekammer wird daher zurückgewiesen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent wird widerrufen.
3. Der Antrag auf Vorlage an die Grosse Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.