T 0477/14 () of 27.4.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T047714.20150427
Datum der Entscheidung: 27 April 2015
Aktenzeichen: T 0477/14
Anmeldenummer: 07803552.4
IPC-Klasse: B61C 3/00
B61C 17/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: SCHIENENFAHRZEUG MIT EINER ANTRIEBSEINRICHTUNG
Name des Anmelders: Bombardier Transportation GmbH
Name des Einsprechenden: Siemens Aktiengesellschaft
Stadler Bussnang AG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 114(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Neuheit und erfinderische Tätigkeit (JA)
Zulassung von verspätet vorgelegten mündlichen Offenbarungen in das Verfahren (NEIN)
Zulassung eines verspätet vorgelegten Dokuments in das Verfahren (NEIN)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Einsprechenden richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, die am 3. Januar 2014 zur Post gegeben wurde, die Einsprüche gegen das europäische Patent Nr. 1 963 157 zurückzuweisen.

II. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Dabei hat sie insbesondere die folgenden Dokumente in Betracht gezogen:

(D1d) "Doppelstock-Triebzüge RABe 514 der SBB für die S-Bahn Zürich" in Fahrzeugtechnik, eb 102 (2004), Heft 11, Dauterstedt, B. et al, Seiten 475 bis 481

(D2) DE 1580926

(D3) DE 102 48 438

(D4) EP 1024070

(D7) "Elektrische Gelenktriebwagen RABe 526 680 - 689 für 15 kV / 16,7 Hz" in Eisenbahn Revue, Heft 12 (1998), Wieser, U. et al, Seiten 524 bis 533

(D8) EP 0383302 A2

(D9) WO 96/10508 A1

III. Mit der Beschwerdebegründung reicht die Einsprechende 1/Beschwerdeführerin II (SIEMENS AG) das folgende Dokument ein:

(E11) "ABB lanciert neuen Antriebsstromrichter für 3kV DC-Netze" Innotrans, Berlin, 22. September 2004.

Die Einsprechende 2/Beschwerdeführerin I (STADLER BUSSNANG AG) legt mit der Beschwerdebegründung die folgenden Dokumente vor (vgl. Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin I, Seiten 1 bis 3):

Dokumentenkonvolut D11 ff.

zum Nachweis einer mündlichen Offenbarung:

Präsentation von Peter Spuhler (Geschäftsführer der Stadler Bussnang AG) vom 11. Oktober 2005 bei der "Third UITP Regional Transport Assembly" in Wien (D11a),

Einladung zur Konferenz (D11b),

Eidesstattliche Erklärung von Ulrich Sinzig (D11e),

Datenbankversion des Vortrags (D11a'), Teilnehmerliste (D11g),

E-Mail von UITP - Herrn Marechal (D11h), Internetseite der UITP und Mitgliederliste (D11i; D11j).

Dokumentenkonvolut D12 ff.

zum Nachweis einer mündlichen Offenbarung:

Präsentation von Herrn Herbert Welte (Entwicklungsleiter der Stadler Bussnang AG) bei der BLS Lötschberg Bahn AG vom 7. März 2005 (D12a) und Schreiben (D12b).

(D13): "Oberleitungstriebwagen 1997" in Elektrische Triebwagen deutscher Eisenbahnen, Düsseldorf (Auszüge), Bäzold, D. et al. (1997)

(D14): "ELLOK Archiv", Transpress VEB Verlag für Verkehrswesen, Berlin (Auszüge); Bäzold, D. et al. (1971)

(D15): "Der Lok-Vogel", Nr. 97, Januar 2014, Seiten 40-45 und 59

(D16): "Red line car design takes shape" in Railway Gazette, Oktober 1991, Seiten 711-712

Dokumentenkonvolut D17 ff.

Auszug aus Wikipedia: "THURBO" (17a)

Auszüge aus Theo Weiss: "Stadler - Von der Stollenlokomotive zum Doppelstockzug", Minirex AG, Luzern 2010, Seiten 155/166 (D17b)

Unternehmensbroschüre "Kennen Sie Thurbo?" aus dem Internet (17c)

Handelsregisterauszug zur Thurbo AG (D17d)

und Dokumentenkonvolut D18 ff.

Bestätigungsschreiben der ABB Schweiz ohne Datum, inkl. Email vom 17. April 2003 und D18b und D18c (D18a)

Powerpoint-Präsentation gemäß D18a (D18b)

Screenshot "Eigenschaften" (D18b')

Excel-Dokument "Gewichtsverteilung" (D18c)

Screenshot "Eigenschaften" Gewichtsverteilung (D18c')

Powerpoint-Präsentation aus "CC1000 S-Bahn ZH 2003-05-22.zip" vom 21. Oktober 2005 (D18d)

Screenshot "Eigenschaften" zu D18d (D18d')

E-Mail von Remo Lütolf an Dietrich Möller, Peter Spuhler, Jürg Schöning vom 23./26. Mai 2003 (D18e)

Auszug Wikipedia "Hilfsbetriebeumrichter" vom 5. Mai 2014 (D18f)

IV. Mit Schreiben vom 18. Februar 2015, auf "die Beschwerdeantwort der Patentinhaberin vom 9. Oktober 2014 und auf die vorläufige Meinung der Beschwerdekammer vom 12. Februar 2015" (vgl. den Betreff dieses Schreibens) legte die Einsprechende 2/Beschwerdeführerin I (STADLER) ein Fachrichtervotum des Schweizer Bundespatentgerichts vom 10. Februar 2015 und die folgenden Dokumente vor:

(D17e): Auszug Wikipedia: "THURBO"

(Version 15. September 2006)

(D17f): Ausdruck Wikipedia: Stadler GTW,

(Version 15. September 2006)

(D17g): Ausdruck www.Bahnbilder.ch

(D17h): Ausdruck Thurgauer Zeitung online: 3. Juli 2006

(D17i): Ausdruck Thurgauer Zeitung online: 3. Jan. 2006

(D17j): Ausdruck Thurgauer Zeitung online: 12. Dez. 2003

V. Am 27. April 2015 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden 1 und 2) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerden.

VI. Anspruch 1, wie erteilt, gemäß dem einzigen Antrag lautet wie folgt:

Schienenfahrzeug

- mit einem Wagenkasten (102), der auf einer ersten Radeinheit (103.1) und einer in Längsrichtung des Wagenkastens (102) beabstandeten zweiten Radeinheit (103.2) abgestützt ist, und

- einer elektrischen Antriebseinrichtung (104), welche die erste Radeinheit (103.1 ) und die zweite Radeinheit (103.2) antreibt, wobei

- die Antriebseinrichtung (104) wenigstens eine erste Transformatoreinheit (105.1) und eine zugeordnete erste Stromrichtereinheit (106.1) umfasst, die in dem Wagenkasten (102) angeordnet sind,

dadurch gekennzeichnet, dass

- die erste Transformatoreinheit (105.1) und die erste Stromrichtereinheit (106.1 ) im Bereich der ersten Radeinheit (103.1) angeordnet sind und die erste Radeinheit (103.1) antreiben und

- die Antriebseinrichtung (104) eine zweite Transformatoreinheit (105.2) und eine zugeordnete zweite Stromrichtereinheit (106.2) umfasst, die im Bereich der zweiten Radeinheit (103.2) angeordnet sind und die zweite Radeinheit (103.2) antreiben.

VII. Die Argumente der Beschwerde­führerinnen/Einsprechenden lauten wie folgt:

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Ausgehend von Dokument D1d sei der Gegenstand für den Fachmann nahegelegt. Die Bilder 7 und 8 der D1d zeigten eine Anordnung einer elektrischen Antriebseinrichtung eines Schienenfahrzeugs. Diese weise zwei unabhängige Transformatoren und zwei Antriebsstromrichter auf.

Diese seien gemäß dem Bild 8 in einem Wagenkasten untergebracht, welcher auf zwei Radsätzen abgestützt sei. Es sei weiterhin offenbart, dass sowohl die zwei Antriebsstromrichter als auch die beiden Trans­formatoren in dem Wagenkasten angeordnet seien. Jede der Einheiten, bestehend aus einem Transformator und einem nachgeordneten Antriebsstromrichter treibe einen Radsatz an, vgl. Bild 7. Somit seien alle Merkmale des strittigen Anspruchs 1 offenbart, bis auf das Merkmal, dass jeweils ein Transformator und ein Antriebs­stromrichter räumlich einem Radsatz zugeordnet seien, wie es der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1 des Streitpatents definiere.

Das strittige Patent beschreibe in den Paragraphen [0003] und [0004], dass der Verkabelungsaufwand bei vergleichbaren Schienenfahrzeugen im Stand der Technik vergleichsweise groß sei. Somit bestehe die objektiv zu lösende Aufgabe darin, die Verkabelung zu optimieren, insbesondere den Verkabelungsaufwand zu reduzieren. Der Fachmann wisse nun aber, dass die Lösung dieser Aufgabe darin bestehe, die Kabellängen zu reduzieren, und das geschehe eben auch dadurch, dass zueinandergehörige Baugruppen auch räumlich gruppiert seien. Eine nahe räumliche Anordnung führe daher zwangsläufig zu einer effizienten Verkabelung. Dies kenne der Fachmann und benötige keine weitere Anregung.

Ausgehend von D1d sei diese Aufgabe dadurch einfach und ohne erfinderisches Zutun zu lösen, da lediglich ein Transformator mit einem Antriebsstromrichter den Platz tauschen müsse. Dass dabei ggf. die Hochspannung über längere Wege zu führen sei, halte den Fachmann davon nicht ab.

Aber auch im weiteren im Verfahren befindlichen Stand der Technik gebe es Hinweise, die es dem Fachmann nahelegten, den Platztausch von Antriebsstromrichter und Transformator vorzunehmen. So offenbare D3 (vgl. dort Figur 1A) die nahe räumliche Anordnung eines Transformators und eines Stromrichters bei einem angetriebenen Radsatz. Dieses Dokument zeige dieses Merkmal zwar nur für einen Triebradsatz, es läge aber für den Fachmann auf der Hand, dies ebenfalls auf den zweiten Radsatz zu übertragen. Außerdem zeige D3 bereits, dass den Triebdrehgestellen jeweils ein Pulswechselrichter zugeordnet sei, was kurze Kabellängen zum Antriebsmotor bedeute.

Eine ähnliche Anregung bekomme der Fachmann aus Dokument D4. Dies weise explizit darauf hin, die Verbindungen zwischen Antriebsstromrichter und Triebdrehgestell, die bekanntlich mindestens dreiadrig und für sehr hohe Ströme auszulegen seien, kurz zu halten.

Insbesondere könne aber der Fachmann der D7 entnehmen, dass es vorteilhaft sei, Transformator, Antriebsstrom­richter und Antrieb modular und räumlich kompakt zu halten. D7 offenbare eine funktionale und räumliche Zuordnung einer Transformatoreinheit und einer Strom­richter­einheit zu einer davon gespeisten angetriebenen Radeinheit. Auch ein Hauptbetriebsumrichter sei bereits im zentralen Block angeordnet. Diese Konstruktion löse bereits die Aufgabe des Streitpatents, da die Verkabelung zwischen Motor und Stromrichter und zwischen Stromrichter und Transformator kurz gehalten sei. Dass dies nicht zulasten des für die Passagiere zur Verfügung stehenden Raumes gehen müsse, sei in D7 gezeigt. Trotz der räumlichen Konzentration der für den Antrieb nötigen Elemente sei dort ein Durchgang von 1000 mm möglich.

Eine vergleichbare Offenbarung sei in der D2 vorhanden.

Es sei ebenfalls seit langem bekannt, die Hochspannungsversorgung außerhalb des Wagenkastens zu führen. Damit würden mehrere Radsätze angetrieben, z. B. beim ICE-3, um die Traktionsbedingungen zu verbessern.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu im Lichte der D9. Die Figur 14 der D9 offenbare ein vierteiliges Schienenfahrzeug, mit einem Triebkopffahrzeug jeweils am Ende des Zuges und einem Antrieb gemäß Figur 13. Dieses weise anspruchsgemäß einen Transformator, einen Antriebsstromrichter und einen Triebradsatz auf. Gemäß Seite 6, vierter Absatz, könne das Fahrzeug der D9 einteilig oder mehrteilig sein. Somit sei für Figur 14 ein einteiliges Schienenfahrzeug mit einem Wagenkasten gemäß dem Anspruch 1 offenbart.

Auch das Ausführungsbeispiel der Figuren 1 bis 3 offenbare ein einteiliges Schienenfahrzeug gemäß dem Streitpatent. Dieses sei mit zwei Antrieben - einen für jeden Radsatz - ausgerüstet. Des Weiteren weise dieses Fahrzeug für jeden Radsatz einen Transformator und einen Stromrichter gemäß Figur 5 auf (vgl. auch Anspruch 22). Das Merkmal, dass die erste Transformatoreinheit und die zugeordnete erste Stromrichtereinheit "im Wagenkasten" angeordnet sei, ergebe sich aus der Figur 14.

Mindestens aber sei der Gegenstand des strittigen Anspruchs 1 durch D9, insbesondere mit der auf Seite 3 oder 6 angesprochenen optionalen ein- oder mehrteiligen Ausbildung in Kombination mit dem Wissen des Fachmanns nahegelegt.

Ebenfalls sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nahegelegt durch D7 und das allgemeine Fachwissen.

D7 offenbare (vgl. oben) eine modulare Einheit aus Transformator, Antriebsstromrichter und Motoren, die einen Radsatz antreiben. Diese modulare Einheit sei in D7 in der Mitte des Fahrzeugs untergebracht. Wenn der Fachmann nun vor die Aufgabe gestellt sei, die Traktion zu verbessern und weitere Triebdrehgestelle vorzusehen, würde er ohne erfinderisches Zutun dieses Modul ein weiteres Mal vorsehen und damit zum Gegenstand des Streitpatents gelangen.

Weiterhin sollten die Dokumente D16 und D17f in das Verfahren zugelassen werden. Beide Dokumente seien hochrelevant und stellten die Patentfähigkeit des Streitpatents in Frage. Diese Dokumente hätten nicht früher vorgelegt werden können, da sie der Einsprechenden 2 (STADLER) nicht bekannt gewesen seien.

D16 dokumentiere, dass es dem Fachmann bereits bekannt gewesen sei, identische und unabhängige Antriebs­einheiten vorzusehen. Die Vorlage des Dokuments D16 geschehe, da die Einspruchsabteilung ausgeführt habe, dass es keinen Hinweis gäbe, einen Transformator durch zwei Transformatoren zu ersetzen. Dass D16 keinen Transformator zeige, spiele für den Nachweis, dass verteilte Antriebsanordnungen im Stand der Technik bekannt gewesen seien, keine Rolle.

Das Dokument D17f müsse in das Verfahren zugelassen werden, da es die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Streitpatents in Frage stelle. So offenbare D17f einen GTW (Gelenktriebwagen) gemäß D7. Weiterhin sei dort ausgeführt, dass anstelle des Mittelwagens ein weiteres Antriebsmodul zur Erhöhung der Traktion vorgesehen werden könne. Zwischen die beiden Antriebsmodule könne gemäß D17f eine achslose Fahrgastzelle eingehängt werden. Damit seien aber alle Merkmale des strittigen Anspruchs 1 in D17f offenbart. Weiterhin sei dieses Dokument als Reaktion auf die Beschwerdeerwiderung der Patentinhaberin vorgelegt worden, da in Frage gestellt worden sei, was unter dem Begriff "Antriebsanlage Thurbo" zu verstehen sei.

Im Übrigen sei das Dokument 17f sofort nach Bekanntwerden vorgelegt worden, nämlich mit dem nächsten sich ergebenden Schreiben. Dies erfolgte am 18. Februar 2015, nachdem die Patentinhaberin die Beschwerdeerwiderung und die Kammer ihre vorläufige Meinung abgegeben habe.

Die Dokumente D11 ff., D12 ff. und D18 seien in das Verfahren zuzulassen. Es sei zwar korrekt, dass der Vortrag gemäß D11a bzw. die Präsentation gemäß D12a von der Einsprechenden 2 (STADLER) selbst stammten, es habe aber keine Möglichkeit bestanden, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit zwischen Beitritt und mündlicher Verhandlung vor der Einspruchs­abteilung alle Elemente einer lückenlosen Beweiskette zusammenzu­tragen. So habe der Inhalt des Vortrags zwar vorgelegen, allerdings hätten noch die Umstände der Präsentation recherchiert und Beweismittel für diese Umstände gesammelt werden müssen. Die eidesstattliche Erklärung (vgl. D11e), beispielsweise, habe erst im August 2014 stattgefunden. Darauf aber habe die Einsprechende keinen Einfluss gehabt. Auch habe man auf die Zeit, die man auf eine Antwort der UITP (bzgl. der Datenbankablage des Vortrags (D11a')) gewartet habe, keinen Einfluss gehabt bzw. man habe keinen Druck ausüben wollen. Die Erklärung D11h habe damit erst im Mai 2014 vorgelegen.

Auch die Dokumente D18 ff. hätten nicht früher vorgelegt werden können. Die Einsprechende 2 (STADLER) habe diesen Sachverhalt selbst erst recherchieren müssen. Zum einen betreffe ein Teil des Dokumentenkonvoluts D18 (D18a bis D18c) eine Korrespondenz zwischen ABB und Siemens und habe damit außerhalb der Zugriffsmöglichkeit der Einsprechenden 2 (STADLER) gelegen. Der zweite Teil des Dokumenten­konvoluts D18 (D18d und D18e) sei zwar zur Information im Mai 2003 an die Einsprechende 2 gegangen, diese angehängten Powerpoint-Präsentationen hätten aber im Detail einen anderen Inhalt.

So fehle in der Präsentation D18d das Bild 3 aus D18b, in dem das "Original Konzept", also die Ausgangslage gezeigt sei. Allerdings sei die "Neue Anordnung von Trafo und SR", die hoch relevant für die strittige Erfindung sei, in beiden Präsentationen vorhanden, nämlich in Bild 4 in D18b bzw. Bild 3 in D18d.

Die Dokumente E11 der Beschwerdeführerin II (SIEMENS) und D13 bis D15, sowie die Dokumente D17a bis D17e und D17g ff. der Beschwerdeführerin I (STADLER) würden vorgelegt, um das allgemeine Fachwissen nachzuweisen.

Weitere Argumentationslinien als in der mündlichen Verhandlung vorgetragen würden nicht verfolgt.

VIII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) entgegnete diesen Argumenten wie folgt:

Ausgehend von Dokument D1d könne die erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1 nicht in Frage gestellt werden.

So würde sich mit dem Austausch der Positionen eines Transformators mit einem Stromrichter der Verkabelungs­aufwand erheblich erhöhen und eben nicht verringern. So müsse jedenfalls die Hochspannung an zwei verschiedenen Stellen eingespeist oder im Wagenkasten verteilt werden. Auch werde im Stand der Technik die Energieversorgung zentral im Fahrzeug belassen, da immer ein zentraler Transformator vorgesehen sei, so dass auch die Kombination mit keinem der genannten Dokumente D4, D3, D7 und D2 einen Mangel an erfinderischer Tätigkeit nachzuweisen in der Lage sei.

Auch sei D7 kein geeigneter Ausgangspunkt für eine Analyse der erfinderischen Tätigkeit. Dieses Dokument offenbare ein zentrales Antriebsmodul. Es sei nicht erkennbar, warum der Fachmann zur Erhöhung der Traktion ein weiteres Modul vorsehen sollte. Ebenfalls sei in einem solchen Fall auch nicht der Gegenstand des Anspruchs 1 nahegelegt, da sich die Antriebseinrichtung nicht im Wagenkasten befinde, sondern in dem Antriebs­modul. Der Wagenkasten sei typischerweise einteilig, während D7 zwei Wagenkästen offenbare, die mit einem Faltenbalg zusammengesetzt seien. Eine derartige Gestaltung sei aber nicht im Sinne der Erfindung.

Auch sei der Gegenstand des Anspruchs 1 neu und erfinderisch gegenüber dem Dokument D9. So offenbare D9 zwar eine Vielzahl von Merkmalen, die, wenn man sie isoliert betrachte, im strittigen Anspruch 1 aufgeführt seien; D9 stelle aber weder eine Verbindung zwischen diesen Merkmalen eindeutig und unmittelbar her, noch werde sie nahegelegt. So könne beispielsweise aus der Figur 14, welche einen mehrteiligen Zug offenbare, und dem Hinweis der Beschreibung, das Fahrzeug könne auch einteilig sein, nicht geschlossen werden, wie bei einem einteiligen Fahrzeug Antriebsachsen, Transformatoren und Stromrichter verteilt seien.

Auch die Figuren 1 bis 3 offenbarten den Gegenstand gemäß Anspruch 1 nicht und legten ihn auch nicht nahe. Die Figuren 1 bis 3 bezögen sich ausweislich der Beschreibung eindeutig auf einen Triebwagen mit dieselmechanischem Antrieb. Auch hier bliebe offen, wie das Ergebnis der Umgestaltung des gezeigten Triebwagens in einen Mehrsystemtriebwagen aussähe. So zeige etwa Figur 4 nur eine Einspeisung für 2 Stromrichter und 4 Motoren.

Die erst im Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumente sollten nicht in das Verfahren zugelassen werden.

So sei das Dokument D16 nicht relevant, da es sich um ein gleichstrombetriebenes Fahrzeug handele. Somit stelle sich die Frage nach den Hochspannungstrans­formatoren nicht in der Form. Auch sei weder ein Stromrichter offenbart, noch sei etwas zur Anordnung der Antriebe ausgeführt.

Die mündlichen Offenbarungen D11 ff. und D12 ff. seien verspätet vorgelegt worden, und weiterhin sei die öffentliche Zugänglichkeit fraglich. Daher dürfe dieses Vorbringen nicht in das Verfahren zugelassen werden. Schließlich habe die Geschäftsleitung bzw. der Leiter der Produktentwicklung der Beschwerdeführerin I (STADLER) diese Präsentationen selbst gehalten.

Dasselbe gelte im Prinzip für das Vorbringen, das durch D18 ff. gestützt werde. D17f sei ein Internet-Ausdruck eines Fahrzeugs der Einsprechenden 2 (STADLER). Auch diese Information müsse bereits im Einspruchsverfahren vorgelegen haben. Es sei nicht mit den Regeln eines fairen Verfahrens in Einklang zu bringen, dass man erst im Beschwerdeverfahren mit einer Vielzahl von angeblich hochrelevanten Dokumenten konfrontiert werde, die allesamt der Beschwerdeführerin bereits zu Beginn des Verfahrens bekannt gewesen seien oder hätten bekannt sein müssen.

Des Weiteren sei D17f nicht relevant, da dem Dokument nicht zu entnehmen sei, wie der elektrische Antrieb konkret ausgeführt sei. Auch ergebe sich hier kein Wagenkasten, der einen Antrieb beinhalte.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Die in Anspruch 1 des erteilten Patents definierte Erfindung beruht, ausgehend jeweils von Dokument D1d als nächstem Stand der Technik in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen oder einem der Dokumente D3, D4, D2 oder D7, auf einer erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.

2.1 Alle Argumentationslinien der Beschwerdeführerinnen ausgehend von D1d basieren im Wesentlichen darauf, dass der Fachmann in D1d eine Anordnung vorfindet, in der lediglich die Anordnung eines Transformators und eines Antriebsstromrichters auszutauschen sei, da alle weiteren Merkmale bereits im strittigen Anspruch 1 offenbart seien. Vor dem Hintergrund der objektiv zu lösenden Aufgabe, nämlich den Verkabelungsaufwand zu reduzieren, sei es für den Fachmann naheliegend, den Platz von einem Transformator mit dem eines Antriebsstromrichters zu tauschen.

Ggf. entnähme der Fachmann die Anregung dazu aus einem der genannten Dokumente D3, D4, D2 oder D7.

2.2 Die Kammer folgt dieser Argumentation nicht, da offensichtlich der Verkabelungsaufwand in dem Schienenfahrzeug gemäß D1d durch die von den Beschwerdeführerinnen als naheliegend bezeichnete Maßnahme nicht kleiner, sondern größer wird.

Die in den Bildern 7 und 8 der D1d dargestellte Anordnung der elektrischen Ausrüstung stellt aus den folgenden Gründen für das dort gezeigte Schienenfahrzeug bereits eine unter Verkabelungsaspekten optimierte Lösung dar:

Wäre nämlich ein Transformator vorne im in Bild 8 gezeigten Zug untergebracht, wie es die Beschwerde­führerinnen vorschlagen, so hätte dies zur Folge, dass zusätzlich auch die Hochspannungsversorgung zu diesem Transformator geführt werden müsste. In Bild 7 ist für die Hochspannungsversorgung ein Pentagraph gezeigt. Zur Versorgung des Transformators vorne müsste daher ein weiterer Pentagraph am Zugfahrzeug angebracht werden, oder es müsste eine Hochspannungsleitung im oder auf dem Wagenkasten nach vorne geführt werden.

Da der Haupttransformator (6) auch die Hilfsbetriebe­umrichter (7) im rechten Nachbarwagen­kasten mitversorgt, siehe auch Bild 7, hätte die von den Beschwerdeführerinnen als naheliegend bezeichnete Maßnahme weitere erhebliche Auswirkungen auf das Schaltungslayout, nämlich:

Eine Versorgung der beiden Hilfsbetriebeumrichter im Nachbarwagon kann dann dadurch geschehen, dass nur noch der näherliegende Transformator beide vorhandenen Hilfsbetriebeumrichter (vgl. Bild 7) versorgt, was einen nachteiligen Einfluss auf die Zuverlässigkeit hätte: Bei Ausfall des betreffenden Transformators würde keiner der Hilfsbetriebeumrichter mehr versorgt. Für diese Lösung müssten weiterhin beide Trans­formatoren umgestaltet werden, da der Trans­formator, der nun zwei Hilfsbetriebeumrichter zu versorgen hat, mehr Leistung zur Verfügung stellen müsste; der andere Transformator wäre in seiner Leistungsfähigkeit zu reduzieren: daher wären bei dieser Lösung beide Transformatoren unterschiedlich aufgebaut.

Alternativ könnte eine Verkabelung vom vorderen Transformator zu den Hilfsbetriebe­umrichtern im Nachbarwagen vorgesehen werden. Damit aber erhöht sich der Verkabelungsaufwand erheblich.

2.3 Aus den genannten Gründen würde der Fachmann am Schienenfahrzeug gemäß D1d keine Modifikation derart vornehmen, dass sowohl vorne als auch hinten im Wagenkasten jeweils ein Transformator und ein Antriebsstromrichter vorhanden sind. Daher kann auch keine der von den Beschwerde­führerinnen vorgebrachten Argumentationslinien überzeugen, da keine der vorgetragenen Kombinationen von Dokumenten zu einer Lösung der objektiven Aufgabe führen würde.

3. Der Gegenstand des Anspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit, ausgehend von D7 mit dem Wissen des Fachmanns, Artikel 56 EPÜ.

3.1 Das Dokument D7 offenbart ein Mittelmodul eines Triebwagenzuges, welches in kompakter Bauweise Stromabnehmer, Transformator, Antriebsstromrichter und Antriebsdrehgestell aufweist. Dieses Mittelmodul ist in einem Zugverband zwischen nicht getriebenen Wagen angeordnet. Die Beschwerdeführerinnen argumentieren nun, ausgehend von D7, welche bereits eine räumliche Zuordnung aller für den Antrieb wesentlichen Komponenten offenbare, stelle sich die Aufgabe, die Traktion zu erhöhen, und dies würde der Fachmann dadurch lösen, zwei dieser Mittelmodule zwischen einem nicht getriebenen Wagen vorzusehen. Damit gelange man zu dem beanspruchten Gegenstand.

3.2 Diese Auffassung teilt die Kammer nicht.

Das in D7 offenbarte Konzept eines Antriebs für ein Schienenfahrzeug ist grundsätzlich anders als das, welches in D1d oder im Streitpatent gezeigt wird.

So weist beispielsweise der in D7 gezeigte Wagenkasten überhaupt nur einen Radsatz auf, und dieser ist nicht angetrieben. Selbst wenn man der Argumentation der Beschwerdeführerinnen folgen und ein weiteres Mittelmodul als Triebelement vorsehen sollte, gelangt man nicht zu der Merkmalskombination des Anspruchs 1: die Antriebs­vorrichtung, die die zugeordnete erste Stromrichtereinheit und die erste Transformatoren­einheit umfassen würde, wäre nicht im Wagenkasten angeordnet, sondern im Antriebsmodul außerhalb des Wagenkastens.

4. Der Gegenstand des angegriffenen Anspruchs 1 ist neu und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem Dokument D9, Artikel 54 (1) und 56 EPÜ.

4.1 Die Beschwerdeführerinnen argumentieren, dass Bild 14, zusammen mit der Passage Seite 6, vierter Absatz der Beschreibung, alle Merkmale des strittigen Anspruchs 1 offenbare. Figur 14 offenbare zwei autark angetriebene Radsätze mit einer räumlichen Zuordnung von Trans­formator und Antriebsstromrichter. Der dargestellte Fahrzeugzug sei zwar vierteilig, so dass die getriebenen Radsätze nicht zu einem (einzigen) Wagen­kasten gehörten, die o. g. Passage offenbare aber, dass die Fahrzeuge gemäß D9 auch einteilig sein könnten. Im Falle eines einteiligen Fahrzeugs wären die beiden Triebeinheiten in einem (einzigen) Wagenkasten.

Indes ist die Kammer der Auffassung, dass es für die Annahme, dass im Falle eines einteiligen System­fahrzeugs zwei Antriebseinheiten in dem einzigen Wagenkasten vorhanden sind, in Dokument D9 keinen Anhaltspunkt gibt. Es bleibt offen, ob ein solches Fahrzeug überhaupt zwei angetriebene Radsätze aufwiese, und wenn, dann ist weiterhin nicht offenbart, wie das Schaltungslayout in diesem Falle aussähe. Damit sind die Merkmale des Anspruchs 1 der strittigen Erfindung nicht eindeutig und unmittelbar der Beschreibung und der Figur 14 der D9 zu entnehmen.

4.2 Der Gegenstand des strittigen Anspruchs 1 ist auch nicht durch die Figuren 1 bis 3 und 5 in Verbindung mit Anspruch 22 der D9 neuheitsschädlich offenbart.

Die Figuren 1 bis 3 zeigen zweifelsfrei und unbestritten einen Triebwagen mit einem diesel­mechanischen Antrieb an beiden Triebwagenköpfen. Gemäß Seite 11, vierter Absatz, handelt es sich hierbei um einen Einsystem­triebwagen, d.h. der Antrieb besteht nur aus einem Dieselmotor, der über ein Getriebe die Radsätze antreibt. Die Seiten 11 ff. bis Seite 15, vorletzter Absatz, setzen sich mit Details der Ausgestaltung dieses Triebwagens auseinander.

Mit Seite 15, letzter Absatz beginnt nach Ansicht der Kammer in Dokument D9 ein neues Thema; es werden nämlich die technischen Details einer für "den Wechselspannungs-, für den Gleichspannungs-, den Dieselelektro- sowie für den Mehr­system­betrieb vorgesehenen Ausrüstung" erläutert.

Zu diesem Themenkomplex gehört auch Figur 5, auf die sich die Beschwerdeführerinnen beziehen. Sie behaupten, da auf Seite 9 angegeben sei, Figur 5 beziehe sich auf einen Triebwagen gemäß Figur 1, sei für den Triebwagen gemäß Figur 1 auch alternativ ein elektrischer Antrieb offenbart. Aus den Figuren 4 und 5 und Anspruch 22 ginge weiter hervor, dass ein Antriebssystem aus einem Stromabnehmer, einem Transformator und einem Stromrichter bestehe, der einen Fahrmotor an einem Radsatz antreibe.

Die Kammer ist nicht überzeugt, dass damit die spezielle Gestaltung, die der strittige Anspruch 1 definiert, zweifelsfrei und unmittelbar aus D9 zu entnehmen ist. Es ist nicht offenbart, wie der Triebwagen mit dieselmechanischem Antrieb als Einsystemtriebwagen gemäß Figur 1 aussähe, wenn er die für den elektrischen Wechselspannungs-, für den Gleichspannungs-, den Dieselelektro- sowie für den Mehrsystembetrieb vorgesehene Ausrüstung aufwiese, insbesondere mit Blick auf die elektrischen Komponenten.

4.3 Selbst wenn der Fachmann den in Figur 1 der D9 gezeigten Triebwagen mit einem elektrischen Wechselstromantrieb versehen würde, ist unklar, für welche technische Lösung er sich entscheiden würde. So ist in D9 kein Anhalts­punkt vorhanden, dass es vorteilhaft ist, innerhalb eines Wagens mit mehreren Triebdrehgestellen für jedes dieser Triebdrehgestelle einen eigenen Transformator und einen eigenen Antriebsstromrichter vorzusehen. So zeigt die Figur 5 einen einzigen Zwischenkreis (mithin einen einzigen Transformator), der gemäß Figur 4 mehreren Strom­richtern und mehreren Motoren zugeordnet sein mag. Figuren 13 und 14 offenbaren einen Stromabnehmer, einen Transformator, einen Antriebsstromrichter für drei Motoren, die jeweils eine Achse antreiben: die beiden Achsen am Triebkopf und eine der Achsen in der Mitte des Zugs, vgl. Figur 14.

Somit offenbart D9 eine Vielzahl einzelner Merkmale des strittigen Anspruchs in isolierter Form. Erst im Vorbringen der Beschwerdeführerinnen wird der Zusammenhang zwischen den Offenbarungsstellen in D9 hergestellt, so dass die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass dies nur mit dem Wissen der strittigen Erfindung geschehen konnte. Somit beruht die Argumentation der Beschwerdeführerinnen auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.

5. Das Dokument D16 wird nicht in das Verfahren zugelassen, Artikel 114 (2) EPÜ.

5.1 Gemäß Artikel 114 (2) EPÜ braucht das Europäische Patentamt Tatsachen und Beweismittel, die verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen.

5.2 Das Dokument D16 ist erstmalig mit der Beschwerde­begründung nach dem Verfahren vor der Einspruchs­abteilung vorgelegt worden. Zu den besonderen Gründen zur Vorlage erst im Beschwerdeverfahren hat die Beschwerde­führerin I (STADLER) lediglich vorgebracht, das Dokument sei ihr nicht bekannt gewesen. Somit ist D16 als verspätet eingereicht anzusehen. Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die Relevanz eines Dokuments ein Kriterium für die Ausübung des Ermessens der Kammer, ein verspätet vorgelegtes Dokument in das Verfahren zuzulassen.

5.3 D16 offenbart einen Schienentriebwagen, mit zwei Gleich­strom­antrieben, einen für jeden Radsatz. Es werden weder ein Transformator noch Stromrichter gezeigt, somit kann D16 auch keinen Hinweis auf eine verteilte und räumlich zugeordnete Anordnung dieser Komponenten geben. Daher ist Dokument D16 nicht relevant.

6. Die mündlichen Offenbarungen, angeblich nachgewiesen durch die Dokumentengruppen D11 (D11 ff.) und D12 (D12 ff.) werden nicht in das Verfahren zugelassen, Artikel 114 (2) EPÜ.

6.1 Die Zulassung von verspätet vorgelegten Beweismitteln und Tatsachen ist - wie oben unter 5.1 bereits ausgeführt - gemäß Artikel 114 (2) EPÜ in das Ermessen der Kammer gestellt.

Laut der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern werden Vorbenutzungen bzw. mündliche Offenbarungen eines Einsprechenden, die erst im Beschwerdeverfahren vorgebracht werden, ungeachtet der Relevanz, in der Regel nicht in das Verfahren zugelassen, wenn sie von der Einsprechenden selbst stammen, vgl. dazu Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 2013, IV.C.1.4.6 d) i).

6.2 Die Dokumente D11 ff. und D12 ff. stellen jeweils eine Präsentation der Einsprechenden 2/ Beschwerde­führerin I (STADLER) dar, die Vertreter der Firma Stadler Bussnang AG im Rahmen einer Konferenz (UITP, D11 ff.) und bei Fa. BLS Lötschberg Bahn AG (D12 ff.) im Januar 2005 gehalten haben.

Die Präsentation gemäß D11 ff. wurde von Herrn P. Spuhler, dem Geschäftsführer der Beschwerde­führerin I (STADLER), die Präsentation D12 ff. von Herrn H. Welte, Entwicklungsleiter bei der Beschwerde­führerin I (STADLER), gehalten. Somit geht die Kammer davon aus, dass zum Zeitpunkt des Beitritts (14. März 2013) der Einsprechenden 2 zum Einspruchsverfahren der Einsprechenden 2 (Beschwerde­führerin I, STADLER) bekannt gewesen sein musste, dass die mündlichen Offen­barungen gemäß D11 ff. und D12 ff. existieren, die ihr Vorbringen im Einspruchs­verfahren hätten unterstützen können.

6.3 Diese Auffassung wird durch den Sachverhalt, der dem Fachrichtervotum vom 10. Februar 2015 des Bundespatent­gerichts der Schweiz zu entnehmen ist, gestützt.

Im Rahmen des dort anhängigen Verfahrens hat die Beschwerdeführerin I/Einsprechende 2 (STADLER) seinerzeit am 8. April 2013 die Dokumente "Präsentation "UITP Wien"" und "Präsentation "Stadler DD-EMU Entwicklungsprojekt"" dem Bundespatentgericht in der Schweiz vorgelegt, vgl. Schreiben der Beschwerde­führerin I (STADLER) vom 18. Februar 2015, Anhang, Fachrichtervotum, dort die Seiten 4 und 5, insbesondere Seite 5, act. 11_10, act. 11_11 und act. 11_12.

6.4 Insofern stellt sich die Frage, warum die Beschwerdeführerin I (STADLER) diese Dokumente nicht auch im anhängigen Einspruchsverfahren vor dem EPA eingereicht hat. Die Beschwerdeführerin I (STADLER) argumentiert hierzu, dass zum Zeitpunkt des Einspruchs­verfahrens vor der Einspruchsabteilung zwar bekannt gewesen sei, dass derartige Präsentationen statt­gefunden hätten, es sei aber in der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen, eine lückenlose Beweiskette vorzulegen. Personen, Zeugen und weitere belegbare Umstände der Präsentationen hätten erst ermittelt werden müssen. Vor allem aber habe man keinen Einfluss auf Zeugen gehabt; so habe die eidesstattliche Erklärung gemäß D11e erst im August 2014 stattgefunden, auch die Antwortzeiten der UITP (D11h) habe man nicht beeinflussen wollen oder können.

Da die Präsentationen gemäß D11 ff. und D12 ff. von der Beschwerdeführerin I (STADLER) selbst offenbart wurden, hätten diese nach Auffassung der Kammer unter Angabe der aller relevanten Umstände (wer?, was?, wo?, wann?, gegenüber wem?) und vorhandener Beweismittel bereits im Einspruchs­verfahren geltend gemacht werden können. Dass zusätzliche Dokumente, wie z.B. D11e (eidesstattliche Erklärung) oder D11h (Bestätigung der UITP), die zur weiteren Untermauerung der Glaubwürdig­keit des Vorbringens dienen, dabei noch nicht der Ein­sprechenden 2 (STADLER) vorgelegen haben, entbindet sie nicht von der Pflicht, ihren Fall bereits mit dem Beitritt, mindestens aber bis zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, so vollständig und umfassend wie möglich darzulegen (siehe auch Punkt 7.3 und 7.4, unten). Insofern sieht die Kammer keinen Grund, von der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern abzuweichen.

7. Das Dokumentenkonvolut D18 (D18 ff.) wird nicht in das Verfahren zugelassen, Artikel 114 (2) EPÜ.

7.1 Das Dokumentenkonvolut D18 (D18 ff.) besteht im Wesentlichen aus einer Präsentation (D18b, Powerpoint: Bordline HP 1000, datiert 17. April 2003), die im Rahmen einer Zusammen­arbeit der Firmen Siemens und ABB per Email von ABB an Siemens gesendet wurde. Weiterhin enthält D18 ff. eine Präsentation (18d: Powerpoint: Umrichterkonzept Bord­line CC-1000), welche mit Email vom 23. Mai 2003 an die Beschwerdeführerin I, nämlich an Herrn Spuhler, den Geschäftführer der Stadler Bussnang AG, zur Kenntnisnahme des Vorgangs zwischen Siemens und ABB verschickt wurde, vgl. D18e. Beide Präsentationen sind weitgehend inhaltsgleich, insbesondere enthalten beide Präsentationen unbestritten eine identische Darstellung jenes Konzepts, welches angeblich den Gegenstand des Anspruchs 1 neuheits­schädlich trifft (vgl. D18b auf Seite 4 und D18d auf Seite 3).

Für das gesamte Dokumentenkonvolut D18 behauptet die Beschwerdeführerin I (STADLER), dass dieser Vorgang nicht der Geheimhaltung unterlegen habe und somit beide Präsentationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.

7.2 Auf das Dokumentenkonvolut D18 treffen daher auch die unter Punkt 6 (siehe oben) gemachten Ausführungen zu den Dokumenten D11 ff. und D12 ff. zu: Die Präsentation 18d war der Einsprechenden 2/Beschwerde­führerin I (nämlich der Geschäftsleitung der Stadler Bussnang AG) zum Beitrittszeitpunkt bekannt, so dass die Kammer davon ausgeht, dass diese Dokumente bereits im Einspruchsverfahren hätten vorgelegt werden müssen.

7.3 Dabei ist es nach Auffassung der Kammer nicht erheblich, dass die Umstände des ersten Teils der D18 ff. - nämlich die von ABB an Siemens übermittelte Präsentation D18b - erst von der Beschwerdeführerin I ermittelt werden mussten, und dass dafür - so die Argumentation der Beschwerdeführerin I - die Zeit zwischen dem Beitritt und der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht ausgereicht habe.

Da beide Präsentationen sich im Wesentlichen mit dem selben Gegenstand (Bordline-Konzept) auseinandersetzen und die Patentfähigkeit des strittigen Anspruchs 1 mit der in beiden Präsentationen identischen Darstellung in Frage stellen - was von der Beschwerdeführerin I (STADLER) auch nicht bestritten wird, ist es vollkommen unerheblich, ob der Einspruchsabteilung die Präsentation 18d oder 18b vorgelegen hätte, um den vorgebrachten Mangel an Neuheit zu prüfen. Beide Präsentationen sind diesbezüglich gleichwertig.

7.4 Im Rahmen eines effizienten und fairen Verfahrens sind die Parteien gehalten, die Tatsachen und Beweismittel, die ihre Anträge zu unterstützen in der Lage sind, fristgerecht, mindestens aber so früh wie möglich vorzubringen. Da die Beschwerdeführerin I (STADLER) nachweislich von der Präsentation D18d Kenntnis hatte und somit objektiv in der Lage gewesen war, das Beweismittel D18d mit der neuheits­schädlichen Darstellung und die Umstände seiner Zugänglichkeit im Einspruchs­verfahren vorzulegen, hätte sie das - wenn D18d im Rahmen des Verfahrens hätte berücksichtigt werden sollen - vorlegen müssen.

Deshalb kann die Einlassung der Beschwerdeführerin I (STADLER), die Ermittlung der Umstände zu D18b hätten eine Vorlage von D18 ff. vor der Einspruchsabteilung unmöglich gemacht, nicht überzeugen.

7.5 An dieser Auffassung der Kammer ändert auch das Argument der Beschwerdeführerin I nichts, dass - wäre D18d nie vorgelegt worden - für D18b als eigenständiges Beweismittel ein anderer Maßstab angesetzt worden wäre, da D18b nicht von der Beschwerde­führerin I selbst stamme, sondern von Dritten; somit müsse auch die Zulassung von D18b isoliert betrachtet werden. Andernfalls habe die Beschwerde­führerin I (STADLER) durch ihre umfassende Darstellung ungerechtfertigte Nachteile.

Da beide Präsentationen D18b und D18d in den entscheidungsrelevanten Teilen unbestritten identisch sind (vgl. D18b auf Seite 4 und D18d auf Seite 3), wäre ein bewusstes Zurückhalten der Präsentation 18d und ein späteres Vorlegen von 18b mit der Begründung, eine frühere Vorlage sei nicht möglich gewesen, als ein Verfahrensmissbrauch anzusehen, der - wenn unerkannt - durchaus zu einer anderen Entscheidung der Kammer in der Zulassungsfrage hätte führen können.

Aus diesem Umstand kann aber billigerweise kein Anspruch begründet werden, das verspätet vorgelegte Beweismittel D18b in das Verfahren zuzulassen.

8. Das Dokument D17f wird nicht in das Verfahren zugelassen, Artikel 13 (1) VOBK.

8.1 Gemäß Artikel 13 (1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.

8.2 Das Dokument D17f ist ein Ausdruck der Wikipedia Internetseite "Stadler GTW". Ausweislich des ersten Absatzes von D17f ist die vorgelegte Version vom 15. September 2006; die Fußnote von D17f verweist auf ein Datum ("13.08.2014 13:27"), welches den Zeitpunkt angibt, an dem dieses Dokument ausgedruckt wurde.

Die Beschwerdeführerin I (STADLER) bringt auch hier vor, dass ihr das Dokument D17f nicht früher bekannt gewesen sei und dass dieses Dokument nach Bekanntwerden im August 2014 mit dem nächsten sich ergebenden Schriftsatz, nämlich als Antwort auf die Beschwerdeerwiderung der Patentinhaberin und den Bescheid der Kammer vorgelegt wurde. Dieses Dokument sei hochrelevant, da es die Neuheit des strittigen Anspruchs 1 in Frage stelle.

8.3 Hierbei ist zunächst festzustellen, dass sich der Inhalt der Wikipedia-Internetseite mit dem Stadler GTW auseinandersetzt, dem Gelenktriebwagen, der von der Beschwerdeführerin I/Einsprechenden 2, der Fa. Stadler, hergestellt wird. Dieser Artikel dokumentiert daher, dass das Wissen über einen angeblich hochrelevanten Gelenktriebwagen bereits zum Zeitpunkt des Beitritts zum Einspruchsverfahren der Einsprechenden 2 (Beschwerdeführerin I) bekannt war.

8.4 Mindestens aber hatte die Beschwerdeführerin I (STADLER) ab dem 13. August 2014 (dem Datum des Ausdrucks) die Kenntnis, dass sich das Dokument D17f für einen weiteren Angriff gegen das Streitpatent eignet, und zwar in Bezug auf den Einspruchsgrund mangelnde Neuheit. Trotzdem ist dieses Dokument nicht unverzüglich den anderen Parteien und der Kammer vorgelegt worden.

So hat die Beschwerdeführerin I erst noch die Antwort der Patentinhaberin auf die Beschwerden abgewartet, anstatt der Patentinhaberin die Möglichkeit zu geben, auf die Behauptung, D17f treffe den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neuheitsschädlich, im Rahmen der Beschwerdeerwiderung zu reagieren. Indes wurde D17f erst nach dem Bescheid der Kammer am 23. Februar 2015, also etwa zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, eingereicht. Zu diesem Zeitpunkt war D17f der Beschwerdeführerin I bereits fast ein halbes Jahr bekannt.

8.5 Somit ist die Beschwerdeführerin I nach Ansicht der Kammer nicht der Verpflichtung nachgekommen, eine effiziente Verfahrensführung zu unterstützen. Ebenfalls ist die Kammer der Ansicht, dass ein derartiges Vorgehen nicht mit den Regeln der Fairness gegenüber der Beschwerdegegnerin in Einklang zu bringen ist: ein vorgeblich neuheitsschädliches Dokument hätte unverzüglich vorgelegt werden müssen. Dies gilt umso mehr, als die Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren eine beschleunigte Behandlung beantragt hat.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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