T 1126/14 () of 24.10.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T112614.20171024
Datum der Entscheidung: 24 October 2017
Aktenzeichen: T 1126/14
Anmeldenummer: 03809246.6
IPC-Klasse: E05F 15/20
E05F 15/14
E05F 15/16
B60J 7/057
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: KAPAZITIV MESSENDER SENSOR UND DETEKTIONSEINRICHTUNG MIT KAPAZITIVER SENSORIK ZUM DETEKTIEREN EINER EINKLEMMSITUATION
Name des Anmelders: Wilhelm Karmann GmbH
Name des Einsprechenden: Webasto-Edscha Cabrio GmbH
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(b)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 28. März 2014 zur Post gegebenen Entscheidung wurde das europäische Patent Nr. EP-B-1 556 572 unter Berufung auf Artikel 100 b) EPÜ widerrufen.

II. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) Beschwerde eingelegt.

III. Am 24. Oktober 2017 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Am Ende der mündlichen Verhandlung war die Antragslage wie folgt:

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. In der Entscheidung wird auf die folgende Entgegenhaltung Bezug genommen:

E13: US-A-5,844,486.

V. Anspruch 1 des erteilten Patents hat folgenden Wortlaut:

"Kapazitiv messender Sensor (8-11), insbesondere zum Detektieren eines Einklemmens von Gegenständen oder Körperteilen bei motorisch antreibbaren Vorrichtungen, mit einer Anordnung aus einer Mehrzahl von Elektroden (18) auf einem Träger und mit Mitteln zur Messung einer Kapazität oder Kapazitätsänderung, wobei der Sensor (8-11) flächig und folienartig mit einem aus Folienmaterial gebildeten Träger zur Anordnung der Elektroden (18) ausgebildet ist, dadurch gekennzeichnet, daß zur berührungslosen Detektion eines Gegenstands oder Körperteils die Elektroden (18) auf einer Seite des Trägers angeordnet sind und Umgebungsluft das Dielektrikum bildet."

Anspruch 3 ist auf eine Detektionseinrichtung gerichtet die mehrere Sensoren gemäß den Ansprüchen 1 oder 2 aufweist.

VI. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Mangelnde Ausführbarkeit - Artikel 100 b) EPÜ

Der erteilte Anspruch definiere lediglich die Aufgabe der Erfindung, nämlich das Bestreben, einen folienartigen, kapazitiv messenden Sensor mit Elektroden auf einer Seite des Trägers zur Verfügung zu stellen. Es sei jedoch in keiner Weise angegeben, wie ein solcher Sensor ausgebildet werden könne. Die Einspruchsabteilung habe aufgrund der Ambiguität zweier möglicher Ausführungsformen den Gegenstand für nicht ausführbar gehalten. Es fehle jedoch bereits an der Offenbarung wenigstens eines Ausführungsbeispiels. Weder sei das Folienmaterial angegeben, noch die Zahl der Elektroden, noch die Art und Weise wie und wo die Elektroden auf der Folie anzubringen seien. Weiter fehle es an einer ausführbaren Offenbarung der vorzusehenden Verschaltung und der notwendigen Auswertemittel.

Auch Abbildung 2 sei diesbezüglich nicht erhellend, da nicht ersichtlich sei, welche der verschiedenen Linien im Bereich der kapazitiven Sensoren nun Elektroden darstellten und welche nicht, und wie diese gegebenenfalls zu verschalten seien. Selbst wenn man zu Gunsten der Beschwerdeführerin von zwei Elektroden auf derselben Seite der Folie ausginge, einer mäandernden und einer U-förmigen, so stünde eine solche Ausführungsform im Widerspruch zum Anspruchswortlaut. Das elektrische Feld verlaufe nämlich dann zwangsweise zumindest teilweise im Folienmaterial, so dass - entgegen der Definition im Anspruch - nicht Umgebungsluft das Dielektrikum bilde.

Das europäische Patent offenbare die Erfindung daher nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

VII. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Ausführbarkeit - Artikel 100 b) EPÜ

Kern der Erfindung sei es, die Elektroden des Sensors auf einer Seite eines aus Folienmaterial gebildeten Trägers anzuordnen. Wie derartige Elektroden zu verschalten und ihre Signale auszuwerten seien, sei dem Fachmann wohlbekannt. Dies könne beispielsweise auch der von der Beschwerdegegnerin eingereichten E13 entnommen werden.

Weiterhin offenbare die Patentanmeldung in Abbildung 2 und Paragraph [0029] eine konkrete Ausführungsform eines folienartigen Sensors, bei dem eine U-förmige und eine mäandernde Elektrode auf einem Träger aus Folienmaterial angeordnet und jede dieser elektrisch voneinander isoliert auf dem Träger angeordneten Elektroden mit Mitteln zum Messen einer Kapazität verbunden seien - entsprechend dem "ersten Fall" der Einspruchsentscheidung. Wie beansprucht bilde dabei Umgebungsluft das maßgebliche Dielektrikum, welches durch die Annäherung des zu detektierenden Objekts verändert werde. Dass das elektrische Feld zum Teil auch in der Sensorfolie verlaufe, stelle keinen Widerspruch zum Anspruchswortlaut dar, da dieser Bereich durch das eindringende Objekt nicht verändert werde, und daher für die Messung unerheblich sei.

Es sei richtig, dass auch ein Sensor, bei dem mehrere Elektroden zu einer Einzigen zusammengeschaltet werden - entsprechend dem "zweiten Fall" der Einspruchsentscheidung -, unter den Anspruchswortlaut falle. Dies stelle jedoch ebenfalls kein Ausführbarkeitshindernis dar. Wie auch der Einspruchsabteilung, seien dem Fachmann nämlich diverse Möglichkeiten zur Ausbildung der seit Jahrzehnten bekannten kapazitiven Sensoren bekannt, so dass das allgemeine Fachwissen auch in diesem Fall zur Ausführung der Erfindung genüge.

Zusammenfassend sei die beanspruchte Erfindung daher so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerdegegnerin hat in ihrem Schreiben vom 10. März 2015 gerügt, dass die Beschwerdebegründung inhaltlich nicht auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung eingehe, und dass in dem Rückbezug auf das Einspruchsvorbringen keine zulässige Beschwerde­begründung erblickt werden könne.

Allerdings nimmt die Beschwerdebegründung mehrfach Bezug auf die angegriffene Entscheidung und setzt sich mit deren tragenden Gründen, insbesondere bezüglich der auf Seite 5 der Entscheidung genannten "zwei Fälle", in der Sache auseinander (siehe z.B. Seite 3 bis Seite 4, zweiter Absatz der Beschwerdebegründung). Das gegenteilige Vorbringen der Beschwerdegegnerin ist daher nicht überzeugend. Da die Beschwerde auch sonst form- und fristgerecht eingereicht wurde, ist sie als zulässig anzusehen (Artikel 108, Regel 99 EPÜ).

2. Artikel 100 b) EPÜ - Ausführbarkeit

2.1 Gemäß Artikel 101(2) i.V.m. 100 b) EPÜ ist ein Patent zu widerrufen, wenn die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Hierzu ist die Lehre der Patentschrift als Ganzes zu berücksichtigen, nicht nur der Anspruchswortlaut.

2.2 Die wesentlichen Offenbarungsstellen für den beanspruchten kapazitiv messenden Sensor finden sich in Paragraph [0014] und [0029], sowie in Figur 2 der Patentschrift.

Demgemäß zeigt Figur 2, dass der erfindungsgemäße kapazitive Sensor als ein flächiger, folienartiger Sensor ausgebildet ist, bei dem Elektroden (Plural) auf einem Träger aus Folienmaterial angeordnet sind (Paragraph [0029], Zeilen 16-20). Aus Paragraph [0014] ist weiter bekannt, dass die Elektroden auf einer Seite des folienartigen Trägers angeordnet sind, und dass Umgebungsluft das Dielektrikum bildet (Paragraph [0014], Zeilen 4 bis 7). Mit diesem Wissen sind die in der Abbildung gezeigten Linien für den Fachmann zuzuordnen: Die äußere rechteckige Linie zeigt den folienartigen Träger, die U-förmige und die mäandernde Linie sind die Elektroden. Es ist richtig, dass nicht angegeben ist, wie diese Elektroden mit dem jeweiligen Verstärker bzw. Transistor 19 zu verschalten sind und wie die Auswertemittel im Detail auszubilden sind.

2.3 Die Einspruchsabteilung hat diesbezüglich argumentiert, dass aus der Beschreibung und den Zeichnungen nicht hervorgehe, "ob die Mehrzahl von Elektroden eine (als "erster Fall" bezeichnet) oder beide Elektroden (als "zweiter Fall" bezeichnet) bildeten, zwischen denen die Kapazität gemessen werden soll"(Einspruchsentscheidung, Seite 5, 2. Absatz).

Allerdings bewirkt im "ersten Fall", bei dem die "Mehrzahl von Elektroden" eine Elektrode bildet, und die zweite Elektrode der Kapazität die Masse darstellt, das Einbringen des zu detektierenden Elements entgegen der Offenbarung des Patents (Paragraf [0029], Zeilen 20-23) keine Änderung des Dielektrikums. Die Änderung der Kapazität käme in diesem Fall - im Bild eines Plattenkondensators - vielmehr durch das Hinzukommen einer geerdeten Kondensator-"Platte" (wobei diese "Platte" hier durch das geerdete zu detektierende Objekt gebildet wäre) bzw. durch eine weitere Annäherung dieser "Platte" an die erste Kondensator-"Platte" (gebildet durch die Elektroden im Sensor) zustande, während das zwischen den "Platten" befindliche Dielektrikum unverändert bliebe.

Der Fachmann erkennt daher, dass in der Beschreibung nicht der "erste Fall" gemeint ist, sondern dass die Kapazität zwischen den beiden Elektroden gemessen werden soll.

Nachdem kapazitive Sensoren in der Tat seit vielen Jahren bekannt sind (vgl. die diesbezügliche Aussage in der von der Beschwerdegegnerin eingeführten E13, Spalte 3, Zeilen 46-62), stellt es für den Fachmann auch keine Schwierigkeit dar, entsprechende Mittel zur Messung einer Kapazität oder Kapazitätsänderung auszuwählen.

Ebenso liegt die Bereitstellung eines folienartigen Materials selbst und das Anbringen bzw. Vorsehen von Elektroden daran, wie in Figur 2 gezeigt, im allgemeinen Fachwissen.

Das Patent offenbart daher wenigstens einen Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindungen im Einzelnen.

2.4 Die Beschwerdegegnerin hat vorgebracht, dass obige, in der Beschreibung dargestellte Ausführungsform, jedenfalls nicht unter die Definition des Anspruchs falle, da das dortige Dielektrikum nicht ausschließlich durch Umgebungsluft, sondern zu einem Teil auch durch die Trägerfolie, bzw. das darunterliegende Material gebildet werde. Allerdings stellt Umgebungsluft das Dielektrikum in dem Bereich dar, in den Gegenstände oder Körperteile eindringen und dann - durch eine Änderung des Dielektrikums - detektiert werden. Da in dem zur Detektion maßgeblichen Bereich Umgebungsluft das Dielektrikum bildet, würde der Fachmann den Anspruch so auslegen, dass die in Paragraph [0029] und [0014] offenbarte Ausführungsform als unter den Gegenstand fallend anzusehen ist.

Ein Widerspruch besteht daher für den den Anspruch mit dem Willen zum Verständnis lesenden Fachmann nicht.

2.5 Die Einspruchsabteilung hatte außerdem argumentiert, dass aus der Definition des Anspruchs nicht hervorginge, ob die Mehrzahl von Elektroden eine oder beide Elektroden bilden, zwischen denen die Kapazität gemessen werden soll (Seite 5, zweiter Absatz). Im Übrigen könne die U-förmige Elektrode auch als Abschirmung für die mäanderförmige Elektrode dienen, deren Kapazität zu Masse von den Mitteln zur Messung der Kapazität gemessen werde.

Dieses Argument ist insofern berechtigt, als Anspruch 1 zwar definiert, dass Umgebungsluft das Dielektrikum bildet, nicht aber dass die Einklemmung aufgrund einer Änderung dieses durch Luft gebildeten Dielektrikums erkannt wird (diese Aussage findet sich nur in den entsprechenden Beschreibungsstellen).

Allerdings würde der Fachmann elektrisch verbundene, wie in Figur 2 ausgebildete U-förmige und mäanderförmig ausgebildete Leiter wohl als eine einzige Elektrode, und nicht als eine "Anordnung aus einer Mehrzahl von Elektroden" ansehen.

Selbst im gegenteiligen Fall würde eine Mehrdeutigkeit des Anspruchswortlauts nur dann die Ausführbarkeit infrage stellen, wenn ein nicht unerheblicher Teil der unter den mehrdeutigen Anspruch fallenden Auslegungen nicht ausführbar wären.

Dem Fachmann sind jedoch aus seinem Fachwissen diverse Möglichkeiten bekannt, kapazitive Sensoren zu schalten. E13, Spalte 3, Zeilen 46-62 zählt diesbezüglich allein fünf verschiedene Variationen auf, die im relevanten technischen Gebiet Verwendung finden, darunter auch die von der Einspruchsabteilung genannten, als "erster Fall" und "zweiter Fall" bezeichneten Varianten. Auch eine Ausführung mit der U-förmigen Elektrode an Masse zu Abschirmungszwecken stellte - unabhängig davon ob eine solche Ausführungsform unter den Anspruchswortlaut fällt oder nicht - jedenfalls kein Problem in ihrer technischen Umsetzung dar.

2.6 Zusammenfassend ist daher die Erfindung in dem erteilten Patent so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

3. Die weiteren Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ wurden von der Einspruchsabteilung bisher nicht behandelt. Die Kammer hält es daher für angemessen, die Sache zur weiteren diesbezüglichen Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

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