European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T128014.20180323 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 März 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1280/14 | ||||||||
Anmeldenummer: | 07703280.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | B42D 15/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Sicherheitselement mit einer optisch variablen Struktur | ||||||||
Name des Anmelders: | Giesecke+Devrient Currency Technology GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | CCL Secure Pty Ltd | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - Hauptantrag (nein) Gebotene Verfahrensökonomie - Hilfsanträge 1 und 2 (nicht zugelassen - siehe Entscheidungspunkt 3) |
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Orientierungssatz: |
Anwendung des Erfordernisses der Achtung der gebotenen Verfahrensökonomie nach Artikel 13(1) VOBK wenn eine Patentinhaberin billigend in Kauf nimmt, dass sich die Beschwerdegegner und die Kammer unnötigerweise auf Hilfsanträge vorbereiteten, auf die es im weiteren Verfahren nicht ankommen kann, weil die Patentinhaberin erst in der mündlichen Verhandlung eine Vielzahl von divergierenden Verteidigungslinien, die von einer Hauptverteidigungslinie abweichen und bereits in der vorläufigen Stellungnahme der Kammer gerügt wurden, auf einige wenige der divergierenden Verteidigungslinien beschränkt. |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 986 867 zurückgewiesen worden ist.
II. Der Einspruch stützte sich auf die in Artikel 100 a) und b) EPÜ 1973 genannten Einspruchsgründe der unzureichenden Offenbarung, der fehlenden Neuheit, Artikel 54 EPÜ 1973 und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ 1973.
III. Am 23. März 2018 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Zur Vorbereitung hatte die Kammer in einer Mitteilung den Parteien bereits Folgendes mitgeteilt:
- Verspätet eingereichte Druckschriften:
"Die Druckschrift[] D9 [...] wurde[] von der Beschwerdeführerin erstmals im Beschwerdeverfahren mit der Beschwerdebegründung vorgelegt. Die Einreichung erfolgte im Anschluss an die für die Beschwerdeführerin negative Entscheidung der Einspruchsabteilung und zu Beginn des Beschwerdeverfahrens" (Punkt 8.2 der Mitteilung).
"Die Beschwerdegegnerin bemängelt [...] das erstmalige Vorbringen im Beschwerdeverfahren der im Einspruchsverfahren bisher nicht vorgelegten Druckschrift[] D9 [...]" (Punkt 8.3 der Mitteilung).
"Somit wird die Zulässigkeit dieser Schriften zu diskutieren sein (siehe hierzu Verfahrensordnung der Beschwerdekammern VOBK, Artikel 12 und 13)" (Punkt 8.4 der Mitteilung).
- Neuheit des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 1 (Hauptantrag) (Punkt 9 der Mitteilung)
"Die Druckschrift D9 befasst sich mit einem Objekt zur Bildung latenter Bilder, um zu verhindern, dass unter anderem Banknoten nachgemacht oder gefälscht werden, sowie mit einem Verfahren zur seiner Herstellung (Spalte 1, Zeilen 12 bis 16).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Figur 4 zeigt einen vergrößerten Querschnitt eines Ausführungsbeispiels des Objekts zur Bildung eines latenten Bildes: Es gibt geprägte Vorsprünge 1a und gedruckte gerade Linien 21 bis 26 auf der Oberfläche des Papiers 4. Die relative Anordnung der geraden Linien 21 bis 23 und der geraden Linien 24 bis 26 zu den Vorsprüngen 1a ist unterschiedlich (Spalte 4, Zeilen 11 bis 23).
Zum Prägen kann eine Tiefdruckplatte verwendet werden (Spalte 3, Zeilen 10 bis 12).
Bei einer Betrachtung senkrecht zu der Papieroberfläche (Richtung X in Figur 4), sieht man die geraden Linien 21 bis 26, als hätten sie unabhängig von ihrer Lage zu den Vorsprüngen 1a die gleiche Breite.
Bei einer Betrachtung unter einem bestimmten Winkel (Richtung Y in Figur 4), kann man die geraden Linien 24 bis 26 kaum sehen, weil sie hinter den jeweiligen Vorsprüngen 1a verborgen sind. Im Gegensatz dazu sind die geraden Linien 21 bis 23 nur in einem sehr schmalen Bereich von den jeweiligen Vorsprüngen 1a verborgen. Der Unterschied zwischen der Ansicht in der Y-Richtung und der Ansicht in der X-Richtung beruht auf den Einfluss der Vorsprünge 1a und erzeugt das latente Bild (Spalte 4, Zeilen 24 bis 37).
Wenn anstelle der geraden Linien 2 Halbtonpunkte gedruckt werden, kann man ein solches latentes Bild erhalten (Spalte 4, Zeilen 44 bis 46).
Die Beschwerdeführerin zitiert im Wesentlichen die voranstehenden Stellen der Druckschrift D9 und argumentiert, dass Halbtonpunkte den "nicht linienförmigen Grundelementen" des Anspruchs 1 gemäß der im Streitpatent enthaltenen Definition entsprechen: Halbtonpunkte könnten je nach Anwendung z.B. rund, elliptisch oder quadratisch sein. Der Fachmann sei zudem mit den unterschiedlichsten Gestaltungsmöglichkeiten von Halbtonpunkten vertraut. Somit sei der Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 nicht neu.
Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass die Druckschrift D9 eine linienförmige Bedruckung offenbare (Spalte 4, Zeile 47: "lines of the half-tone dots") und die Ausführungsbeispiele nur einen linienförmigen Druck zeigen. Druckschrift D9 offenbare keine allgemeine Lehre, dass die Erfindung der Druckschrift D9 auch mit einer Beschichtung funktioniere, welche nur aus nicht linienförmigen Grundelementen bestehe. Somit sei die Druckschrift D9 nicht prima facie hoch relevant: die Druckschrift D9 sei as verspätet nicht zum Verfahren zuzulassen.
Sofern sich die eine oder die andere Partei auf vermeintlich allgemein bekannte Eigenschaften der Halbton-Technik ("half-tone") beziehen möchte, wäre es ratsam entsprechende Belege für derartiges vermeintliches Grundwissen bezüglich dieser Technik vorzulegen.
Die Zulassung der Druckschrift D9 und gegebenenfalls die Neuheit des Gegenstands der Ansprüche 1 und 13 gegenüber der Druckschrift D9 sind daher in der mündlichen Verhandlung zu diskutieren".
- Hilfsanträge (Punkt 12 der Mitteilung)
"Die Einspruchsentscheidung hatte keinen Anlass sich mit den (damaligen) Hilfsanträgen zu befassen.
Mit der Beschwerdebegründung wurde die Zulassung dieser Hilfsanträge in Frage gestellt, weil diese Anträge nicht gewährbar, spät vorgebracht, in unbestimmter Reihenfolge und übermäßig ("excessive") seien.
Die vorliegenden Hilfsanträge 1 bis 15 wurden mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht und entsprechen laut Beschwerdeerwiderung, Seite 3, vierter Absatz den Hilfsanträgen, die in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgelegt wurden.
Entsprechend Abschnitt IV der Beschwerdeerwiderung lassen sich die Hilfsanträge in sechs verschiedene [Verteidigungslinien] (III.2.1 bis III.2.6) einordnen.
Die Beschwerdegegnerin gibt an, dass diese Hilfsanträge entsprechend ihrer Nummerierung zu behandeln seien.
Somit scheint die Zulassung dieser Hilfsanträge in Frage gestellt worden zu sein und ist bei gegebenen Anlass in der Verhandlung zu diskutieren.
Die Kammer verweist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung T 1903/13 (Punkte 3.2 und 3.3). Sollte es zu den nachgeordneten Hilfsanträgen kommen, sollte die Beschwerdegegnerin sich darauf vorbereiten dazu Stellung zu nehmen, wie die weiteren verschiedenen [Verteidigungslinien] (III.2.2 bis III.2.6), die zu verteidigende Erfindung (III.2.1) darstellen können".
- Im Punkt 13 der Mitteilung: "In jedem Fall sind Anträge oder Stellungnahmen rechtzeitig, spätestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung, einzureichen, damit der anderen Partei und der Kammer ausreichend Zeit für die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung bleibt."
In der mündlichen Verhandlung hat die Patentinhaberin nur noch die Hilfsanträge 8 und 15 weiterverfolgt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte als Hauptantrag die Beschwerde zurückzuweisen, oder hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage einer der als Hilfsantrag 1 oder 2, vormals als Hilfsanträge 8 und 15 mit Schreiben von 21. Oktober 2014 eingereicht aufrechtzuerhalten.
VI. Im Beschwerdeverfahren wurde auf die Druckschrift D9: US-A1-5,582,103 Bezug genommen.
VII. Der unabhängige Anspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung lautet wie folgt (Hauptantrag):
"Sicherheitselement mit einer optisch variablen Struktur (3), die eine Prägestruktur (4) mit linienförmigen Prägeelementen (5,15) und eine Beschichtung (7) aufweist, wobei die Prägestruktur (4) und die Beschichtung (7) so angeordnet sind, dass wenigstens Teile der Beschichtung (7) bei senkrechter Betrachtung vollständig sichtbar sind, bei Schrägbetrachtung aber verdeckt werden, dadurch gekennzeichnet, dass im Wesentlichen die gesamte Beschichtung (7) aus nicht linienförmigen Grundelementen (8, 9, 13, 26, 27, 39) gebildet wird, die durch die Parameter Umrissform, Größe, Farbe und Ausrichtung charakterisiert und mit der Prägestruktur (4) so kombiniert sind, dass bei Änderung der Betrachtungsrichtung unterschiedliche Informationen sichtbar werden."
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag durch folgenden Zusatz am Ende des Anspruchs:
"wobei zumindest ein Teil der nicht linienförmigen Grundelemente in einem Raster an geordnet ist,
die Anordnung der nicht linienförmigen Grundelemente in dem Raster mehrere Vorzugsrichtungen in der Ebene der Beschichtung definiert,
die linienförmigen Prägeelemente zumindest bereichsweise in Richtung einer der Vorzugsrichtungen angeordnet sind, so dass bei einer in Bezug auf diese Vorzugsrichtung senkrechten Betrachtung der mit Prägestruktur und Beschichtung versehenen Bereiche der visuelle Eindruck betrachtungsrichtungsabhängig variiert,
wobei verschiedene Bereiche der Beschichtung mit Prägeelementen versehen sind, die in jeweils einer anderen der Vorzugsrichtungen angeordnet sind".
IX. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag durch folgenden Zusatz am Ende des Anspruchs:
"wobei die optisch variable Struktur eine Zusatzinformation aufweist, die durch eine Variation der Form, Spiegelung einzelner oder mehrerer nicht linienförmiger Grundelemente, oder durch Anordnung einer das optisch variable Element individualisierenden Information, wie alphanumerische Zeichen oder Barcodes, entsteht, oder durch Weglassung einzelner oder mehrerer linienförmiger Prägeelemente entsteht".
X. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Hauptantrag
Die Druckschrift D9 offenbare ein Sicherheitselement gemäß dem Oberbegriff des erteilten Anspruchs 1. Dabei offenbare die Druckschrift D9 eine Beschichtung mit Halbtonpunkten ("halftone dots" Spalte 3, Zeilen 32 bis 37; Spalte 4, Zeilen 44 bis 54, Spalte 5, Zeilen 47 bis 56). Halbtonpunkte entsprächen den "nicht linienförmigen Grundelementen" des Anspruchs 1 gemäß der im Streitpatent enthaltenen Definition: Halbtonpunkte könnten je nach Anwendung z.B. rund, elliptisch oder quadratisch sein. Der Fachmann sei mit den unterschiedlichsten Gestaltungsmöglichkeiten von Halbtonpunkten vertraut: Die "Parameter Umrissform, Größe, Farbe und Ausrichtung" würden den üblichen Eigenschaften von gedruckten Formen entsprechen, was auch für Halbtonpunkte gelte. Halbtonpunkte bleiben bei ausreichend naher Betrachtung sichtbar. Die Druckschrift D9 sei somit prima facie relevant und zum Verfahren zuzulassen, weil sie die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 vorwegnehme.
Hilfsanträge 1 und 2
Diese erst in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgelegte Änderung des Vorbringens seitens der Beschwerdegegnerin entspreche einem anderen Gegenstand als der der ersten Gruppe von Hilfsanträgen und sei jetzt zu spät. Die Beschwerdeführerin habe eine derartige Änderung des Vorbringens seitens der Beschwerdegegnerin nicht erwartet und nicht erwarten müssen. Die Beschwerdeführerin sei auf die jetzt nicht mehr verfolgte erste Gruppe mit den in der Beschwerdeerwiderung vorgelegten Hilfsanträgen 1, 2 und 4 vorbereitet gewesen, bzw. auf die Diskussion der Zulässigkeit der weiteren Gruppen an Hilfsanträgen. Die Beschwerdegegnerin hätte diese Änderung bereits früher, spätestens nach der Mitteilung der Kammer mit ihrem Schreiben vom 8. Februar 2018 bekannt geben müssen. Bei vorheriger Bekanntgabe der neuen Hilfsanträge 1 und 2 hätte sich die Beschwerdeführerin auf diese entsprechend vorbereiten können. Die Nichtzulassung dieser Änderung des Vorbringens sei eine Frage der Fairness gegenüber der Beschwerdeführerin.
Nach der Nichtzulassung des Hilfsantrags 1 werde weiter die Nichtzulassung des Hilfsantrags 2 beantragt, hilfsweise, die Zurückverweisung an die erste Instanz auf der Grundlage des Hilfsantrags 2, weiter hilfsweise die Vertagung der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren. Dabei solle die Kammer die Verfahrensökonomie berücksichtigen.
Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer
Die Frage betreffe nicht den vorliegenden Sachverhalt und deshalb bestünde keine Notwendigkeit sie der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
XI. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Hauptantrag
Die Beschwerdeführerin habe keine Rechtfertigungsgründe angegeben für die erstmalige Vorlage der im Einspruchsverfahren nicht genannten Druckschrift D9 im Beschwerdeverfahren. Es sei nicht ersichtlich warum die Druckschrift D9 nicht bereits in der ersten Instanz hätte vorgelegt werden können.
Die Druckschrift D9 offenbare eine linienförmige Bedruckung und die Ausführungsbeispiele zeigen nur einen linienförmigen Druck. Der Ausdruck Spalte 4, Zeile 47 "lines of the half-tone dots" bedeute, dass der Kern der Erfindung der Druckschrift D9 aus der Kombination einer linienförmigen Prägung mit einer Linienförmigen Bedruckung besteht. Die Druckschrift D9 offenbare daher keine allgemeine Lehre, dass die Erfindung der Druckschrift D9 auch mit einer Beschichtung funktioniere, welche nur aus nicht linienförmigen Grundelementen bestehe. Die in der Druckschrift D9 angesprochenen "half-tone dots" seien eng aneinander angeordnet (Spalte 4, Zeile 48: "50 per inch"), so dass dennoch visuell der Eindruck einer Linie entstehe. Die Lehre des Streitpatents sei damit nicht vorweggenommen. Somit sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu und die Druckschrift D9 nicht prima facie relevant: die Druckschrift D9 sei daher as verspätet nicht zum Verfahren zuzulassen.
Hilfsanträge 1 und 2
Die Beschwerdegegnerin habe nur die Reihenfolge der Hilfsanträge geändert. Die Beschwerdeführerin habe zu den vormaligen Hilfsanträgen 8 und 15 (jetzt Hilfsanträge 1 und 2) bereits mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 Stellung genommen. Dass die Beschwerdegegnerin nicht besser vorbereitet sei, sei nicht relevant. Artikel 13(3) Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK, Zusatzpublikation 1 - Amtsblatt EPA 2018, 41-50) sei im Umkehrschluss so zu verstehen, dass alle anderen Änderungen zuzulassen seien. Eine Umnummerierung bedarf keiner Verlegung der Verhandlung. Eine Umnummerierung sei keine Änderung des Vorbringens, weil nur die Reihenfolge geändert worden sei. Zudem sei es nicht unzumutbar, dass die Beschwerdeführerin sich auf sechs Verteidigungslinien vorbereite. Es seien keine neuen Anträge formuliert worden. Die Einschränkung auf die neu nummerierten Hilfsanträge 1 und 2 sei zuzulassen.
Nach der Nichtzulassung des Hilfsantrags 1 werde die Zurückverweisung auf der Grundlage des Hilfsantrags 2 an die erste Instanz beantragt und hilfsweise die Vertagung der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren.
Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer
Der Großen Beschwerdekammer sei folgende Frage vorzulegen:
"Darf eine Beschwerdekammer zwei Hilfsanträge aus einer Gruppierung von 6 Gruppen von erstinstanzlich vorgelegten Hilfsanträgen als verspätet zurückweisen, weil deren Nummerierung in der Verhandlung geändert wurde?"
Der Zweck dieser Frage sei unter anderem die Entscheidung der Kammer auf Korrektheit zu überprüfen.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Druckschrift D9
1.1 Es liegt gemäß Artikel 12(4) VOBK im Ermessen der Kammer, Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können. Unbeschadet dieser Befugnis, wird das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Absatz 1 von der Kammer berücksichtigt, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse nach Absatz 2 erfüllt.
1.2 Die Druckschrift D9 befasst sich mit einem Objekt zur Bildung latenter Bilder, um zu verhindern, dass unter anderem Banknoten nachgemacht oder gefälscht werden, sowie mit einem Verfahren zur seiner Herstellung (Spalte 1, Zeilen 12 bis 16).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Figur 4 zeigt einen vergrößerten Querschnitt eines Ausführungsbeispiels des Objekts zur Bildung eines latenten Bildes: Es gibt geprägte Vorsprünge 1a und gedruckte gerade Linien 21 bis 26 auf der Oberfläche des Papiers 4. Die relative Anordnung der geraden Linien 21 bis 23 und der geraden Linien 24 bis 26 zu den Vorsprüngen 1a ist unterschiedlich (Spalte 4, Zeilen 11 bis 23).
Bei einer Betrachtung senkrecht zu der Papieroberfläche (Richtung X in Figur 4), sieht man die geraden Linien 21 bis 26, als hätten sie unabhängig von ihrer Lage zu den Vorsprüngen 1a die gleiche Breite.
Bei einer Betrachtung unter einem bestimmten Winkel (Richtung Y in Figur 4), kann man die geraden Linien 24 bis 26 kaum sehen, weil sie hinter den jeweiligen Vorsprüngen 1a verborgen sind. Im Gegensatz dazu sind die geraden Linien 21 bis 23 nur in einem sehr schmalen Bereich von den jeweiligen Vorsprüngen 1a verborgen. Der Unterschied zwischen der Ansicht in der Y-Richtung und der Ansicht in der X-Richtung beruht auf den Einfluss der Vorsprünge 1a und erzeugt das latente Bild (Spalte 4, Zeilen 24 bis 37).
Wenn anstelle der geraden Linien 2 Halbtonpunkte gedruckt werden, kann man ein solches latentes Bild erhalten (Spalte 4, Zeilen 44 bis 46).
1.3 Das Vorbringen der Beschwerdeführerin bezüglich der Druckschrift D9 bezieht sich auf die Beschwerdesache und führt ausdrücklich und spezifisch alle die Tatsachen, Argumente und Beweismittel an. Die Erfordernisse nach Absatz 12(2) VOBK sind somit auch erfüllt.
1.4 Die Druckschrift D9 wurde zwar von der Beschwerdeführerin erstmals im Beschwerdeverfahren mit der Beschwerdebegründung vorgelegt. Die Einreichung erfolgte jedoch im Anschluss an die für die Beschwerdeführerin negative Entscheidung der Einspruchsabteilung und zu Beginn des Beschwerdeverfahrens. Zudem bringt die Einführung dieser Druckschrift keine Verfahrenskomplikationen mit sich und ist insbesondere mit dem Verweis auf als Grundelemente zu verstehende Halbtonpunkte prima facie relevant. Die Kammer übt daher Ihr Ermessen die Druckschrift D9 gemäß Artikel 12(4) VOBK nicht zuzulassen nicht aus.
1.5 Die Druckschrift D9 ist deshalb im Verfahren (Artikel 12(4) VOBK).
2. Hauptantrag
2.1 Die Druckschrift D9 (siehe Punkt 1.2 oben) offenbart ein Sicherheitselement mit einer optisch variablen Struktur (Figur 4), die eine Prägestruktur mit linienförmigen Prägeelementen 1a und eine Beschichtung 21 bis 26 aufweist, wobei die Prägestruktur 1a und die Beschichtung 21 bis 26 so angeordnet sind, dass wenigstens Teile der Beschichtung 21 bis 26 bei senkrechter Betrachtung vollständig sichtbar sind, bei Schrägbetrachtung aber verdeckt werden, wobei im Wesentlichen die gesamte Beschichtung 21 bis 26 aus nicht linienförmigen Grundelementen ("halftone dots") gebildet wird, die durch die Parameter Umrissform, Größe, Farbe und Ausrichtung charakterisiert und mit der Prägestruktur 1a so kombiniert sind, dass bei Änderung der Betrachtungsrichtung X, Y unterschiedliche Informationen (21 bis 26, bzw. nur 21 bis 23) sichtbar werden.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
2.2 Gedruckte Halbtonpunkte sind zwangsläufig flächig und lassen sich schon deshalb "durch die Parameter Umrissform, Größe, Farbe und Ausrichtung charakterisier[en]". Es handelt sich hierbei nur um allgemein bekannte Eigenschaften einer bedruckten Fläche.
2.3 Anspruch 1 des Streitpatents beinhaltet keine Anforderungen, ob und in wiefern die beanspruchten Grundelemente als solche visuell erkennbar zu sein haben. Darauf abzielende Argumente der Parteien sind daher nicht relevant.
2.4 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 (Hauptantrag) ist somit gegenüber dem in der Druckschrift D9 offenbarten Sicherheitselement nicht neu (Artikel 100 a) und 54 EPÜ 1973).
2.5 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass der Kern der Erfindung der Druckschrift D9 aus der Kombination einer linienförmigen Prägung mit einer linienförmigen Bedruckung bestehe. Dabei übersieht sie, dass Anspruch 1 nicht ausschließt, dass die Beschichtung (bestehend aus "nicht linienförmigen" Grundelementen, wie z.B. Halbtonpunkte - "halftone dots") in ihrer Gesamtheit auch linienförmig sein kann. Dies ist auch im Streitpatent der Fall: aus den Figuren 3 und 4 ergibt sich, dass die "eine erste erfindungsgemäße Beschichtung in Aufsicht" und "eine zweite erfindungsgemäße Beschichtung in Aufsicht" in ihrer Gesamtheit ebenfalls Linienförmig sind.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
3. Zulässigkeit des Hilfsantrags 1
3.1 Nach Artikel 13(1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.
3.2 Die Einspruchsabteilung hat keine Entscheidung zu den damaligen 15 (von zuvor 39) Hilfsanträgen getroffen, weil sie bereits dem Hauptantrag der Patentinhaberin stattgegeben hat. Mit der Beschwerdebegründung wurde die Zulassung dieser Hilfsanträge, sofern sie im Beschwerdeverfahren wieder vorgelegt würden, schon vorab in Frage gestellt, weil diese Anträge nicht gewährbar, spät vorgebracht, in unbestimmter Reihenfolge und übermäßig ("excessive") seien (Beschwerdebegründung vom 24. Juli 2014, erste Seite, letzten zwei Absätze).
Mit der Beschwerdeerwiderung wurden die 15 Hilfsanträge dann nochmals vorgelegt. Die Beschwerdegegnerin räumte ein, dass sich die Hilfsanträge in sechs verschiedene Verteidigungslinien (entsprechend Abschnitt IV der Beschwerdeerwiderung, Punkte III.2.1 bis III.2.6) einordnen lassen. Die Beschwerdegegnerin gab ebenfalls an, dass diese Hilfsanträge entsprechend ihrer Nummerierung zu behandeln seien (Beschwerdeerwiderung, Punkt I.2, zweiter Absatz).
Mit der vorläufigen Meinung der Kammer im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung verwies die Kammer darauf, dass die Zulassung dieser Hilfsanträge in Frage gestellt wurde und bei gegebenen Anlass in der Verhandlung zu diskutieren sei. Die Kammer verwies dabei auf die Entscheidung T 1903/13 (Punkte 3.2 und 3.3) und darauf, dass wenn es zu den nachgeordneten Hilfsanträgen käme, die Beschwerdegegnerin sich darauf vorbereiten sollte dazu Stellung zu nehmen, wie die weiteren verschiedenen Verteidigungslinien (III.2.2 bis III.2.6), die zu verteidigende Erfindung (III.2.1) darstellen könnten (Anhang zur Ladung vom 21. Dezember 2017, Punkt 12.3). Hierbei bildete der damalige Hilfsantrag 8 die 3. Verteidigungslinie (III.2.3) und der damalige Hilfsantrag 15 die 6. Verteidigungslinie (III.2.6). Sie wurde insbesondere auch darauf hingewiesen, dass Anträge oder Stellungnahmen spätestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung einzureichen sind.
Mit ihrem Schreiben vom 8. Februar 2018 hat die Beschwerdegegnerin ihre Antragslage nicht verändert.
3.3 Die Beschwerdeführerin und die Kammer mussten daher bis zur mündlichen Verhandlung am 23. März 2018 davon ausgehen, dass die Beschwerdegegnerin weiterhin beabsichtigte, das Streitpatent nach dem Hauptantrag zunächst gemäß der dem Punkt III.2.1 entsprechenden Verteidigungslinie in der Sache mit den Hilfsanträgen 1, 2 und 4 zu verteidigen.
3.4 Erst in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2018 stellte die Beschwerdegegnerin klar, dass sie nun mehr nur noch ihre 3. und 6. Verteidigungslinie in der Sache mit den damaligen Hilfsanträgen 8 bzw. 15 - entsprechend umnummeriert zu Hilfsanträgen 1 und 2 - zu verteidigen beabsichtige.
3.5 Die Beschwerdegegnerin hatte spätestens seit der vorläufigen Meinung der Kammer im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung Veranlassung gehabt, die Änderung ihrer Anträge rechtzeitig, das heißt spätestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung, bekannt zu geben. Sie hat diese Gelegenheit jedoch nicht genutzt.
Die Beschwerdegegnerin nahm damit billigend in Kauf, dass sich sowohl die Beschwerdeführerin als auch die Kammer unnötigerweise auf Hilfsanträge vorbereiten, auf die es im weiteren Verfahren nicht ankam. Dabei hat sie auch bei der Beschwerdeführerin hohe Vorbereitungskosten verursacht, die vermeidbar gewesen sind. Da die Beschwerdegegnerin dies durch die rechtzeitige Bekanntgabe ihrer zuletzt weiterverfolgten Anträge hätte vermeiden können und im Hinblick auf die Feststellung der Kammer im oben genannten Anhang (siehe Punkt 3.5), kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdegegnerin die gebotene Verfahrensökonomie nicht beachtet hat.
3.6 Entgegen des Vortrags der Beschwerdegegnerin handelt es sich nicht nur um eine Umnummerierung der Anträge, weil die Hilfsanträge 1 und 2 (vormals Hilfsanträge 8 und 15) anderen Verteidigungslinien entsprechen als die vormaligen Hilfsanträge 1, 2 und 4. Somit hat sich das was als Erfindung beansprucht wird grundlegend verlagert. Hierbei belegt die Vielzahl der hinzugefügten mit einander verschränkten Merkmale, dass die Änderungen im Anspruchsgegenstand des vorliegenden Hilfsantrags 1 komplex sind (siehe Punkt VIII. oben).
3.7 Der Hilfsantrag 1 wird deshalb nicht zum Verfahren zugelassen (Artikel 13(1) VOBK).
4. Zulässigkeit Hilfsantrag 2
4.1 Die oben zum Hilfsantrag 1 genannten Gründe gelten ebenfalls entsprechend für den Hilfsantrag 2, welcher der 6. Verteidigungslinie (vormals Hilfsantrag 15) der Beschwerdegegnerin entspricht, wobei der geänderte Gegenstand des Hilfsantrags 2 wegen der vielschichtigen oder-Verknüpfungen ebenfalls komplex ist (siehe Punkt IX.).
4.2 Auch der Hilfsantrag 2 wird nicht zum Verfahren zugelassen (Artikel 13(1) VOBK).
5. Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer
5.1 Nach Artikel 112 (1) a) EPÜ befasst die Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Große Beschwerdekammer, wenn sie eine Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung für erforderlich hält oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt.
5.2 Im vorliegenden Fall geht es um die Anwendung von Artikel 13 (1) VOBK. Nach dieser Vorschrift steht es im Ermessen einer Beschwerdekammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Dabei können die Kriterien der Komplexität des neuen Vorbringens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt werden.
Wenn diese Kriterien, wie im vorliegenden Fall, berücksichtigt wurden, kann daraus keine uneinheitliche Rechtsanwendung geltend gemacht werden. Einen darauf gestalteten Einwand hat die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung nicht erhoben.
5.3 Es liegt in diesem Fall aber auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor.
Da die Regelungen der VOBK natürlich im Einklang mit dem EPÜ stehen, die Regelungen des Artikels 13 (1) VOBK insbesondere mit denjenigen des Artikels 114 (2) EPÜ, lässt sich die Antwort auf die Frage der Beschwerdegegnerin zweifelsfrei aus dem EPÜ ableiten. Deshalb kann keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegen (siehe T 39/05 und J 5/81).
5.4 Eine Überprüfung der "Entscheidung der Kammer auf Korrektheit" ist mittels der Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer unter Artikel 112 (1) a) EPÜ nicht vorgesehen.
5.5 Die Kammer kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass die Beantwortung der Frage durch die große Beschwerdekammer für den Ausgang dieses Beschwerdefalls nicht erforderlich ist.
5.6 Somit war der Antrag auf Vorlage der Frage an die Große Beschwerdekammer zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent wird widerrufen.