T 0986/14 (Textilinformationsträger / ASTRA) of 8.1.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T098614.20200108
Datum der Entscheidung: 08 Januar 2020
Aktenzeichen: T 0986/14
Anmeldenummer: 07012087.8
IPC-Klasse: G06F3/02
G06K19/00
G06K19/077
H04B5/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Informationsträger für Textilien
Name des Anmelders: ASTRA Gesellschaft für Asset Management mbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Datamars SA
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 108 (2007)
European Patent Convention R 99(1) (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
European Patent Convention Art 83 (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1) (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(2) (2007)
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerdeschrift (fehlerhaft)
Änderungen - Erweiterung des Patentanspruchs (nein)
Ausreichende Offenbarung - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät eingereichter Antrag - Verfahrensökonomie
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0667/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 1 870 797 in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten.

II. Der Einspruch richtete sich gegen das erteilte Patent im gesamten Umfang und war auf die Gründe gemäß Artikel 100 a) (Neuheit und erfinderische Tätigkeit), 100 b) EPÜ und 100 c) EPÜ gestützt.

III. Die Einspruchsabteilung entschied, dass die beanspruchte Erfindung deutlich und vollständig offenbart sei, sodass das Patent die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfülle. Der Einwand der Einsprechenden lautete, dass es für den Fachmann nicht möglich sei, einen Faden zu identifizieren, der gleichzeitig textil und leitfähig ist.

Die Einspruchsabteilung befand jedoch, dass der beanspruchte Gegenstand im Widerspruch zu Artikel 123 (2) EPÜ unzulässig erweitert worden war.

Der dritte Hilfsantrag der Patentinhaberin wurde für gewährbar erachtet.

IV. Sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende haben Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt.

V. In ihrer Beschwerdeschrift nahm die Patentinhaberin auf eine Zurückweisungsentscheidung Bezug und beantragte deren Aufhebung sowie die Erteilung eines europäischen Patents. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte sie, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten:

- in der erteilten Fassung oder

- hilfsweise im Umfang des in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vom 17. Februar 2014 gestellten Hilfsantrags 1.

VI. Die Einsprechende beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Mit der Begründung, dass der Beschwerdegegenstand der Patentinhaberin, wie er der ursprünglich eingereichten Beschwerdeschrift zu entnehmen sei, in keinem Zusammenhang mit der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung stehe, beantragte die Einsprechende in ihrer Beschwerdeerwiderung die Verwerfung der Beschwerde der Patentinhaberin als unzulässig.

VII. Auf Antrag beider Parteien wurde zur mündlichen Verhandlung geladen.

In einer Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2007 wurden die Parteien über die vorläufige, unverbindliche Auffassung der Kammer unterrichtet.

Die Kammer tendierte dazu, die Beschwerde der Patentinhaberin als zulässig zu erachten.

Zum Einwand der unzulässigen Erweiterung von Anspruch 1 des Hauptantrags, d. h. des Patents wie erteilt, müsste entschieden werden, ob sich aus dem von der Patentinhaberin erwähnten Absatz der Beschreibung tatsächlich die Identität zwischen der elektrischen Antenne und dem textilen Faden ergibt. Ob eine ausreichende Stützung in den ursprünglichen Unterlagen für die abhängigen Ansprüche 7 und 11 des Hauptantrags existiert, wäre auch zu klären.

Zur Frage der Ausführbarkeit schien es durchaus sinnvoll anzunehmen, dass der Fachmann im Hinblick auf die vorliegende Gesamtoffenbarung in der Lage gewesen wäre, eine elektrische Antenne aus einem elektrisch leitfähigen textilen Faden herzustellen. Diese vorläufige Ansicht basierte auf dem Verständnis des Begriffs "textiler Draht", wie er schon von der Einspruchsabteilung dargelegt wurde.

Die Kammer war nicht überzeugt, dass der Fachmann ausgehend von den Dokumenten D2 (US-A-2003/0160732), D5 (DE-A-101 55 935) oder D8 (DE-10 2004 003 461), die die Kammer als besonders relevant betrachtete, ohne eindeutige Hinweise tatsächlich zur beanspruchten Erfindung gelangt wäre.

VIII. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 8. Januar 2020 in Anwesenheit beider Parteien statt.

IX. Im Laufe der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer beantragte die Patentinhaberin abschließend, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten, und zwar auf Grundlage der Ansprüche 1 - 8 gemäß des Hauptantrags mit Datum 8.1.2020 oder hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche 1 - 8 des Hilfsantrags 1 mit Datum 8.1.2020.

Die Einsprechende bestätigte ihren Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

X. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag der Patentinhaberin lautet:

Textilinformationsträger bestehend aus einer Textilware, die eine elektrische Antenne (12) aus einem elektrisch leitfähigen textilen Faden umfasst, und aus einem Detektierplättchen (16), das ein elektronisches Chipmodul (18) und ein mit dem Chipmodul (18) verbundenenKoppelelement (20) umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass das Detektierplättchen (16) eine integrale Einheit bildet und auf der Textilware durch ein reversibel lösbares oder irreversibel unlösbares Befestigungsmittel befestigt ist,

dass das Befestigungsmittel diskrete Verbindungspunkte aufweist

und dass das Chipmodul (18) über das Koppelelement (20) mit der elektrischen Antenne (12) induktiv und/oder kapazitiv gekoppelt ist.

Der Inhalt des Hilfsantrags ist ohne Relevanz für die vorliegende Entscheidung.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde der Patentinhaberin

1.1 In ihrer Beschwerdeschrift beantragte die Patentinhaberin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein europäisches Patent auf der Basis der geltenden Unterlagen zu erteilen. Die angefochtene Entscheidung wird auch zu Unrecht als Entscheidung über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung bezeichnet.

Dies entspricht nicht der von der Einspruchsabteilung eigentlich getroffenen Entscheidung. Es widerspricht auch den Angaben im einleitenden Teil der Beschwerdeschrift, in der richtigerweise auf die Patentnummer und auf die Einsprechende hingewiesen wird. Aus diesen widersprüchlichen Angaben ergibt nur der Antrag, "die angefochtene Entscheidung aufzuheben", einen Sinn. Jeder Dritte, der Kenntnis von der Beschwerdeschrift der Patentinhaberin erlangt hätte, hätte eben aus diesem Grund verstanden, dass eine wortwörtliche Auslegung der Beschwerdeschrift als Ganzes keinen Sinn macht und dass die Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung gerichtet sein muss. Dies gilt auch für die Gegenpartei und die Beschwerdekammer.

1.2 Aus der Beschwerdeschrift hätte somit jeder erkannt, dass die Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung in der mit der angegebenen Patentnummer definierten Angelegenheit (Regel 99 (1) b) EPÜ) und auf deren Aufhebung gerichtet war (Regel 99 (1) c) EPÜ). Somit gelten die Bedingungen der Regel 99 (1) EPÜ schon mit Einreichung der ersten Beschwerdeschrift innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung (Artikel 108 EPÜ) als erfüllt. Die Fassung in der Beschwerdebegründung wird als Klarstellung angesehen.

1.3 Die Beschwerde der Beschwerdeführerin/Patentinhaberin ist zulässig (Artikel 108 EPÜ, Regel 99 EPÜ).

2. Hauptantrag der Beschwerdeführerin/Patentinhaberin - Zulässigkeit

2.1 Der Hauptantrag unterscheidet sich vom Patent in der erteilten Fassung dadurch, dass die abhängigen Ansprüche 6, 7 und 11 gestrichen worden sind.

Der Hauptantrag wurde erst während der mündlichen Verhandlung eingereicht. Nachdem der Vorsitzende mitgeteilt hatte, dass der Hauptanspruch wie erteilt gewährbar sei, wurde eine erste Fassung des geänderten Hauptantrags unter Streichung der Ansprüche 7 und 11 eingereicht. Erst nachdem der Vorsitzende der Kammer mitgeteilt hatte, dass der Gegenstand des abhängigen Anspruchs 6 über den Inhalt der ursprünglichen Offenbarung hinausgeht, wurde die endgültige Fassung des Hauptantrags vorgelegt. Er unterscheidet sich von der früheren Fassung dadurch, dass auch Anspruch 6 gestrichen worden ist.

2.2 Die Einsprechende wies darauf hin, dass der geänderte Hauptantrag spät eingereicht worden sei und die Patentinhaberin schon während der mündlichen Verhandlung eine erste geänderte Fassung des Hauptantrags eingereicht habe, in der die abhängigen Ansprüche 7 und 11 der erteilten Fassung gestrichen worden seien. Der endgültige Hauptantrag sei somit der zweite Versuch im Laufe der mündlichen Verhandlung den Hauptantrag zu ändern. Eine Rechtfertigung für dieses Verhalten gebe es nicht, da die Einwände gegen die gestrichenen Ansprüche schon im Einspruchsverfahren (Ansprüche 7 und 11) bzw. in der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der Patentinhaberin (Anspruch 6) thematisiert worden seien. Hinsichtlich der Ansprüche 7 und 11 wie erteilt komme hinzu, dass die Beschwerdekammer noch explizit darauf hingewiesen habe, dass das Thema der unzulässigen Erweiterung im Laufe der mündlichen Verhandlung zu erörtern wäre.

Artikel 12 (2) VOBK 2007 verlangt: Die Beschwerdebegründung und die Erwiderung müssen den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten enthalten. Sie müssen deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen, und sollen ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anführen [...].

Der Hauptantrag ist nach Auffassung der Einsprechenden mit Hinweis auf Artikel 12 (2) VOBK 2007 nicht zuzulassen.

2.3 Die Patentinhaberin wies darauf hin, dass sie sich gleich bei Eröffnung der mündlichen Verhandlung bereit erklärt habe, die abhängigen Ansprüche 7 und 11 zu streichen. Was das Streichen des abhängigen Anspruchs 6 anbelange, stelle es weder für die Einsprechende noch für die Beschwerdekammer ein Problem dar. Die Einreichung des endgültigen Hauptantrags sei als Reaktion auf die Feststellung der Kammer anzusehen, dass der Wortlaut des Anspruchs 6 gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoße. Um die Angelegenheit im Sinne der Verfahrensökonomie zu vereinfachen, seien alle Anträge mit dem geänderten Anspruch 6 einfach zurückgenommen worden.

2.4 Bezugnehmend auf die Tatsache, dass der Hauptanspruch des Hauptantrags gewährbar ist, dass die Änderungen des Hauptantrags allein die Streichung von abhängigen Ansprüchen betreffen und dass die Verfahrensökonomie von einer Zulassung des Antrags nicht beeinträchtigt würde, übte die Kammer ihr Ermessen unter Artikel 13 (1) VOBK 2007 zugunsten einer Zulassung des neuen Hauptantrags aus.

3. Hauptantrag der Beschwerdeführerin/Patentinhaberin - Ausreichende Stützung (Artikel 123 (2) EPÜ)

3.1 Die Einspruchsabteilung sah in dem Merkmal einer elektrischen Antenne aus einem elektrisch leitfähigen textilen Faden eine unzulässige Erweiterung (Artikel 123 (2) EPÜ) und schloss sich somit der Auffassung der Einsprechenden an.

Die Patentinhaberin stützte sich insbesondere auf die Passage der ursprünglichen Beschreibung auf Seite 6, Zeilen 2 - 6. Nach ihrer Auffassung müssen der Leiter und der elektrische Faden identisch sein.

Die zitierte Passage kombiniert eigentlich zwei Sätze aus zwei aufeinanderfolgenden Absätzen. Sie lautet:

Die elektrische Antenne kann aus einem durchgehenden elektrischen Leiter gebildet sein, der durch Auftrennen in Resonanz abgestimmt wird.

Die Herstellung der Antenne wird vereinfacht, indem ein durchgehender textiler Faden verarbeitet wird.

Aus dem Zusammenhang ergebe sich zwingend, so die Patentinhaberin, dass der durchgehende textile Faden mit dem durchgehenden elektrischen Leiter identisch ist.

Mit Hinweis auf eben diese von der Patentinhaberin zitierte Passage stellte die Einspruchsabteilung jedoch fest, dass diese Identität zwischen Antenne und Faden nicht abgeleitet werden könne.

Die Auffassung der Einspruchsabteilung beruht auf einer formellen Auslegung des Wortlauts. Bei einer wortwörtlichen Auslegung könnten die Antenne und der (durchgehende) elektrische Leiter nicht gleichgesetzt werden, denn ein solcher Leiter würde nicht die passende Resonanz aufweisen. Die zitierte Passage verlange nämlich eine Verarbeitung des Leiters, d. h. ein Auftrennen auf die passende Länge. Somit sei der elektrische Leiter, von dem die Rede sei, als solcher nach dem Auftrennen nicht mehr vorhanden.

Die Kammer weist jedoch darauf hin, dass eine wortwörtliche Stützung nach Artikel 123 (2) EPÜ nicht erforderlich ist (vgl. T 667/08, Punkt 4.1.4). Es sind nämlich auch Merkmale in Betracht zu ziehen, die in der Anmeldung zwar nicht ausdrücklich genannt, für den Fachmann aber miterfasst werden. Aufgrund eben dieses Umstands, dass die Antenne durch Auftrennen aus einem elektrischen Leiter gewonnen wird und eine solche Antenne eine (passende) Länge aufweisen muss, stellt die Kammer fest, dass die gewonnene aufgetrennte Antenne selbst einen elektrischen Leiter umfasst.

3.2 Aufbauend auf die Definition von textil im Duden stellte die Einspruchsabteilung fest, dass textil nicht durch das Material, sondern durch die Verarbeitung gekennzeichnet wird.

Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Im Kontext der vorliegenden Patentschrift bezieht sich der Begriff textil nicht auf eine Materialeigenschaft, sondern auf die Art der Verarbeitung der Fäden. Dies ist der vorliegenden Beschreibung selbst zu entnehmen, die wiederholt auf eine textile Antenne oder auf eine Antenne mit textilem Charakter hinweist (vgl. Seite 2, Zeilen 14ff. der ursprünglichen Beschreibung). Ein Reduzieren von "Textilien" auf Materialien bestehend aus z. B. Baumwolle oder synthetischem Material ist wegen der notwendigen leitenden Eigenschaft einer Antenne ausgeschlossen.

3.3 Das Weglassen des Adjektivs durchgehend im Anspruch 1 stellt nach Auffassung der Einsprechenden eine Zwischenverallgemeinerung des Ausführungsbeispiels der Seite 6, Zeilen 2 - 6 dar. Der beanspruchte Gegenstand könne nun auch aus einem nicht durchgehenden leitfähigen textilen Faden gewonnen werden. Eine Stützung dieser Verallgemeinerung sei aus der ursprünglichen Anmeldung nicht abzuleiten.

Der Anspruch betrifft einen Textilinformationsträger und nicht dessen Herstellung. Der Fachmann erkennt ja, dass es nicht darauf ankommt, ob der leitfähige Faden mitgewoben oder nachträglich eingebracht wird. Von Bedeutung ist nur, dass er die richtige Länge aufweist. Die Antenne im fertigen Textilinformationsträger ist nicht durchgehend.

4. Hauptantrag der Patentinhaberin - Weitere Einwände der fehlenden Stützung (Artikel 123 (2) EPÜ)

4.1 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer brachte die Einsprechende weitere Einwände nach Artikel 123 (2) EPÜ gegen Anspruch 1 vor.

Mit der Kombination der Begriffe "integrale Einheit" und "diskrete Verbindungspunkte" in Anspruch 1 definiere Anspruch 1 eine Kombination von Ausführungsbeispielen, für die es in der ursprünglichen Anmeldung keine Basis gebe. Das Streichen der Ansprüche 7 und 11 ändere an dieser Feststellung nichts.

4.2 Dieser Einwand wurde jedoch erst im Rahmen der Diskussion der abhängigen Ansprüche erhoben, nachdem der Vorsitzende die Auffassung der Kammer schon verkündet hatte, dass Anspruch 1 in der erteilten Fassung nicht über den Inhalt der ursprünglichen eingereichten Anmeldung hinausgeht.

Die Einsprechende räumte dazu ein, dass der Einwand im Laufe der Diskussion des Hauptanspruchs zwar nicht thematisiert worden sei, brachte aber vor, dass er doch Teil des Verfahrens gewesen sei. In diesem Zusammenhang verwies sie auf die Beschwerdeschrift der Patentinhaberin (Seite 3, Zeilen 4 - 7), die explizit auf das Vorbringen der Einsprechenden im schriftlichen und mündlichen Verfahren vor der Einspruchsabteilung eingegangen sei, sowie auf Punkt 4 der angefochtenen Entscheidung.

Zusätzlich wies die Einsprechende darauf hin, dass es die Aufgabe der Beschwerdekammer sei, die angefochtene Entscheidung zu überprüfen. Es sei wohl die Aufgabe der Kammer, Punkt 4.8 der angefochtenen Entscheidung zu würdigen, in dem die Einspruchsabteilung in einem sogenannten obiter dictum explizit eine Kombination von Ausführungsbeispielen ohne Basis in der ursprüngliche Anmeldung erkannte.

4.3 Die Argumente der Einsprechenden sind nicht überzeugend.

Aus dem pauschalen Verweis in ihrer Erwiderung vom 12. August 2014 auf ihr Vorbringen im Einspruchsverfahren ist nicht erkennbar, welche Einwände tatsächlich noch geltend gemacht werden. Die konkreteren Angaben auf den Seiten 3 und 4, seitenübergreifender Absatz, beziehen sich auf die Ansprüche 6, 7 und 11 und sind aufgrund deren Streichung nicht mehr relevant. Dass es die Aufgabe einer Beschwerdekammer ist, die einer Entscheidung zugrunde liegenden Gründe und Argumente zu überprüfen, ist zwar richtig, aber nur soweit die vorliegenden Anträge dazu Anlass geben. Unter Punkt 4.8 der angefochtenen Entscheidung schließt sich die Einspruchsabteilung der Auffassung der Einsprechenden an, dass im Anspruch 1 des erteilten Patents mehrere Ausführungsbeispiele kumulativ miteinander kombiniert wurden, die ursprünglich nur als Alternativen zueinander offenbart wurden, was im Widerspruch zu Artikel 123 (2) EPÜ stehe. Für diese Auffassung wird unter Punkt 4.8 der Entscheidung keine Begründung gegeben. Die Einspruchsabteilung verweist aber auf Punkt 11.

Punkt 11 betrifft den damaligen zweiten Hilfsantrag. Inwiefern die hier vorgelegte Analyse für den Hauptantrag gilt, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Im Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags wurde das Merkmal "textiler Faden" durch das Merkmal "Schussfaden" ersetzt. Weiter sind im kennzeichnenden Teil eine Reihe von Merkmalen hinsichtlich der Befestigungsart des Plättchens aufgenommen. Für jedes einzelne Merkmal, so die Einspruchsabteilung, gebe es eine Basis in der ursprünglichen Anmeldung, nicht aber für die Kombination. Welche Relevanz diese Argumente der Einspruchsabteilung für den Anspruch 1 des nun geltenden Hauptantrags haben, ist jedoch unklar. Die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung stützt sich nämlich auf Merkmale, die im Hauptanspruch des vorliegenden Hauptantrags nicht definiert sind.

4.4 Zusammenfassend stellt die Kammer fest, dass der nun unter Artikel 123 (2) EPÜ erhobene Einwand weder der Beschwerdeschrift noch der angefochtenen Entscheidung zu entnehmen ist. Er wurde also erst zu einem sehr späten Stadium des Beschwerdeverfahrens vorgebracht.

Da sich die Punkte 4.8 und 11 der angefochtenen Entscheidung auf Gründe und Argumente beziehen, die für den vorliegenden Antrag nicht relevant sind, besteht kein Anlass für eine Überprüfung durch die Kammer.

Aus diesen Gründen wurde der neue Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ nicht zugelassen.

5. Hauptantrag der Patentinhaberin - Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

Zu den Ausführungen der Einsprechenden in ihrer Beschwerdeerwiderung, wonach der Fachmann nicht wissen würde, was er eigentlich als Antenne einsetzen soll (Artikel 83 EPÜ), verweist die Beschwerdekammer auf die Auslegung des Begriffs "textiler Draht (Faden)" unter vorstehendem Punkt "Zulässigkeit des Hauptantrags".

Bezugnehmend auf die Feststellung, dass der Begriff "textil" sich nicht auf das Material sondern auf die Art der Verarbeitung der Fäden bezieht, und dass ein textiler Faden dementsprechend durchaus elektrisch leitend sein kann, wäre der Fachmann im Hinblick auf die vorliegende Gesamtoffenbarung durchaus in der Lage, eine elektrische Antenne aus einem elektrisch leitfähigen textilen Faden herzustellen (Artikel 83 EPÜ).

Die beanspruchte Erfindung ist so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann sie ausführen kann.

6. Hauptantrag der Patentinhaberin - Erfinderische Tätigkeit

6.1 Im Einspruchsverfahren wurden auf der Grundlage einer Kombination der Dokumente

D2: US-A-2003/0160732 oder

D5: DE-A-101 55 935

als Ausgangspunkt mit Dokument

D6: H.-W.-Son et al., "Design of RFID tag antennas using an inductively coupled feed", Vol.41, No.18, 1. September 2005,

Einwände unter Artikel 56 EPÜ erhoben.

6.2 Im Laufe der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer bestätigte die Einsprechende, dass nach ihrer Auffassung D5 als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten sei.

D5 offenbart einen Textilinformationsträger bestehend aus einer Textilware, die eine elektrische Antenne (12) aus einem elektrisch leitfähigen textilen Faden umfasst, und aus einem Detektierplättchen, das ein elektronisches Chipmodul (RFID-Chip) (vgl. Absatz [0023]) und ein mit dem Chipmodul verbundenes Koppelelement (Antennenspule) umfasst (vgl. Absatz [0009]). Das in D5 offenbarte Detektierplättchen ist auf der Textilware durch geeignete Befestigungsmittel befestigt (vgl. Absatz [0038], Zeilen 15 - 20).

Der beanspruchte Textilinformationsträger unterscheidet sich von dieser aus D5 bekannten Offenbarung dadurch, dass

- das Befestigungsmittel diskrete Verbindungspunkte aufweist und

- das Chipmodul über eine nichtgalvanische Kupplung mit der elektrischen Antenne gekoppelt ist.

Eine Aufgabe der Erfindung gemäß D5 bestand darin, einen Textilträger mit verbesserter Robustheit und Handhabbarkeit bereitzustellen (vgl. Absatz [0002], Zeilen 18 - 22).

Die Aufgabe der vorliegenden Erfindung kann dementsprechend darin gesehen werden, die Lehre der D5 weiter zu verbessern.

Laut Einsprechender hätte der Fachmann erkannt, dass die Verbindung des Detektierplättchens mit dem textilen Träger Schwächen aufweist. Insbesondere das Aufkleben des Detektierplättchens (Chip-Modul) würde zu einer starren und entsprechend empfindlichen Konstruktion führen. Auf der Suche nach alternativen Verbindungen wäre der Fachmann auf D6 gestoßen, woraus er die Vorteile einer induktiven Kupplung erkannt hätte (vgl. Introduction, Figur 1).

Die Argumente der Einsprechenden vermögen die Kammer nicht zu überzeugen.

Die Kammer schließt sich der Auffassung der Patentinhaberin an, dass der Fachmann ausgehend von D5 die von der Einsprechenden identifizierte Aufgabe nicht erkannt hätte. Der Zweck der Erfindung gemäß D5 besteht eben darin, einen Textilträger mit verbesserter Robustheit und Handhabbarkeit bereitzustellen, wie von der Beschwerdeführerin mit Hinweis auf Absatz [0002] erkannt wurde. Die Lösung dieser Aufgabe besteht gemäß D5 in der Auswahl von festen Verbindungen, die im Rahmen dieser Lehre als wesentliche Merkmale zu betrachten sind.

Schon aus diesem Grund ist die beanspruchte Erfindung als erfinderisch gegenüber D5 anzusehen. Die Kammer stellt weiter fest, dass das Heranziehen von D6, das nicht zum allgemeinen Fachwissen gehört, ohne Hinweis auf die zu lösende Aufgabe auch nicht überzeugend ist.

Die Einsprechende hat keine überzeugenden Argumente vorgetragen, warum eine Kombination mit D6 oder einem anderen Stand der Technik nicht nur eine theoretische Möglichkeit darstellt, sondern für den Fachmann naheliegend ist.

6.3 Die gleiche Analyse gilt, wenn der Fachmann statt von D6 von D2 ausgeht.

6.4 Im Laufe des Einspruchsverfahrens wurde auch Dokument

D8: DE 10 2004 003 461

eingeführt und zugelassen.

Ausgehend von D8 bestünde die zu lösende Aufgabe darin, eine ausreichend flexible Verbindung herzustellen, die dem Plättchen ausreichend Spiel lässt, aber auch stabil ist (vgl. Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vom 14. März 2014, Punkt 6). Die Analyse der Einsprechenden, wie sie der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zu entnehmen ist, bezieht sich auf den damals gültigen Hilfsantrag 3. Die zu lösende Aufgabe basiert jedoch auf Unterscheidungsmerkmalen (Art der Kopplung und diskrete Verbindungspunkte), die auch Unterscheidungsmerkmale für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sind.

Die Kammer ist in diesem Fall auch nicht überzeugt, dass der Fachmann ohne eindeutige Hinweise tatsächlich zur beanspruchten Erfindung gelangt wäre.

6.5 Die Dokumente

D3: WO-2006/019587 und

D4: DE-U-296 22 334

sind weniger relevant.

Dokument D3 offenbart ein Etikett mit einem Papierträger (vgl. Seite 3, Zeile 17). Papier ist keine Textilware.

Das Merkmal einer "Antenne aus einem elektrisch leitfähigen textilen Faden" ist dem Dokument D4 nicht zu entnehmen. In D4 wird nämlich die aus einem Metalldraht bestehende Antenne mit einem Nähfaden am Textilträger angenäht.

6.6 Die von der Einsprechenden erhobenen Einwände hinsichtlich fehlender erfinderischer Tätigkeit konnten nicht überzeugen. Auch wenn sie theoretisch möglich erscheinen, konnte nicht nachgewiesen werden, dass der Fachmann tatsächlich im Rahmen einer logischen Kette von Überlegungen zum beanspruchten Gegenstand gelangt wäre.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist dementsprechend erfinderisch im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit den Ansprüchen Nr. 1 - 8 des Hauptantrags vom 8.1.2020, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 8. Januar 2020, aufrechtzuerhalten.

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