T 1238/14 () of 20.11.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T123814.20181120
Datum der Entscheidung: 20 November 2018
Aktenzeichen: T 1238/14
Anmeldenummer: 07724412.7
IPC-Klasse: A61L 15/60
C08F 8/44
C08J 3/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: WASSERABSORBIERENDES POLYMERGEBILDE MIT VERBESSERTER PERMEABILITÄT UND ABSORPTION UNTER DRUCK
Name des Anmelders: Evonik Degussa GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 103(1)(a)
Schlagwörter: Rechtliches Gehör - Gelegenheit zur Stellungnahme (nein)
Zurückverweisung an die erste Instanz - (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/97
T 1607/08
T 2246/13
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Anmelderin) richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 29. November 2013, mit welcher die europäische Patentanmeldung Nr. 07 724 412.7 zurückgewiesen wurde.

II. Im Prüfungsverfahren hatte die Prüfungsabteilung u.a. gerügt, dass der Gegenstand der Ansprüche gemäß damaligem Hauptantrag mehrere unterschiedliche Erfindungen beinhaltete, von denen nur die erste Erfindung recherchiert worden sei. Die anschließende Sachprüfung sei folglich auf den recherchierten Gegenstand zu beschränken und die nicht recherchierten Gegenstände aus der Anmeldung zu streichen.

III. In einer Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung vom 16. Juli 2013 wurden der Beschwerdeführerin erneut die Einwände in Bezug auf die Ansprüche des damals einzigen Antrages mitgeteilt. Die Beschwerdeführerin wurde am Ende der Ladung darauf hingewiesen, dass sie einen Antrag auf Entscheidung nach Lage der Akten nur dann stellen könne, wenn keine weiteren Änderungen und keine weiteren Eingaben seitens der Beschwerdeführerin erfolgten.

IV. Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2013 reichte die Beschwerdeführerin vor der Prüfungsabteilung weitere Argumente, sowie geänderte Ansprüche im Rahmen der damaligen Hilfsanträge 1 und 2 ein.

V. In der Kurzmitteilung vom 28. Oktober 2013 hob die Prüfungsabteilung die Ladung zur mündlichen Verhandlung auf und teilte der Beschwerdeführerin mit, dass das Verfahren schriftlich fortgesetzt werde.

VI. Die als nächstes folgende Aktion von Seiten der Prüfungsabteilung war der Erlass der angefochtenen Entscheidung vom 29. November 2013, mit welcher die Streitanmeldung im Umfang des damaligen Hauptantrages, sowie der beiden Hilfsanträge zurückgewiesen wurde.

VII. Zusammen mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin erneut einen Hauptantrag, sowie die Hilfsanträge 1 und 2, auf denen die angefochtene Entscheidung basierte, und die neuen Hilfsanträge 3 bis 5 ein. Mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2018 reichte sie die zusätzlichen Hilfsanträge VI und VII ein.

VIII. Die Beschwerdeführerin rügte im Schriftsatz vom 11. Oktober 2018, dass ihr erstmals mit der angefochtenen Entscheidung die Gründe für die Zurückweisung der Ansprüche gemäß der damaligen Hilfsanträge 1 und 2 mitgeteilt worden seien. Ihr sei daher keine Gelegenheit zum Vorbringen von Gegenargumenten gegeben worden, so dass ihr rechtliches Gehör verletzt worden sei.

IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung.

X. Am Ende der mündlichen Verhandlung am 20. November 2018 wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Rechtliches Gehör (Artikel 113(1) EPÜ)

2.1 Die Beschwerdeführerin stützt ihren Hauptantrag darauf, dass die Prüfungsabteilung durch den Erlass der angefochtenen Entscheidung das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin in Bezug auf die neu eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 verletzt habe. Dies stelle einen Verfahrensfehler dar, der eine Zurückverweisung an die erste Instanz rechtfertige.| |

2.2 Gemäß Artikel 113(1) EPÜ dürfen Entscheidungen des Europäischen Patentamtes nur auf Gründe gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

2.3 Im vorliegenden Fall hatte die Beschwerdeführerin in Antwort auf die damalige Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung die Hilfsanträge 1 und 2 eingereicht.

2.4 Ohne dass eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden wäre, hat die Prüfungsabteilung auch die Ansprüche der Hilfsanträge 1 und 2 als nicht patentierbar angesehen, wie aus der angefochtenen Entscheidung hervorgeht. Die in den Ansprüchen der Hilfsanträge 1 und 2 vorliegenden Mängel wurden der Beschwerdeführerin jedoch nicht vorab zur Stellungnahme mitgeteilt, sondern ausschließlich und erstmals in Form einer Entscheidung zur Zurückweisung der Anmeldung in Bezug auf den Hauptantrag, sowie auf die beiden Hilfsanträge. Folglich hatte die Beschwerdeführerin keine Möglichkeit, ihre Argumente in Bezug auf die Einwände der Prüfungsabteilung zu den beiden Hilfsanträgen vorzutragen.

2.5 Dass die Beschwerdeführerin keine mündliche Verhandlung beantragt hatte, ist ohne Bedeutung. Wenn ein Anmelder zu einer mündlichen Verhandlung geladen wird, kann er davon ausgehen, dass eine mündliche Verhandlung stattfindet, bei der ihm Gelegenheit gegeben wird, auf Einwände der Prüfungsabteilung zu antworten. Wird die mündliche Verhandlung abgesagt, ist ihm auf andere Weise das rechtliche Gehör zu gewähren.

2.6 Die Prüfungsabteilung hatte am Ende des Annex zur Ladung explizit darauf hingewiesen, dass ein Antrag auf Entscheidung nach Lage der Akten nur dann gestellt werden könne, wenn keine weiteren Änderungen und keine weiteren Eingaben seitens der Beschwerdeführerin nach Erhalt der Ladung erfolgten. Daher kann im vorliegenden Fall auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin implizit einen Antrag auf eine Entscheidung nach Lage der Akten beantragt habe.

2.7 Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die Zurückweisung der Ansprüche gemäß der Hilfsanträge 1 und 2, ohne der Beschwerdeführerin vorab eine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben zu haben, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellt, die eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung rechtfertigt.

3. Vertrauensschutz

3.1 Die Absage der mündlichen Verhandlung und der Hinweis der Prüfungsabteilung auf die Fortführung des Verfahrens in schriftlicher Form signalisierte der Beschwerdeführerin, dass die in der Ladung vorgetragenen Einwände gegen die Erteilung eines Patentes ausgeräumt sind, oder, dass ihr in Bezug auf etwaige weiter bestehende Mängel zumindest eine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wird.

3.2 Der Erlass der für die Beschwerdeführerin nachteiligen Entscheidung, ohne dass ihr eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu den nach Auffassung der Prüfungsabteilung bestehenden Mängeln gegeben wurde, verletzte die berechtigten Erwartungen der Beschwerdeführerin. Das Vorgehen der Prüfungsabteilung stellt nicht nur eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern auch einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes dar (G 2/97, ABl EPA 1999, 123; T 2246/13; T 1607/08).

4. Rückzahlung der Beschwerdegebühr (Regel 103 EPÜ)| |

Gemäß Regel 103(1) a EPÜ wird die Beschwerdegebühr zurückbezahlt, wenn der Beschwerde stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht. Da ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt, wird die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet (Regel 103(1) a EPÜ). | | |

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

3. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.

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