T 0716/14 () of 21.11.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T071614.20171121
Datum der Entscheidung: 21 November 2017
Aktenzeichen: T 0716/14
Anmeldenummer: 07856915.9
IPC-Klasse: C08G 18/28
C08G 18/62
C08G 18/80
C09D 175/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: BESCHICHTUNGSMITTEL MIT HOHER KRATZBESTÄNDIGKEIT UND WITTERUNGSSTABILITÄT
Name des Anmelders: BASF Coatings GmbH
Name des Einsprechenden: PPG Industries Ohio, Inc.
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja) Hauptantrag, Hilfsanträge 1-3
Spät eingereichter Antrag - zugelassen (nein) Hauptantrag A
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin I) und der Einsprechenden (Beschwerdeführerin II) betreffen die am 11. März 2014 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung bezüglich der Aufrechterhaltung in geändertem Umfang des Europäischen Patents Nr. 2 102 263 auf Basis des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1.

II. die Ansprüche 1, 4 und 5 der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung hatten folgenden Wortlaut:

"1. Beschichtungsmittel, enthaltend mindestens eine hydroxylgruppenhaltige Verbindung (A) sowie mindestens eine isocyanatgruppenhaltige Verbindung (B), dadurch gekennzeichnet, dass ein oder mehrere Bestandteile des Beschichtungsmittels als zusätzliche funktionelle Komponenten zwischen 2,5 und 97,5 mol-%, bezogen auf die Gesamtheit der Struktureinheiten (I) und (II), mindestens einer Struktureinheit der Formel (I)

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

wobei

R' = Wasserstoff, Alkyl oder Cycloalkyl, wobei die Kohlenstoffkette durch nicht benachbarte Sauerstoff-, Schwefel- oder NRa-Gruppen unterbrochen sein kann, mit Ra = Alkyl, Cycloalkyl, Aryl oder Aralkyl,

X, X' = linearer und/oder verzweigter Alkylen oder Cycloalkylenrest mit 1 bis 20 Kohlenstoffatomen,

R" = Alkyl, Cycloalkyl, Aryl oder Aralkyl, wobei die Kohlenstoffkette durch nicht benachbarte Sauerstoff-, Schwefel oder NRa-Gruppen unterbrochen sein kann mit Ra = Alkyl, Cycloalkyl, Aryl oder Aralkyl,

n = 0 bis 2,

m = 0 bis 2,

m+n = 2 , sowie

x,y = 0 bis 2,

und

zwischen 2,5 und 97,5 mol-%, bezogen auf die Gesamtheit der Struktureinheiten (I) und (II), mindestens einer Struktureinheit der Formel (II)

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

wobei

Z = -NH-, -NR-, -O- mit

R = Wasserstoff, Alkyl, Cycloalkyl, Aryl oder Aralkyl, wobei die Kohlenstoffkette durch nicht benachbarte Sauerstoff-, Schwefel- oder NRa-Gruppen unterbrochen sein kann, mit Ra = Alkyl, Cycloalkyl, Aryl oder Aralkyl,

R' = Wasserstoff, Alkyl oder Cycloalkyl, wobei die Kohlenstoffkette durch nicht benachbarte Sauerstoff-, Schwefel oder NRa-Gruppen unterbrochen sein kann, mit Ra = Alkyl, Cycloalkyl, Aryl oder Aralkyl,

X = linearer und/oder verzweigter Alkylen oder Cycloalkylenrest mit 1 bis 20 Kohlenstoffatomen,

R" = Alkyl, Cycloalkyl, Aryl, oder Aralkyl, wobei die Kohlenstoffkette durch nicht benachbarte Sauerstoff-, Schwefel oder NRa-Gruppen unterbrochen sein kann, mit Ra = Alkyl, Cycloalkyl, Aryl oder Aralkyl,

x = 0 bis 2,

aufweisen.

4. Beschichtungsmittel nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass das Polyisocyanat (B) die Struktureinheiten (I) und (II) aufweist.

5. Beschichtungsmittel nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass im Polyisocyanat (B) zwischen 2,5 und 90 mol-%, der Isocyanatgruppen im Poly­isocyanat­grundkörper zu Struktureinheiten (I) und zwischen 2,5 und 90 mol-%, der Isocyanatgruppen im Poly­isocyanat­grundkörper zu Struktureinheiten (II) umgesetzt sind und der Gesamtanteil der zu den Struktureinheiten (I) und (II) umgesetzten Isocyanatgruppen im Poly­isocyanat­grundkörper zwischen 5 und 95 mol-% liegt."

III. Anspruch 1 des erteilten Patents unterschied sich von dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 dadurch, dass die Präambel folgenden Wortlaut hatte:

"Beschichtungsmittel auf Basis aprotischer Lösemittel, enthaltend mindestens eine hydroxylgruppenhaltige Verbindung (A) sowie mindestens eine isocyanatgruppenhaltige Verbindung (B), dadurch gekennzeichnet, dass...."

und weiter dadurch, dass am Ende des Anspruchs folgendes Merkmal hinzugekommen war:

"(ii) das Polyol (A) mindestens ein Poly(meth)acrylatpolyol enthält."

IV. Einspruch unter Geltendmachung der Gründe gemäß Artikeln 100(a) EPÜ (fehlende Neuheit, fehlende erfinderische Tätigkeit), 100(b) EPÜ sowie 100(c) EPÜ wurde eingelegt.

V. Der Entscheidung lagen ein Hauptantrag sowie ein Hilfsantrag 1 zugrunde. Der jeweilige Anspruch 1 dieser Anträge unterschied sich von dem erteilten Anspruch 1 durch ein zusätzliches Merkmal (iii):

"(iii) die isocyanatgruppenhaltige Verbindung (B) die Struktureinheiten (I) und (II) aufweist". (Hauptantrag)

"(iii) die isocyanatgruppenhaltige Verbindung (B) ein Polyisocyanat (B) ist, welches die Struktureinheiten (I) und (II) aufweist und wobei im Polyisocyanat (B) zwischen 2,5 und 90 mol-%. der Isocyanatgruppen im Polyisocyanatgrundkörper zu Struktureinheiten (I) und

zwischen 2,5 und 90 mol-%. der Isocyanatgruppen im Polyisocyanatgrundkörper zu Struktureinheiten (II)

umgesetzt sind und der Gesamtanteil der zu Struktureinheiten (I) und (II) umgesetzten Isocyanatgruppen im Polyisocyanatgrundkörper zwischen 5 und 95 mol-% liegt." (Hilfsantrag 1)

Gemäß der Entscheidung erfüllte der Hauptantrag unter anderem aufgrund der Merkmals (iii) die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht.

Hilfsantrag 1 entsprach den Erfordernissen des EPÜs.

VI. Gegen diese Entscheidung wurde von beide Parteien Beschwerde eingelegt.

VII. Die Beschwerdeführerin I reichte zusammen mit der Beschwerdebegründung einen Hauptantrag sowie zwei Hilfsanträge ein, wobei der Hauptantrag bis auf Anspruch 11 dem der Entscheidung zugrundeliegenden Hauptantrag entsprach.

Im Laufe des schriftlichen Verfahrens wurden mit Schreiben vom 2. Dezember 2014 geänderte Fassungen der Hilfsanträge 1 und 2 eingereicht.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterschied sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass Merkmal (iii) folgenden Wortlaut hatte:

"(iii) die isocyanatgruppenhaltige Verbindung (B) die Struktureinheiten (I) und (II) aufweist und diese durch Umsetzung von substituierten oder unsubstituierten aromatischen, aliphatischen, cycloaliphatischen und/oder heterocyclischen Polyisocyanaten mit Verbindung (Ia):

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

wobei R', R", X, X', x, y, n und m die Bedeutung aus Formel (I) besitzen

und (IIa)

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

wobei R', R", X, Z und x die Bedeutung aus Formel (II) besitzen

hergestellt wird, indem

zwischen 2,5 und 90 mol-% der Isocyanatgruppen im Polyisocyanatgrundkörper mit mindestens einer Verbindung (Ia) und

zwischen 2,5 und 90 mol-% der Isocyanatgruppen im Polyisocyanatgrundkörper mit mindestens einer Verbindung (IIa) umgesetzt werden."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterschied sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 dadurch, dass dem Merkmal (iii) zusätzlich am Ende folgenden Wortlaut hinzugefügt wurde:

"[...umgesetzt werden] und der Gesamtanteil der mit den Verbindungen (Ia) und (IIa) umgesetzten Isocyanatgruppen im Polyisocyanatgrundkörper zwischen 5 und 95 mol-% liegt."

Die von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltene Anspruchsfassung wurde als "Hilfsantrag 3" bezeichnet.

VIII. Die Beschwerdeführerin II hielt unter anderem Einwände gemäß Artikel 123(2) aufrecht.

IX. Es erging eine Ladung zur mündlichen Verhandlung, sowie eine Mitteilung, in welcher die Kammer ihre vorläufige Meinung darlegte.

X. Die Parteien machten jeweils eine weitere schriftliche Eingabe.

Die Beschwerdeführerin I reichte mit Schreiben vom 27. September 2017 als "Hauptantrag A" eine alternative Fassung des Hauptantrags ein, in dem Merkmal (iii) des Anspruchs folgenden Wortlaut hatte:

"(iii) das Polyisocyanat (B) die Struktureinheiten (I) und (II) aufweist."

XI. Die mündliche Verhandlung fand am 21. November 2017 statt.

XII. Die Argumente der Beschwerdeführerin I lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Auslegung der Ansprüche

Der Begriff "isocyanatgruppenhaltige Verbindung" bezeichne sowohl Verbindungen, die Isocyanatgruppen enthielten, als auch Verbindungen der Gruppen, die von Isocyanatgruppen abgeleitet seien, z.B. in Form von blockierten oder maskierten Isocyanatgruppen. Die Anwesenheit freier Isocyanatgruppen in der Verbindung sei aber nicht erforderlich. Deshalb seien auch Verbindungen ohne freie NCO-Gruppen als "isocyanathaltig" zu bezeichnen. Diese Auslegung gehe aus den Beispielen hervor.

Die Zusammenschau der Ansprüche 1 und 4 der ursprünglichen Anmeldung zeige, dass das Polyisocyanat die Gruppen (I) und (II) trage, woraus hervorgehe, dass die Begriffe "isocyanatgruppenhaltige Verbindung" und "Polyisocyanat" synonym seien.

Erforderlich sei gemäß allen Anträgen, dass Verbindungen enthaltend sowohl die Gruppen (I) und (II) als auch freie NCO-Gruppen anwesend seien. Durch das Herstellungsverfahren entstünden Mischungen aus Verbindungen mit Kombinationen aller genannter funktioneller Gruppen. Verbindungen enthaltend alle drei genannten Gruppen (Isocyanate, (I) und (II)) seien ebenfalls anwesend - wenn auch in kleinen Mengen. Es sei eingeräumt worden, dass solche Strukturen ausgehend von Diisocyanaten nicht möglich seien - hier liege ein Formulierungsfehler in der ursprünglichen Anmeldung vor. Beabsichtigt sei gewesen, Diisocyanaten als Ausgangsverbindungen für Polyisocyanaten zu bezeichnen.

b) Hauptantrag - Artikel 123(2) EPÜ

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei Seite 12, Zeilen 27-29 zu entnehmen. Hieraus gehe hervor, dass die Verbindung sowohl NCO-Gruppen als auch die Gruppen (I) und (II) enthalte. Die angegebenen Mengen seien im Sinne der Herstellung zu verstehen und seien für die Definition des Produkts unerheblich. Alternativ könne auf Anspruch 4 Bezug genommen werden. Dies definiere, dass die isocyanatgruppenhaltige Verbindung (B) des Anspruchs 1 ein Polyisocyanat sei. Somit würde der ursprüngliche Anspruch 1 in diesem Sinne verstanden werden, wodurch sich eine Stütze für den Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ergebe. Das unterschiedliche Vorkommen des Begriffs "Verbindung" im Singular oder Mehrzahl in der Anmeldung sei rein sprachlichen Charakters und für die Auslegung der ursprünglichen Offenbarung unerheblich.

c) Hauptantrag A - Zulassung

Hierdurch werde eine wörtliche Stütze aus Anspruch 4 in den Anspruch 1 aufgenommen. Der neue Hauptantrag sei eine Reaktion auf die Mitteilung der Kammer, in der die Zulässigkeit des Begriffs "isocyanathaltige Verbindung" im Singular - zum ersten Mal, zumindest in dieser Form - in Frage gestellt worden sei.

d) Hilfsantrag 1

Basis für diesen Antrag sei der Absatz auf Seite 12, Zeile 27 bis Seite 13, Zeile 7. Durch die Spezifizierung der Verbindungen (Ia) und (IIa) und die Menge sei das Problem der fehlenden Basis ausgeräumt.

e) Hilfsantrag 2

Die gleiche Argumente gälten wie für Hilfsantrag 1.

f) Hilfsantrag 3

Anspruch 1 stelle eine Kombination aus Merkmalen ursprünglich eingereichter Ansprüche und des allgemeinen Teils der Beschreibung dar und habe somit eine klare Basis in der ursprünglichen Anmeldung.

XIII. Die Argumente der Beschwerdeführerin II können wie folgt zusammengefasst werden.

a) Auslegung der Ansprüche

Der Interpretation der Patentinhaberin des Begriffs "isocyanatgruppenhaltige Verbindung" fehle jede Grundlage in der Anmeldung. Im Gegenteil werde hierdurch versucht, die eindeutige Bedeutung der Ansprüche 1 und 4 - auch im Hinblick auf deren Abhängigkeiten - zu "verzerren". Anspruch 4 beziehe sich eindeutig auf eine bevorzugte Ausführungsform des Gegenstands des Anspruchs 1 und könne nicht herangezogen werden, um Anspruch 1 anders auszulegen als aus dessen Wortlaut hervorgehe. Auch könnten Beispiele, die nur unter den ursprünglichen Anspruch 1 fielen nicht herangezogen werden, um Anspruch 4 auszulegen. Anspruch 4 beziehe sich auf die tatsächlich erhaltenen Verbindungen, nicht auf die Ausgangsprodukte. Gemäß der ursprünglichen Offenbarung sei es lediglich erforderlich gewesen, dass die Gruppen (I) und (II) im gesamten System vorhanden seien. Es sei aber nicht notwendig und nicht definiert, dass diese - wie jetzt anspruchsgemäß definiert - in der isocyanathaltigen Verbindung anwesend seien.

b) Hauptantrag - Artikel 123(2) EPÜ

Wie von der Patentinhaberin bestätigt, definiere Anspruch 1 des Hauptantrags eine mindestens trifunktionelle Verbindung enthaltend die Gruppen (I) und (II). Eine Basis hierfür sei der Anmeldung nicht zu entnehmen. Anspruch 4 offenbare ein Polyisocyanat, welches beide Einheiten (I) und (II) aufweise; dies erfordere somit eine mindestens tetrafunktionelle Verbindung, welche dem Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 nicht entspreche. Der geltende Anspruch stelle somit eine Verallgemeinerung des Gegenstands des ursprünglichen Anspruchs 4 dar. Die Stelle am Ende von Seite 12 offenbare Verbindungen (Mehrzahl), wobei Anspruch 1 eine Verbindung (Singular) mit den beiden Gruppen (I) und (II) definiere. Ein Diisocyanat wie auf Seite 12 offenbart, würde jedoch keine einzelne isocyanatfunktionelle Verbindung mit den zwei funktionellen Gruppen (I) und (II) ergeben können. Somit müsse die Offenbarung auf Seite 12 als auf eine Mehrzahl von Verbindungen gerichtet verstanden werden, die insgesamt die drei Gruppen enthielten. Anspruch 1 sei jedoch auf eine einzelne Verbindung gerichtet. Diese Auslegung werde auch durch Seite 14, Zeilen 6-9 sowie die Beispiele bestätigt. Hier würden Mischungen aus Verbindungen entstehen, die in der Summe die erforderlichen funktionellen Gruppen aufwiesen. Eine eindeutige Offenbarung einer einzelnen Verbindung mit den definierten funktionellen Gruppen fehle jedoch.

c) Hauptantrag A - Zulassung

Dieser Antrag stelle eine Divergenz zu den bestehenden Anträgen dar, und dessen Einreichung zum späten Zeitpunkt sei nicht zu entschuldigen. Aus diesen Gründen sei der Antrag nicht zuzulassen.

d) Hilfsantrag 1

Auch mit der hinzugefügten Textstelle aus der Beschreibung bleibe Anspruch 1 ohne Basis in der ursprünglichen Anmeldung aus den selben Gründen wie für den Hauptantrag vorgetragen.

e) Hilfsantrag 2

Es sei im Wesentlichen auf das Vorbringen im Hinblick auf Hilfsantrag 1 zu verweisen.

f) Hilfsantrag 3

Anspruch 1 stelle eine Merkmalskombinationen dar, welche zwar zum Teil aus den Ansprüchen, zum Teil aus der Beschreibung hervorgehe. Es findet sich jedoch keine zusammenhängende Offenbarung aller Merkmale des Anspruchs in der Beschreibung oder in den Ansprüchen in Kombination. Somit stelle der Anspruch eine Zusammenstellung von Merkmalen dar, für welche es weder in der Beschreibung noch in den Ansprüchen der Anmeldung eine Basis gäbe.

XIV. Die Beschwerdeführerin I beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, oder hilfsweise auf der Grundlage des Hauptantrags A, eingereicht mit Schreiben vom 27. September 2017, oder hilfsweise auf der Grundlage des Hilfsantrags 1 oder 2, eingereicht mit Schreiben vom 2. Dezember 2014, oder auf der Grundlage des Hilfsantrags 3, eingereicht als Hilfsantrag 1 während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.

XV. Die Beschwerdeführerin II beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2102263. Weiterhin beantragt sie, den Hauptantrag A nicht in das Verfahren zuzulassen.

Entscheidungsgründe

1. Auslegung der Ansprüche

Die von der Beschwerdeführerin I angegebene Bedeutung des Begriffs "isocyanatgruppenhaltige Verbindung", wonach hierdurch ebenfalls maskierte oder blockierte Isocyanate umfasst seien, ist weder aus dem allgemeinen Verständnis des Fachmanns noch aus der Anmeldung zu entnehmen.

Der Begriff an sich ist für den Fachmann klar und eindeutig - hierdurch werden Verbindungen bezeichnet, die Isocyanatgruppen enthalten. Eine isocyanatgruppenhaltige Verbindung, die die Struktureinheiten (I) und (II) aufweist, bezeichnet genauso eindeutig eine Verbindung, die sowohl mindestens eine Isocyanatgruppe, als auch beide Struktureinheiten (I) und (II) enthält. Da der Begriff "Polyisocyanat" Verbindungen mit mindestens zwei Isocyanatgruppen bezeichnet, ist für den Fachmann genauso eindeutig, dass ein Polyisocyanat, welches die Struktureinheiten (I) und (II) aufweist, eine Verbindung bezeichnet, die mindestens zwei Isocyanatgruppen und zusätzlich beide Struktureinheiten (I) und (II) enthält.

Auch aus der Anmeldung ist keine hiervon abweichende Definition des Begriffs "isocyanatgruppenhaltige Verbindung" zu entnehmen. In dem Abschnitt "Lösung der Aufgabe" ab Seite 4 der Anmeldung wird offenbart, dass die Zusammensetzung mindestens eine isocyanatgruppenhaltige Verbindung enthält, welche evtl. als zusätzliche funktionelle Gruppe die Strukturen (I) und (II) enthält. Es ist dieser Stelle nicht zu entnehmen, dass, im Falle, dass die Gruppen (I) und (II) durch Reaktion mit einer NCO-Gruppe in die Struktur integriert werden, mit der Folge, dass alle vorhandene NCO Gruppen hierdurch reagiert haben, die erhaltene Verbindung - jetzt mit vollständig maskierten Isocyanatgruppen - immer noch als "isocyanatgruppenhaltig" zu bezeichnen wäre.

Ebenfalls ist keine hiervon abweichende Auslegung der Diskussion der isocyanathaltigen Verbindungen (B) ab Seite 11, Zeile 30 zu entnehmen. Vor allem aus dem Absatz auf Seite 12, Zeile 27 bis Seite 13 Zeile 7 geht aus den angegebenen Werten für Mol-% hervor, dass, falls die Gruppen (I) und (II) über Isocyanatgruppen eingebaut werden, die NCO-Gruppen nicht vollständig blockiert werden, mit der Folge, dass immer noch freie Isocyanatgruppen in dem Produkt verbleiben.

Den Beispielen ist nichts anders zu entnehmen, da ebenfalls keine vollständige Umsetzung der Isocyanatgruppen stattfindet.

Somit findet die Interpretation der Patentinhaberin, dass der Begriff "isocyanatgruppenhaltige Verbindung" auch - vollständig - blockierte (maskierte) Isocyanaten umfasse, keine Basis in der Anmeldung. Dasselbe gilt für die anderen oben erwähnten Begriffe.

2. Hauptantrag - Artikel 123(2) EPÜ

Merkmal (iii) des Anspruchs 1 spezifiziert, dass

"die isocyanathaltige Verbindung (B) die Struktureinheiten (I) und (II) aufweist" (Betonung der Kammer).

Diese Formulierung ist eindeutig, in dem sie, wie oben erläutert, eine Verbindung definiert, die sowohl Isocyanatfunktionalität als auch die zwei Gruppen (I) und (II) aufweist.

In der ursprünglichen Anmeldung enthält Anspruch 1 die Bedingung, dass die Zusammensetzung eine isocyanatgruppenhaltige Verbindung (B) enthält. Es wird auch definiert, dass ein oder mehrere Bestandteile der Zusammensetzung die Struktureinheiten (I) und (II) in definierten Mengen aufweisen. Es ist gemäß Anspruch 1 deshalb nicht offenbart oder erforderlich, dass die Komponente (B) die Gruppen (I) und (II) aufweist, auch wenn diese Möglichkeit von dem Anspruchswortlaut umfasst wird.

Der ursprüngliche Anspruch 4 definiert, dass "das Polyisocyanat (B) die Struktureinheiten (I) und (II) aufweist".

Anspruch 4 stellt somit eine bevorzugte Ausführungsform des Gegenstands des Anspruchs 1 dar, bei der:

- die Verbindung (B) ein Polyisocyanat ist welche

- die Struktureinheiten (I) und (II) aufweist.

Der geltende Anspruch 1 definiert jedoch nicht, dass Verbindung (B) ein Polyisocyanat ist, sondern, dass dies eine "isocyanatgruppenhaltige Verbindung" allgemein ist. Somit können weder der ursprüngliche Anspruch 1, noch der ursprüngliche Anspruch 4 eine Grundlage für den Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 darstellen.

Das Argument der Beschwerdeführerin I, dass der ursprüngliche Anspruch 1 im Lichte des abhängigen Anspruchs 4 so auszulegen sei, dass der Begriff "isocyanathaltige Verbindung (B)" notwendigerweise als Polyisocyanat zu verstehen sei, entbehrt jeder Grundlage. Der ursprüngliche Anspruch 1 ist für sich genommen klar und bedarf keiner weiteren Interpretation; genauso gilt dies für den ursprünglichen Anspruch 4 (siehe oben, Punkt 1). Die beschwerdeführende Patentinhaberin setzt mit dieser Argumentation eine praxisferne Vorgehensweise beim Lesen und Verstehen von Patentansprüchen voraus, bei dem unabhängige Ansprüche zwangsläufig und ausschließlich in Lichte der in den abhängigen Ansprüchen enthaltenen weiteren Merkmale bzw. Einschränkungen zu lesen wären.

Auch die Beschreibung kann keine Basis für den Gegenstand des Anspruchs 1 liefern.

Seite 4/5 wiederholt den Wortlaut des ursprünglichen Anspruchs 1. Die Abhandlung der isocyanatgruppenhaltigen Verbindungen (B) ab Seite 11, insbesondere der Absatz Seite 12, Zeile 27 bis Seite 13, Zeile 7 betrifft mit den Struktureinheiten (I) und (II) funktionalisierte isocyanatgruppenhaltige Verbindungen (Mehrzahl), welche durch Umsetzung von Di- und/oder Polyisocyanaten erhalten werden. Dieser Absatz betrifft somit eine Zusammensetzung enthaltend eine Mehrzahl an Verbindungen, die in der Summe sowohl Isocyanatfunktionalität als auch die Struktureinheiten (I) und (II) aufweisen, ohne die Verteilung der Funktionalitäten innerhalb der Verbindungen zu spezifizieren. Diese Stelle der Beschreibung offenbart somit keine Zusammensetzung enthaltend eine Verbindung (Singular), welche notwendigerweise sowohl Isocyanatgruppen als auch die Einheiten (I) und (II) aufweist, wie gemäß geltendem Anspruch 1 definiert.

Der Absatz Seite 13, Zeilen 9-13 behandelt den Anteil der mit den Vorläuferverbindungen der Struktureinheiten (I) und (II) umgesetzten Isocyanatgruppen in der Verbindung (Singular) (B). Dieses Merkmal ist jedoch nicht im geltenden Anspruch enthalten. Somit kann dieser Absatz der ursprünglichen Anmeldung nicht als Basis für die jetzige Formulierung des Anspruchs dienen.

Auch aus den Beispielen ist, abgesehen von der Tatsache, dass ein Beispiel zwangsläufig eine bestimmte definierte Zusammensetzung offenbart und nicht verallgemeinerungsfähig ist, die gleiche Information wie auf den Seiten 12/13 zu entnehmen, d.h. dass die Zusammensetzung eine Mehrzahl an verschiedenen Verbindungen mit - in der Summe - den erforderlichen Funktionalitäten, jedoch keine einzelne Verbindung wie vom Anspruch 1 definiert, enthält.

Eine Basis für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist demzufolge der ursprünglichen Anmeldung nicht zu entnehmen mit dem Ergebnis, dass die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfüllt sind.

3. Hauptantrag A - Zulassung

Die Problematik durch die unterschiedlichen Begrifflichkeiten hinsichtlich der isocyanatgruppenhaltigen Verbindung(en) (Singular/Mehrzahl, isocyanatgruppenhaltige Verbindungen vs Polyisocyanat) wurde - entgegen der Aussage der Beschwerdeführerin I während der mündlichen Verhandlung - bereits detailliert im Laufe des Einspruchsverfahrens besprochen. Die Einspruchsabteilung erhob nämlich einen entsprechenden Einwand mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Sowohl die Einsprechende (Schreiben vom 8. November 2013) als auch die Patentinhaberin (Schreiben vom 15. November 2013), diskutierten diesen Aspekt. Auch während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung wurde seitens der Einsprechenden argumentiert, Anspruch 4 könne keine Grundlage für den Hauptantrag bilden.

Es kann folglich keine Rechtfertigung dafür erkannt werden, die entsprechende Änderung, wie im Hauptantrag A vorgenommen, erst gegen Ende des Beschwerdeverfahrens einzureichen. Vielmehr, da die diesbezügliche Problematik in einem früheren Stadium des Verfahrens zur Sprache kam, hätten entsprechende Anträge, um den Einwand Rechnung zu tragen, während des Einspruchsverfahrens oder spätestens am Anfang des Beschwerdeverfahrens eingereicht werden können und sollen. Die Einreichung zu einem so späten Zeitpunkt widerspricht deshalb dem Grundsatz der Verfahrensökonomie.

Die Kammer findet es deshalb angemessen, ihr Ermessen gemäß Artikel 13(1) VOBK so auszuüben, dass Hauptantrag A nicht ins Verfahren zugelassen wird.

4. Hilfsantrag 1 - Artikel 123(2) EPÜ

Merkmal (iii) des Anspruchs 1 betrifft immer noch "die isocyanatgruppenhaltige Verbindung (B)" (Singular). Die eingefügten "product-by-process" Merkmale sind Seite 12 Zeile 29 bis Seite 13, Zeile 7 der ursprünglich eingereichten Anmeldung zu entnehmen, jedoch an dieser Stelle der Beschreibung werden Verbindungen (Mehrzahl) offenbart. Somit kann diese Beschreibungsstelle keine Grundlage für den Gegenstand des Anspruchs bilden.

Somit sind die Einwände hinsichtlich des Hauptantrags durch die vorgenommenen Änderungen gemäß Hilfsantrag 1 nicht ausgeräumt mit dem Ergebnis, dass Hilfsantrag 1 ebenfalls den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ nicht entspricht.

5. Hilfsantrag 2

Da Merkmale (iii) des Anspruchs 1 immer noch "die isocyanatgruppenhaltige Verbindung (B)" (Singular) betrifft, werden durch die zusätzliche Aufnahme des Mehrmals von Seite 13, Zeilen 10 und 11 bezüglich des Gesamtanteils der mit den Verbindungen (Ia) und (IIa) umgesetzten Isocyanatgruppen die für den Hauptantrag und den Hilfsantrag 1 festgestellten Mängel auch nicht ausgeräumt.

Somit erfüllt Hilfsantrag 2 die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht.

6. Hilfsantrag 3

Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 resultiert aus den ursprünglichen Ansprüchen 1, 4 und 5 mit den weiteren Spezifikationen, dass das Beschichtungsmittel "auf Basis aprotischen Lösemittel" ist und das Polyol (A) "mindestens ein Poly(meth)acrylatpolyol enthält" (Anspruch 7).

Aus den Ansprüchen 1 und 4 geht ein Beschichtungsmittel hervor, wobei die Verbindung (B) (Singular) ein Polyisocyanat ist, das die Struktureinheiten (I) und (II) aufweist. So eine Verbindung (mit mindestens zwei Isocyanatgruppen und die Struktureinheiten (I) und (II), siehe Punkt 1) ist an keiner anderen Stelle der ursprünglichen Anmeldung zu finden. Wie oben ausgeführt, offenbart die Beschreibung nur Mischungen aus Verbindungen (Mehrzahl), die in der Summe die unterschiedlichen Funktionalitäten aufweisen (Punkt 2, oben).

Aus der Beschreibung ist zwar eine Offenbarung des Lösungsmittels zu entnehmen, jedoch nicht in Zusammenhang mit der anspruchsgemäßen Definition einer Verbindung (Singular) mit allen angegebenen Funktionalitäten.

Somit stellt Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 eine nicht offenbarte Zusammenstellung von Merkmalen dar, die teilweise nur der Beschreibung und teilweise nur den Ansprüchen zu entnehmen sind. Eine gemeinsame Basis für diese Merkmalskombination ist jedoch weder in der ursprünglichen Beschreibung noch in den ursprünglichen Ansprüchen zu finden.

Insbesondere, da der ursprüngliche Anspruch 4 eine isolierte Offenbarung einer Ausführungsform darstellt, die keiner der Ausführungsformen in der Beschreibung entspricht, ist eine Kombination des Anspruchs 4 mit Merkmalen aus der Beschreibung der ursprünglichen Anmeldung nicht zu entnehmen.

Somit sind die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfüllt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin I wird zurückgewiesen.

3. Das europäische Patent Nr. 2102263 wird widerrufen.

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