European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T051514.20171130 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 30 November 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0515/14 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06019736.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | B65H 23/188 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
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Bezeichnung der Anmeldung: | Regelung der Bahnspannung einer Warenbahn | ||||||||
Name des Anmelders: | Bosch Rexroth Aktiengesellschaft | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Siemens Aktiengesellschaft | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Spät vorgebrachte Argumente - zugelassen (ja) Spät eingereichte Beweismittel - Beweismittel hätten bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden müssen (nicht zugelassen) Spät eingereichte Beweismittel - Beweismittel hätten bereits mit der Beschwerdebegründung vorgebracht werden müssen (nicht zugelassen) Neuheit (ja) Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Lösung (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent Nr. 1 790 601 in der gemäß dem Hauptantrag geänderten Fassung den Erfordernissen des Europäischen Patentübereinkommens genüge.
II. Der Einspruch der Beschwerdeführerin (Einsprechende) stützte sich auf die in Artikel 100 a) und b) EPÜ 1973 genannten Einspruchsgründe der fehlenden Neuheit, Artikel 54 EPÜ 1973 und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ 1973.
III. Am 30. November 2017 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
V. Die Beschwerdegegnerin beantragte:
- als Hauptantrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung des Patents mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass die in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer am 30. November 2017 vorgelegte Seite 3 der Beschreibung die in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 27. November 2013 vorgelegte Seite 3 der Beschreibung ersetzt;
- als Hilfsantrag 1, die Beschwerde zurückzuweisen;
- als Hilfsantrag 2, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen und der Beschwerdeführerin die dadurch entstehenden Kosten aufzuerlegen, falls die Druckschriften A1 bis A6 im Verfahren zugelassen werden;
- als Hilfsantrag 3, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geändertem Umfang auf Grundlage der Ansprüche 1 und 2, eingereicht mit Schreiben vom 6. Oktober 2014 als Hilfsantrag 1 aufrechtzuerhalten.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Verfahren zur Regelung der Bahnspannung einer mittels einer Transporteinrichtung (1) bewegten Warenbahn (2) mit einem Bahnspanungsregler [sic] (3) unter Bestimmung von Regelkreisparametern, wobei Antriebe der Transporteinrichtung (1) mittels einer virtuellen Leitachse gesteuert werden, wobei die Regelkreisparameter des Bahnspannungsreglers (3) gemäß einer als Funktion und/oder an mehreren Stützstellen vorgebbaren Kennlinie (50) in Abhängigkeit von einer Geschwindigkeit (54) der virtuellen Leitachse bestimmt werden,
wobei mit dem Bahnspannungsregler (3) eine PI-Regelung vorgenommen wird und als Regelkreisparameter der Proportional- und/oder der Integral-Anteil des PI-Reglers verwendet werden oder
wobei mit dem Bahnspannungsregler (3) eine PID-Regelung vorgenommen wird und als Regelkreisparameter der Proportional- und/oder der Integral- und/oder der Differential-Anteil des PID-Reglers verwendet werden."
VII. Im Beschwerdeverfahren wurde auf folgende Druckschriften Bezug genommen:
A1: DE 101 10 122 A1;
A2: EP 1 505 023 A2;
A3: DE 33 18 250 A1;
A4: DE 196 26 287 A1;
A5: DE 198 347 25 A1 (Priorität vom Patent E8);
A6: DE 102 01 993 A1;
A7: "Virtuelle Leitachsen in der Druckindustrie", Dr.Klaus Peters, "Antriebs Praxis", Ausgabe 04/2006, Seiten 52 bis 54 (nach dem Prioritätsdatum des Streitpatents veröffentlicht);
E1: EP 0 933 201 A1;
E8: EP 0 976 674 A1 (im Einspruchsverfahren auch als D1 bezeichnet);
D3: "Siemens Standardprojektierung Achswickler SPW420 für Technologiebaugruppe T400 - SIMADYN D Handbuch", Ausgabe 05.01, Bestellnummer 6DD1903-0AA0,(243 Seiten);
D5: "Siemens SIMOVERT MASTERDRIVES Motion Control Kompendium", Ausgabe AD für den Gerätesoftware-stand V1.4 mit den Inhalten bis zum Jahr 2000, Bestellnummer 6SE7080-0QX80 (1064 Seiten);
D7: "Siemens SIMOVERT MASTERDRIVES Motion Control Kompendium", Ausgabe AE 05.2006, Bestellnummer 6SE7080-0QX70 (1515 Seiten).
N1: Bildschirmausdruck vom Internetaufruf der Siemens-Support Homepage https://support-industrv.siemens.com/cs/document/8793576/benutzerhandbuch-t400 achswickler?dti=Q&lc=de-WW (aufgerufen am 23. November 2017;
N2: Lieferschein für MLFB (Maschinenlesbare Fabrikatebezeichnung) 6DD1903-0AB0 mit WA-Datum (Warenausgangsdatum) vom 7. Juni 2002 an die Siemens Factory Automation in Beijing;
N3: Auszug aus der Lieferliste des Jahres 1999 für MLFB 6SE7080-0QX50 mit WA-Datum 9. Juli 1999;
N4: Bildschirmausdruck zum Siemens-internen PLM Prozess des Handbuchs (Nr. 6SE7080-0QX50) inklusive des PM300 (Versandfreigabe) vom 1. Oktober 1998;
N5: Auszug aus der Lieferliste für MLFB 6SE7080-0QX70 mit Bestellungen aus 2003, 2004 und 2005 und z.B. ein WA-Datum vom 18. März 2003;
N6: Auftrag eines Kunden mit Auftragsposition Nr. 11 6SE7080-0QX70 und dem Lieferschein WA-Datum 5. Januar 2004.
P1: Präsentationsunterlagen "Reduktion von durch Rollenwechsel verursachten Registerfehlern", VDD-Seminarvortrag, IDD TU-Darmstadt, Dr. Mario Göb, Dr. Stephan Schultze, Bosch Rexroth AG, 22. Juni 2017.
VIII. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Eingaben A1 bis A6 und N1 bis N6
Die Zweifel am Veröffentlichungsdatum der Handbücher D3, D5 und D7 wurden erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung geäußert. Dieser Umstand habe eine Zusatzrecherche veranlasst, aus der die Druckschriften A1 bis A7 hervorgingen, welche mit der Beschwerdebegründung vorgelegt wurden. Diese Druckschriften seien relevant und seien zum Verfahren zuzulassen.
Die Unterlagen N1 bis N6 sind nicht umfangreich und bestehen aus Bildschirm- und Datenbankausdrucken zu der Auslieferung der Handbücher D3, D5 und D7 an Kunden. Es sei schwierig, solche Unterlagen innerhalb einer großen Organisation wie der der Beschwerdeführerin zu beschaffen. An Hand der Kodierungen und Artikelnummern lasse sich belegen, dass die Handbücher D3, D5 und D7 vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents an Kunden ausgeliefert wurden, so dass die Handbücher D3, D5 und D7 zum Stand der Technik nach Artikel 54(2) EPÜ 1973 gehören. Die Unterlagen N1 bis N6 seien zum Verfahren zuzulassen.
Unzulässige Erweiterung
Diese Einwand wurde rechtzeitig einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vorgebracht und die Einspruchsentscheidung befasse sich bereits mit diesem Einspruchsgrund. Der Einwand der unzulässige Erweiterung sei zum Verfahren zuzulassen.
Das strittige Merkmal des Anspruchs 1, dass die Regelkreisparameter [...] in Abhängigkeit von einer Geschwindigkeit der virtuellen Leitachse bestimmt werden, bilde eine Zwischenverallgemeinerung. Die Abhängigkeit von der Geschwindigkeit sei ursprünglich nur in den Absätzen [0015] und [0016] und entsprechenden ursprünglichen abhängigen Ansprüchen 6 und 7 der veröffentlichten Fassung der Anmeldung in Kombination mit weiteren Merkmalen (hyperbolische Kennlinie, respektive stückweise aus Funktionen zusammengesetzte Kennlinie) offenbart worden. Die Auffassung der Einspruchsabteilung, dass das der Begriff "vorteilhaft" (im Satz "Daher ist es vorteilhaft, wenn die Regelkreisparameter gemäß einer hyperbolischen Kennlinie in Abhängigkeit von der Leitachsgeschwindigkeit der Warenbahn bestimmt werden", Absatz [0015]) derart zu lesen wäre, dass eigentlich eine allgemeinere Abhängigkeit ausgedrückt werden sollte, könne nicht zugestimmt werden. Absatz [0015] offenbare nur die Kombination mit einer hyperbolische Kennlinie und beziehe sich zudem nicht auf eine virtuelle Leitachse. Absatz [0014] bilde eine getrennte Offenbarung der zwei Alternativen für die Leitachse und sei nicht in Kombination mit der Absätzen [0015] und [0016] zu lesen: Die Absätze [0017] und [0018] offenbarten, dass die Regelkreisparameter auch von anderen Faktoren als der Geschwindigkeit der Leitachse abhängig sein könnten. Absatz [0014] mache zudem keine Aussagen zur Geschwindigkeit der Leitachse. Absatz [0034] beschreibe nur eine ganz bestimmte Kennlinie für die P-Verstärkung gemäß dem Ausführungsbeispiel der Figur 2 und bilde keine Grundlage für das strittige Merkmal des Anspruchs 1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei unzulässig erweitert worden.
Artikel 100 b) EPÜ 1973
Das Ausführungsbeispiel offenbare nur eine Kennlinie für die P-Verstärkung - im Anspruch Proportional-Anteil genannt. Der Fachmann wisse nicht, wie der Integral- bzw. der Differential-Anteil umgesetzt werden sollen. Der Differential-Anteil werde aus dem Verlauf der zu regelnden Größe selbst erstellt. Somit sei die geforderte Ermittlung des Differential-Anteils nicht ausführbar. Somit sei dem Fachmann nicht klar, wie die Stabilität erreicht werde, bzw. wie der Integral-Anteil bestimmt werde. Es seien zahlreiche Experimente notwendig. Das übliche Fachwissen trage nicht zum Verständnis der technischen Lehre aus Patentanspruch 1 bei. Das Ausführungsbeispiel der Figur 2 sei unklar, weil keine konkreten Werte offenbart werden, so dass der Fachmann nicht wisse, wo er ansetzen solle. Der Fachmann bekäme auch keine Lehre zu den "Funktionen". Es sei dem Fachmann daher nicht möglich ohne erfinderisches Zutun, die technische Lehre des Anspruchs 1 auszuführen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht Ausführbar.
Artikel 100 a) EPÜ 1973 - Neuheit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu gegenüber der Druckschrift E8 (Anschnitte [0001], [0013], [0016], [0026], [0030] bis [0032], Figur 5). Das Merkmal der virtuellen Leitachse sei zwar in der Druckschrift E8 namentlich nicht genannt, jedoch sei das genannte BUS-System (SERCOS-Bussystem) für den Fachmann ein Hinweis auf den Einsatz einer virtuellen Leitachse.
Zulassung des Einwands der fehlenden erfinderischen Tätigkeit ausgehend vom Handbuch D3
Die Beschwerdebegründung verweise auf das Handbuch D3 und auf die Argumentation aus dem Einspruchsschriftsatz. Die relevanten Passagen des Handbuchs D3 (Seite 11, Abschnitt 1.3; Seite 175 und Seite 42, Bild 3-4) seien überschaubar. Die Einspruchsentscheidung befasse sich mit der Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgehend vom Handbuch D3 im Abschnitt 2.2.5.2. Der Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit ausgehend vom Handbuch D3 solle zum Verfahren zugelassen werden.
Artikel 100 a) EPÜ 1973 - erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift E8 mit Fachwissen
Die Druckschrift E8 bilde den nächstliegenden Stand der Technik. Das Merkmal der virtuellen Leitachse sei in der Druckschrift E8 nicht genannt. Der Einsatz einer virtuellen Leitachse im Bereich Druckmaschinen sei im Wissenstand des Fachmanns enthalten. PI- und PID-Regler seien technisch stark verwandt. Somit offenbare die explizite Nennung eines PI-Reglers in der Druckschrift E8 ebenfalls einen PID-Regler und umgekehrt.
Die Verwendung einer virtuellen Leitachse entspräche einer separaten Aufgabe, die unabhängig ist von der, die Parameter der PI- bzw. PID-Regler für eine bessere Bahnzugregelung einzustellen. Die Vorteile einer virtuellen Leitachse bezüglich Genauigkeit seien dem Fachmann bekannt (siehe, z.B. das Handbuch D5, Seite 8.3-19, Blatt 832, Seiten 9.12 und 9.72). Das Handbuch D5 sei zum Verfahren zuzulassen.
Es sei für den Fachmann ebenfalls offensichtlich, Verbesserungsmöglichkeiten für die Bahnzugregelung zu suchen. Im Streitpatent sei als Stand der Technik anerkannt, dass die Geschwindigkeitsabhängigkeit durch eine adaptive Kennlinie des P-Anteils des Reglers modelliert werden könne (Spalte 1, Absatz [0004], Zeilen 44 bis 46). Es gebe keinen Grund diese Aussage bezüglich des Standes der Technik anzuzweifeln. Der VDD Vortrag P1 offenbare zudem, dass der Erfinder des Streitpatents anerkennt, dass im Kontext des Bahnzugs eine geschwindigkeitsabhängige Kp-Adaption bereits seit 1998 bekannt sei (Vortrag P1, Seite 9). Der Vortrag P1 sei relevant und solle zum Verfahren zugelassen werden. Somit ist auch das Merkmal der geschwindigkeitsabhängigen Regelparameter für den Fachmann offensichtlich. Wenn eine virtuelle Leitachse verwendet werde, sei es für den Fachmann weiter offensichtlich deren Geschwindigkeit zur Bestimmung der Regelparameter zu verwenden.
Somit beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderisch Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift E8 in Kombination mit dem Fachwissen.
Druckschriften D3, D5 und D7
Die auf diesen Druckschriften beruhenden Einwände wurden im Einspruchsverfahren ausreichend substanziiert. Es wurden Fundstellen angegeben aus denen Merkmale des Anspruchs hervorgehen. Die Argumentation aus dem Einspruchsschriftsatz werde aufrechterhalten.
IX. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Eingaben A1 bis A6 und N1 bis N6
Das späte vorbringen der Druckschriften A1 bis A7 sei keine Reaktion auf die in der Einspruchsentscheidung ausgedrückten Zweifel, ob die Handbücher D3, D5 und D7 zum Stand der Technik gehörten: Die Druckschriften A1 bis A7 hätten inhaltlich nichts mit den Handbüchern D3, D5 und D7 zu tun. Stattdessen wären Belege für die Veröffentlichung der Handbücher D3, D5 und D7 mit der Beschwerdebegründung vorzubringen gewesen. Die Druckschriften A1 bis A7 seien nicht prima facie relevant. Die Druckschriften seien nicht zum Verfahren zuzulassen.
Die Unterlagen N1 bis N6 erreichten die Beschwerdegegnerin erst vier Tage vor der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer und seien unverständlich. Dies sei der Beschwerdegegnerin nicht zuzumuten. Die Unterlagen hätten bereits mit der Beschwerdebegründung vorgelegt werden können. Die Unterlagen N1 bis N6 seien nicht zum Verfahren zuzulassen.
Unzulässige Erweiterung
Dieser Einwand wurde erst einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vorgebracht und sei nicht im von der Beschwerdebegründung definierten Beschwerdeumfang enthalten. Dieser spät vorgebrachte Einwand sei nicht zum Verfahren zuzulassen.
Die im Absatz [0014] offenbarten Alternativen für die Leitachse gelten auch für die nachfolgenden Absätze der Beschreibung des Streitpatents. Absatz [0014] offenbare auch, dass die Regelparameter auf die jeweilige Leitachse bezogen seien. Dies gelte auch für die nachfolgenden Absätze [0015] und [0016] mit spezifischeren Ausgestaltungsformen der Kennlinie. Laut Oberbegriff des Anspruchs 1 werden die Regelkreisparameter des Bahnspannungsreglers allgemein gemäß einer als Funktion und/oder an einer durch mehrere Stützstellen vorgebbaren Kennlinie bestimmt. Das strittige Merkmal müsse nicht wörtlich vorliegen, wenn der Fachmann es aus der Gesamtheit der Anmeldung entnehmen könne. Anspruchs 1 enthalte keine unzulässige Erweiterung.
Artikel 100 b) EPÜ 1973
Der Fachmann sei mit PI- und PID-Reglern allgemein vertraut und sei in der Lage, die Regelkreisparameter Proportional-Anteil, Integral-Anteil und Differenzial-Anteil eines PID-Reglers anzugeben und routinemäßig entsprechend der Anwendung zu bestimmen. Der Fachmann wisse auch, dass unterschiedliche Begriffe verwendet werden und dass Proportional-Anteil und P-Verstärkung Synonyme seien. Der Fachmann sei auch in der Lage, geeignete geschwindigkeitsabhängige Regelkreisparameter vorzugeben. Im Ausführungsbeispiel werde dies beispielhaft an Hand des Proportional-Anteils (P-Verstärkung) offenbart. Konkrete Zahlenwerte seien von der konkreten Ausführung der zu regelnden Anlage abhängig und seien von Anlage zu Anlage verschieden. Einen auf einer der üblichen Weisen ermittelten Regelkreisparameter von der Geschwindigkeit einer virtuellen Leitachse abhängig zu gestalten, stelle somit keine Schwierigkeit für den Fachmann dar. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei ausführbar.
Artikel 100 a) EPÜ 1973 - Neuheit
Die Beschwerdeführerin setze sich nicht mit der Einspruchsentscheidung auseinander und zitiere stattdessen nur einige Abschnitte der Druckschrift E8. Diese Ausführungen der Beschwerdeführerin stellen keinen eine Beschwerdebegründung darstellenden Vortrag dar. Mangels Nachvollziehbarkeit sei der Vortrag zur Druckschrift E8 nicht zu berücksichtigen. Unabhängig davon zeige die Druckschrift E8 zumindest nicht die Merkmale,
- dass die Antriebe der Transporteinrichtung mittels einer virtuellen Leitachse gesteuert werden,
- dass die Regelkreisparameter des Bahnspannungsreglers gemäß einer als Funktion und/oder an mehreren Stützstellen vorgebbaren Kennlinie in Abhängigkeit von einer Geschwindigkeit der virtuellen Leitachse bestimmt werden,
- dass mit dem Bahnspannungsregler eine PI-Regelung vorgenommen werde und als Regelkreisparameter der Proportional- und/oder der Integral-Anteil des PI-Reglers verwendet werden oder
- dass mit dem Bahnspannungsregler eine PID-Regelung vorgenommen werde und als Regelkreisparameter der Proportional- und/oder der Integral- und/oder der Differential-Anteil des PID-Reglers verwendet werden.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher neu.
Zulassung des Einwands der fehlenden erfinderischen Tätigkeit ausgehend vom Handbuch D3
Der allgemeine Verweis in der Beschwerdebegründung auf die Handbücher D3, D5 und D7 und auf die Argumentation aus dem Einspruchsschriftsatz entspreche nicht den Anforderungen einer Beschwerdebegründung nach Artikel 12(2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK). Der konkrete Einwand der fehlenden erfinderische Tätigkeit ausgehend vom Handbuch D3 unter Verweis auf verteilte Stellen sei erst während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgebracht worden. Dieser Einwand sei nicht Teil des Beschwerdeumfangs, weil er nicht in der Beschwerdebegründung vorgetragen wurde. Dieser Einwand sei der Beschwerdegegnerin auch nicht mehr zuzumuten, weil sie dazu ein Fachmann befragen müsste. Die Substanziierung der Veröffentlichung der Handbücher D3, D5 und D7 sei zwar mangelhaft, aber die Lebenserfahrung zeige, dass derartige Handbücher veröffentlicht werden, so dass keine Zweifel mehr an der Veröffentlichung der Handbücher vor dem Prioritätstag des Streitpatents bestünden. Der Einwand der fehlenden erfinderische Tätigkeit ausgehend vom Handbuch D3 solle zum Verfahren nicht zugelassen werden.
Artikel 100 a) EPÜ - erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift E8 mit Fachwissen
Der durch die Erfindung erreichte Vorteil entspräche der Aufgabe, mit einfachen Mitteln die Regelung der Bahnspannung zu optimieren. Die sich von der Druckschrift E8 unterscheidenden Lösung bestehe darin, die Regelkreisparameter des Bahnspannungsreglers in Abhängigkeit von einer Geschwindigkeit der Leitachse zu bestimmen, so dass die Regelung bei unterschiedlichen Betriebszuständen optimal sei. Mit dem Einsatz einer virtuellen Leitachse ergebe sich die Möglichkeit, die Regelkreisparameter in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit dieser genaueren virtuellen Leitachse zu bestimmen, was mit einfachen Mitteln die Regelung der Bahnspannung weiter optimiere. Die Beschwerdeführerin habe nicht dargelegt, warum die Aufgabe mittels einer Anpassung der Regelkreisparameter in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit zu erreichen sei und warum zusätzlich dabei eine virtuellen Leitachse, bzw. die Geschwindigkeit der virtuellen Leitachse zu verwenden sei. Der Fachmann hätte andere Möglichkeiten gehabt, die Aufgabe anzugehen. Die Argumentation der Beschwerdeführerin beruhe auf einer rückschauenden Betrachtungsweise. In der Druckschrift E8 seien nicht erwähnt:
- die Regelkreisparameter,
- deren Abhängigkeit von der Geschwindigkeit und
- dass es sich dabei um die Geschwindigkeit der virtuellen Leitachse handele.
Es wurde nicht nachgewiesen, dass die voranstehenden neuheitsgebenden Merkmale dem Fachmann nahegelegt seien. Es gebe keine Veranlassung, für den Fachmann zur Lösung der Aufgabe diese Merkmale zu Kombinieren.
Der Text Spalte 1, Zeilen 44 bis 46 des Streitpatents sowie die persönliche Meinung des Erfinders in den Präsentationsunterlagen P1 sei lediglich interner Stand der Technik, welcher nicht öffentlich sei. Die erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgebrachten Präsentationsunterlagen P1 seien zum Verfahren nicht zuzulassen. Auch das Handbuch D5 sei zum Verfahren nicht zuzulassen. Es werde nicht mehr bestritten, dass der Fachmann für Druckmaschinen mit virtuellen Leitachsen vertraut sei.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Druckschriften D3, D5 und D7
Der Vortrag der Beschwerdeführerin sei nicht ausreichend substanziiert und daher nicht zu berücksichtigen. Ein pauschaler Verweis auf das erstinstanzliche Vorbringen ("Daher wird die Argumentation aus dem Einspruchsschriftsatz weiterhin aufrecht erhalten") könne dies nicht ersetzen.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Unterlagen N1 bis N6
1.1 Nach Artikel 13(1) VOBK liegt es im Ermessen der Kammer, ob spät vorgebrachte Änderungen des Vortrags einer Partei zum Verfahren zugelassen werden. Gemäß Artikel 13(3) VOBK werden Änderungen des Vorbringens nicht zugelassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist.
1.2 Die Unterlagen N1 bis N6 wurden erst mit dem Schreiben vom 23. November 2017 eingereicht als Beleg für die Veröffentlichung der Handbücher D3, D5 und D7 vor dem Prioritätstag des Streitpatents.
1.3 Die Unterlagen N1 bis N6 sind erst eine Woche vor der Verhandlung vor der Kammer eingereicht worden, bestehen aus Bildschirm- und Datenbankausdrucken zu der Auslieferung der Handbücher D3, D5 und D7 an Kunden und sind nicht unmittelbar verständlich, da sie sich nur via Kodierungen und Artikelnummern entziffern lassen. Die Berücksichtigung dieser Unterlagen in der mündlichen Verhandlung ist der Beschwerdegegnerin deshalb nicht zumutbar.
1.4 Mit den in der Einspruchsentscheidung ausgedrückten Zweifeln, ob die Handbücher D3, D5 und D7 zum Stand der Technik (Artikel 54 EPÜ 1973) gehören (Einspruchsentscheidung, Seite 14, letzter Absatz) bestand bereits ein Anlass für die Beschwerdeführerin die Unterlagen N1 bis N6 mit der Beschwerdebegründung einzureichen, was aber nicht geschehen ist.
1.5 Die Beschwerdegegnerin räumte im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer ein, dass sie keine Zweifel mehr an der Veröffentlichung der Handbücher vor dem Prioritätstag des Streitpatents habe. Die Unterlagen N1 bis N6 sind damit nicht mehr entscheidungsrelevant.
1.6 Die Kammer lässt aus den voranstehenden Gründen die Unterlagen N1 bis N6 zum Verfahren nicht zu (Artikel 13(1) und 13(3) VOBK).
2. Zulässigkeit der Druckschriften A1 bis A7
2.1 Nach Artikel 12(4) VOBK hat die Kammer die Befugnis Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.
2.2 Die in der Einspruchsentscheidung ausgedrückten Zweifel, ob die Handbücher D3, D5 und D7 zum Stand der Technik (Artikel 54 EPÜ 1973) gehören (Einspruchsentscheidung, Seite 14, letzter Absatz) ist keine Rechtfertigung dafür, dass die Beschwerdeführerin weiteren Stand der Technik in Form der Druckschriften A1 bis A7 im Beschwerdeverfahren einreicht. Stattdessen wäre dafür die rechtzeitige Vorlage von Belegen für die Veröffentlichung der Handbücher D3, D5 und D7 erforderlich gewesen. Die Druckschriften A1 bis A7 haben zudem inhaltlich nichts mit dem Inhalt der Handbücher D3, D5 und D7 zu tun.
2.3 Darüber hinaus bestand zumindest schon durch die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor Einspruchsabteilung geäußerte negative vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung bereits eine Veranlassung für die Beschwerdeführerin gegebenenfalls derartige Druckschriften bereits im Einspruchverfahren vorzubringen. Es gibt somit keine angemessene Rechtfertigung die Druckschriften A1 bis A7 erst im Beschwerdeverfahren vorzulegen.
2.4 Die Kammer lässt aus den voranstehenden Gründen die Druckschriften A1 bis A7 nicht zum Verfahren zu (Artikel 12(4) VOBK).
3. Einwand der unzulässigen Erweiterung
3.1 Zulassung
Die Einspruchsentscheidung befasst sich mit diesem Einspruchsgrund im Abschnitt 2.2.2. Dieser Einwand wurde erst einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgebracht, aber der Umfang des diesbezüglichen Vorbringens ist in diesem Fall überschaubar, so dass es der Beschwerdegegnerin zumutbar ist, sich mit dieser Sache auseinanderzusetzen.
Die Kammer lässt aus den voranstehenden Gründen diesen spät vorgetragenen Einwand der unzulässigen Erweiterung zum Verfahren zu (Artikel 13(1) VOBK).
3.2 Das strittige Merkmal des Anspruchs 1 ist, dass "die Regelkreisparameter ... in Abhängigkeit von einer Geschwindigkeit (54) der virtuellen Leitachse bestimmt werden"
Absatz [0014] (veröffentlichte Fassung der Anmeldung) offenbart einerseits, dass eine virtuelle Leitachse eine Alternative zu einer realen Leitachse ist und andererseits, dass die Regelparameter auf die jeweilige Leitachse bezogen sind. Der Fachmann, der die Anmeldung als Ganzes liest, wird diese Lehre auch auf die unmittelbar folgenden Absätze beziehen, sofern diese nicht explizit davon abgehen.
Absatz [0015] lautet "Die Zeitkonstante der Regelstrecke ist proportional zu dem Kehrwert der Geschwindigkeit der Warenbahn. Daher ist es vorteilhaft, wenn die Regelkreisparameter gemäß einer hyperbolischen Kennlinie in Abhängigkeit von der Leitachsgeschwindigkeit der Warenbahn bestimmt werden" (Hervorhebung durch die Kammer). Somit wird die hyperbolische Kennlinie ausdrücklich als spezieller Fall der allgemeinen Abhängigkeit von der Geschwindigkeit der gegebenenfalls virtuellen Leitachse (gemäß Absatz [0014]) betrachtet. Gleiches gilt für die Offenbarung im Absatz [0016], wonach eine stückweise aus Funktionen zusammengesetzte Kennlinie in Abhängigkeit von der Leitachsgeschwindigkeit als "besonders einfach zu realisierende Ausführungsform" gewählt werden kann. Aus der Tatsache, dass diese beiden Ausführungsformen als (besonders) vorteilhaft beschrieben werden, wird der Fachmann somit nicht ableiten, dass nur diese vom Offenbarungsgehalt des Streitpatents umfasst werden. Er wird vielmehr aus diesem Wortlaut verstehen, dass noch weitere Ausführungsformen der Regelkreisparameterabhängigkeit bezüglich der Leitachsgeschwindigkeit von der Erfindung erfasst sind.
Die Frage, wie diese allgemeineren Kennlinien aussehen, erschließt sich dem Fachmann beim Lesen des ursprünglichen Anspruchs 1, wonach die Regelkreisparameter des Bahnspannungsreglers gemäß einer als Funktion und/oder an mehreren Stützstellen vorgebbaren Kennlinie bestimmt werden.
Vor dem Hintergrund der gesamten Offenbarung insbesondere der Abschnitte [0014] bis [0018] ist dem Fachmann somit aus den oben beschriebenen Gründen klar, dass die in den Abschnitten [0015] und [0016] beschriebenen Ausführungsformen der Kennlinie spezielle sind, dass weitere, allgemeinere Formen vom Offenbarungsgehalt mit erfasst sind, und wie diese weiteren, allgemeineren Ausführungsformen aussehen.
Somit bildet das Merkmal, dass "die Regelkreisparameter des Bahnspannungsreglers gemäß einer als Funktion und/oder an mehreren Stützstellen vorgebbaren Kennlinie in Abhängigkeit von einer Geschwindigkeit der virtuellen Leitachse bestimmt werden" keine Erweiterung des Offenbarungsgehaltes.
Folglich erfüllt der Gegenstand des Anspruchs 1 das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ.
4. Artikel 100 b) EPÜ 1973
4.1 Die Offenbarung des Streitpatents wendet sich an den Fachmann und der Fachmann ist in diesem Fall ein mit der Bahnspannungsregelung von bahnverarbeitenden Maschinen vertrauter Ingenieur.
PI bzw. PID Regelkreise gehören zu den Grundlagen der Regeltechnik. Es gehört somit zum üblichen Handeln des Fachmanns, die entsprechenden Regelkreisparameter
- Proportional-Anteil, Kp
- Integral-Anteil Ki und
- Differenzial-Anteil Kd
eines PID-Reglers entsprechend der Anwendung zu bestimmen, bzw. geeignete Regelkreisparameter vorzugeben.
Der Fachmann kennt auch die unterschiedlichen Begriffe, die je nach Anwendungsgebiet hierbei verwendet werden, und erkennt, dass die in dem Streitpatent verwendeten Begriffe Proportional-Anteil und P-Verstärkung Synonyme sind.
Auch ein Verständnis des Begriffs "Funktion", um z.B. eine Abhängigkeit eines Regelkreisparameters von einer Geschwindigkeit mathematisch darzustellen, gehört zu den (mathematischen) Grundkenntnissen des Fachmanns. So versteht der Fachmann auch, dass eine an mehreren Stützstellen vorgebbare Kennlinie einer besonderen Ausgestaltung einer Funktion entspricht. Im Ausführungsbeispiel wird dies beispielhaft an Hand des Proportional-Anteils (P-Verstärkung) offenbart. Weiter weiß der Fachmann, dass wenn er eine Funktion, wie sie im Ausführungsbeispiel der Figur 2 exemplarisch dargestellt ist, umsetzen wolle, er für einen auf der Abszisse angesiedelten Wert jeweils maximal einen auf der Ordinate angesiedelten Wert aufweisen darf. Der Fachmann liest das Streitpatent mit dem Willen, es zu verstehen und nicht mit dem Willen, es zu missverstehen.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Konkrete Zahlenwerte sind von der konkreten Ausführung der jeweils zu regelnden Anlage abhängig und sind von Anlage zu Anlage verschieden. Der Fachmann kennt die üblichen Werte für die Leitachsgeschwindigkeit und die Reglerverstärkung und er kann die Erfindung mit diesen Werten ausführen. Einen auf die übliche Weise ermittelten Regelkreisparameter von der Geschwindigkeit einer virtuellen Leitachse abhängig zu gestalten, stellt keine Schwierigkeiten für den Fachmann dar, der bereits im Rahmen seines üblichen Handelns fähig ist, die Regelkreisparameter eines PID-Reglers entsprechend der Anwendung zu bestimmen. Dasselbe gilt für die Integral- und Differentialanteile des Reglers, denn auch diese Parameter sind dem Fachmann auch aus seinem allgemeinen Fachwissen bekannt und sie sind für ihn zumindest auf die übliche Weise zu ermitteln. Der Fachmann vervollständigt die im Streitpatent enthaltenen Informationen mit seinem allgemeinen Fachwissen.
Es wurden keine Widersprüche in der Beschreibung von der Beschwerdeführerin hervorgehoben.
Somit ist nicht nachvollziehbar, warum der Fachmann die Erfindung nicht so ausführen können sollte, dass die Regelkreisparameter (Proportional-Anteil, Integral-Anteil und gegebenenfalls Differenzial-Anteil) eines PI- bzw. PID-Bahnspannungsreglers gemäß einer als Funktion und/oder an mehreren Stützstellen vorgebbaren Kennlinie in Abhängigkeit von einer Geschwindigkeit der virtuellen Leitachse bestimmt werden.
Somit ist die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 83 und 100 b) EPÜ 1973).
5. Neuheit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag gegenüber der Druckschrift E8
5.1 Die Druckschrift E8 war bereits im Einspruchsverfahren. Die Einspruchsentscheidung setzt sich mit der Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift E8 (dort D1 benannt) auseinander (Punkt 2.2.5.1). Die Kammer sieht keinen Grund, den mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwand der mangelnden Neuheit zum Verfahren nicht zuzulassen (Artikel 12(2) und 12(4) VOBK). Dieser Punkt wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer von der Beschwerdegegnerin auch nicht mehr bestritten.
5.2 In der Einspruchsbegründung führte die Beschwerdeführerin aus, dass sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 von der Druckschrift E8 durch das Merkmal "dass die Antriebe mittels einer virtuellen Leitachse gesteuert werden" unterscheidet (Einspruchsbegründung, Seite 6 von 8, letzter Absatz).
5.3 Der zum Merkmal der "virtuellen Leitachse" von der Beschwerdeführerin zitierte Absatz [0026] der Druckschrift E8 sagt lediglich aus, dass es vorteilhaft ist, den Bahnspannungssollwert FSOLL bzw. in besonders bevorzugter Weise den Drehzahlleitsollwert NSOLL der Regelungseinrichtung über einen schnellen Bus zuzuführen. Ansonsten geht der zitierte Absatz nur auf die möglichen Vorteile eines Bus-Systems ein.
Im Absatz [0026] ist keine virtuelle Leitachse erwähnt und es wurde nicht dargelegt, was der Fachmann aus diesem Absatz direkt und unmittelbar bezüglich Anspruch 1 entnehmen soll.
Wenn ein "schneller Bus" zur Übertragung von Sollwerten eingesetzt wird, wird dadurch noch keine Angabe gemacht, ob die Antriebe mittels einer virtuellen Leitachse gesteuert werden.
5.4 Absatz [0016] und Figur 5 der Druckschrift E8 offenbaren lediglich Kennlinien 1, 2, und 3 für verschiedene Regelungen. Eine PI-Regelung oder PID-Regelung bzw. die Bestimmung deren Proportional-, Integral- und Differential-Anteile wird an dieser zur allgemeinen Diskussion gehörenden Stelle nicht angesprochen.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Es ist nicht offenbart, dass die Regelkreisparameter als Funktion und/oder an mehreren Stützstellen vorgebbaren Kennlinie in Abhängigkeit von einer Geschwindigkeit einer virtuellen Leitachse bestimmt werden.
5.5 Der im Absatz [0032] angesprochene PI-Regelalgorithmus dient dazu, "einen Nach- oder Voreilungswert zu gewinnen". Dieser Wert "wird zu dem Drehzahlleitsollwert NSOLL addiert bzw. von diesem subtrahiert, und das erhaltene Ergebnis wird als Eingangsgröße einer Regelung der Drehzahl eines Antriebsmotors verwendet" (Fettdruck durch die Kammer hinzugefügt). Somit dient der im Absatz [0032] angesprochene PI-Regelalgorithmus nur zur Berechnung einer der Eingangsgrößen der eigentlichen Regelung "der Drehzahl eines Antriebsmotors".
5.6 Die Druckschrift E8 setzt sich vorwiegend mit der geeigneten Wahl und Kombination der Eingangsgrößen der eigentlichen Regelungen auseinander (Absätze [0030] bis [0032]), aber geht dabei nicht auf die Parameter der Regelungen "bekannter Art" ein (Absatz [0010], letzter Satz).
Somit geht aus der Druckschrift E8 nicht direkt und unmittelbar hervor, dass die Regelkreisparameter (Proportional-Anteil, Integral-Anteil und gegebenenfalls Differenzial-Anteil) des Bahnspannungsreglers gemäß einer als Funktion und/oder an mehreren Stützstellen vorgebbaren Kennlinie in Abhängigkeit von einer Geschwindigkeit der virtuellen Leitachse bestimmt werden.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu gegenüber der Druckschrift E8 (Artikel 54 EPÜ 1973).
6. Zulassung des Einwands der fehlenden erfinderischen Tätigkeit ausgehend vom Handbuch D3
Die Einspruchsentscheidung befasst sich im Abschnitt 2.2.5.2 mit der Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgehend vom Handbuch D3.
Die Beschwerdebegründung erwähnt die Handbücher D3, D5 und D7 zusammen mit einem allgemeinen Verweis auf die Argumentation aus dem Einspruchsschriftsatz (Beschwerdebegründung, Seite 14, Abschnitt "Die Dokumente D3, D5 und D7"). Ein Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit ausgehend vom Handbuch D3 ist daraus nicht erkenntlich (Artikel 12(2) VOBK).
Dieser Einwand wurde erst während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgebracht. Er geht somit über den mit der Beschwerdebegründung festgelegten Umfang der Beschwerde hinaus und stellt eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin dar. Die Zulassung solches geänderten Vorbringens unterliegt dem Ermessen der Kammer (Artikel 13(1) VOBK).
Da sich die Einspruchsentscheidung schon mit diesem Einwand befasst (Abschnitt 2.2.5.2), hatte die Beschwerdeführerin bereits Veranlassung, ihren Vortrag diesbezüglich in der Beschwerdebegründung vollständig darzulegen. Diese neue Argumentation erst während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorzubringen ist der Beschwerdegegnerin nicht mehr zumutbar, da diese keine Gelegenheit hatte, sich auf diesen Einwand entsprechend vorzubereiten. Es gab auch keine Begründung für das späte Vorbringen seitens der Beschwerdeführerin.
Die Kammer lässt aus den voranstehenden Gründen diesen spät vorgetragenen Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit ausgehend vom Handbuch D3 nicht zum Verfahren zu (Artikel 13(1) VOBK).
7. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift E8 in Kombination Fachwissen
7.1 Die Druckschrift E8 bildet den nächstliegenden Stand der Technik.
7.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich davon dadurch,
- dass die Antriebe der Transporteinrichtung mittels einer virtuellen Leitachse gesteuert werden; und
- dass die Regelkreisparameter des Bahnspannungsreglers gemäß einer als Funktion und/oder an mehreren Stützstellen vorgebbaren Kennlinie in Abhängigkeit von einer Geschwindigkeit der virtuellen Leitachse bestimmt werden,
- wobei mit dem Bahnspannungsregler eine PI-Regelung vorgenommen wird und als Regelkreisparameter der Proportional- und/oder der Integral-Anteil des PI-Reglers bestimmt werden oder
- wobei mit dem Bahnspannungsregler eine PID-Regelung vorgenommen wird und als Regelkreisparameter der Proportional- und/oder der Integral- und/oder der Differential-Anteil des PID-Reglers bestimmt werden.
7.3 Die technische Wirkung dieser Unterschiede besteht in einer verbesserten Regelung der Bahnspannung (Streitpatent, Absätze [0013] und [0014]).
7.4 Die entsprechende objektive Aufgabe besteht darin, ausgehend von der Druckschrift E8 die Regelung der Bahnspannung zu verbessern.
7.5 Im Laufe der mündlichen Verhandlung stimmen die Parteien darin überein, dass der Einsatz der einer virtuellen Leitachse im Bereich der Druckmaschinen zum allgemeinen Fachwissen des Fachmanns gehört, und dass eine (berechnete) virtuelle Leitachse vorteilhafterweise Ungenauigkeiten in der Messwerteerfassung vermeidet. Das hierfür von der Beschwerdeführerin angeführte Handbuch D5 ist somit nicht mehr entscheidungsrelevant.
7.6 Präsentationsunterlagen P1
Es ist zwischen den Parteien strittig, ob eine geschwindigkeitsabhängige Anpassung des Proportional-Anteils zum Stand der Technik gehört. Eine entsprechende Aussage findet sich zwar im Streitpatent (Spalte 1, Absatz [0004], Zeilen 44 bis 46), aber es wurde seitens der Beschwerdegegnerin angezweifelt, dass es sich dabei um öffentlich zugänglichen Stand der Technik im Sinne von Artikel 54 EPÜ 1973 handelt. Die Beweislast liegt somit bei der Beschwerdeführerin.
Während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer wurden erstmals die Präsentationsunterlagen P1 diesbezüglich vorgelegt. Die Zulassung dieser Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin unterliegt dem Ermessen der Kammer (Artikel 13(1) VOBK).
Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, handelt es sich auf Blatt 9 um eine Aussage des Erfinders des Streitpatents, welche nicht durch weitere Belege bestätigt wird. Zudem ist das späte Vorbringen erst während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer der Beschwerdegegnerin nicht zumutbar, weil sie dadurch keine ausreichende Gelegenheit hat, sich darauf angemessen vorzubereiten (Artikel 13(3) VOBK).
Die Einspruchsentscheidung befasst sich im Abschnitt 2.2.5.1 bereits mit der Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift E8. Die Beschwerdeführerin hatte also einen Anlass einen vollständigen Vortrag diesbezüglich bereits mit der Beschwerdebegründung vorzulegen (Artikel 12(2) und 12(4) VOBK). Das späte Vorbringen wurde zudem nicht begründet.
Die Kammer lässt aus den voranstehenden Gründen die Präsentationsunterlagen P1 nicht zum Verfahren zu (Artikel 13(1) und 13(3) VOBK).
7.7 Naheliegen
Sofern der Einsatz einer virtuellen Leitachse im Bereich der Druckmaschinen zum allgemeinen Fachwissen des Fachmanns gehört und eine berechnete virtuelle Leitachse vorteilhafterweise Ungenauigkeiten in der Messwerterfassung vermeidet, kann der Einsatz einer virtuellen Leitachse an sich keine erfinderische Tätigkeit begründen. Der Fachmann würde diese Technik bei Bedarf entsprechend anwenden.
Selbst wenn zugunsten der Beschwerdeführerin angenommen wird, dass eine geschwindigkeitsabhängige Anpassung des Proportional-Anteils zum Stand der Technik gehört, so gelangt der Fachmann noch nicht zum Anspruchsgegenstand, weil er sich von der Geschwindigkeit einer der real vorhandenen Antriebsachsen zugunsten der der virtuellen Leitachse abwenden müsste.
Wie auch von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, gibt es keinen Hinweis darauf, dass sich der Fachmann zur Lösung der Aufgabe, eine verbesserte Regelung der Bahnspannung bereitzustellen, zwingend der Anpassung der Regelkreisparameter der PI- bzw. PID-Regler zuwenden würde.
Zudem bedarf es noch des weiteren Schritts sich zur Bestimmung der Regelkreisparameter auf die Geschwindigkeit der virtuellen Leitachse zu beziehen. Auch für diesen Schritt gibt es ohne eine rückschauende Betrachtungsweise keinen Hinweis im Stand der Technik.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist für den von der Druckschrift E8 ausgehenden Fachmann daher nicht naheliegend. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 und 100 a) EPÜ 1973).
8. Druckschriften D3, D5 und D7
Der allgemeine Verweis in der Beschwerdebegründung auf die Handbücher D3, D5 und D7 und auf die Argumentation aus dem Einspruchsschriftsatz, entspricht nicht den Anforderungen einer Beschwerdebegründung nach Artikel 12(2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK). Konkrete Einwände die durch die Handbücher D3, D5 und D7 gestützt sind, sind aus der Beschwerdebegründung nicht erkennbar.
9. Da der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin gewährbar ist, ist auf die Hilfsanträge nicht mehr einzugehen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage der folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 und 2 mit Datum vom 14 Februar 2013, eingereicht mit Schreiben vom 21. Februar 2013;
- Beschreibung, Seiten 2, 4 und 5 der Patentschrift;
- Beschreibung, Seite 3 der Patentschrift, vorgelegt in der mündlichen Verhandlung am 30. November 2017;
- Zeichnungen 1 bis 3 der Patentschrift.