T 0711/14 () of 17.10.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T071114.20181017
Datum der Entscheidung: 17 October 2018
Aktenzeichen: T 0711/14
Anmeldenummer: 06013184.4
IPC-Klasse: A61D 17/00
A01K 29/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zum Management von milchgebenden Tieren
Name des Anmelders: GEA WestfaliaSurge GmbH
Name des Einsprechenden: Octrooibureau Van der Lely N.V.
DeLaval International AB
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Automatisierung
Spät eingereichte Hilfsanträge - Antrag eindeutig gewährbar (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Post gegeben am 25. Februar 2014, das europäische Patent Nr. 1 741 408 nach Artikel 101(3) b) EPÜ zu widerrufen.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin als Beschwerdeführerin am 24. März 2014 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 20. Juni 2014 eingereicht.

III. Der Einspruch gegen das Patent war auf die Gründe Artikel 100 (a) i.V.m. Artikel 54 und 56 EPÜ, Artikel 100(b) EPÜ und Artikel 100 (c) EPÜ gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Hauptantrag nicht die Erfordernisse des Artikels 52(1) mit 54 EPÜ erfüllte.

In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen zitiert:

D5 US 3 570 448 A1

D11 S.Devir et al.: "The fully automatic integrated dairy control and management system", Proceedings of the International Symposium "Prospects for Future Dairying: A Challenge for Science and Industry" 13.-16. Juni 1994, Seiten 302-308

D12 A.J. Bramley et al.: "Machine Milking and Lactation", Insight Books, 1992, Seiten 336-349

D13 S. Devir et al.: "A New Dairy Control and Management System in the Automatic Milking Farm: Basic Concepts and Components", Journal of Dairy Science 76, 1993, Seiten 3607-3616

IV. In einer Mitteilung vom 6. August 2018 gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung nach erfolgter Ladung zur mündlichen Verhandlung mit. Die mündliche Verhandlung fand am 17. Oktober 2018 in Anwesenheit der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin und der Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 statt. Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 1 teilte am 18. September 2018 mit, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde.

V. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der Fassung des mit Schreiben vom 23. Juli 2015 eingereichten Hauptantrags, oder hilfsweise in der Fassung des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags 3, des mit Schreiben vom 23. Juli 2015 eingereichten Hilfsantrags 5, oder des mit dem Telefax vom 17. September 2018 eingereichten Hilfsantrags 7. Während der mündlichen Verhandlung nahm die Beschwerdeführerin die Hilfsanträge 1, 2, 4 und 6 zurück.

VI. Die Beschwerdegegnerinnen-Einsprechenden 1 und 2 beantragen jeweils die Zurückweisung der Beschwerde.

VII. Der unabhängige Anspruch 1 der für diese Entscheidung relevanten Anträge hat folgenden Wortlaut:

Hauptantrag

"Verfahren zum Management von Tierherden mit einer Vielzahl von milchgebenden Tieren, wobei das Reproduktionsstadium jedes Tieres mit dem Laktationsstadium des Tieres in Beziehung gesetzt wird, wobei wenigstens ein Zustand des Tieres mittels automatisch gewonnener sensorischer Daten ermittelt wird, wobei der jeweilige Zustand der Vielzahl von Tieren grafisch dargestellt wird, wobei jedes Tier mittels eines grafischen Symbols dargestellt wird."

Hilfsantrag 3

Wie im Hauptantrag, jedoch mit folgenden Änderungen (von der Kammer durch Unterstreichung hervorgehoben): "... Vielzahl von Tieren mittels einer Anzeigeeinrichtung grafisch dargestellt wird, wobei jedes Tier mittels eines grafischen Symbols dargestellt wird und wobei wenigstens eine Eigenschaft des Symbols von dem physiologischen Zustand des jeweiligen Tieres abhängt, wobei der Benutzer auf einen Blick eine Vielzahl von Tieren und deren momentanen Zustand erfassen kann".

Hilfsantrag 5

Wie im Hauptantrag, jedoch mit folgenden Änderungen (durch Unterstreichung hervorgehoben): "... Vielzahl von Tieren mittels einer Anzeigeeinrichtung grafisch dargestellt wird, wobei die automatisch gewonnenen Daten einer Sensoreinrichtung zur Ermittlung des wenigstens einen Zustandes des Tieres berücksichtigt und ausgewertet werden, wobei jedes Tier mittels eines grafischen Symbols dargestellt wird, wobei der Zustand wenigstens eines Tieres über der Zeit dargestellt wird und wobei eine Eigenschaft des ein Tier repräsentierenden Symbols von dem physiologischen Zustand des Tieres abhängt, und wobei die Eigenschaft des ein Tier repräsentierenden Symbols einer Gruppe von Eigenschaften entnommen ist, welche das Erscheinungsbild, die Farbe, die Helligkeit, die Form und/oder die Außenkontur des Symbols umfasst".

Hilfsantrag 7

Wie im Hilfsantrag 5, wobei am Ende der folgende Wortlaut "wobei ein vordefinierter Besamungszeitpunkt festgelegt wird, und wobei bei Tieren, die besamt wurden, die Zeitzählung auf den vordefinierten Besamungszeitpunkt zurückgesetzt wird und wobei die Tiere entsprechend ihrer Milchleistung aufgetragen werden" hinzugefügt wurde.

VIII. Die Beschwerdeführerin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:

Der Gegenstand von Anspruch 1 aller Anträge werde durch D5 nicht nahegelegt.

IX. Die Beschwerdegegnerinnen haben zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:

Der Gegenstand von Anspruch 1 aller Anträge werde durch D5 nahegelegt, da der Fachmann zum Prioritätszeitpunkt die in D5 gezeigte Brunstscheibe ohne weiteres auf einem Computer implementieren würde, wobei er dann Brunst oder Krankheit einer Kuh auf naheliegende Weise automatisch mittels Sensoren erfassen würde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Anwendungsgebiet der Erfindung

Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Management von milchgebenden Tierherden, wobei ein Zustand jedes Tieres sensorisch ermittelt und grafisch dargestellt wird. Dabei wird jedes Tier der Herde mittels eines grafischen Symbols dargestellt.

3. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

3.1 Das bereits im Streitpatent genannte Dokument D5 wird als geeigneter Startpunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags angesehen. Die D5, siehe die Zeichnungen sowie Spalte 1, Zeile 48, bis Spalte 2, Zeile 7, offenbart eine Brunstscheibe in Form einer durchsichtigen Scheibe 1, worauf Marker 4 als Symbole einzelner Tiere aufklebbar sind. Die Scheibe 1 ist drehbar gelagert auf einem darunterliegenden Brett 2, das mit verschiedenen Markierungen versehen ist. Wie auch im Streitpatent, Absatz 0005, ausgeführt, stellt die Brunstscheibe den Zustand der Tiere über einem gesamten Jahr dar, und dient so als manuelles System zum Management von Tierherden mit einer Vielzahl von milchgebenden Tieren.

3.2 Im Hinblick auf die Unterscheidungsmerkmale gegenüber D5 bestreitet die Beschwerdeführerin nicht, dass die Brunstscheibe als grafische Darstellung einer Tierherde angesehen werden kann. Sie vertritt jedoch die Auffassung, dass in D5 kein grafisches Symbol offenbart werde, da die Markierelemente 4 als Stecker ausgeführt seien, die auf die Scheibe 2 aufgeklebt oder sonst wie aufgebracht werden. Die Kammer teilt diese Auffassung nicht, da jedes Markierelement ungeachtet seiner Befestigung auf der Brunstscheibe eine bestimmte Kuh darstellt und ihr die individuelle Brandnummer zuordnet (Spalte 1, Zeilen 53 und 54; Figur 3). Wegen dieser Zuordnung wird das Markierelement als Symbol für die jeweilige Kuh angesehen. Dadurch, dass alle Markierelemente auf der Brunstscheibe angeordnet sind, werden sie zu einem Teil der grafischen Darstellung mittels der Brunstscheibe, und damit zu einem grafischen Symbol.

Die Beschwerdeführerin vertritt weiterhin die Ansicht, dass ein Markierelement 4 nicht dazu in der Lage sei, den Zustand eines Tieres grafisch darzustellen. Die Kammer kann sich dem nicht anschließen, da der Anspruchswortlaut nur fordert, dass das Tier und nicht sein Zustand mittels des grafischen Symbols dargestellt wird. Wie der jeweilige Zustand der Vielzahl von Tieren grafisch dargestellt wird, wird im Anspruchswortlaut nicht näher angedeutet. Zweifelsfrei stellt die Brunstscheibe der D5 auch durch die Position der Markierelemente auf der Scheibe in Bezug auf die Markierungen auf dem Brett 2 (wie in D5, Spalte 2, ab Zeile 7, weiter ausgeführt) den jeweiligen Zustand der Vielzahl von Tieren dar; dazu ist sie eigens gedacht.

Aber selbst wenn der Anspruch 1 auf grafische Darstellung des Zustands eines Tieres gerichtet wäre, wird in der D5 bereits offenbart, dass die Markierelemente unterschiedliche Farben in Abhängigkeit von dem zur Besamung verwendeten Stier aufweisen können (Spalte 3, Zeilen 8 und 9). Eine Zuordnung besamter Kühe zu einem Stier anhand der Farbe des Markierelements ist nur möglich, wenn das Markierelement vor der Besamung der Kuh eine Farbe aufweist, die sich von allen jeweils einem bestimmten Stier zugeordneten Farben unterscheidet. Daher lassen sich in D5 bei der Verwendung von Farben alle brünstigen Kühe von allen besamten Kühen unterscheiden. Der Reproduktionszustand einer Kuh stellt einen anspruchsgemäßen Zustand dar (siehe Anspruch 8). Daher wird durch die Farben der Markierelemente der jeweilige (Reproduktions-)Zustand der Vielzahl von Kühen grafisch dargestellt.

Darüber hinaus trägt die Beschwerdeführerin vor, dass das Merkmal "mittels eines grafischen Symbols dargestellt wird" im Lichte der Beschreibung auf eine Anzeigeeinrichtung mit einem Bildschirm beschränkt sei und die in D5 offenbarten manuelle Anzeige mittels Kunststoffscheiben ausschließe. Diese Argumentation überzeugt die Kammer nicht, da Anspruch 1 kein Merkmal enthält, das auf eine Anzeigeeinrichtung oder eine Bildschirmdarstellung gerichtet ist. Eine Diskrepanz zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung wird nicht als hinreichender Grund angesehen, dem breiten, auf jegliche Darstellungsmittel gerichteten Anspruchsmerkmal "dargestellt wird", das als solches dem Fachmann eine klare, glaubhafte technische Lehre vermittelt, eine andere (engere) Bedeutung im Sinne einer Bildschirmdarstellung zu geben (RdBK, 8. Auflage 2016, II.A.6.3.1).

Bis auf das Unterscheidungsmerkmal "mittels automatisch gewonnener sensorischer Daten" offenbart D5 daher die übrigen Merkmale von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag.

3.3 Die diesem Unterscheidungsmerkmal zugrunde liegende objektive technische Aufgabe kann darin gesehen werden, die in D5 von einem Menschen durchgeführte Datenerfassung zu automatisieren. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern wird die bloße Automatisierung von bisher vom Menschen ausgeführten Funktionen nicht als erfinderisch angesehen (RdBK, 8. Auflage 2016, I.D.9.18.4). Daher wird ein Fachmann auf naheliegende Weise die Kühe statt durch einen Menschen nun mittels eines Sensors auf Brunstanzeichen beobachten lassen, mittels eines Sensors die erfolgte Besamung registrieren lassen, oder mittels eines Sensors die Trächtigkeit feststellen lassen.

3.4 Dadurch gelangt der Fachmann zum Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, ohne erfinderisch tätig zu werden.

4. Hilfsanträge 3 und 5 - Erfinderische Tätigkeit

4.1 Das Merkmal "mittels einer Anzeigeeinrichtung grafisch dargestellt wird" in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist unstreitig auf eine bildhafte Darstellung der grafischen Symbole gerichtet, beispielsweise auf dem Bildschirm eines Computers.

4.2 Im Hinblick auf einen geeigneten Startpunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit vertritt die Beschwerdeführerin unter Verweis auf die Dokumente D11 bis D13 die Auffassung, dass die Entwicklung in Richtung der Erhebung und Verarbeitung großer Datenmengen ging, und damit weg von einer Brunstscheibe mit ihren eingeschränkten Darstellungsmöglichkeiten. Darüber hinaus bilde das Dokument D5 auch wegen seines Alters und der fehlenden Offenbarung eines Bildschirms keinen geeigneten Startpunkt.

Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen, weil das beanspruchte Verfahren zum Herdenmanagement auch das Management von Besamung und Trächtigkeit der Kühe umfasst (Hilfsantrag 3: Ansprüche 11-14; Hilfsantrag 5: Ansprüche 9-12). Die Dokumente D11 und D13 beschreiben lediglich die Integration eines Melkroboters in eine Milchkuhhaltung. Die Erwähnung von Laktation, Trockenstellung und Geburt in diesen Dokumenten liegt in der Natur der Sache, da eine vorherige Trächtigkeit die Voraussetzung für eine Milchproduktion ist. Nur D12 geht zusätzlich auf das Management von Besamung und Trächtigkeit der Kühe ein (Seiten 338 und 339). Aus Sicht der Kammer liegt somit keine tragfähige Grundlage für die Behauptung vor, die Entwicklung der Technik ginge in eine andere Richtung.

Nach geltender Rechtsprechung ist der Fachmann völlig frei in der Wahl eines Ausgangspunkts. Jedes zum Stand der Technik gehörende Dokument kommt dafür in Frage, und darum auch das Dokument D5 (RdBK, I.D.3.4.3 und 3.6). Das Streitpatent selbst geht von einer Brunstscheibe aus und nennt in diesem Zusammenhang D5, so dass die darin offenbarte Brunstscheibe auch aus fachmännischer Sicht als realistischer Ausgangspunkt für die Ermittlung der objektiven technischen Aufgabe anzusehen ist.

4.3 Bezüglich der Unterscheidungsmerkmale zu D5 vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, dass der dort offenbarte Farbwechsel der Markierelemente keinen physiologischen Zustand einer Kuh darstelle (Spalte 3, Zeilen 8 und 9). Stattdessen werde damit die Eignung eines Stiers bzw. die Herkunft des Spermas bestimmt. Die Kammer teilt diese Auffassung nicht, da das Dokument auf das Management einer milchgebenden Tierherde gerichtet ist (Spalte 1, Zeile 6: "dairy herd"). Da nicht die Stiere, sondern nur die Kühe Milch geben, bezieht sich der Farbwechsel der Markierelemente im Kontext des Managements einer Milchkuhhaltung ausschließlich auf den physiologischen Zustand der Kühe, nämlich ihre Trächtigkeit differenziert nach dem verwendeten Stier. Somit unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 von der Offenbarung der D5 nur durch die beiden Unterscheidungsmerkmale "mittels automatisch gewonnener sensorischer Daten" und "mittels einer Anzeigeeinrichtung".

4.4 Die diesen Unterscheidungsmerkmalen zugrunde liegende objektive technische Aufgabe liegt aus Sicht der Beschwerdeführerin darin, eine Brunstscheibe weiterzubilden, da Kühe beim anspruchsgemäßen Verfahren zumindest im Lichte der Beschreibung klassifiziert würden. Aus Sicht der Kammer findet eine Klassifizierung der Kühe bereits in D5 statt, weil ihre Markierelemente je nach Ergebnis der Trächtigkeits-untersuchung in unterschiedliche Felder gesteckt werden (Figur 1, Felder 23, 24, 18, 29, 20, 23, 24). Da die Klassifizierung der Kühe kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber D5 darstellt und somit keinen Einfluss auf die Formulierung der objektiven technischen Aufgabe hat, muss nicht geklärt werden, ob Anspruch 1 tatsächlich auf eine Klassifizierung der Kühe gerichtet ist.

Ausgehend von den in Absatz 4.3 genannten Unterscheidungsmerkmalen sieht die Kammer die objektive technische Aufgabe darin, den Aufwand zur Wartung und Pflege der Brunstscheibe zu reduzieren (Streitpatent, Absatz 10).

4.5 Zur Lösung dieser Aufgabe muss der Fachmann nichts anderes tun als das aus D5 bekannte manuelle Verfahren zum Herdenmanagement zu automatisieren. Nach Auffassung der Kammer existiert schon lange ein allgemeiner Entwicklungstrend, manuelle Verfahren zu automatisieren um bspw. Arbeitsbedingungen zu verbessern, die Genauigkeit und die Produktivität zu erhöhen, Produktionskosten zu senken und, wie im Streitpatent ausgeführt, den Aufwand zur Wartung und Pflege eines Systems zu reduzieren.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist auf die bloße Automatisierung einer von Menschen bedienten Brunstscheibe gerichtet. Ein Fachmann wird dazu ohne weiteres das beanspruchte Verfahren zum Management von Tierherden beispielsweise mittels eines zum Prioritätszeitpunkt bereits üblichen Computers ausführen, dessen Bildschirm die anspruchsgemäße Anzeigeeinrichtung bildet.

Der Fachmann geht bei der Automatisierung eines manuellen Verfahrens über die bloße Automatisierung der einzelnen Verfahrensschritte des manuellen Verfahrens hinaus. Er wird immer die Möglichkeiten, die eine Automatisierung bspw. hinsichtlich der Überwachung bietet, soweit sie im Rahmen handwerklichen Könnens liegen, einbeziehen. Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, dass der Fachmann bei der Umstellung des aus D5 bekannten manuellen Verfahrens auf ein automatisiertes Verfahren auch Sensoren verwenden wird. Statt der bisherigen visuellen Wahrnehmung der Brunstanzeichen, der Registrierung der Besamung oder der Feststellung der Trächtigkeit durch einen Menschen wird der Fachmann diese Zustände mittels automatisch gewonnener sensorischer Daten ermitteln. Es ist nämlich wenig sinnvoll, zwar die Anzeige und die dafür nötige Verarbeitung der Daten automatisiert mittels Computer durchzuführen, aber die Daten weiterhin manuell zu erheben. Denn auf diese Weise würden der durch die Automatisierung verringerte Aufwand sowie die erhöhte Betriebssicherheit und Autonomie des Verfahrens wegen der Fehlerquelle "Mensch" nicht mehr gegeben sein.

4.6 Im Hinblick auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 wird bei der in D5 offenbarten Brunstscheibe der Zustand der Kühe bereits über der Zeit dargestellt (Figur 1, siehe die Bezeichnungen für die zwölf Monate am Kreisrand). Das Merkmal "der Zustand wenigstens eines Tieres über der Zeit dargestellt wird" stellt daher kein Unterscheidungsmerkmal dar.

Bezüglich des Merkmals "wobei die Eigenschaft des ein Tier repräsentierenden Symbols einer Gruppe von Eigenschaften entnommen ist, welche das Erscheinungsbild, die Farbe, die Helligkeit, die Form und/oder die Außenkontur des Symbols umfasst" vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, dass D5 nur eine einzige dieser Eigenschaften offenbare, aber nicht alle. Aus Sicht der Kammer ist die beanspruchte Gruppe von Eigenschaften als Aufzählung von Alternativen zu verstehen. Wegen der Offenbarung der Eigenschaft "Farbe" in D5 ist eine dieser Alternativen bekannt, so dass auch dieses Merkmal kein Unterscheidungsmerkmal darstellt (siehe Absatz 4.3 für Details zu D5).

Bei der Automatisierung der aus D5 bekannten Brunstscheibe wird der Fachmann aus den im Absatz 4.5 genannten Gründen immer auch eine Auswertung der Sensordaten durch den Computer vorsehen. Dadurch gelangt er bei der Automatisierung bereits zum Merkmal "die automatisch gewonnenen Daten einer Sensoreinrichtung zur Ermittlung des wenigstens einen Zustands des Tieres berücksichtigt und ausgewertet werden".

4.7 Ausgehend von D5 gelangt der Fachmann somit zum Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 und 5, ohne erfinderisch tätig zu werden.

5. Hilfsantrag 7 - Zulassung zum Verfahren

5.1 Der Hilfsantrag 7 wurde erst nach erfolgter Ladung zur mündlichen Verhandlung mit Schreiben vom 17. September 2018 eingereicht. Dieser verspätet vorgelegte Hilfsantrag stellt ein geändertes Vorbringen dar, dessen Zulassung nach Maßgabe der Erfordernisse des Artikels 13(1) und (3) VOBK erfolgt.

5.2 Gemäß einem von den Kammern häufig angewandten Ansatz werden erst nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung eingereichte Anträge nur dann zugelassen, wenn sie u.a. eindeutig und offensichtlich gewährbar sind, d.h. für die Kammer muss ohne großen Ermittlungsaufwand sofort ersichtlich sein, dass die vorgenommenen Änderungen den aufgeworfenen Fragen erfolgreich Rechnung tragen, ohne ihrerseits zu neuen Fragen Anlass zu geben (RdBK, 8. Auflage 2016, IV.E.4.2.5).

5.3 Diese Bedingung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt:

5.3.1 Anspruch 1 weist gegenüber dem Hilfsantrag 5 die zusätzlichen Merkmale "wobei ein vordefinierter Besamungszeitpunkt festgelegt wird, und wobei bei Tieren, die besamt wurden, die Zeitzählung auf den vordefinierten Besamungszeitpunkt zurückgesetzt wird und wobei die Tiere entsprechend ihrer Milchleistung aufgetragen werden" auf.

5.3.2 In D5 wird bereits ein vordefinierter Besamungszeitpunkt festgelegt, und bei besamten Tieren wird die Zeitzählung auf diesen vordefinierten Besamungszeitpunkt zurückgesetzt (Spalte 2, Zeilen 23 und 24; Zeilen 39-41).

5.3.3 Anspruch 1 ist nicht auf eine kreisförmige Auftragung der Zeit nach Art einer Brunftscheibe beschränkt und umfasst auch eine lineare Auftragung entlang kartesicher Koordinaten (siehe die Ansprüche 11 und 12). In der Beschreibung wird selbst bei einer kreisförmigen Darstellung die mittige Anordnung der Tiere mit hoher Milchleistung nur als eine bevorzugte Ausführungsform offenbart (Absatz 37: "vorzugsweise radial weiter innen"). Daher ist Anspruch 1 entgegen der Sichtweise der Beschwerdeführerin auch im Lichte der Beschreibung nicht auf eine Darstellung der Tiere mit hoher Milchleistung im Inneren eines Kreises beschränkt. Stattdessen umfasst der Anspruch jegliche Auftragung der Tiere entsprechend ihrer Milchleistung.

Eine Auftragung entsprechend der Milchleistung ist bereits aus D5 bekannt. Dort werden die Kühe, deren Markierelement die Linie 16 überschritten hat, bis zur Geburt des Kalbes trocken gestellt. Das Streitpatent bestätigt, dass ein Trockenstellen bei nachlassender Milchleistung erfolgt (Absatz 53). Daher weisen die Tiere, deren Markierelement sich zwischen der Linie 16 für das Trockenstellen und der Linie 8 für die Geburt befindet, eine geringere Milchleistung auf als die übrigen Tiere. Folglich werden die Tiere entsprechend ihrer Milchleistung aufgetragen.

5.3.4 Da die zusätzlichen Merkmale von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 7 bereits aus D5 bekannt sind, bleibt im Vergleich zu Hilfsantrag 5 die Basis für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz unverändert. Es ist daher von vornherein fraglich, ob der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 7 auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

5.4 Somit werden vom Hilfsantrag 7 Fragen unter Artikel 56 EPÜ aufgeworfen, die dazu führen, dass der geänderte Anspruch nicht mehr eindeutig und offensichtlich gewährbar im obigen Sinne ist. Folglich kommt eine Zulassung für die Kammer nicht in Betracht. Daher entschied die Kammer in Ausübung ihres Ermessens, den Hilfsantrags 7 nicht ins Verfahren zuzulassen (Artikel 13(3) VOBK).

6. Weder der Hauptantrag noch die Hilfsanträge 3 und 5 sind gewährbar, da Anspruch 1 dieser Anträge gegenüber D5 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, Artikel 56 EPÜ. Der Hilfsantrag 7 wurde nicht in das Verfahren zugelassen. Somit hat keiner der Anträge der Beschwerdeführerin Erfolg, und folglich ist ihre Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen

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