T 1086/14 () of 5.2.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T108614.20190205
Datum der Entscheidung: 05 Februar 2019
Aktenzeichen: T 1086/14
Anmeldenummer: 11174244.1
IPC-Klasse: B28D 5/00
H01L 21/78
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 378 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Einkristall
Name des Anmelders: Freiberger Compound Materials GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 52(1)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag, Hilfsantrag 2a (nein)
Änderungen - unzulässige Erweiterung
Änderungen - Hilfsantrag 1, Hilfsantrag 2 (ja)
Hilfsantrag 3 - Nicht ins Verfahren zugelassen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/03
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 11 174 244.1 wegen unzulässiger Erweiterung (Hauptantrag und Hilfsantrag 1) und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Hilfsantrag 3) zurückzuweisen. Der in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag 2 wurde von der Prüfungsabteilung nicht ins Verfahren zugelassen (Regel 137(3) EPÜ).

II. Die folgende Dokumente sind für die Entscheidung relevant:

D5: EP 1 768 181 A1;

D6: JP 2006 024839 A;

D6a: Deutsche Teilübersetzung des D6, eingereicht im Prüfungsverfahren;

D8: JP 11 097798 A;

D8a: Deutsche Teilübersetzung des D8, eingereicht im Prüfungsverfahren.

III. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin (Anmelderin), die angefochtene Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein europäisches Patent auf Grundlage des Hauptantrags zu erteilen. Hilfsweise beantragte sie die Erteilung eines Patents auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1, 2, 2a, oder 3. Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1, 2 und 3 wurden mit der Beschwerdebegründung und der Hilfsantrag 2a mit dem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 04.01.2019 eingereicht.

IV. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

Einkristall, ausgebildet als Wafer mit einer als Flat ausgebildeten Spaltfläche, die sich mit einer Winkelabweichung im Bereich von +0.001° bis -0,001° entlang einer natürlichen kristallographischen Spaltebene gemessen über die jeweils relevante Flatlänge oder über jede einer Vielzahl von Flächen mit einer Längsausdehnung in Trennrichtung von >=2 mm innerhalb der Fläche des Flats erstreckt.

V. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 hat den folgenden Wortlaut:

Einkristall, ausgebildet als Wafer mit einer als Flat ausgebildeten Spaltfläche, die sich mit einer Winkelabweichung im Bereich von -0,01° bis -0.001° und von +0.001° bis +0.01° entlang einer natürlichen kristallographischen Spaltebene gemessen über die jeweils relevante Flatlänge des Wafers oder über jede einer Vielzahl von Flächen mit einer Längsausdehnung in Trennrichtung von >=2 mm innerhalb der Fläche des Flats erstreckt.

VI. Der Wortlaut des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 ist wie folgt:

Einkristall, ausgebildet als Wafer mit einer als Flat ausgebildeten Spaltfläche,erhalten durch ein Verfahren mit den Schritten:

mit den Schritten [sic]:

Vorjustieren der kristallographischen Spaltebene (2') zur Spaltvorrichtung;

Vorgeben einer Spannungsintensität (K) über thermisch oder mechanisch induzierte Spannungsfelder (3', 4') durch Berechnung oder durch Messung;

Für die vorgegebenen Spannungsfelder (3', 4') Bestimmen der Energiefreisetzungsrate G(a) bei Rissfortschritt in Abhängigkeit vom möglichen Ablenkwinkel (a) von der Spaltebene; und

Erzeugen der Spannungsfelder (3', 4');

Steuern oder Regeln, und Positionieren von den die Spannungsfelder (3', 4') erzeugenden Quellen und/oder der Vorjustierung um die berechneten Spannungsfelder einzustellen, wobei im Einkristall eine Rissausbreitung erfolgt, wobei G(0)>=2gammae(0) und gleichzeitig zusätzlich mindestens eine der Bedingungen

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

erfüllt sind, wobei

alpha der mögliche Ablenkwinkel bei Rissfortschritt von der Spaltebene,

alpha1, alpha2 derjenige Winkelbereich, in dem die notwendige Bedingung für Rissausbreitung G(alpha)>=2gammae(alpha) gewährleistet ist,

G(alpha) die Energiefreisetzungsrate in Abhängigkeit von einer Ablenkung des Risses von der Spaltebene um den Winkel alpha,

gammae(0) die effektive Oberflächenenergie der Spaltfläche,

gammae die richtungsabhängige effektive Oberflächenenergie,

ße die effektive Stufenenergie (materialspezifisch), und

h die Stufenhöhe (materialspezifisch) ist,

wobei sich die Spaltfläche mit einer Winkelabweichung im Bereich von -0,01° bis -0.001° und von +0.001° bis +0.01° entlang einer natürlichen kristallographischen Spaltebene gemessen über die jeweils relevante Flatlänge des Wafers oder über jede einer Vielzahl von Flächen mit einer Längsausdehnung in Trennrichtung von >=2 mm innerhalb der Fläche des Flats erstreckt.

VII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2a wie im Hilfsantrag 2, wobei die Winkelabweichung der Spaltfläche "im Bereich von -0.01° bis +0.01°... erstreckt" (Unterstreichung durch die Kammer)

VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 lautet wie folgt:

Einkristall, ausgebildet als Wafer mit einer als Flat ausgebildeten Spaltfläche, die sich mit einer Winkelabweichung im Bereich von +0.001° bis -0,001° ausgenommen idealer stufenfreier Spaltflächen entlang einer natürlichen kristallographischen Spaltebene gemessen über die jeweils relevante Flatlänge oder über jede einer Vielzahl von Flächen mit einer Längsausdehnung in Trennrichtung von >=2mm innerhalb der Fläche des Flats erstreckt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die beanspruchte Erfindung

2.1 Die Erfindung betrifft einkristalline Wafer aus halbleitenden Materialien, die als Substrate für die Herstellung von mikroelektronischen Bauelementen wie z.B. Feldeffekt- und Heterobipolar-Transistoren bzw. optoelektronischen Bauelementen wie Laser- oder Luminenszendioden verwendet werden (Absatz [0002] der veröffentlichten Anmeldung).

2.2 Die einkristallinen Wafer (Einkristallen) weisen ein sogenanntes Orientierungsflat entlang einer Kristallfläche auf. Eine hohe Orientierungsgenauigkeit des Orientierungsflats (<=?0.02°?) wird insbesondere bei der Herstellung von Laserdioden gefordert. Die Orientierungsflats werden herkömmlich durch Spalten (Abbrechen) des Wafers entlang einer natürlichen Spaltebene (Kristallfläche) hergestellt. Vor der Spaltung des Wafers wird normaleweise ein Initialriss erzeugt. Dieser Initialriss wird mit verschiedenen Methoden, z.B. durch Biegebeanspruchung des Wafers, ausgebreitet. Bei einer solchen Vorgehensweise besteht das Risiko, dass der Riss sich in keiner geraden Linie ausbreitet und der erzeugte Orientierungsflat somit nicht benutzbar ist.

2.3 In der Anmeldung wird ein Verfahren beschrieben, mit dem eine hohe Genauigkeit bzw. geringe Winkelbweichung der Spaltfläche mit Bezug auf die natürliche kristallographische Ebene des Kristalls erzielt wird. In den Ansprüchen wird ein Einkristall mit einer als Flat ausgebildeten Spaltfläche, die sich mit einer geringen Winkelabweichung entlang der natürlichen kristallographischen Spaltebene erstreckt, beansprucht.

Das Verfahren wurde mit dem europäischen Patent No. 2 106 331 B1 geschützt.

3. Hauptantrag

Der Hauptantrag entspricht dem Hilfsantrag 3, der der angefochtene Entscheidung zugrunde liegt.

Erfinderische Tätigkeit (Artikel 52(1) und 56 EPÜ)

3.1 Im Anspruch 1 wird ein Einkristall beansprucht, der eine Spaltfläche aufweist, die sich mit einer Winkelabweichung im Bereich von +0.001° bis -0.001° entlang einer natürlichen kristallographischen Spaltebene gemessen erstreckt.

3.2 Es ist unbestritten, dass in den Dokumenten des Stands der Technik Einkristalle offenbart werden, die als Wafer ausgebildet sind und eine als Flat ausgebildete Spaltfläche aufweisen. Siehe z.B. D5 (Absätze [0004] bis [0008]), D6 (Zusammenfassung) und D8 (Zusammenfassung).

Die relevante Winkelabweichung der Spaltfläche des Einkristalls hat folgende Werte:

i) weniger als 0.02° in D5 (Absatz [0033]);

ii) 0° bis 0.04° und 0° bis 0.05° in D6 (D6a: Absätze [0039] und [0042]; "Tabelle 1");

iii) innerhalb des Grenzwertes von 0.02° in D8 (D8a: Absatz [0012]).

Nach der Meinung der Kammer kann jedes von diesen Dokumenten als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden. Die Beschwerdeführerin stimmte dieser Meinung der Kammer zu.

3.3 Der Einkristall des Anspruchs 1 des Hauptantrags unterscheidet sich somit von dem nächstliegenden Stand der Technik dadurch, dass die Winkelabweichung der Spaltfläche in einem engeren Wertbereich liegt (-0.001° bis +0.001°).

3.4 Nach der Auffassung der Kammer würde ein Fachmann immer versuchen, Einkristalle mit einer Spaltfläche, die so wenig wie möglich von der natürlichen kristallographischen Spaltebene abweicht, herzustellen. Die Vorteile solcher Einkristalle (Wafer) sind allgemein bekannt (siehe Punkte 2.1 und 2.2 oben).

3.5 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die geringe Werte des beanspruchten Bereichs der Winkelabweichung der Spaltfläche (-0.001° bis +0.001°) mit den Verfahren der Dokumente des Stands der Technik objektiv nicht erreichbar seien. In keinem der Dokumente D5, D6 oder D8 gebe es einen Hinweis auf so geringe Werte der Winkelabweichung. Der Fachmann sei somit nicht in der Lage Einkristalle mit einer so geringen Winkelabweichung ohne Kenntnis des Verfahrens der Anmeldung herzustellen, selbst wenn er dies beabsichtigte.

Außerdem sei es nicht erforderlich, Einkristallen mit so geringer Winkelabweichung herzustellen. In D6 z.B. sei zu lesen, dass die von der Industrie vorgegebene Werte bzw. Erfordernisse eine Winkelabweichung von 0.05° oder weniger ist (D6a, Absatz [0003]). Dies bedeute, dass Fehler (Winkelabweichung) bis zu 0.05° toleriert seien, um die Erfordernisse der Industrie in der Zeit vor dem Anmeldetag zu erfüllen. Es gebe somit keinen Anlass für den Fachmann, Anstrengungen zu unternehmen, Einkristallen mit Winkelabweichungen in dem engen Bereich des Anspruchs herzustellen. Mit anderen Worten würde der Fachmann nicht in Erwägung ziehen, solche Einkristalle herzustellen (siehe Beschwerdebegründung, Seiten 3 bis 10 und Schreiben vom 4. Januar 2019, Seite 7).

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei somit erfinderisch.

3.6 Die Kammer schließt sich dieser Auffassung der Beschwerdeführerin nicht an.

3.6.1 Die Kammer bemerkt zuerst, dass in den Dokumenten des Stands der Technik mehrmals erwähnt wird, dass für einen als Wafer ausgebildeten Einkristall die Winkelabweichung der Spaltfläche so gering wie möglich sein sollte (z.B. D5, Absatz [0034]); D6a, Absatz [0003], erster Satz). Es ist somit zu verstehen, dass immer nach einer Spaltfläche mit einer Winkelabweichung so nah wie möglich zu 0° gestrebt wird. Die von der Beschwerdeführerin zitierte Passage (D6a, Absatz[0003]) ist somit so zu verstehen, dass Einkristalle mit Spaltflächen mit einer Winkelbweichung bis zu 0,05° für die in D6 beschriebene Anwendungen geeignet sind. Dass aber Einkristalle mit einer Spaltfläche mit geringer Winkelabweichung besser bzw. mehr geeignet wären, sieht die Kammer als selbstverständlich. Der Fachmann würde daher immer versuchen, Einkristalle mit einer so gering wie möglichen Winkelabweichung der Spaltfläche herzustellen.

3.6.2 Die Kammer bemerkt zweitens, dass bei den gemessenen Werten der Winkelabweichung in D5, D6 und D8 keine Untergrenze gegeben werden (siehe auch Punkt 3.2). Wie in der vorhandenen Anmeldung, sind die in D5, D6 und D8 beschriebenen Verfahren so zu verstehen, dass die Winkelabweichung der Spaltfläche der hergestellten Einkristalle nicht größer als die Obergrenze des jeweils erwähnten Bereiches ist. Es ist daher nicht auszuschließen, dass Einkristalle mit sehr geringen Winkelabweichungswerten, z.B. wie im beanspruchten Bereich, als Ergebnis der beschriebenen Verfahren erzielt werden können.

3.6.3 Die Kammer ist somit der Auffassung, dass die Herstellung von Einkristallen mit Winkelabweichung der Spaltfläche in dem beanspruchten Bereich im Rahmen des Stands der Technik technisch möglich sind. Einkristalle mit solch geringer Winkelabweichung sind ebenfalls erstrebenswert, da sie in einer einfachen und verlässlichen Weise hergestellt werden können (siehe Punkt 2.2 oben). Ein Fachmann würde somit in Erwägung ziehen, solche Einkristalle herzustellen. Ausgehend von den Dokumenten des Stands der Technik würde er dies auch in naheliegender Weise tun, da nach Auffassung der Kammer solche Einkristalle bereits Stand der Technik sind.

3.7 In der mündlichen Verhandlung brachte die Beschwerdeführerin vor, dass in den Verfahren der Dokumente D5, D6 und D8 der Aufwand zu hoch und die Ausbeute zu gering seien, um geringe Werte der Winkelabweichung wie im Anspruch 1 zu erzielen. Dies sei ein zusätzlicher Hinweis, dass der Fachmann davon abgehalten würde, die Herstellung solcher Einkristalle in Erwägung zu ziehen.

Die Kammer kann diesem Argument der Beschwerdeführerin nicht folgen. Die Überlegungen des hohen Aufwands oder der geringen Ausbeute beziehen sich eher auf wirtschaftliche Bedingungen (z.B. Kosten) der Herstellung von Einkristallen. Die Kammer könnte nachvollziehen, dass der Fachmann die Herstellung solcher Einkristalle im Rahmen der Offenbarung der D5, D6 und D8 aus wirtschaftlichen Gründen nicht ohne weiteres unternehmen würde. Solche wirtschaftlichen Überlegungen würden aber einen Fachmann nicht hindern, die Herstellung von technisch vorteilhaften Einkristallen wie im Anspruch 1 auszuprobieren.

3.8 Die Kammer gelangt somit zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags auf keiner erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht.

4. Hilfsantrag 1

4.1 Hilfsantrag 1 entspricht dem Hauptantrag, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt.

Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass Anspruch 1 die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfüllte, weil der Ausschluss aus dem Anspruch des innersten Bereichs von Winkelabweichungen zwischen -0.001° und +0.001° nicht in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart war.

4.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte dagegen, dass die Intervallgrenzen 0°, 0.001°, 0.005° und 0.01° in der ursprünglich eingereichten Anmeldung als solche offenbart seien. Wenn die Beschwerdeführerin (Anmelderin) einen Winkelabweichungsbereich kleiner oder gleich 0.01° schützen möchte, dann inkludiere das automatisch die Teilbereiche 0° bis 0.001°, 0.001° bis 0.005° und 0.005° bis 0.01°. Es liege somit keine unzulässige Erweiterung vor. Außerdem habe die Beschwerdeführerin das Recht, die durch eine zufällige Vorwegnahme betroffenen Bereiche auszuschließen (Beschwerdebegründung, Seite 11 und Schreiben vom 4. Januar 2019, Punkt 2.ii)).

In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer brachte die Beschwerdeführerin keine weitere Argumente vor. Sie verwies lediglich auf ihre schriftlich eingereichten Argumente und auf Kapitel II.E.1.3 der Rechtsprechung des EPA.

4.3 Die Kammer schließt sich dieser Argumentation der Beschwerdeführerin nicht an.

Die Dokumente D5, D6 und D8 betreffen Erfindungen im gleichen technischen Bereich wie die beanspruchte Erfindung und sind auch für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit relevant (siehe auch Punkt 3.2 oben). Sie können somit nicht als zufällige Vorwegnahmen im Sinne der Rechtsprechung der Beschwerdekammern angesehen werden (siehe z.B. G 1/03, Veröffentlicht in ABI EPA 2004, 413, Leitsatz, Punkt II und Entscheidungsgründe, Punkt 2.2).

4.4 Darüber hinaus gibt es keinen Hinweis auf einen Ausschluss eines Teilbereiches des Winkelabweichungsbereichs in der ursprünglich eingereichten Anmeldung. In der Beschreibung der Anmeldung werden als Bereiche für die Winkelabweichung bzw. Genauigkeit gleich oder kleiner 0.01°, 0.005° oder 0.001° gegeben. Zusätzlich wird auch eine Winkelabweichung von 0° ("vollständig stufenfrei") erwähnt (Absätze [0040] und [0044]). Eine Untergrenze für den Toleranzbereich wird nicht erwähnt bzw. angedeutet. Es scheint auch nicht gewünscht zu sein, die Winkelabweichung nach unten zu begrenzen, da immer nach einer idealen Spaltfläche (d.h. mit 0° Winkelabweichung) angestrebt wird. In der Beschreibung des Herstellungsverfahrens in der Anmeldung wird ebenfalls nicht erklärt bzw. abgeleitet, wie ein Fachmann eine Genauigkeit bzw. Winkelabweichung größer als eine bestimmte Grenze erzielen und somit einen solchen Einkristall erzeugen könnte.

4.5 Bezüglich der Rechtsprechung bemerkt die Kammer, dass das von der Beschwerdeführerin zitierte Kapitel die Bezeichnung "1.3 Parameterbereiche - Festlegung von Ober- und Untergrenzen" hat.

Der Winkelabweichungsbereich ist jedoch kein Parameterbereich, d.h. die Werte der Winkelabweichung sind keine Werte eines Parameters, der z.B. die Steuerung eines Verfahrens wie ein Herstellungsverfahren beeinflussen könnte. Die Werte der Winkelabweichung sind Toleranz-Werte, die nach der Herstellung des Einkristalls gemessen bzw. festgestellt werden und daher ein Merkmal des beanspruchten Einkristalls (die Abweichung der Ebene der erzeugten Spaltfläche von der natürlichen kristallographischen Ebene des Kristalls) widerspiegeln.

Nach der Auffassung der Kammer ist daher die zitierte Rechtsprechung für den vorhandenen Fall nicht zutreffend.

4.6 Die Kammer kommt somit zu dem Schluss, dass der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ nicht genügt.

5. Hilfsantrag 2

5.1 Hilfsantrag 2 entspricht dem Hilfsantrag 1, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt.

5.2 Der Bereich der Winkelabweichung, der im Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 definiert wird, ist gleich wie im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 (siehe Punkte V. und VI.).

5.3 Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 erfüllt somit die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ aus den gleichen Gründen wie Hilfsantrag 1 nicht.

6. Hilfsantrag 2a

6.1 Die Winkelabweichungswerte im Anspruch 1 des Hilfsantrags 2a liegen im Bereich von -0.01° bis +0.01°. Die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ sind somit erfüllt.

6.2 Im Anspruch 1 des Hilfsantrags 2a werden Schritte des Herstellungsverfahrens als zusätzliche Merkmale des beanspruchten Einkristalls hinzugefügt.

Der Einkristall wird damit teilweise durch Verfahrensmerkmale im Anspruch 1 definiert. Anspruch 1 ist somit ein sogenannter "Product-by-Process" Anspruch.

6.3 Patentansprüche für Erzeugnisse, die die Erzeugnisse durch ein Verfahren zu ihrer Herstellung kennzeichnen, sind nur dann gewährbar, wenn die Erzeugnisse als solche die Voraussetzungen der Patentierbarkeit erfüllen, d.h., dass sie unter anderem neu und erfinderisch sind. Ein Erzeugnis wird nicht schon dadurch neu, dass es durch ein neues Verfahren hergestellt ist (siehe Richtlinien für die Prüfung im EPA, Teil F, Kapitel IV 4.12).

6.4 Im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags, weist der Einkristall gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 2a eine Spaltfläche mit einer Winkelabweichung auf, die in einem breiteren Wertebereich liegt (-0.01° bis +0.01° statt -0.001 bis +0.001°). Es lässt sich nicht erkennen, dass die in Anspruch 1 angegebenen Verfahrenschritte bei dem fertigen Produkt nachweisbar wären.

Wie bereits erklärt, sieht die Kammer den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags als für den Fachmann naheliegend an (siehe Punkte 3.1 bis 3.8 oben). Dies gilt ebenfalls für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2a, zumal die Spaltfläche des Einkristalls gemäß Hilfsantrag 2a keine so geringe Winkelabweichung wie im Hauptantrag aufweist.

6.5 Die Kammer gelangt daher zu der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2a aus den gleichen Gründen wie der Hauptantrag auf keiner erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ beruht.

7. Hilfsantrag 3

7.1 Hilfsantrag 3 entspricht dem Hilfsantrag 2, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt.

Die Prüfungsabteilung hat ihr Ermessen nach Artikel 137(3) EPÜ ausgeübt und diesen Antrag nicht ins Verfahren zugelassen, weil er prima facie den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ nicht genügte (Seite 3 der angefochtenen Entscheidung, unter "Hilfsantrag 2").

7.2 Nach Artikel 12(4) VOBK hat die Kammer die Befugnis inter alia Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassen worden sind.

7.3 Die Beschwerdeführerin hat keine Argumente vorgebracht, warum sich die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung geirrt hätte oder warum die Kammer jetzt den Hilfsantrag ins Verfahren zugelassen sollte.

In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erklärte die Beschwerdeführerin, dass Hilfsantrag 3 als Reaktion vorbereitet geworden sei, falls die Kammer einen Einwand wegen mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ) eines Einkristalls mit einer Spaltfläche mit 0° Winkelabweichung erhoben hätte. Da aber die Kammer keinen solchen Einwand erhoben hat, erübrige sich der Hilfsantrag.

7.4 Hilfsantrag 3 wird somit nicht ins Verfahren zugelassen.

8. Zusammenfassend kommt die Kammer zu dem folgenden Schlüssen:

- Der Hauptantrag und Hilfsantrag 2a beruhen auf keiner erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

- Hilfsantrag 1 und Hilfsantrag 2 genügen den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ nicht.

- Hilfsantrag 3 wird unter Artikel 12(4) VOBK nicht ins Verfahren zugelassen.

Da keiner der Anträge der Beschwerdeführerin gewährbar ist, ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation