T 1302/14 () of 11.1.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T130214.20170111
Datum der Entscheidung: 11 Januar 2017
Aktenzeichen: T 1302/14
Anmeldenummer: 06025309.3
IPC-Klasse: B60S 3/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Behandlungsanlage für Fahrzeuge
Name des Anmelders: Otto Christ AG
Name des Einsprechenden: WashTec Holding GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 111(1)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Zurückverweisung an die erste Instanz - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0450/18

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 1795408 in geändertem Umfang, zur Post gegeben am 9. April 2014.

II. Die Einspruchs­abteilung hat festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ausgehend vom Dokument des nächsten Standes der Technik

JP 2000198425 A (D1)

einschließlich der beglaubigten Übersetzung aus der japanischen Sprache ins Deutsche (eingereicht am 10. Februar 2014).

Des Weiteren hat die Einspruchsabteilung festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 1 (Grundlage der Zwischenentscheidung) auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

III. Gegen diese Entscheidung haben die Einsprechende und die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt.

IV. Am 11. Januar 2017 wurde mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung, hilfsweise die Aufrechterhaltung in geänderter Fassung im Umfang der Hilfsanträge I, IIa, IIIa, IV bis VIII, vorgelegt mit Schreiben vom 8. Dezember 2016.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die

Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Nach der Diskussion zum Anspruchs 1 des Hilfsantrags III, ebenfalls vorgelegt mit Schreiben vom 8. Dezember 2016 und der dazu geäußerten vorläufigen Meinung der Kammer nahm die Patentinhaberin den Hilfsantrag III zurück und stellte den Antrag auf Zurückverweisung in die erste Instanz.

V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (Patent wie erteilt) lautet wie folgt:

Behandlungsanlage für Fahrzeuge (2), insbesondere Autowaschanlage oder Polieranlage, mit mindestens einer zustellbaren rotierenden Behandlungsbürste (5,6,7) mit einem elektrischen Antriebsmotor (10) für den Drehantrieb der Behandlungsbürste (5,6,7), dadurch gekennzeichnet, dass der Antriebsmotor (10) der Behandlungsbürste (5,6,7) als steuerbarer Wechselstrommotor mit einem Frequenzumrichter (11) ausgebildet ist, wobei der Frequenzumrichter (11) eine integrierte Messeinrichtung (12) für den Motorstrom aufweist.

VI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I (entspricht der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung) lautet wie folgt, Hervorhebung der Änderung gegenüber Anspruch 1 gemäß Hauptantrag durch die Kammer:

Behandlungsanlage für Fahrzeuge (2), insbesondere Autowaschanlage oder Polieranlage, mit mindestens einer zustellbaren rotierenden Behandlungsbürste (5,6,7) mit einem elektrischen Antriebsmotor (10) für den Drehantrieb der Behandlungsbürste (5,6,7), dadurch gekennzeichnet, dass der Antriebsmotor (10) der Behandlungsbürste (5,6,7) als steuerbarer Wechselstrommotor mit einem Frequenzumrichter (11) ausgebildet ist, wobei der Frequenzumrichter (11) eine integrierte Messeinrichtung (12) für den Motorstrom aufweist, die mit einer Steuerung (3) der Behandlungsanlage (1) verbunden ist.

VII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag IIa lautet wie folgt, Hervorhebung der Änderung gegenüber Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I durch die Kammer:

Behandlungsanlage für Fahrzeuge (2), insbesondere Autowaschanlage oder Polieranlage, mit mindestens einer zustellbaren rotierenden Behandlungsbürste (5,6,7) mit einem elektrischen Antriebsmotor (10) für den Drehantrieb der Behandlungsbürste (5,6,7), dadurch gekennzeichnet, dass der Antriebsmotor (10) der Behandlungsbürste (5,6,7) als steuerbarer Wechselstrommotor mit einem Frequenzumrichter (11) ausgebildet ist, wobei der Frequenzumrichter (11) eine integrierte Messeinrichtung (12) für den Motorstrom aufweist, die für eine Momentensteuerung der Bürstenzustellung mit einer Steuerung (3) der Behandlungsanlage (1) verbunden ist.

VIII. Die Beschwerde­führerin/Patentinhaberin brachte im Wesentlichen die folgenden Argumente vor:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das Dokument D1 stelle den nächsten Stand der Technik dar. Dieses Dokument offenbare die Merkmale 1 bis 3 des strittigen Anspruchs 1 (Gliederung der Merkmale gemäß der Entscheidung der Einspruchsabteilung, Seite 4).

D1 zeige aber weder einen Frequenzumsetzer noch einen Wechselstrommotor. Des Weiteren sei die Erfassung des Motorstroms gemäß Merkmal 5 des erteilten Anspruchs nicht gezeigt.

Insbesondere werde bestritten, dass D1 (JP 2000198425) als Stromrichter einen Inverter im Sinne eines Wechselrichters (Power Inverter) offenbare, wie es die beglaubigte Übersetzung des japanischen Dokuments offenbare. Der japanische Begriff "Inverter" (Inbaata) könne auch einen bei Choppersteuerungen üblichen logischen Inverter bezeichnen. Dann aber läge am Ausgang des strittigen Stromrichters keine Wechselspannung an, sondern eine gepulste Gleichspannung und folglich sei ein Gleichstrommotor vorhanden und eben kein Wechselstrommotor. Von daher sei das Merkmal 4 des strittigen Anspruchs 1 nicht zweifelsfrei und unmittelbar der D1 zu entnehmen.

Ebenfalls offenbare D1 keine integrierte Messeinrichtung. Der Paragraph [0059] offenbare lediglich eine Grenzwertbestimmung eines Strom, dies könne auch eine einfache Sicherung sein.

Mit den unterscheidenden Merkmalen werde die Aufgabe gelöst, einen verbesserten Antrieb zur Verfügung zu stellen, mit einem kostengünstigen Wechselstrommotor der eine feinfühlige und stufenlose Drehzahlregelung erlaube, vgl. Paragraphen [0006] und [0007] der Patentschrift.

Diese Maßnahmen seien aber dem Fachmann nicht nahegelegt, da D1 keine Regelung des Anpressdrucks der Seitenbürsten über eine Messung des Motorstroms des Drehantriebs nahelege. Das Funktionsprinzip der Vorrichtung gemäß D1 sei völlig unterschiedlich und beruhe im Wesentlichen auf einer Winkelmessung und einer Drehmomentenvorgabe für die Zustellantriebe. Des Weiteren müsse der Fachmann bei einer Verwendung eines Frequenzumrichters die Art der Spannungsversorgung von Gleichspannung auf Wechselspannung umstellen, was einen erheblichen Aufwand bedeute. Somit habe der Fachmann überhaupt keine Motivation, die Vorrichtung gemäß D1 durch die unterscheidenden Merkmale anzupassen.

Das zusätzliche Merkmal von Anspruch 1 des Hilfsantrags I definiere weiterhin, dass die interne Messeinrichtung mit der Steuerung der Behandlungsanlage verbunden ist.

Dieses Merkmal sei ebenfalls nicht in D1 offenbart. Dort werde mittels des erfassten Stromwerts der Dreh­motoren lediglich eine Lastabschaltung vorgenommen, um Beschädigungen des Fahrzeugs zu vermeiden. Die Last­abschaltung sei aber lediglich eine Sicherheits­maßnahme, die mit der Steuerung der Behandlungsanlage nichts zu tun haben müsse. Diese könne auch an völlig anderer Stelle, z.B. direkt an der Bürste, unter­gebracht und müsse nicht in die Steuerung der Anlage integriert sein.

Anspruch 1 des Hilfsantrags IIa enthalte zusätzlich das Merkmal, dass der Motorstromwert für eine Momenten­steuerung der Bürstenzustellung mit der Steuerung der Behandlungsanlage verbunden ist.

Auch dieses Merkmal sei nicht in D1 offenbart.

So unterscheide D1 zwischen einer Bürstenzustellung (vgl. Paragraph [0028]) und einer Öffnung im Kollisionsfall oder Überlastfall (vgl. Paragraph [0029]). Nur im Kollisions- oder Überlastfall würden aber von der Lastabschaltung die Seitenbürsten vom Fahrzeug entfernt. Bei einer Entfernung könne aber nicht von einer Zustellung der Bürsten besprochen werden; es sei die gegensätzliche Bewegung. Die Zustellung führe zum Fahrzeug hin, die Öffnung davon weg.

Die Erfindung, wie sie in Anspruch 1 definiert sei, sei ausführbar. Es sei dem Fachmann bekannt, wie eine Anordnung aus einem Wechselstrommotor und einem Frequenzumrichter auszusehen habe.

Es werde beantragt, die Angelegenheit in die erste Instanz zurückzuverweisen. Letztlich seien in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer erstmals Auslegungen zu Merkmalen der Ansprüche vorgetragen worden, so dass die Patentinhaberin vor diesem Hintergrund eine Prüfung der nun neu vorzulegenden Anträge, die diesen Auslegungen Rechnung trügen, vor der Einspruchsabteilung beantrage.

Schließlich sei es nicht vorhersehbar gewesen, dass die Einsprechende eine derartige Auslegung von "Steuerung" und "Zustellbewegung" erstmals in der mündlichen Verhandlung vortrage und dass die Kammer diesen Auslegungen folgt. Auch habe die Einsprechende im schriftlichen Verfahren überhaupt nicht substantiell zu den Hilfsanträgen vorgetragen.

IX. Die Beschwerdeführerin/Einsprechende widerspricht dieser Argumentation wie folgt:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

So offenbare D1 alle Merkmale des Anspruchs 1 bis auf einen Frequenzumsetzer und die darin integrierte Messeinrichtung.

Eine Messeinrichtung für Strom sei aber schon in D1 offenbart.

Überhaupt sei der japanische Begriff "Inbaata" derart umfassend, dass darunter eben auch ein Frequenzrichter fallen könne. Es sei aber sicher kein Chopper, denn diese würden typischerweise nicht als inverter bezeichnet, sondern eben als chopper, auf Deutsch Zerhacker. Mit inverter sei vorliegend auch sicher kein Logikinverter gemeint, wie er beispielsweise in Choppern vorkäme. Von daher sei das Merkmal Frequenzumrichter mindestens nahegelegt. Auch Frequenzumrichter, die bereits eine integrierte Messeinrichtung für den Motorstrom aufwiesen, seien dem Fachmann allgemein bekannt und somit könnte deren Auswahl keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Das zusätzliche Merkmal des Hilfsantrags 1 sei ebenfalls aus dem Dokument D1 bekannt. Dort offenbare der Paragraph [0059] eine "Einrichtung zur Erfassung der Stromstärke", die, im Falle einer Überlast, die Seitenbürsten vom Fahrzeug wegfahre. Damit habe die Einrichtung zur Erfassung der Stromstärke eine Verbindung zu einem Element der Steuerung der Behandlungsanlage.

Aus demselben Grund könne auch das zusätzliche Merkmal des Hilfsantrags IIa keine erfinderische Tätigkeit begründen. So stelle die in D1, Paragraph [0059] be­schriebene Lastabschaltung mit der Öffnungsbewegung der Seitenbürsten eine Momentsteuerung der Zustellbewegung dar. Wenn das Anpressmoment in der Vorrichtung der D1 zu groß werde, fahre die Lastüberwachung die Seitenbürsten vom Fahrzeug weg.

Es sei völlig unklar, was der Fachmann unter einem steuerbaren Wechselstrommotor, der mit einem Frequenzumsetzer ausgebildet ist, zu verstehen habe. Insofern sei die Erfindung, wie sie in Anspruch 1 definiert sei, nicht ausführbar.

Einer Zurückverweisung in die erste Instanz werde widersprochen. Es seien schließlich alle nötigen Fakten besprochen, um eine abschließende Entscheidung zu treffen. Der Fachmann kenne den Unterschied zwischen einer Steuerung und einer Regelung. Die Interpretation der Einsprechenden stütze sich ausschließlich auf die fachmännische Definition einer Regelung; somit hatte die Patentinhaberin ausreichend Gelegenheiten gehabt, entsprechende Hilfsanträge vorzubereiten und vorzulegen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.

2.1 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 unterscheidet sich von der Behandlungsanlage für Fahrzeuge gemäß D1 dadurch, dass der bekannte Wechselstrommotor

- mit einem Frequenzumrichter ausgebildet ist,

und dass

- die bekannte Meßeinrichtung in den Frequenzumrichter integriert ist.

2.2 Die Patentinhaberin gibt an, dass die beglaubigte Übersetzung der D1 in Bezug auf den Begriff "Wechselrichter" unpräzise sei, es sich auch um einen Chopper für Gleichstrommotoren handeln könne und dass daher D1 nicht zwangsläufig einen Wechselstrommotor offenbaren müsse.

2.3 Dazu stellt die Kammer folgendes fest:

- Die beglaubigte Übersetzung der D1 aus der japanischen Sprache ins Deutsche nennt das strittige Bauteil 33 in Paragraph [0019] einen Wechselrichter.

- Ein Wechselrichter bezeichnet typischerweise einen Stromrichter, der Gleichstrom in Wechselstrom umwandelt (DC/AC-Inverter). Die englischsprachige Fachbezeichnung für einen Wechselrichter ist Inverter (oder Power-Inverter, um zu verdeutlichen, dass es sich nicht um einen Logikbaustein (Invertierer) handelt).

- Der Ausgang eines Wechsel­richters weist eine Wechsel­spannung auf; die Änderung der Ausgangsfrequenz dieser Wechselspannung bedingt - wenn ein Wechselstrommotor angeschlossen ist - eine Änderung der Drehzahl.

- Die beglaubigte Übersetzung erklärt in Paragraph [0019], dass die Frequenz am Ausgang des strittigen Bauteils 33 zur Einstellung der Drehzahl der Antriebsmotoren für die Bürsten dient.

Diese Punkte werden - für sich genommen - von den Parteien auch nicht bestritten.

2.4 Im Einzelnen wendet die Patentinhaberin ein, dass im japanischen Original der D1 das Bauteil 33 in Paragraph [0019] mit "Inbaata" bezeichnet werde, was soviel wie Inverter bedeute. Inverter würden aber ebenfalls in sogenannten Choppern zum Betrieb von Gleichstrommotoren eingesetzt. Dies könne in D1 der Fall sein; dabei nämlich könne ebenfalls die Frequenz des Choppers die Drehzahl eines Gleichstrommotors beeinflussen. Dann aber könne die Offenbarung eines Wechselstrommotors nicht als zweifelsfrei angesehen werden.

2.5 Die Kammer hat zunächst einmal keinen Anlass eine beglaubigte Übersetzung in Zweifel zu ziehen.

Nun hat die Patentinhaberin eingewendet, dass die Übersetzung nicht korrekt sei, insbesondere, dass der Begriff "Inbaata" vorliegend nicht korrekt mit "Wechselrichter" übersetzt sei.

Dieses Argument indes ist aus technischer Sicht nicht überzeugend:

Zunächst ist unstrittig, dass "Inbaata" dem englischsprachigen Begriff inverter entspricht. Es wird weiterhin nicht in Frage gestellt, dass sogenannte Chopperschaltungen einen inverter aufweisen, und dass im Falle eines Choppers der daran angeschlossene Motor ein Gleichstrommotor sein muss.

2.6 Der Invertierer einer Chopper­schaltung (Zerhacker) ist eines von mehreren internen Bauteilen eines Choppers, mit der Funktion eines Umschalters. So gibt weder der Invertierer des Choppers eine Frequenz an den Elektromotor aus noch ist der Invertierer selbst für die Erzeugung der Frequenz zuständig. Vielmehr wird der Invertierer - der in einem Chopper vor dessen Ausgangsstufe sitzt - mit einer Frequenz angesteuert und diese gibt dann eine (getaktete oder gepulste) Ausgangsspannung aus.

Damit aber lässt sich die Aussage der D1 in Paragraph [0019], dass das strittige Bauteil 33 zur "Änderung der Drehzahl der Seitenbürsten SB, SB durch Änderung der an die Drehmotoren 14, 14 angelegten Frequenz verwendet" wird, nur sinnvoll auf einen Wechselrichter (englisch: (power-) inverter) zu lesen, nicht aber auf einen Invertierer (inverter) in einem Chopper.

2.7 Des Weiteren offenbart D1 zweifelsfrei und unmittelbar eine "Einrichtung zur Erfassung der Stromstärke", vgl. Paragraph [0059]. Dabei ist es unerheblich, ob - wie es die Patentinhaberin ausführt - hierbei lediglich eine Überschreitung für den Kollisionsfall erfasst wird oder ob die Stromstärke zur Steuerung weiterer Funktionen in der Behandlungsanlage vorgesehen ist.

2.8 Somit hat der Fachmann, ausgehend von D1, lediglich den bekannten Wechselrichter gegen einen Frequenzumrichter auszutauschen, der eine integrierte Messeinrichtung aufweist, um zur strittigen Erfindung zu gelangen. Der Einsatz von Frequenzumrichtern indes stellt eine naheliegende Alternative dar, so dass der Fachmann deren Integration in die Umgebung der Behandlungsanlage gemäß D1 in Betracht zöge.

Auch kennt der Fachmann Frequenzumrichter mit und ohne integrierter Strommesseinrichtung, so dass es naheliegt, dasjenige Modell auszusuchen, welches die vorliegenden Anforderungen am besten erfüllt, vgl. dazu die Entscheidung der Einspruchsabteilung, Seite 9, Punkt 3.2.

Dabei spielt es nach Ansicht der Kammer auch keine Rolle, dass bei einem Einsatz eines Frequenzumrichters sich auch die Art der Spannungsversorgung der Behandlungs­anlage von Gleichspannung auf Wechselspannung verändert, da auch hier, je nach Ausgangssituation, ein fachmännisches Abwägen völlig üblich ist und der Fachmann in einer passenden Gestaltungssituation einen Frequenzumrichter mit integrierter Messeinrichtung auswählen würde.

3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag I beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags I definiert zusätzlich zum erteilen Anspruch 1, dass die Messeinrichtung für den Motorstrom mit einer Steuerung der Behandlungsanlange verbunden ist.

3.1 Die Kammer ist der Auffassung, dass dieses Merkmal im Stand der Technik gemäß D1 gezeigt ist. Somit kann dieses Merkmal nichts zur erfinderischen Tätigkeit beitragen.

So stellt die Lasterkennungseinrichtung gemäß der Paragraphen [0029] und [0059] eine Messeinrichtung für den Motorstrom dar (siehe dazu auch oben, 2.7), die mit der Steuerung der Behandlungsanlage verbunden ist. Insbesondere stellt auch eine - ggf. dezentral aufgestellte - Lasterkennungseinrichtung, die eine Öffnung der Behandlungsbürsten veranlasst, ein Element einer Steuerung der Behandlungsanlage dar. Hier folgt die Kammer nicht der engen Auslegung der Patent­inhaberin, die die Notabschaltung bei Überlast im Kollisionsfall nicht als einen Teil der Steuerung, sondern als eine Sicherung versteht.

4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag IIa beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags IIa definiert zusätzlich zum erteilen Anspruch 1, dass die Messeinrichtung für den Motorstrom für eine Momentensteuerung der Bürstenzustellung mit einer Steuerung der Behandlungsanlange verbunden ist.

4.1 Die Kammer ist der Auffassung, dass auch dieses Merkmal im Stand der Technik gemäß D1 offenbart ist. Somit kann dieses Merkmal nichts zur erfinderischen Tätigkeit beitragen.

4.2 Die Präzisierung, dass der Motorstrom für eine Momentensteuerung genutzt werde, ändert nichts an der oben unter Punkt 3 geäußerten Auffassung der Kammer. Die Lastabschaltung gemäß D1 sieht die Kammer dabei als eine Momentensteuerung.

Insbesondere ist der Argumentation der Patentinhaberin nicht zu folgen, dass der Fachmann unter einer Momentensteuerung eine feinfühlige Regelung verstehe, wie sie in der Beschreibungseinleitung als Aufgabe genannt und im Paragraph [0019] beschrieben sei. Die Kammer erkennt in einer Regelung der Bürstenzustellung in Abhängigkeit des Motorstroms der Drehmotoren einen Unterschied zur D1, stellt aber fest, dass dieser Aspekt mit dem Merkmal Steuerung nicht im Anspruchs 1 des Hilfsantrags IIa abgebildet ist.

4.3 Ebenfalls teilt die Kammer nicht die von der Patentinhaberin vertretene Auffassung, dass D1 mit der Notabschaltung eine Öffnung der Seitenbürsten, also eine Wegbewegung der Bürsten vom Fahrzeug offenbare, der strittige Anspruch 1 indes eine Bürstenzustellung definiere. Dies sei aber genau der andere Teil der Bewegung. Die beiden Bewegungsvorgänge seien in D1 in den Paragraphen [0028] und [0029] auch getrennt abgehandelt.

In der Beschreibung des strittigen Patents ist durchgängig von einer Zustelleinrichtung die Rede.

Diese Zustelleinrichtung ist vorgesehen, um die Bürsten zum Fahrzeug und davon weg zu bewegen. Hierbei findet sich in der Beschreibung des Streitpatents kein Unterschied zwischen einer Bewegung der Bürsten zum Fahrzeug hin und einer Öffnung.

Das Gegenteil ist der Fall: So erklärt Paragraph [0019], dass die Eintauch­tiefe mittels der beschriebenen Steuerung auf einen konstanten Wert geregelt werden kann. Eine Regelung indes bedeutet, dass es - abhängig von dem vom Anpressdruck erzeugten Motorstrom - eine Bürstenbewegung zum Fahrzeug hin, als auch eine vom Fahrzeug weg gibt, um - je nach Fahrzeugtyp - die Eintauchtiefe auf einen konstanten Wert zu regeln.

Da beide Bewegungen von der Zustelleinrichtung im Rahmen der in Streitpatent beschriebenen Regelung durchgeführt werden, ist auch die Öffnungsbewegung der Bürsten eine Zustellbewegung im Sinne des Streitpatents.

5. Die Erfindung ist im Streitpatent derart deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, Artikel 100 b) EPÜ.

5.1 Die Einsprechende/Beschwerdeführerin argumentiert, der Fachmann wisse nicht, wie ein Wechselstrommotor mit einem integrierten Frequenzumrichter auszubilden sei.

5.2 Der Wortlaut des betreffenden Merkmals des Anspruchs 1 lautet: dass der Antriebsmotor "als steuerbarer Wechselstrommotor mit einem Frequenzumrichter (11) ausgebildet ist".

Dem Fachmann ist durch die im Anspruch 1 gewählte Formulierung klar, dass der Antriebsmotor als steuerbarer Wechselstrommotor ausgebildet und diese Steuerung mit einem Frequenzumrichter geschieht.

Insbesondere aber geben der Wortlaut und die Beschreibung des Streitpatents keinen Anhaltspunkt, dass der Fachmann den Frequenzumrichter in den Wechselstrommotor räumlich zu integrieren habe.

6. Die Kammer macht von ihrem Ermessen Gebrauch, den Fall an die erste Instanz zurückzuverweisen, Artikel 111 (1) EPÜ.

6.1 Gemäß Artikel 111 (1) EPÜ liegt es im Ermessen der Kammer, ob sie in der Sache selbst entscheidet, oder ob sie an die Instanz zurückverweist, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Über die Zweckmäßigkeit einer solchen Zurückverweisung entscheidet die Kammer nach Sachlage im Einzelfall, vgl. auch Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage, 2016, IV.E.7.

6.2 Vorliegend hat sich durch die in der mündlichen Verhandlung geführte Diskussion, insbesondere durch die Ausführungen der Einsprechenden, eine Sachlage ergeben, derart, dass sich die Patentinhaberin vor die Situation gestellt sah, während der mündlichen Verhandlung nicht mehr angemessen - in Form von Hilfsanträgen - auf den Vortrag der Einsprechenden reagieren zu können.

Vor allem die, für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit wesentliche Auslegung des Begriffs "Bürstenzustellung" (vgl. Hilfsantrag IIa) ist während der mündlichen Verhandlung erstmals diskutiert worden, siehe oben, Punkt 4.3.

6.3 Von daher folgt die Kammer in diesem Punkt nicht dem Vorbringen der Einsprechenden, dass die Argumente in diesem Fall seit langer Zeit auf dem Tisch lägen und diskutiert wurden.

Vor allem hat sich die Einsprechende vor der mündlichen Verhandlung nicht substantiell zu den Hilfsanträgen geäußert, so dass sich die Patentinhaberin in der Tat in der mündlichen Verhandlung erstmals vor die Aufgabe gestellt sah, diese zu verteidigen.

So stellt der einzige schriftliche Vortrag der Einsprechenden/Be­schwerde­führerin in Bezug auf Hilfsantrag II (der die Grundlage des Hilfantrags IIa bildet) lediglich fest, dass das hinzugefügte Merkmal "bereits aus dem von der Patentinhaberin in Spalte [0003] gewürdigten Stand der Technik bekannt" sei "und daher zu keinem patentfähigen Gegenstand führen" könne, siehe Schreiben vom 24. Februar 2016, Seite 7, vorletzter Absatz.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

- Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

- Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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