T 1076/14 () of 24.1.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T107614.20180124
Datum der Entscheidung: 24 Januar 2018
Aktenzeichen: T 1076/14
Anmeldenummer: 08000739.6
IPC-Klasse: B66F 9/24
B66F 17/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 286 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Anzeigeanordnung an einem Hochhubflurförderzeug
Name des Anmelders: Jungheinrich Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: Linde Material Handling GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Spät vorgebrachte Argumente - zugelassen (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 1953115 in geändertem Umfang, zur Post gegeben am 11. März 2014.

Die Einspruchsabteilung hat unter anderem entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1, wie von der Einspruchsabteilung im geänderten Umfang aufrechterhalten, im Hinblick auf die Kombination der Dokumente

JP 2005 298 184 A (E1) und

US 6,359,265 B1 (E2)

nicht nahegelegt ist.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende Beschwerde eingelegt.

III. Am 24. Januar 2018 wurde mündlich verhandelt.

Die Einsprechende/Beschwerde­führerin beantragte die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Patentinhaberin/Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Der Anspruchs 1 gemäß der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung lautet wie folgt:

Anzeigeanordnung an einem Hochhubflurförderzeug,

das ein Antriebsteil und ein ein Hubgerüst enthaltendes Lastteil aufweist und bei dem ein Schutzelement am Hubgerüst angebracht ist, an dem mindestens ein Anzeigeelement (20) angebracht ist, dessen Signalleitungen (22) nach unten zu einem Steuerteil des Flurforderzeugs geführt sind,

dadurch gekennzeichnet, dass

eine durchsichtige Schutzscheibe (IS) am Hubgerüst (12) angebracht ist, dass das flache Anzeigelement (20) auf der dem Antriebsteil (10) zugewandten Seite auf einer Schutzscheibe (18) aufgeklebt ist und flache Signalkabel (22) auf die Schutzscheibe (18) aufgeklebt sind.

V. Die Argumente der Beschwerde­führerin - soweit sie für die Entscheidung wesentlich waren - lauteten wie folgt:

Der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 sei unzulässig erweitert.

Es sei zwar korrekt, dass der vorliegende Anspruch 1 dem erteilten Anspruch 1 entspräche und dass die Begründung dieses Mangels nunmehr erstmalig in der mündlichen Verhandlung vorgebracht werde, aber schließlich sei dieser Mangel so relevant, dass dieser in das Verfahren zugelassen werden müsse.

Es sei eine Lesart des Anspruchs 1 möglich, derart, dass das Schutzelement im Oberbegriff ein anderes Bauteil sein könne, als die Schutzscheibe im Kennzeichen. Somit definiere der Wortlaut des Anspruchs 1 zwei Schutzeinrichtungen, nämlich ein Schutzelement und eine Schutzscheibe. Dies aber sei nicht ursprünglich offenbart.

Des Weiteren sei der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von E2 nahegelegt. E2 offenbare in Spalte 6, Zeilen 5 ff. ein Anzeigeelement im Sinne des Anspruchs 1, nämlich ein Warnlicht. Weiterhin offenbare E2 Drähte zur Beheizung einer Schutzscheibe. Diese Drähte sind Kabel im Sinne des Anspruchs und seien aufgeklebt, da sie zwischen zwei aufeinander­geklebten Scheiben, die die Schutzscheibe bildeten, eingebracht seien. Der Fachmann würde nun das Warnlicht im Sichtfeld des Benutzers anbringen, also auf der Schutzscheibe. Dabei griffe er auf die vorhandene Technik der Leitungsführung zurück und würde die Warnleuchte ebenfalls mit Leitungen versehen, die zwischen den beiden Glasplatten aufgeklebt seien.

Alternativ könnten auch die Temperatursensoren als Anzeigeelemente im Sinne des angegriffenen Patents verstanden werden, da sie einem Steuerteil eine Information übermittelten, also anzeigten, nämlich die Temperatur. Die Anschlussleitungen der Temperatursensoren müssten ebenso wie die Heizdrähte als verklebte Leitungen zwischen den Scheiben geführt sein; dies sei für den Fachmann selbstverständlich und somit implizit offenbart.

Damit sei dem Fachmann der Gegenstand des Anspruchs 1 nahegelegt.

Auch ausgehend von E2 in Kombination mit dem Dokument E1 käme der Fachmann in nicht erfinderischer Weise zum Gegenstand des strittigen Anspruchs 1.

E1 offenbare ein Display für eine Schutzscheibe, welches auflaminiert sei. Laminieren sei ein Klebeverfahren und somit sei das Display der E1 als ,,aufgeklebt" im Sinne des angegriffenen Anspruchs 1 zu betrachten.

Dieses Display verwende selbstverständlich Anschlüsse, sogenannte Elektroden, die ebenfalls aufgeklebt sein müssten und somit die Signalkabel darstellten, vgl. E1, Übersetzung, Paragraph [0028].

Ebenfalls ergäbe sich ausgehend von E1 ein Mangel an erfinderischer Tätigkeit. Im Wesentlichen offenbare E1 nicht die Position der Schutzscheibe am Hubgerüst. Diese sei dort am Antriebsteil. Damit beschränke sich die objektive Aufgabe gerade darauf, die Position der Schutzscheibe zu verändern. Die Anordnung der Schutzscheibe am Hubgerüst aber könne der E2 entnommen werden, so dass der Fachmann ohne erfinderische Leistung zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangte.

VI. Die Beschwerdegegnerin begegnete diesen Argumenten wie folgt:

Der Einwand wegen unzulässiger Erweiterung dürfe nicht in das Verfahren zugelassen werden, da er zu spät vorgebracht wurde. So könne ohne eine detaillierte schriftliche Ausfertigung des Vorbringens dazu nicht Stellung genommen werden, so dass, sollte der Einwand in das Verfahren zugelassen werden, eine Vertagung der mündlichen Verhandlung oder eine Zurückverweisung in die erste Instanz beantragt werden müsse. Für dieses Vorbringen gäbe es keine Vorbereitung und es müsse zur Bearbeitung desselben die Prüfungsakte studiert werden, um festzustellen, warum die Änderung, die hier zu Debatte stünde, im Prüfungsverfahren durchgeführt worden sei. Dazu aber sähe man sich im Rahmen der laufenden Verhandlung nicht in der Lage.

Was den Einwand in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit betreffe, offenbare E2 keine Signalkabel, die auf eine Scheibe aufgeklebt worden seien.

E2 zeige Heizdrähte, und diese befänden sich zwischen zwei Glasplatten. Somit sei nicht offenbart, dass die Drähte überhaupt geklebt seien. Auch gäbe es kein flaches Anzeigeelement auf der Schutzscheibe. Die in Spalte 6, Zeilen 5 ff. genannte optionale Warnleuchte könne überall angeordnet sein und es sei nicht erkennbar, warum der Fachmann sie gerade auf der Schutzscheibe anordnen solle. Selbst wenn er es täte, sei immer noch nicht klar, warum dann auch die Kabel dazu auf der Scheibe aufzukleben sind. Auch könnten die Temperatursensoren nicht als Anzeigeelemente im Sinne des Anspruchs verstanden werden. Die Patentschrift erkläre dazu in den Paragraphen [0003] und [0005], dass die Anzeige vom einem Betrachter erkannt werden müsse.

Auch könne die Kombination der Dokumente E1 und E2 nicht den Gegenstand des angegriffenen Anspruchs 1 nahelegen. Keines der beiden Dokumente offenbare ein aufgeklebtes Signalkabel, welches mit einer Anzeigeeinheit und einem Steuerteil verbunden ist. Daher ergäbe schon die Kombination aus beiden Dokumenten nicht alle mit Anspruch 1 beanspruchten Merkmale. Des Weiteren werde bestritten, dass der Fachmann die Dokumente E1 und E2 miteinander kombinieren würde, da sie sich mit völlig unterschiedlichen Fragestellungen auseinandersetzten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Das Vorbringen der Einsprechenden/Beschwerdeführerin in Bezug auf Artikel 100 c) EPÜ wird nicht in das Verfahren zugelassen.

2.1 Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer trägt die Einsprechende/Beschwerde­führerin vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 unzulässig erweitert ist, da in den ursprünglich eingereichten Dokumenten nicht von einem Schutzelement die Rede gewesen sei.

Damit sei durch die gegenwärtige Formulierung des Anspruchs 1 nicht klar, ob das Schutzelement im Oberbegriff dasselbe Teil sei, wie die Schutzscheibe im kennzeichnenden Teil. Jedenfalls ließe sich der Anspruch auch auf zwei getrennte Vorrichtungen nämlich einem Schutzelement (Oberbegriff) und - zusätzlich - einer Schutzscheibe (Kennzeichen) lesen. Dies sei aber nicht offenbart. Da dieser Mangel prima facie relevant sei, müsse der Einwand diesbezüglich in das Verfahren zugelassen werden.

2.2 Die Einsprechende stimmt der Auffassung der Kammer zu, dass der behauptete Mangel bereits im erteilten Patent vorhanden war, und dass Gelegenheit im Einspruchs­verfahren oder aber mit der Beschwerdebegründung bestanden hätte, den Einwand vorzubringen.

2.3 Gemäß Artikel 13 (1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.

2.4 Unabhängig von der behaupteten Relevanz des Einwands hält es die Kammer für nicht angemessen, zu einem erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgebrachten Einwand wegen einer unzulässigen Erweiterung des erteilten Anspruchs 1 Stellung zu nehmen (der erteilte Anspruch 1 entspricht dem vorliegenden Anspruch 1). Auch ist es nach Ansicht der Kammer der Patentinhaberin/Beschwerdegegnerin nicht zuzumuten, sich - ohne Vorbereitung - mit Einwänden zur unzulässigen Erweiterung zu befassen, zumal sie aufgrund der Ausführungen in der Beschwerdebegründung davon ausgehen konnte, dass dergestalte Einwände kein Thema der mündlichen Verhandlung sein würden.

Daher ist bei dem Stand des Verfahrens - nämlich in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer - eine verfahrensökonomische Behandlung dieses Einwandes nicht mehr möglich.

3. Das Vorbringen der Einsprechenden in Bezug auf die Lehre des Dokuments E2 kombiniert mit dem allgemeinen Fachwissen ist nicht in der Lage, einen Mangel an erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 zu begründen.

3.1 Die Einsprechende argumentiert, dass E2, Spalte 6, Zeilen 5 ff. ein zusätzliches Warnlicht offenbare und dass der Fachmann dieses Warnlicht im Sichtfeld des Fahrers anbrächte, somit an der Scheibe des Flurförderfahrzeugs. Dabei würde sich der Fachmann an der Art und Weise orientieren, wie die Heizdrähte verlegt seien und die Signalleitung für die Warnleuchte parallel zu diesen, zwischen den beiden Scheiben verklebt, verlegen.

3.2 Die Kammer stellt nicht in Abrede, dass der Fachmann derart handeln könnte, allerdings konnte die Einsprechende/Beschwerdeführerin nicht überzeugen, dass der Fachmann auch derart handeln würde.

So scheint es nicht plausibel zu sein, eine Warnleuchte in die Schutzscheibe zu legen, da ein hoher Aufwand (und damit hohe Kosten) damit verbunden sind, die Leitungen dieser Warnleuchte zwischen Scheibenflächen zu verlegen. Daher würde es der Fachmann vielmehr in Betracht ziehen, diese Warnleuchte im Bereich des Steuerteils 32 im Bereich der anderen Armaturen zu montieren und die Kabel unsichtbar in der Konsole zu führen.

3.3 Auch schließt sich die Kammer nicht der alternativen Argumentationslinie der Einsprechenden/Beschwerde­führerin an, die angibt, dass die Temperatursensoren als Anzeigeelemente zu verstehen seien, die dem Steuerteil eine Temperatur übermittelten also anzeigten.

Das Streitpatent stellt unmiss­verständlich dar, dass unter einem Anzeigeelement eine Vorrichtung zu verstehen ist, die der Benutzer im Blick haben soll (vgl. Paragraph [0003]) und einfach ablesbar ist (vgl. Paragraph [0005]).

4. Auch die auf der Kombination der Dokumente E1 und E2 (bzw. E2 und E1) vorgetragenen Argumentationslinien sind nicht in der Lage, die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, in Frage zu stellen.

Insbesondere konnte die Einsprechende/Beschwerde­führerin keinen Mangel an erfinderischer Tätigkeit begründen.

Hierbei folgt die Kammer vollumfänglich der Darstellung der Einspruchsabteilung, vgl. dazu auch Entscheidung, Seiten 8 ff. Hierbei teilt die Kammer vor allem die Auffassung, dass der Fachmann die Dokumente E1 und E2 nicht miteinander kombinieren würde, siehe die Begründung in der Entscheidung, Seite 8, letzter Absatz und Seite 11, vorletzter Absatz.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation