T 0521/14 () of 11.1.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T052114.20180111
Datum der Entscheidung: 11 Januar 2018
Aktenzeichen: T 0521/14
Anmeldenummer: 05010421.5
IPC-Klasse: E04D 13/147
F16L 5/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Luftdichtungsmanschette
Name des Anmelders: Knauf Insulation GmbH
Name des Einsprechenden: Saint-Gobain Isover G+H AG
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 114(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgebrachte Beweismitteln und Argumentationslinie zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit hätten im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können/sollen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 30. Januar 2014, mit der der Einspruch gegen das Patent Nr. EP-B- 1 614 824 zurückgewiesen wurde.

Dabei stellte die Einspruchsabteilung insbesondere fest, dass die Vorrichtung nach Anspruch 1 des erteilten Patents die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllt.

II. Die Beschwerde wurde von der Einsprechenden (im Folgenden: Beschwerdeführerin) am 5. März 2014 eingelegt. Am selben Tag wurde die Beschwerdegebühr entrichtet.

Die Beschwerdebegründung ist am 23. Mai 2014 eingegangen.

III. Antragslage

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche einer der mit Schreiben vom 17. September 2014 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4 aufrechtzuerhalten.

IV. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents wie

erteilt hat folgenden Wortlaut:

"Luftdichtungsmanschette, insbesondere für Installationsdurchdringungen an Gebäuden wie Rohr- oder Leitungsdurchführungen, mit einer Dichtplane (2) zur Anlage an einer im Wesentlichen planen Fläche (12) und einem Dichtkragen (3), welcher um einen Durchgang (5) in der Dichtplane (2) angeordnet ist und von der Dichtplane (2) vorsteht, wobei sich ein erster Schlitz (7) von einem Rand der Dichtplane (2) zu dem Durchgang (5) und ein zweiter Schlitz (8) von einer offenen Stirnseite (9) des Dichtkragens (3) zu der anderen offenen Stirnseite (10) des Dichtkragens (3)

erstrecken und wobei Dichtplane (2) und Dichtkragen (3) derart aneinander festgelegt sind, dass der erste Schlitz (7) und der zweite Schlitz (8) einen gemeinsamen Schlitz (7, 8) bilden,

dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtplane (2) und der Dichtkragen (3) zweiteilig ausgebildet sind, und dass der Dichtkragen (3) in einem vorgegebenen Winkel schräg an der Dichtplane (2) angeordnet ist."

V. Zitierter Stand der Technik:

D1 DE 29911070 U1

D6 DE 19800115 A

D7 DE-19925623 A

D8 DE-29703352 U

VI. Die Beschwerdeführerin stützt sich im Wesentlichen auf folgende Argumente:

Die den nächstliegenden Stand der Technik darstellende Entgegenhaltung D1 offenbare nicht nur sämtliche Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Anspruchs 1, sondern auch das erste kennzeichnende Merkmal (Merkmal 9), dass die Dichtplane und der Dichtkragen zweiteilig ausgebildet sind.

Insbesondere erfülle der elastisch, einfach verformbare Ringabschnitt 2 von D1 (s. z.B. Seite 2, erste Zeile; Seite 4, letzter Absatz) das beanspruchte Merkmal 2a einer Dichtplane zur Anlage an einer im Wesentlichen planen Fläche.

Zudem sei an mehreren Stellen in D1, u.a. im abhängigen Anspruch 3, die einstückige Ausfertigung der die Dichtmanschette formenden Ring- und Zylinderabschnitte (2, 12) lediglich als bevorzugt und nicht als zwingend offenbart. Diese bevorzugte Ausführungsform betreffe allerdings einen einstückigen Verbund zweier funktionsunterschiedlicher Teile, nämlich einen Verbund eines Ringabschnitts, der an einer Wandfläche flächig anliegt, mit einem Zylinderabschnitt (12) für die Anlage an einem Rohr. Deswegen sei auch eine Form von "Zweistückigkeit" gegeben. Diese Betrachtungsweise sei durch das Urteil X ZR 198/01 des Bundesgerichtshofes in einer Gebrauchsmusterlöschungssache gestützt, wonach dem Begriff der "Einstückigkeit" eine breite Definition zuzumessen sei.

Unabhängig davon entnehme der Fachmann der Gesamtoffenbarung von D1, und insbesondere dem abhängigen Anspruch 3, dass die Abschnitte, im Gegensatz zu einer einstückigen Gestalt, auch "nicht einstückig" sein könnten, so dass das im Anspruch 3 definierte Merkmal "vorzugsweise einstückig", entsprechend geändert, wie folgt zu lesen sei:

(der zylindrische Zylinderabschnitt (12)), ...

"der nicht einstückig mit dem Ringabschnitt (2) ausgebildet ist und entlang dessen Innenkreis (6) mit diesem verbunden ist".

Demzufolge werde in D1 zweifellos eine Dichtmanschette implizit offenbart, welche aus zwei zusammen verbundenen Teilen, nämlich einem Ringabschnitt und einem Zylinderabschnitt, wie im Merkmal 9 des Anspruchs 1 des Streitpatents gefordert, bestehe.

Das einzige Unterscheidungsmerkmal 10 des Kennzeichens betreffe die schräge Winkelanordnung des Zylinderabschnitts mit dem Ringabschnitt.

In D1 sei das Ausführungsbeispiel auf einen Rohrdurchlass in einer Kellerwand, was eine 90° Winkelung entspreche, gerichtet. Es liege dem Fachmann selbstverständlich nahe, bei Anwendung der Lehre von D1 bei Rohrdurchgängen an einem Schrägdach den Zylinderabschnitt mit einem entsprechenden Winkel mit dem Ringabschnitt zu verbinden.

Sollte zusätzlich zum Merkmal 10 auch das Merkmal 9 eine Unterscheidung gegenüber D1 darstellen, so wären diese zwei Unterschiede zu D1 getrennt voneinander zu behandeln, da sie zwei funktionell völlig getrennte Maßnahmen, ohne jegliche synergetische Effekte, beträfen.

Der Fachmann erkenne bezüglich der einstückigen Gestalt der in D1 dargestellten Manschette das technische Problem, dass aufgrund des Flachdrückens des wellenförmig ausgebildeten Ringabschnitts und beim Überlappen dessen Randabschnitte (5a, 5b) mechanische Spannungskräfte an der Übergangsstelle von Ring- zum Zylinderabschnitt auftreten könnten, die auf Dauer die Verbindungsstelle beschädigen könnten.

Anhand seines allgemeinen Wissens bzw. durch die Lehre von z.B. D6 sei es für den Fachmann naheliegend, die Ring- und Zylinderabschnitte der Manschette von D1 als separate Teile zu fertigen und miteinander zu verbinden, so dass die durch die Verformung der Wellen beim Glätten entstehenden Spannungen aufgehoben werden könnten.

Zusammenfassend sei sowohl das Merkmal 9 als auch das Merkmal 10 des Kennzeichens des erteilten Anspruchs 1 jeweils an sich in naheliegender Weise für den Fachmann herleitbar.

Die beanspruchte Luftdichtungsmanschette gemäß dem Hauptantrag beruhe daher auf keiner erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

Die Angriffslinie der mangelnden erfinderischen Tätigkeit beruhend auf D6 oder D7 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit D1 oder D8 sei in das Verfahren zuzulassen.

D7 sei bereits im Verfahren, da die Einspruchsabteilung diese Entgegenhaltung in ihrer Entscheidung (dort allerdings als D6 nummeriert) bereits angesprochen habe. Außerdem habe sich die Relevanz dieser erstmals im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Argumentationslinie erst im Laufe des komplexen Verfahrens ergeben.

Die aus D7 bekannte Dichtmanschette stelle einen geeigneten Ausgangspunkt für die Analyse des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes dar, da D7 sämtliche Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Anspruchs 1, bis auf die Merkmale bezüglich der Schlitze, und auch das kennzeichnende Merkmal 9 offenbare.

Die beanspruchte Vorrichtung werde also prima facie durch die Zusammenschau von D7 mit D1 bzw. D8 nahegelegt.

VII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen wie folgt vorgetragen:

Die aus D1 nicht bekannten Unterscheidungsmerkmale 2a, 9 und 10 wirkten zusammen und lösten die objektive Aufgabe, eine einfach herstellbare und montierbare Luftdichtungsmanschette zu schaffen, die den jeweiligen Installationen einfach anzupassen sei. Der Fachmann habe ausgehend von D1 keine Anregung erhalten, die Manschette erfindungsgemäß zu gestalten, es sei denn in Vorkenntnis des Erfindungsgegenstands des Patents und mit rückschauender Betrachtung, zumal die herangezogenen Entgegenhaltungen D6 und D7 von einer geschlitzten Ausführung der Manschette sogar explizit abraten.

Die Angriffslinie ausgehend von D6 oder D7 sei nicht prima facie relevant und daher unberücksichtigt zu lassen.

VIII. Am Ende der am 11. Januar 2018 stattgefunden mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdekammer ihre Entscheidung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

1.1 Nächstliegender Stand der Technik D1

1.1.1 Es ist unbestritten, dass die Entgegenhaltung D1 fast sämtliche Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Anspruchs 1 des Streitpatents offenbart (siehe insbesondere Figuren 1 bis 5 und Anspruch 1).

Die Luftdichtungsmanschette gemäß D1 wird bei Installationsdurchdringungen an Gebäuden wie Rohr- oder Leitungsdurchführungen eingesetzt (Seite 5, erster Absatz). Die Manschette weist einen Ringabschnitt 2 zur Anlage an einer im Wesentlichen planen Fläche eines Mauerwerks M und einen als Dichtkragen vorgesehenen Zylinderabschnitt 12, welcher um einen Durchgang 6 in dem Ringabschnitt 2 angeordnet ist und von diesem vorsteht. Weiter umfasst die Manschette zwei Schlitze: einen ersten Schlitz (Trennlinie 3, Ränder 4a,4b), der sich vom äußeren Rand des Ringabschnitts 2 zu dem Durchgang 6 erstreckt, sowie einen zweiten Schlitz (Trennlinie 13, Ränder 14a,14b), der sich von einer offenen Stirnseite zu der anderen offenen Stirnseite des Dichtkragens/Ringabschnitts 12 erstreckt. Dabei sind die Ring- und Zylinderabschnitte (2,12) derart aneinander festgelegt, dass der erste Schlitz und der zweite Schlitz einen gemeinsamen Schlitz bilden.

1.1.2 Merkmal 2a: der Ringabschnitt ist eine Dichtplane

Der Fachmann versteht üblicher Weise unter dem Begriff der Dichtplane eine zum Schutz vor Wasser verwendete größere Abdeckung, im Handel erhältlich als Rollenmaterial bzw. Bahn- oder Meterware, die im Wesentlichen eben/auf einer planen Fläche liegen.

Die Kammer ist aufgrund folgender Überlegungen zum Ergebnis gelangt, dass das an sich in D1 nicht explizit offenbarte Merkmal "Dichtplane" als Herstellungsmaterial für den Ringabschnitt auch nicht implizit der Entgegenhaltung D1 entnehmbar ist.

Der Ringabschnitt 2 aus D1 ist als gewellter Rohling 1' hergestellt (siehe insbesondere Seite 2, letzter Absatz; Seite 5, dritter Absatz; Seite 6, vorletzter Absatz; Figur 3); die Wellenform des Ringabschnitts erfüllt den Zweck, einen flächigen Ringabschnitt mit einer Überlappung herstellen zu können, vgl. Seite 2, letzter Absatz, zweiter Satz.

Nach einer bevorzugten Ausführung umfasst der in Figur 5 dargestellte einstückige Rohling 1' sowohl den Ringabschnitt 2 als auch den Zylinderabschnitt 12 und wird in der gezeigten Form einem Werkzeug, z.B. einer Spritzgussform, entnommen, vgl. Seite 6, vorletzter Absatz.

Daraus ergibt sich keineswegs in eindeutiger Weise für den Fachmann, dass der Ringabschnitt 2 gemäß D1 aus einer Dichtplane hergestellt wird bzw. werden kann, eher ist das Gegenteil der Fall.

Somit ist das Merkmal 2a des Oberbegriffs gegenüber D1 neu.

1.1.3 Merkmal 9: die Dichtplane und der Dichtkragen sind zweiteilig ausgebildet,

Die Beschwerdeführerin verweist darauf, dass in D1 bspw. in Absatz 2 auf Seite 2 oder im Anspruch 3 angegeben ist, dass der Zylinderabschnitt 12 mit dem Ringabschnitt 2 lediglich "vorzugsweise einstückig" ausgebildet ist und argumentiert auf dieser Grundlage, dass somit der Gegensatz dazu implizit in D1 offenbart ist, nämlich den Zylinderabschnitt 12 nicht einstückig mit dem Ringabschnitt 2, entlang dessen Innenkreis 6, der mit diesem verbunden ist, auszubilden. Im Ergebnis wäre die Dichtungsmanschette dann automatisch zweiteilig.

Dem kann sich die Kammer aus folgenden Gründen nicht anschließen.

Dem an sich klaren Merkmal 9, dass die Dichtplane und der Dichtkragen zweiteilig ausgebildet sind, misst die Kammer die allgemeine, fachübliche und im Einklang mit der Gesamtoffenbarung des Streitpatents stehende Bedeutung zu, nämlich, dass die Dichtplane und der Dichtkragen jeweils als separate Bauteile hergestellt werden und anschließend zum Ausbilden der Luftdichtungsmanschette mit einander verbunden werden. Der Fachmann kann auch bei einer im Streitpatent als mögliche Verbindungsart zitierten Verschweißung beider Teile die ursprüngliche Zweiteiligkeit anhand der Schweißnaht erkennen.

Das von der Beschwerdeführerin zitierte BGH-Urteil betrifft eine einzelfallbezogene Auslegung eines technischen Begriffs, nämlich, dass "werkstoffeinstückig" bedeutet, dass zwei Teile aus ein und demselben Werkstoff bestehen, und schafft keine Präjudiz für den vorliegenden Fall.

Die Offenbarung "vorzugsweise einstückig" führt nicht zwangsläufig zur Lehre einer zweiteiligen Ausführungsform der Dichtungsmanschette und stellt somit keine unmittelbare und unzweideutige Offenbarung des Merkmals 9 des Anspruchs 1 ("zweistückig") dar. So kann eine "nicht einstückige" Ausbildung auch eine mehrstückige (dreistückige, vierstückige, usw.) Ausbildung sein; festzuhalten ist, dass D1 an keiner Stelle eine zweistückige Ausbildung erwähnt. Im Gegenteil, D1 offenbart im gesamten Dokument lediglich die einstückige Ausbildung der die Dichtungsmanschette bildenden Ring- und Zylinderabschnitte im Spritzgussverfahren, wenn auch als besonders bevorzugtes Ausführungsbeispiel (vgl. beispielsweise Seiten 5 und 6, jeweils der dritte Absatz). Darüber hinaus könnte eine Zweistückigkeit auch durch eine gänzlich andere Aufteilung hergestellt werden, z.B. in der Form von zwei senkrecht zur Ringebene spiegelbildlichen Ring-Zylinder-Hälften.

Die Kammer ist zudem der Auffassung, dass die Angabe auf Seite 4, vierter Absatz, keine Offenbarungsbasis dafür ist, dass die Dichtungsmanschette an den zitierten Trennlinien getrennt und zweiteilig ausgebildet werden kann, sondern vielmehr sich auf die im dritten Absatz angegebene Alternative bezieht, wonach der Zylinderteil weggelassen werden kann und folglich der Ringabschnitt an den sogenannten Trennlinien endet und die Dichtungsmanschette, wie in Figuren 2 und 3 dargestellt, allein bildet.

Außerdem würde der fachkundige Leser eine zweiteilige Ausführungsform nach dem Merkmal 9 in D1 nicht ohne Weiteres implizit mitlesen, da dies einen erheblichen Aufwand benötigen würde, um den wellenförmigen Ringabschnitt mit dem Zylinderabschnitt zu verbinden; hierzu enthält D1 auch keinen Hinweis.

Die Kammer gelangt somit zur Überzeugung, dass das Merkmal 9 des erteilten Anspruchs 1 aus D1 in weder expliziter noch impliziter Weise offenbart ist.

1.2 Der im erteilten Anspruch 1 definierte Gegenstand unterscheidet sich somit von D1 durch das Merkmal 2a) des Oberbegriffs und die kennzeichnenden Merkmale 9 und 10:

Merkmal 2a: der Ringabschnitt ist eine Dichtplane

Merkmal 9: die Dichtplane und der Dichtkragen sind zweiteilig ausgebildet,

Merkmal 10: der Dichtkragen ist in einem vorgegebenen Winkel schräg an der Dichtplane angeordnet.

1.3 Aufgabe

Ausgehend von D1 als dem nächstliegenden Stand der Technik und im Lichte der Merkmale, die nicht von D1 offenbart werden, stellt sich dem Fachmann die objektive technische Aufgabe, wie im Absatz [0006] des Streitpatents bereits definiert, eine einfach herstellbare und montierbare Luftdichtungsmanschette bereitzustellen, die den jeweiligen schon vor Ort vorhandenen Installationen einfach angepasst werden kann.

Diesbezüglich teilt die Kammer die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass die drei Unterscheidungsmerkmale 2a, 9 und 10 synergetisch zusammenwirken die Aufgabe lösen. Durch die Zweiteiligkeit kann der Ringabschnitt aus einer Dichtplane ausgeschnitten und mit einem Ringteil, der nach den jeweiligen Gegebenheiten des Einsatzbereiches aus unterschiedlichen Werkstoffen hergestellt werden kann, im angepassten Winkel verbunden werden.

Anders als von der Beschwerdeführerin vorgetragen stellen also die Merkmale 2a, 9 und 10 keine Aggregation von Einzelmaßnahmen dar, welche völlig unterschiedliche und getrennte Teilaufgaben betreffen würden.

1.4 D1 und das Fachwissen

Ausgehend von Dl hat der Fachmann keine Veranlassung, eine Dichtplane (Merkmal 2a) anstatt des wellenförmigen, bevorzugt im Spritzgussverfahren einstückig mit dem Zylinderabschnitt hergestellten Ringabschnitts 12 vorzusehen, den Ringabschnitt 2, bzw. die Dichtplane, und den Zylinderabschnitt 12 zweiteilig auszubilden (Merkmal 9) und dabei den Zylinderabschnitt 12 in einem vorgegebenen Winkel schräg an dem Ringabschnitt 2 anzuordnen (Merkmal 10).

Im Gegenteil, die Lehre der D1 würde den Fachmann sogar davon abhalten, eine Dichtplane anstelle des Ringabschnitts 2 vorzusehen. Der letzte Absatz auf Seite 2 der D1 lehrt dem Fachmann, dass es herstellungstechnisch schwierig ist, einen flächigen Ringabschnitt mit einer Überlappung herzustellen, und, dass dies aber dann möglich ist, wenn der Ringabschnitt beim Rohling wellenförmig ausgebildet wird. Des Weiteren heißt es im dritten Absatz auf Seite 5 der D1, dass sich die Überlappung aus flachen Werkstücken (wie beispielsweise Dachbahnen) im Bereich der Randabschnitte 5a, 5b des Ringabschnitts 2 nicht erzeugen lässt. D1 lehrt also explizit gegen das Vorsehen einer flächigen Dichtplane und für die Ausbildung des Ringabschnitts 2 als wellenförmiges, also dreidimensionales Strukturbauteil.

Ferner lehrt D1, vgl. Seite 1, fünfter Absatz, Seite 6, erster Absatz, als besonders vorteilhafte Herstellungsweise die einstückige Herstellung der Dichtungsmanschette im Spritzgussverfahren.

Der von D1 ausgehende Fachmann hat daher nicht nur keine Veranlassung, die Ring- und Zylinderabschnitte zweiteilig auszuführen. Vielmehr wird er durch die Lehre der D1 sogar von einer zweiteiligen Ausbildung abgehalten, da eine solche im Spritzgussverfahren aufwändiger und kostenintensiver wäre.

Hinsichtlich des Merkmals 10 ist zuerst festzuhalten, dass die Dichtungsmanschette wie in Figuren 1, 4 und 5 dargestellt, für Rohrdurchgänge durch senkrechte Maueroberflächen, z.B. Kellerwände (Seite 5, Zeile 1), gedacht ist; D1 befasst sich nicht explizit mit Rohrdurchgängen durch Dächer. Zudem würde der Fachmann der expliziten Lehre der D1 nicht ohne Weiteres eine Veranlassung entnehmen, den Ringabschnitt 2 und den Zylinderabschnitt 12 schräg zueinander anzuordnen, weil dann unterschiedliche winkelangepasste Spritzgusswerkzeuge bereitgestellt werden müssten, dies mit der Folge eines erheblichen Herstellungsaufwands bzw. höherer Kosten für die Herstellung unterschiedlicher Dichtungsmanschettentypen.

Ein derartiger Herstellungsaufwand würde von dem gesetzten Ziel einer einfach herzustellenden und montierbaren Manschette gänzlich wegführen.

Außerdem hätte der von D1 ausgehende Fachmann ganz andere Lösungsansätze, um die Dichtungsmanschette an verschiedene Rohrdurchgangswinkel anzupassen. Beispielsweise könnte er den Zylinderabschnitt mit einem balgförmigen Abschnitt versehen, so dass sich der Zylinderabschnitt an verschiedene Rohrdurchgangswinkel anpassen kann. Alternativ oder zusätzlich könnte der Fachmann flexibleres Material verwenden, mit ähnlichem Effekt.

Die schräge Anordnung von Dichtplane und Dichtkragen gemäß Merkmal 10 des erteilten Anspruchs 1 ist daher für den von D1 ausgehenden Fachmann nicht naheliegend.

Ausgehend von D1 und bei Heranziehen seines allgemeinen Wissensgelangt also der Fachmann, ohne Vorkenntnis des Erfindungsgegenstands, nicht in naheliegender Weise zur Luftdichtungsmanschette mit den Merkmalen des erteilten Anspruchs 1.

2. Argumentationslinie mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D6 oder D7 - Spätes Vorbringen

2.1 Dokument D6 wurde erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2013 vor der Einspruchsabteilung von der Beschwerdeführerin zum Nachweis des allgemeinen Fachwissens in Verbindung mit dem nächstliegenden Stand der Technik D1 herangezogen; ein Antrag zum Einführen der D6 wurde von der Beschwerdeführerin in der dortigen mündlichen Verhandlung jedoch nicht gestellt (siehe Niederschrift, Seite 2, vorletzter Absatz).

Was die Entgegenhaltung D7 betrifft, merkt die Kammer an, dass die Einspruchsabteilung in ihrem Bescheid vom 2. November 2011 in der Tat auf das Dokument D7 verwiesen hat, allerdings nicht als besonders relevanter Stand der Technik in der Frage der Patentfähigkeit, sondern lediglich zur Erläuterung darüber, was der Fachmann unter dem Begriff "Dichtplane" versteht.

2.2 Die Entgegenhaltungen D6/D7 und eine auf den in D6/D7 offenbarten Stand der Technik als Ausgangspunkt beruhende Argumentationslinie mangelnder erfinderischer Tätigkeit wurden von der Einsprechenden erstmals mit der Beschwerdebegründung, und daher verspätet, vorgebracht. Dabei wurde das ebenfalls erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Dokument D8 zum Nachweis mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D6 oder D7 als nächstliegendem Stand der Technik herangezogen.

2.3 Aufgrund folgender Einschätzung vertritt die Kammer die Auffassung, die Dokumente D6, D7 und D8 sowie den auf diese gestützten Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht zu berücksichtigen (Artikel 114 (2) EPÜ und Artikel 12 (4) VOBK).

2.3.1 Die Kammer verweist auf die gängige Rechtsprechung, dass ein im Patent zitiertes Dokument nicht automatisch Gegenstand des Einspruchsverfahrens bzw. des anschließenden Beschwerdeverfahrens ist.

Das Argument der Beschwerdeführerin, dass die hohe Relevanz von D6 aufgrund der Komplexität des Falles erst im Beschwerdeverfahren erkannt wurde und deswegen hierzu erst spät vorgetragen worden ist, kann die Kammer nicht überzeugen, zumal der Sachverhalt und die Debatten von Anfang an und unverändert den im erteilten Anspruch 1 definierten Gegenstand betrafen.

Im Ergebnis stellt die Kammer fest, dass kein objektiv nachvollziehbarer Grund vorliegt, weshalb die Entgegenhaltungen D6 bis D8 nicht bereits mit der Einspruchsbegründung eingeführt wurden.

2.3.2 Zudem gelangt die Kammer zum Ergebnis, dass keines der Dokumente D6 und D7 eine prima facie Relevanz als Ausgangspunkt bei der Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes aufweist, die eine verspätete Berücksichtigung rechtfertigen würde.

Die Dokumente D6 und D7 betreffen keinen gattungsgemäßen Gegenstand und lehren sogar ausdrücklich gegen geschlitzte Gummimanschetten, siehe z.B. Spalte 2, Zeile 13 bis Spalte 3, Zeile 65 der D6.

Die Druckschriften D6, D7 und auch D8 sind zwar in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents zitiert, jedoch nur zur Schilderung des unterschiedlich bekannten Stands der Technik, aber nicht als anerkannten nächstkommenden Stand der Technik.

Da weder D6 noch D7 eine geschlitzte Dichtmanschette offenbaren, erfüllen sie auch nicht sämtliche Kriterien des Oberbegriffs des erteilten Anspruchs 1, so dass dem Streitpatent keineswegs, nicht einmal in impliziter Weise, zu entnehmen ist, dass D6 und D7 laut Streitpatent den nächstkommenden Stand der Technik darstellten, insbesondere im Vergleich mit der Offenbarung der D1.

Der von D6 oder D7 ausgehende Fachmann würde daher nicht die Lehre von D1 in Betracht ziehen, da diese Dokumente Gummimanschetten betreffen, von denen sich D6 und D7 ausdrücklich abgrenzen. Insbesondere wäre der Fachmann durch die Lehre der D6 oder D7 daran gehindert, einen Schlitz in der Manschette vorzusehen, da gemäß D6 und D7 eine solche Schwachstelle gerade verhindert werden soll. Außerdem lehren weder D6 oder D7 noch Dl eine schräge Anordnung von Dichtplane und Dichtkragen, die durch eine zweiteilige Ausführung von Dichtplane und Dichtkragen besonders einfach zu realisieren ist.

Daher ist es nicht prima facie ersichtlich, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 durch eine Kombination von D6 oder D7 mit D1 ohne Weiteres herleitbar ist.

2.3.3 Die erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgebrachte Argumentationslinie ausgehend von D6 oder D7 zum Nachweis mangelnder erfinderischen Tätigkeit wird von der Kammer nach Ausüben ihres Ermessens gemäß Artikel 114 (2) EPÜ und Artikel 12 (4) VOBK in das Verfahren nicht zugelassen und bleibt somit unberücksichtigt.

3. Folglich gelangt die Kammer zur Entscheidung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht, wodurch sich eine Entscheidung über die gestellten Hilfsanträge erübrigt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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