T 0525/14 () of 11.4.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T052514.20180411
Datum der Entscheidung: 11 April 2018
Aktenzeichen: T 0525/14
Anmeldenummer: 05026658.4
IPC-Klasse: G09B 21/00
G06F 3/01
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Verbessern der Sehfähigkeit einer sehbehinderten Person und Sehhilfe
Name des Anmelders: Carl Zeiss AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 05 026 658.4 wegen mangelnder erfinderischen Tätigkeit zurückzuweisen.

II. Die Beschwerdeführerin beantragte zunächst, die angefochtene Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein europäisches Patent auf Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1-3, die mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden, zu erteilen. Die Anträge entsprachen den Anträgen, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen.

III. Nach der vorläufigen Meinung der Kammer, die der Beschwerdeführerin mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt wurde, erfüllte der Hilfsantrag 2 die Erfordernisse des Artikels 52 (1) EPÜ. Daraufhin nahm die Beschwerdeführerin den Hauptantrag und Hilfsantrag 1 zurück. Hilfsantrag 2 wurde zum neuen Hauptantrag erklärt. Anschließend setzte die Kammer den Termin zur mündlichen Verhandlung ab.

IV. Es wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:

D1: US 6 084 556 A;

D2: WO 00/64140 A1.

V. Die Beschwerdeführerin beantragt die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein europäisches Patent mit den folgenden Dokumenten zu erteilen:

Hauptantrag (ehemaliger Hilfsantrag 2)

Ansprüche 1-15, bezeichnet "Hilfsantrag 2", eingereicht mit der Beschwerdebegründung;

Beschreibung:

Seiten 1-12, eingereicht mit Schreiben vom 20. März 2018;

Seiten 13-26 in der ursprünglichen Fassung;

Zeichnungen: Blätter 1/3-3/3 in der ursprünglichen Fassung;

oder

Hilfsantrag

Ansprüche 1-12, bezeichnet "Hilfsantrag 3", eingereicht mit der Beschwerdebegründung;

Beschreibung:

Seiten 1-12, eingereicht mit der Beschwerdebegründung;

Seiten 13-26 in der ursprünglichen Fassung;

Zeichnungen: Blätter 1/3-3/3 in der ursprünglichen Fassung.

VI. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

Sehhilfe für sehbehinderte Personen (10), mit einem ein Bild (60, 70) aufnehmenden Bildaufnahmegerät, mit einem an das Bildaufnahmegerät angeschlossenen Bildspeicher (40) und mit einem an den Bildspeicher (40) angeschlossenen, am Kopf (12) der Person (10) getragenen Bildwiedergabegerät (26), wobei der Bildspeicher (40) in einem Aufnahmemodus und in einem Wiedergabemodus betreibbar ist, wobei in dem Aufnahmemodus mittels des Bildaufnahmegerätes ein Bild (60, 70) aufgenommen und in einem Bildspeicher (40) abgelegt und in dem Wiedergabemodus das modifizierte Bild an das Bildwiedergabegerät (26) weitergeleitet wird, und wobei ein manuelles Eingabegerät (72) zum Aufrufen des Wiedergabemodus in einem einstellbaren zeitlichen Abstand von dem Aufnahmemodus vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Sehhilfe (10) derart ausgebildet ist, dass bei der Aufnahme eines in Zeilen (80) wiedergegebenen Textes (61, 71) der Text (61, 71) im Aufnahmemodus zeilenweise in den Bildspeicher (40) eingelesen und dabei in Zeilenrichtung (84) ausgerichtet wird, und dass erste Mittel vorgesehen sind, um in dem Aufnahmemodus zunächst eine Mehrzahl von Einzelbildern (100 - 108) eines Gesamtbildes (110) aufzunehmen und alsdann ein Gesamtbild (110) aus den Einzelbildern (100 - 108) elektronisch zusammenzusetzen, wobei das Bildaufnahmegerät eine Kamera (54) ist, und wobei die Kamera (54) am Kopf (12) der Person (10) befestigt ist, wobei mindestens ein Sensor (22a, 22b) zum Erfassen von Bewegungen (23a, 23b) des Kopfes (12) vorgesehen ist, und dass der Sensor (22a, 22b) an den Bildspeicher (40) angeschlossen ist, derart, dass ein im Bildspeicher (40) gespeichertes Bild in Abhängigkeit von den Bewegungen (23a, 23b) modifiziert und an das Bildwiedergabegerät (26) weitergeleitet wird, und wobei Mittel zum Kompensieren von Zitterbewegungen des Kopfes (12) vorgesehen sind, wobei das vom Kopf (12) der Person (10) getragene Bildaufnahmegerät den mindestens ein Sensor (22a, 22b) zum Erfassen von Bewegungen (23a, 23b) ausbildet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag

2.1 Das Dokument D1 wurde im Prüfungsverfahren als nächstliegender Stand der Technik angesehen. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass D1 den Oberbegriff des unabhängigen Anspruchs 1 offenbart.

D1 offenbart somit eine Sehhilfe (Figuren 2 und 6) für sehbehinderte Personen (Spalte 1, Zeilen 13-16), mit einem ein Bild aufnehmenden Bildaufnahmegerät (camera 62, Figur 6, Spalte 16, Zeile 66 - Spalte 17, Zeile 5) mit einem an das Bildaufnahmegerät angeschlossenen Bildspeicher (implizit offenbart in Computer 12, Figuren 2 und 6) und mit einem an den Bildspeicher angeschlossenen, am Kopf der Person getragenen Bildwiedergabegerät (head display 26, Figur 2), wobei der Bildspeicher in einem Aufnahmemodus und in einem Wiedergabemodus betreibbar ist, wobei in dem Aufnahmemodus mittels des Bildaufnahmegerätes ein Bild aufgenommen und in einem Bildspeicher abgelegt und in dem Wiedergabemodus das modifizierte Bild an das Bildwiedergabegerät weitergeleitet wird (siehe Spalte 9, Zeile 37 - Spalte 10, Zeile 28 und Spalte 16, Zeile 66 - Spalte 17, Zeile 5), und wobei ein manuelles Eingabegerät zum Aufrufen des Wiedergabemodus in einem einstellbaren zeitlichen Abstand von dem Aufnahmemodus vorgesehen ist (Spalte 17, Zeilen 27-31).

Außerdem wird die Verwendung einer Kamera als Bildaufnahmegerät in D1 offenbart (siehe Spalte 17, Zeilen 1-3). Die Sehhilfe von D1 weist auch einen Sensor zum Erfassen der Kopfbewegungen des Nutzers auf, der die Wiedergabe eines gespeicherten Bildes steuert (head-tracker 28, siehe Spalte 9, Zeile 47 - Spalte 10, Zeile 28 und Figur 2).

2.2 Im Vergleich zur Sehhilfe von D1 weist die Sehhilfe gemäß Anspruch 1 die folgenden zusätzlichen Merkmale auf (Merkmalsnummerierung durch die Kammer):

i) bei der Aufnahme eines in Zeilen (80) wiedergegebenen Textes (61, 71) wird der Text (61, 71) im Aufnahmemodus zeilenweise in den Bildspeicher (40) eingelesen und dabei in Zeilenrichtung (84) ausgerichtet;

ii) sie umfasst erste Mittel, um in dem Aufnahmemodus eine Mehrzahl von Einzelbildern (100-108) eines Gesamtbildes (110) aufzunehmen und ein Gesamtbild (110) aus den Einzelnbildern (100-108) elektronisch zusammenzusetzen;

iii) die Kamera (54) ist am Kopf (12) der Person (10) befestigt;

iv) es sind Mittel zum Kompensieren von Zitterbewegungen des Kopfes (12) vorgesehen;

v) das vom Kopf (12) der Person (10) getragene Bildaufnahmegerät bildet den mindestens einen Sensor (22a, 22b) zum Erfassen vom Bewegungen (23a, 23b) aus.

2.3 Im Gegensatz zur Prüfungsabteilung meint die Beschwerdeführerin (siehe Seiten 9-11 der Beschwerdebegründung), diese Merkmale stellten zusammengenommen einen Synergieeffekt im Bereich der Sehhilfen bereit und seien nicht einzeln zu beurteilen (vgl. Entscheidung der Prüfungsabteilung, Punkte 10.2-10.7). Die objektive technische Aufgabe, die durch diese Merkmale gelöst werde, sei sehbehinderten Personen, bei denen ebenfalls eine starke motorische Einschränkung oder Behinderung vorliegt, eine verbesserte und vereinfachte Aufnahme zum Lesen von Text zu ermöglichen (Beschwerdebegründung, Seite 11, vorletzter Absatz).

Nach Auffassung der Kammer ist diese zu lösende technische Aufgabe zu breit formuliert. Die Sehhilfe der Anmeldung ist ein Gerät mit mehreren Teilen, die unterschiedliche Operationen ausführen (Text- und Bildaufnahme, -bearbeitung, -speicherung, -wiedergabe). Die durch die Beschwerdeführerin formulierte technische Aufgabe könnte lediglich als Endziel der Sehhilfe angesehen werden. Um dieses Endziel aber zu erreichen, sind mehrere, verschiedene technische Teilaufgaben bezüglich der Aufnahme, der Bearbeitung, der Speicherung und der Wiedergabe von Text bzw. Bild zu lösen. Die unterscheidenden Merkmale i)-v) können somit nicht als eine einzige Merkmalsgruppe beurteilt werden.

2.4 Manche Merkmale (i, ii, iv) beziehen sich auf voneinander unabhängige Teilaufgaben; die Kammer sieht dabei keine Zusammenwirkung dieser Merkmale untereinander oder mit den übrigen unterscheidenden Merkmalen.

2.5 Die Merkmale iii) und v) wirken dagegen zusammen, um ein kompaktes Gerät zu bauen. In der Sehhilfe des Anspruchs übernimmt die Kamera (als Bildaufnahmegerät) die Funktion des Sensors, der die Bewegungen des Kopfes des Benutzers erfasst und die Wiedergabe des gespeicherten Textes/Bildes steuert. Ein zusätzlicher Sensor ist daher nicht erforderlich.

Als die für den Fachmann zu lösende Aufgabe kann somit angesehen werden, die Sehhilfe von D1 in einer kompakten, einfachen Form auszuführen.

2.6 Eine Kamera, die sowohl als Bildaufnahmegerät als auch als Sensor zum Erfassen der Kopfbewegungen, der auch die Wiedergabe des gespeicherten Textes/Bildes steuert, funktioniert, wird in keinem der verfügbaren Dokumente des Stands der Technik offenbart.

2.7 In D1 wird ein Sensor zum Erfassen der Kopfbewegungen am Kopf des Benutzers befestigt (siehe Spalte 9, Zeilen 37-55 und Figur 2). Dieser Sensor wird in D1 ausführlich beschrieben und stellt das Hauptkonzept der Erfindung in D1 dar. Es kann offen bleiben, ob die Befestigung der Kamera am Kopf der Person im Rahmen der Offenbarung von D1 naheliegend wäre; selbst wenn man dies nämlich bejahte, ginge ein Ersatz des Sensors durch die Kamera und eine Integrierung seiner Funktionen in dieser Kamera gegen die Lehre der D1 und könnte daher nicht als für den Fachmann naheliegend betrachtet werden.

2.8 Das Ausführungsbeispiel in Figur 11 des Dokuments D2 umfasst eine Kamera (142), die am Kopf des Benutzers befestigt wird, aber keinen Sensor zum Erfassen der Kopfbewegungen. Die Wiedergabe des gespeicherten Bildes wird durch einen Kontroller (146) oder eine Schnittstelle (144) manuell gesteuert (siehe Seite 14, Zeilen 7-34). Der Fachmann würde somit D2 nicht in Betracht ziehen, um die gestellte technische Aufgabe zu lösen. Auch wenn er D1 mit D2 kombinieren würde, würde er nicht zu dem beanspruchten Gegenstand gelangen, da eine Kamera, die auch den Sensor zum Erfassen der Kopfbewegungen ausbildet, weder in D1 noch in D2 offenbart wird.

2.9 Es kann somit dahingestellt bleiben, inwieweit die Markmale i), ii) und iv) auch zur erfinderischen Tätigkeit beitragen würden.

2.10 Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ 1973. Ansprüche 2-15 sind von Anspruch 1 abhängig und ebenfalls erfinderisch.

3. Die Beschreibung wurde den geänderten Ansprüchen angepasst und in ihr das Dokument D1 als Stand der Technik aufgenommen (Seite 3), Regel 27 (1) b) EPÜ 1973.

4. Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass die Anmeldung und die Erfindung, die sie zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ und des EPÜ 1973 genügen. Ein europäisches Patent ist somit gemäß Artikel 97 (1) EPÜ zu erteilen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit den folgenden Dokumenten zu erteilen:

Ansprüche 1-15, bezeichnet "Hilfsantrag 2", eingereicht mit der Beschwerdebegründung;

Beschreibung:

Seiten 1-12, eingereicht mit Schreiben vom 20. März 2018;

Seiten 13-26 in der ursprünglichen Fassung;

Zeichnungen: Blätter 1/3-3/3 in der ursprünglichen Fassung;

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