European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T041414.20170313 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 13 März 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0414/14 | ||||||||
Anmeldenummer: | 07721875.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | F16J 15/32 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Lagerbuchsensystem für eine zweiteilige Lenkwelle | ||||||||
Name des Anmelders: | Dittmann, Ludwig | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Robert Bosch Automotive Steering GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulässigkeit der Beschwerde - ja Zulässigkeit des mit der Beschwerdebegründung eingereichten einzigen Antrags - ja Berichtigung eines offensichtlichen Schreibfehlers Unzulässige Erweiterung der abhängigen Ansprüche - nein Ausführbarkeit - ja Zurückverweisung an der ersten Instanz |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) hat gegen die am 16. Dezember 2013 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 994 316 widerrufen worden ist, am 21. Februar 2014 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 2. April 2014 eingereicht worden.
Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 b) EPÜ (mangelnde Ausführbarkeit, Artikel 83 EPÜ) und Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ) angegriffen worden.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Änderungen des Anspruchs 1 des einzigen, zuletzt als Hauptantrag 2 während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hauptantrags die Erfordernisse der Artikel 84, 123 (2) und 123 (3) EPÜ nicht genügen.
II. In einer Mitteilung vom 15. Dezember 2016 zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung äußerte die Kammer ihre vorläufige Auffassung, dass die Beschwerde des Beschwerdeführers zulässig zu sein scheint (siehe Punkt 4.2 der Mitteilung), dass die Kammer nicht befugt ist zu prüfen, ob die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt sind (siehe Punkt 5.3 der Mitteilung), dass die Ansprüche 1 bis 8 des einzigen Antrags formal zulässig sind, Artikel 123 (2) EPÜ und Regel 139 EPÜ (siehe Punkt 5.4 der Mitteilung), dass die in Anspruch 1 des einzigen Antrags beanspruchte Erfindung so deutlich und vollständig offenbart zu sein scheint, dass ein Fachmann sie ausführen kann (siehe Punkt 6.2 der Mitteilung) und dass, wenn die Ansprüche 1 bis 8 des einzigen Antrags die Erfordernisse der Artikel 123 EPÜ und 83 EPÜ 1973 erfüllen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen wäre, da sie den Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit noch nicht geprüft hat (siehe Punkt 3 der Mitteilung).
III. Am 13. März 2017 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
IV. Der Beschwerdeführer beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der Fassung des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruchssatzes aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, dass die Beschwerde als unzulässig verworfen bzw. zurückgewiesen wird.
V. Anspruch 1 des einzigen Antrags lautet wie folgt:
"Lagerbuchsensystem für eine zweiteilige Lenkwelle zur axial beweglichen und abdichtenden Verbindung einer äußeren Lenkwelle (1) mit einer inneren Lenkwelle, das eine Lagerbuchse (3), statische und dynamische Dichtungsmittel und eine Abdeckkappe (16) umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass die aus einem harten Kunststoff bestehende, mit einem Anschlagbund (2) versehene Lagerbuchse (3) stirnseitig über eine formschlüssig ineinander greifende Schrumpfverzahnung (6, 8) mit einem aus weichelastischem Kunststoff bestehenden, statisch und dynamisch abdichtenden, einstückig ausgebildeten Dichtungselement (7) verbunden ist und dabei das weichelastische Material abstützt, wobei die Schrumpfverzahnung aus am Dichtungselement und an der Lagerbuchse (3) jeweils als Wachturmstruktur ausgebildeten ersten und zweiten Verzahnungsrippen (6, 8) besteht, die aufgrund einer beim Abkühlen des Kunststoffs auftretenden Schrumpfung mechanisch ineinander verkrallt sind, wobei ein zur dynamischen Abdichtung vorgesehener umlaufender Innenschenkel (9) des Dichtungselements (7) eine erste Dichtungslippe (10) aufweist und ein die Seitenfläche des Anschlagbundes übergreifender umlaufender Außenschenkel des Dichtungselements (7) die äußere Lenkwelle (1) stirnseitig kontaktiert und als statischer Dichtungsring (14) fungiert."
VI. Der Beschwerdeführer hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Zulässigkeit der Beschwerde
Der Angriff auf die Zulässigkeit der Beschwerde sei unbegründet. In der Beschwerdeschrift sei beantragt worden, den Widerruf des Patentes aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten. Damit entspreche die Beschwerdeschrift der Regel 99 (1) c) EPÜ, die vorschreibe, dass der Beschwerdegegenstand festgelegt werden muss. In dieser Regel 99 (2) EPÜ sei festgelegt, dass erst in der Beschwerdebegründung dargelegt werden muss, in welchem Umfang die angefochtene Entscheidung abzuändern ist. Das sei durch die Einreichung des neuen Anspruchssatzes mit der Beschwerdebegründung geschehen. Auch nach ständiger Rechtsprechung hat der beschwerdeführende Patentinhaber das Recht, zusammen mit seiner Beschwerdebegründung neue Anträge einzureichen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentsamts, Siebte Auflage 2013, Punkt IV.E.4.1.4, Absatz 2).
Zulassung des einzigen Antrags
Aufgrund des grundlegenden Rechts, dass der Patentinhaber auch im Beschwerdeverfahren auf die erteilte Fassung und eine breitere oder eingeschränkte Fassung zurückgehen könne, sei der vorliegende Antrag zulässig. Da die Kammer erwäge, den Fall an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, falls die Ansprüche 1 bis 8 des einzigen Antrags die Erfordernisse des Artikels 123 EPÜ und des Artikels 83 EPÜ erfüllen, entfalle das Problem, dass die Kammer als letzte und einzige Instanz prüfen müsse, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe oder nicht.
Zulässigkeit der Änderungen
Die mit der Beschwerde angegriffene Widerrufsentscheidung beruhe auf einem angeblichen Verstoß des zuletzt gültigen Hauptanspruchs gegen Artikel 84 sowie Artikel 123 (2) und (3) EPÜ. Sie erging also einerseits wegen unzulässiger Änderung und Erweiterung der Ansprüche. Der ferner der Entscheidung zugrundeliegende Widerrufsgrund nach Artikel 84 EPÜ sei, weil diese Bestimmung an sich kein Einspruchsgrund sei, nur dann im Einspruchsverfahren zu untersuchen, wenn substantielle Änderungen der Ansprüche dies erfordern. Die Widerrufsentscheidung erging also nicht aufgrund des im Einspruchsverfahren zu untersuchenden Artikels 83 EPÜ. Das bedeute also, dass, wenn keine sachliche Änderung der Ansprüche gegenüber der erteilten Fassung vorgenommen werden, beide der Widerrufsentscheidung zugrundeliegenden Widerrufsgründe entfallen.
Anspruch 1 gemäß Hauptantrag enthalte wortgleich die Merkmale der erteilten Ansprüche 1 und 2, mit der Ausnahme von der Berichtigung des offensichtlichen Schreibfehlers "Anschlagbuchse" durch "Anschlagbund", vgl. Entscheidungsgründe 2.2.2.3. Diese Anspruchsfassung biete deshalb keine Angriffsmöglichkeit für eine Beanstandung nach Artikel 123 (2) und (3) EPÜ und damit auch nicht für Artikel 84 EPÜ, weil sachlich keine Änderungen gegenüber der erteilten Fassung vorgenommen wurden.
Sämtliche Unteransprüche in der gesamten Anmeldung inklusive Beschreibung und Zeichnung bilden den dort gezeigten und beschriebenen Gegenstand, nämlich das Lagerbuchsensystem, das jetzt in den Ansprüchen 1 und 2 definiert ist, weiter und seien daher einem Gegenstand in seinen Einzelheiten wie in seiner Gesamtheit zuzuordnen. Unter diesen Umständen sei es unverständlich, dass die Beschwerdegegnerin behaupte, die Ansprüche 2 bis 8 des einzigen Antrags seien durch den ursprünglichen Offenbarungsgehalt der Anmeldung nicht gedeckt.
Einwand mangelnder Ausführbarkeit
Der Begriff "Schrumpfverzahnung" im Anspruch 1 wurde zu Unrecht von der Beschwerdegegnerin insoweit beanstandet, dass dieser Begriff im Internet nicht zu finden sei. Jedes Patent könne aber sein eigenes Lexikon sein, auch bzw. insbesondere dann, wenn dort "unorthodoxe" Begriffe verwendet worden seien. Die Schrumpfverzahnung bestehe nach dem Patent "aus am Dichtungselement und an der Lagerbuchse (3) jeweils als Wachturmstruktur ausgebildeten ersten und zweiten Verzahnungsrippen (6,8), die aufgrund einer beim Abkühlen des Kunststoffs auftretenden Schrumpfung mechanisch ineinander verkrallt sind". Das sei eine genaue Definition.
Die Einspruchsabteilung sei dabei ebenso wie die Beschwerdegegnerin davon ausgegangen, dass bei der Schrumpfung des in die Zahnlücken zwischen den Verzahnungsrippen 6 eingedrungenen Materials des Dichtungselementes 7 dieses in Umfangsrichtung zusammenschrumpfe und daher der Kraftschluss zwischen ihm und den Zähnen aufgehoben werden könne. Das erscheine logisch, wenn man die Schrumpfung nur 2-dimensional betrachte. Es sei jedoch, wie das Ergebnis der fertigen Erfindung lehre, nicht richtig.
Die Schrumpfung sei ein 3-dimensionaler Vorgang und so verhalte sie sich in der Praxis auch. Das Material des Dichtungselementes, das die Verzahnungsrippen 6 umgebe, halte bei der Schrumpfung jeden Zahn der Verzahnungsrippen wie in einem Klammergriff, weil das Dichtungselement-Material an jeder der vier Zahnflanken jedes Zahns sich beim Schrumpfen um ein paar hundertstel oder zehntel Millimeter verkürze. Außerdem schrumpfe das ringförmige Dichtungselement auch insgesamt im Umfang, verringere also etwas seinen Umfang, so dass zusätzlich ein "Schrumpfschluss" entstehe. Dadurch werde das Material nach innen zwischen die Zahnlücken gedrückt.
Was ein Formschluss im Gegensatz zu einem Kraftschluss sei, sei jedem Techniker geläufig. Wer die Patentansprüche und dazu die Beschreibung liest, dem sei klar, dass mit dem Formschluss nur ein solcher in Umfangsrichtung gemeint sein kann, also gegen Verdrehen. Auf Spalte 2, Zeilen 4 bis 10 der Patentschrift sei deutlich ausgesagt, dass durch die ineinandergreifende Rippenverzahnung ein Formschluss entstehe. Das leuchte jedem ein, der schon einmal zwei ineinandergreifende Zahnräder gesehen hat. Sie wirke, wie aus der Patentschrift und insbesondere auch aus den Zeichnungen hervorgehe, in Umfangsrichtung. Es heiße dort ferner, dass zudem eine Verkrallung aufgrund der Schrumpfung entstehe. Auf Spalte 3, Zeilen 26 bis 29 der Patentschrift werde dazu erläutert, dass so "eine feste, innige - jedoch nicht aufgummierte klebende- Verbindung" hergestellt werde. Das sei eine kraftschlüssige Verbindung, die das Abziehen nach oben behindere. Damit seien die beiden Verbindungsarten klar definiert.
Der Begriff "Wachturmstruktur" sei im Anspruch 1 nur ergänzend für die Form der Verzahnungsrippen 6, 8 erwähnt. Er mache das anschaulich, was in der Patentzeichnung Figur 4 dargestellt sei.
Die beanspruchte Erfindung sei somit so deutlich und vollständig offenbart zu sein, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
VII. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Zulässigkeit der Beschwerde
In der Beschwerdeschrift seien folgende Anträge gestellt worden: 1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben; 2. das Patent aufrecht zu erhalten. Regel 99(1) c) EPÜ fordere, dass innerhalb der für die Beschwerdeschrift vorgesehenen Frist ein Antrag eingereicht werden müsse, in dem der Beschwerdegegenstand festgelegt werde. Der Beschwerdegegenstand sei vorliegend jedoch nicht eindeutig festgelegt worden. Es sei unklar, was an die Stelle der angegriffenen Entscheidung treten solle. Der Einspruch solle offensichtlich nicht in vollem Umfang zurückgewiesen werden, denn bereits in der ersten Eingabe vom 12. Mai 2011 auf den Einspruch habe der Beschwerdeführer eine geänderte Anspruchsfassung vorgelegt. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2012 bzw. vom 27. März 2013 sei erneut beantragt worden, das Patent lediglich beschränkt aufrecht zu erhalten. In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hat der Beschwerdeführer dann zwei weitere Hauptanträge 1 und 2 eingereicht und beantragt, das Patent in diesem beschränkten Umfang aufrecht zu erhalten. Es habe keinen Antrag gegeben, das Streitpatent in der erteilten Fassung aufrecht zu erhalten.
Der zweite Antrag der Beschwerdeschrift könne nur so verstanden werden, dass eine Aufrechterhaltung im Umfang des zuletzt eingereichten Hauptantrags 2 beantragt werde. Mit dem nunmehr mit der Beschwerdebegründung eingereichten einzigen Antrag, der erstmalig vorgelegt wurde, verfolge der Beschwerdeführer ein neues Ziel das sich weder aus den Anträgen der Beschwerdeschrift ergebe noch mit dem zuletzt eingereichten Hauptantrag 2 (oder einem vorhergehenden Antrag) identisch sei oder zumindest dessen Limitierungen beinhalte. Zumindest aufgrund eines Verstoßes gegen Regel 99 (1) c) EPÜ sei die Beschwerde daher als unzulässig zurückzuweisen.
Der Beschwerdeführer habe die angegriffene Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht in Frage gestellt und aus der Beschwerdebegründung gehe ferner nicht hervor, weshalb die angegriffene Entscheidung nicht korrekt sei. Das Beschwerdeverfahren sei jedoch vorgesehen, um zu überprüfen, ob die Entscheidung der Einspruchsabteilung zu Recht erfolgt sei. Die erteilte Fassung des Streitpatents sei bereits während des erstinstanzlichen Einspruchsverfahrens fallengelassen worden, und es sei insbesondere auch nicht der Versuch unternommen worden, das Patent im Umfang der erteilten Ansprüche 1 und 2 aufrecht zu erhalten.
Der Antrag in der Beschwerdeschrift, das Patent aufrecht zu erhalten, sei unzulässig. Es stelle einen Verfahrensmissbrauch dar, die erteilte Fassung des Patents erstmals vor der Beschwerdeinstanz sachlich überprüfen zu lassen. Dasselbe gelte auch für den dann mit der Beschwerdebegründung eingereichten Antrag, das Patent im Umfang des erteilten Anspruchs 1 und 2 aufrecht zu erhalten. Auch eine derartige Fassung sei weder als Anspruch im schriftlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung gestellt worden. Im schriftlichen Verfahren habe der Patentinhaber drei Hauptanträge gestellt. In der mündlichen Verhandlung seien dann noch zwei weitere Hauptanträge eingereicht worden.
Nach ständiger Rechtsprechung müsse die Beschwerdebegründung die rechtlichen und faktischen Gründe angeben, aus denen sich die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung ergibt. Die eingereichte Beschwerdebegründung befasse sich allerdings nicht mit den Anträgen, über die die Einspruchsabteilung entschieden habe. Eine Überprüfung könne nur im Umfang der der Entscheidung der Einspruchsabteilung zugrundeliegenden Anträge erfolgen. Daher sei die Beschwerde nach diesseitiger Ansicht nicht zulässig.
Der Beschwerdeführer habe in der Beschwerdeschrift beantragt, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben. Eine Aufhebung der Entscheidung, aufgrund der der Beschwerdeführer überhaupt erst beschwert sei, würde aber dazu führen, dass das Streitpatent im Umfang des zuletzt beantragten Hauptantrags aufrechterhalten wird.
Zulassung des einzigen Antrags
Der Beschwerdeführer habe sich sowohl im schriftlichen Einspruchsverfahren als auch in der mündlichen Verhandlung dazu entschieden, das Patent nicht im erteilten Umfang zu verteidigen, sondern im Umfang mehrerer Hauptanträge, auf die sich die Einsprechende und die Einspruchsabteilung jeweils neu einzustellen hatten. Es liege in der Verfügungsgewalt des Patentinhabers, den Streitgegenstand festzulegen. Der Patentinhaber hätte grundsätzlich versuchen können, das Patent im erteilten Umfang zu verteidigen und hilfsweise weitere Anträge vorzulegen. Dies habe er aber versäumt.
Der Beschwerdeführer würde, wenn diesem gestattet würde, Anträge einzureichen, die über den zuletzt eingereichten Hauptantrag 2 und insgesamt über alle Hauptanträge, die verteidigt wurden, hinauszugehen, besser gestellt als mit einer für den Patentinhaber vollumfänglich positiven Entscheidung der Einspruchsabteilung.
Aufgrund des Verlaufs des Einspruchsverfahrens der Ansicht, sei die Beschwerde auf den Umfang des zuletzt verteidigten Hauptantrags zu beschränken. Es sei nicht die Aufgabe der Beschwerdekammer, erstmalig über neue Anträge zu entscheiden, insbesondere sei dies auch nicht mit der Rolle der Beschwerdekammer als Überprüfungsinstanz vereinbar.
Der Antrag des Beschwerdeführers in der Beschwerdeschrift sei so auszulegen, dass das Patent im Umfang des zuletzt eingereichten Hauptantrags aufrecht zu erhalten sei.
Nach der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 9/91 sei Hauptzweck des mehrseitigen Beschwerdeverfahrens, der unterlegenen Partei eine Möglichkeit zu geben, die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich anzufechten. Ein Patentinhaber, der im Einspruchsverfahren unterlegen sei, hat somit das Recht, die zurückgewiesenen Anträge von der Beschwerdekammer erneut prüfen zu lassen. Will er jedoch andere Anträge prüfen lassen, so liegt es im Ermessen der Beschwerdekammer, sie zum Verfahren zuzulassen; ein Rechtsanspruch darauf habe er nicht.
Gemäß Artikel 12 (4) VOBK liege es im Ermessen der Beschwerdekammern, Anspruchssätze, die in erster lnstanz veranlasst gewesen waren, unberücksichtigt zu lassen. Dies gelte auch für Anspruchssätze, mit denen das Patent erstmals im Beschwerdeverfahren in einer gegenüber dem Einspruchsverfahren breiteren Fassung verteidigt werde.
Die Zulassung des erst im Beschwerdeverfahren vorgelegten Antrags verstoße auf jeden Fall gegen die Verfahrensökonomie. Die Beschwerdekammer wäre nämlich im Fall der Zulassung des Antrags gezwungen, erstmalig über diesen Antrag zu entscheiden, oder den Fall zurückzuverweisen, was eine erhebliche Verzögerung des Verfahrens und erhöhte Kosten für die Gegenpartei mit sich bringen würde. Artikel 12 (4) VOBK sei genau dazu vorgesehen, eine solche Situation zu verhindern.
Der Beschwerdeführer selbst habe bereits in der Beschwerdeschrift darauf hingewiesen, dass die Gründe für die Zurückweisung, nämlich ein Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ sowie Artikel 123(2) und (3) EPÜ nicht mehr gegeben sei, da die neue Anspruchsfassung sich nun auf die erteilten Ansprüchen 1 und 2 stützen würde. Das heiße vorliegend, dass die gesamte Arbeit der Einsprechenden und der Einspruchsabteilung in der ersten Instanz vergebens gewesen sei. Die Einsprechende sei mit mehreren Hauptanträgen konfrontiert worden, die alle Verstöße gegen Artikel 123 (2) EPÜ beinhaltet hätten.
Der einzigen Antrag solle deshalb nicht zugelassen werden.
Zulässigkeit der Änderungen
Die ursprünglichen Ansprüche 3 bis 9 seien jeweils nur auf den erteilten Anspruch 1 bezogen und nicht auf die beantragte Kombination aus dem erteilten Ansprüche 1 und 2. Die Merkmalskombinationen, die sich aus dem Anspruch 1 in Verbindung mit den neuen abhängigen Ansprüchen 2 bis 8 ergeben und die den ursprünglichen Ansprüche 3 bis 9 entsprächen, sind somit gerade nicht in der ursprünglichen Anspruchsfassung offenbart. Eine Offenbarung der neuen Ansprüche 2 bis 8 in Verbindung mit dem neuen Anspruch 1 müsse sich folglich aus der Beschreibung ableiten lassen.
Es gebe keine unmittelbare Offenbarungsquelle für den Begriff "Wachturmstruktur" im neuen Anspruch 1. Lediglich an einer Stelle der Beschreibung sei der Wortstamm "Wachturm" nochmals verwendet worden, nämlich im Begriff "wachturmartig" auf Seite 2, Zeilen 27 bis 33, der Anmeldung. Die Textstelle sei nicht deckungsgleich mit Anspruch 2 wie erteilt und könne nicht herangezogen werden um zu rechtfertigen, dass die neuen Ansprüche 2 bis 8 auf den neuen Anspruch 1 zurückbezogen werden können. Hinzu komme, dass die Merkmale der neuen Ansprüche 2 bis 8 ebenfalls weder wörtlich noch inhaltlich in der Beschreibung identisch zitiert bzw. gar nicht erwähnt seien. Des Weiteren lassen sich für die sich aus dem neuen Anspruch 1 und den neuen Ansprüchen 2 bis 8 ergebenden Ausführungsform auch in der Figurenbeschreibung bzw. der Zeichnungen keine Stütze finden, dies schon deshalb, da dort keine Wachturmstruktur sondern lediglich Verzahnungsrippen gezeigt worden seien.
Es liege deshalb einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ bezüglich der abhängigen Ansprüche vor.
Das Ersetzen des Ausdrucks "Seitenfläche der Anschlagbuchse (2)" durch "Seitenfläche des Anschlagbundes (2)" stelle eine unzulässige Erweiterung des Schutzbereiches da, vgl. Artikel 123 (3) EPÜ.
Einwand mangelnder Ausführbarkeit
Das Patent offenbart die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
Im Anspruch 1 des Patents werde wird auf eine formschlüssig ineinander greifende "Schrumpfverzahnung" verwiesen. Der Begriff "Schrumpfverzahnung" finde sich jedoch an keiner anderen Stelle in der Beschreibung. Lediglich im erteilten Anspruch 2, der nunmehr auch Gegenstand des Anspruchs 1 sei, werde nochmals der undefinierte Begriff "Schrumpfverzahnung" verwendet. Zu diesem Begriff gebe es keine technische Definition und selbst eine Recherche mit Hilfe von Google führe nur zu der Prioritätsanmeldung des Patents bzw. deren internationaler Veröffentlichung. Auch die Bezeichnung "Wachturmstruktur" finde sich in genau dieser Formulierung nur im erteilten Anspruch 2. Es lasse sich für den Fachmann beim Lesen des Patents in keiner Weise ableiten, dass mit "Wachturmstruktur" gemeint sein soll, dass die Verzahnungsrippen am Rand umlaufende Zinnen sein sollen. Unklar und damit nicht ausführbar sei für den Fachmann auch die Formulierung "formschlüssig" im Anspruch 1. Ein Formschluss definiere sich dadurch, dass die zu verbindenden Partner fest miteinander verbunden seien, weil einer der Verbindungspartner einem anderen im Weg sei. Es lasse sich jedoch nicht erkennen wie durch eine Schrumpfverzahnung eine "formschlussige Verbindung" derart hergestellt werden könne, dass das Dichtungselement 7 nicht mehr von der Lagerbuchse 3 stirnseitig abgezogen werden könne.
Der Beschwerdeführer sei jeglichen Nachweis schuldig geblieben zu belegen, dass der Begriff "Schrumpfverzahnung" technisch irgendwo definiert sei. Dem Beschwerdeführer sei zwar zuzustimmen, dass das Patent sein eigenes Lexikon sein könne, aber dann solle die Wortschöpfung in der Beschreibung so erläutert werden, dass ein Fachmann diese eindeutig verstehen, nacharbeiten und so die Erfindung ausführen könne.
Dies sei jedoch nicht der Fall. Der Beschwerdeführer versuche aus diesem Begriff abzuleiten, dass "Zinnen" der Lagerbuchse vollständig, d. h. auch innen und außen, von "Zinnen" (?) des Dichtelements eingeschrumpft werden. Dies aber ergebe sich nicht aus dem Begriff "Schrumpfverzahnung", sei nicht offenbart, und kollidiere mit den Merkmalen im neuen Anspruch, dass es die Verzahnungsrippen sein sollen, die eine "formschlussig" ineinander greifende Verbindung (durch die beim Abkühlen auftretende Schrumpfung) herstellen. Dass die "formschlüssige" Schrumpfverzahnung nun durch einen lnnenring/Außenring des Dichtelements erzeugt werden solle, der die Zinnen der Lagerbuchse einschließe und einschrumpfe, sei ein neuer, nirgends erwähnter und im Widerspruch zu Anspruch 1 stehender Aspekt.
Das Kernproblem, das der Fachmann vorliegend mit der Erfindung hat, sei jedoch ein anderes. Es gebe zwei Passagen im Patent, worin "Schrumpfung" bzw. "schrumpft", nämlich Spalte 2, Zeilen 4 bis 10, und Spalte 3, Zeilen 20 bis 29. Der Fachmann entnehme den beiden Passagen, dass zur formschlüssigen Befestigung des Dichtungselements an der Stirnseite der Lagerbuchse wachturmartige, ineinander greifende Rippenverzahnungen ausgebildet seien, und dass beim Abkühlen des Dichtungselements auf der aus dem harten Kunststoff bestehenden Lagerbuchse eine Schrumpfung eintrete, so dass sich die Verzahnungsrippen des Dichtungselements in den Verzahnungsrippen der Lagerbuchse verkrallen. Wesentlich dabei sei in beiden zitierten Passagen das Abkühlen des Dichtungselements. Der Fachmann werde dies so auffassen, dass das Dichtungselement in einem erwärmten Zustand mit der Lagerbuchse zu verbinden sei. Die erwärmten Verzahnungsrippen 8 des Dichtungselements können daher maximal eine Breite aufweisen, die dem Abstand (Lücke) zwischen zwei Verzahnungsrippen 6 der Lagerbuchse entspreche. Wenn nun das Dichtungselement abkühle, schrumpfe folglich auch die Verzahnungsrippen 8, so dass deren Breite geringer ist als den genannten Abstand. Es komme folglich nicht zu einer festen und innigen Befestigung. Es finde sich im Patent auch kein Hinweis darauf, wie der statische Dichtungsring 14 sowie der Innenschenkel 9 gestaltet sein müsse, damit diese einerseits die Versteifungsrippen 6 bzw. den Anschlagbund 2 umfassen können und andererseits die offensichtlich notwendigen Freiräume vorhanden seien, damit das Dichtelement insgesamt schrumpfen könne.
Eine Verbindung zwischen zwei Kunststoffteilen erfolge häufig durch Spritzgießen. Ein Materialschwund werde dabei im Regelfall dadurch ausgeglichen, dass unter Druck eingespritzt werde, so dass ein Materialschwund beim Abkühlen durch das Zuführen von weiterem Material ausgeglichen werd. Dem Patent sei jedoch kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass ein Spritzgießverfahren gemeint sein könnte, insbesondere wurde dies der Beschreibung des Patents widersprechen. Der Fachmann müsse beim Studium des Patents davon ausgehen, dass zwei bereits fertige Bauteile miteinander durch Schrumpfen bzw. Aufschrumpfen zu verbinden seien. Die Lagerbuchse und das mit dieser fest verbundene Dichtungselement seien als ein einziges Bauteil beschrieben worden, siehe Spalte 2, Zeilen 13 bis 15 und Spalte 3, Zeile 54 bis Spalte 4, Zeile 1 des Patents. Dies spreche eindeutig dafür, dass der Fachmann eine Verbindung herzustellen habe, die nicht abziehbar sei. Dies sei aber durch ein bloßes Schrumpfen, so wie dies im Anspruch 1 definiert sei, nicht möglich.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde
1.1 Gemäß Regel 99 (1) c) EPÜ muss die Beschwerdeschrift einen Antrag enthalten, in dem der Gegenstand der Beschwerde festgelegt wird.
In der Beschwerdeschrift hat der Beschwerdeführer beantragt, "den Widerruf des Patents aufzuheben und das Patent aufrecht zu erhalten".
Somit genügt die Beschwerdeschrift Regel 99 (1) c) EPÜ.
1.2 Gemäß Regel 99 (2) EPÜ hat der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung "darzulegen, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufzuheben oder in welchem Umfang sie abzuändern ist und auf welche Tatsachen und Beweismittel er seine Beschwerde stützt".
In der Beschwerdebegründung wurde "[Der in der Beschwerdeschrift gestellte] Antrag ... dahingehend präzisiert, dass beantragt wird, das Patent unter Aufhebung des Widerrufs mit den anliegend eingereichten Ansprüchen 1 bis 8 aufrecht zu erhalten".
Mit diesem Antrag wird der Umfang in dem die Entscheidung abzuändern ist angegeben. Da auch die Tatsachen und Beweismittel auf welche sich die Beschwerde stützt angegeben sind, erfüllt die Beschwerdebegründung die Erfordernisse der Regel 99 (2) EPÜ.
1.3 Es ist unbestritten, dass die Beschwerde den Artikeln 106 bis 108 und Regel 99 (1) b) entspricht.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist deshalb zulässig, vgl. Regel 101 (1) EPÜ.
2. Zulassung des einzigen Antrags
2.1 Es liegt im Ermessen der Kammer Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind, vgl. Artikel 12 (4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK), erster Halbsatz. Artikel 12 (4) VOBK, zweiter Halbsatz, bestimmt, dass das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Artikel 12 (1) VOBK von der Kammer berücksichtigt wird, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse nach Absatz 2 erfüllt.
2.2 Anspruch 1 des einzigen Antrags unterscheidet sich von den während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zuletzt eingereichten Hauptantrag 2 dadurch, dass
i) die Ausdrücke "Rippenverzahnung" bzw. "die Rippenverzahnung" durch den Ausdrücke "Schrumpfverzahnung (6, 8)" bzw. "die Schrumpfverzahnung" ersetzt worden ist,
ii) dass Bezugszeichen "(6, 8)" nach dem Ausdruck "Verzahnungsrippen" eingefügt worden ist,
iii) dass der Ausdruck "und das Dichtungselement (7)" durch das Wort "die" ersetzt worden ist,
iv) dass der Ausdruck "aus thermoplastischen Elastomer bestehenden weichelastischen Kunststoffs des Dichtungselements (7) durch das Wort "Kunststoffs" ersetzt worden ist, und
dass der Ausdruck "eine Schrumpfverzahnung bildet und mechanisch an der Lagerbuchse (3) gehalten ist" durch den Ausdruck "mechanisch ineinander verkrallt sind" ersetzt worden ist.
Anspruch 1 des Hauptantrags 2 enthält auch eine handschriftliche Änderung, xxxx Hirthverzahnung, die sich im Text oberhalb des Wortes "Wachturmstruktur" befindet. Es ist nicht klar in welchen Zusammenhang diese Änderung mit Anspruch 1 steht. Eine Merkmalsgliederung dieses Anspruchs wurde in der angefochtenen Entscheidung (siehe Sachverhalt und Anträge, Punkt 13) ohne das Wort "Hirthverzahnung" wiedergegeben. Offensichtlich hat die Einspruchsabteilung diese Änderung nicht berücksichtigt.
Das Merkmal des Anspruches 1 des Hauptantrags 2, wonach der für das Dichtungselement (7) eingesetzte Kunststoff ein thermoplastisches Elastomer ist, wurde im geltenden einzigen Antrag als abhängiger Anspruch 8 aufgenommen.
Die Änderungen bewirken, dass Anspruch 1 des einzigen Antrags der Kombination der Ansprüche 1 und 2 wie erteilt entspricht (außer dass der Ausdruck "der Anschlagbuchse" durch "des Anschlagbundes" ersetzt wurde) und dass die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 des einzigen Antrags den erteilten Ansprüchen 3 bis 9 entsprechen.
2.3 Nach Auffassung der Kammer sind die Anspruchssätze des einzigen Antrags und des Hauptantrags 2 materiell-rechtlich gleichwertig. Die Änderungen i) bis v) betreffen Formulierungsversuche und stellen keine wesentlichen Änderungen dar.
2.4 Somit ist der Anspruchssatz des einzigen Antrages im Kern bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt worden und diente als Grundlage für die Entscheidung der Einspruchsabteilung.
Deshalb bestand für die Beschwerdekammer kein Anlass diesen Antrag nicht zu berücksichtigen.
3. Befugnis der Kammer Klarheitseinwände zu prüfen
3.1 Die Beschwerdegegnerin hat in ihrer Beschwerdeerwiderung (siehe Punkt III "Artikel 100 b) EPÜ", Seiten 7 bis 16, insbesondere Punkte b) und c)) Klarheitseinwände gegen den Formulierungen "formschlüssig" und "Wachturmstruktur" erhoben.
Die Große Beschwerdekammer hat in ihrer Entscheidung G 1/04 (ABl. EPA 2015, A102) Folgendes entschieden: "Bei der Prüfung nach Artikel 101 (3) EPÜ, ob das Patent in der geänderten Fassung den Erfordernissen des EPÜ genügt, können die Ansprüche des Patents nur auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ geprüft werden, sofern - und dann auch nur soweit - diese Änderung einen Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ herbeiführt".
3.2 Da die Ansprüche 1 bis 8 des einzigen Antrags im Wesentlichen Anspruch 2 bis 9 wie erteilt entsprechen, ist die Kammer nicht befugt zu prüfen, ob die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt sind.
4. Zulässigkeit der Änderungen, Regel 139 EPÜ und Artikel 123 EPÜ
4.1 Anspruch 1 des einzigen Antrags entspricht in Wesentlichen der Kombination der Ansprüche 1 und 2 wie erteilt, außer dass der Ausdruck "der Anschlagbuchse (2)" durch "des Anschlagbundes (2") ersetzt wurde.
Der Begriff "Anschlagbuchse" kommt nur einmal in der Patentschrift vor, und zwar im Anspruch 1. Der Fachmann würde den Ausdruck "Seitenfläche der Anschlagbuchse (2)" bereits wegen des bestimmten Artikels "der" in diesem Ausdruck als einen offensichtlichen Fehler erkennen, da davor in Anspruch 1 keine "Anschlagbuchse (2)" definiert worden ist. Dem gegenüber ist in Zeile 8 des Anspruchs 1 (siehe Seite 4 der Patentschrift) ein "Anschlagbund (2)" definiert.
Da im auf Anspruch 1 zurückbezogenen Anspruch 5 der Anmeldung, sich der Ausdruck "Seitenfläche des Anschlagbundes (2)" befindet, und auf Seite 5, Zeilen 19 und 20 der Veröffentlichungsschrift ausgeführt wird, dass "[Ein] umlaufender Außenschenkel ... an der Seiten-fläche des Anschlagbundes 2" anliegt, hat die Kammer keine Zweifel, dass der Fachmann den Ausdruck "Seitenfläche einer Anschlagbuchse (2)" im erteilten Anspruch 1 im Sinne von "Seitenfläche des Anschlagbundes (2)" versteht.
Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei der obengenannte Änderung um ein(e) [Antrag auf] Berichtigung von Mängeln in den beim Europäischen Patentamt eingereichten Unterlagen nach Regel 139 EPÜ.
Eine solche Berichtigung hat rein feststellenden Charakter und verstößt daher nicht gegen das Erweiterungsverbot nach Artikel 123 (2) EPÜ, vgl. Entscheidung G 3/89 (ABl. EPA 1993, 117), Schlussfolgerung Nr. 1, letzter Satz.
Nach Auffassung der Kammer liegt auch kein Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ vor. Dem von dem Beschwerdeführer vorgeschlagenen Berichtigungsantrag kann deshalb stattgeben werden.
4.2 Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 des einzigen Antrags entsprechen den erteilten abhängigen Ansprüchen 3 bis 9, die identisch mit den ursprünglich eingereichten abhängigen Ansprüchen 3 bis 9 sind. Die Ansprüche 2 bis 6 und 8 des einzigen Antrags sind alle rückbezogen auf den unabhängigen Anspruch 1. Weil Anspruch 1 des einzigen Antrags eine Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 2 ist, können die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 als Kombinationen der Ansprüche "1, 2 und 3" ... "1, 2 und 8" und "1, 2 und 9" wie erteilt betrachtet werden.
4.3 Die Beschwerdegegnerin hat vorgetragen, dass die Gegenstände dieser Kombinationen als Zwischenverallgemeinerungen über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, da nur die Kombinationen "Anspruch 1 und Anspruch 3", ... , "Anspruch 1 und Anspruch 7" und "Anspruch 1 und Anspruch 9" (vgl. die ursprünglich eingereichten Ansprüchen 3 bis 7 und 9) offenbart seien, d. h. ohne zusätzliche Merkmale des ursprünglich eingereichten Anspruchs 2.
Dieser Argumentation ist die Kammer nicht gefolgt. Nach Auffassung der Kammer würde der Fachmann, gerade weil die ursprünglich eingereichten Ansprüche 3 bis 7 und 9 nur auf Anspruch 1 rückbezogen sind, die jeweilige zusätzliche Merkmale alleine für sich als vorteilhafte Weiterbildungen der Erfindung betrachten und, weil diese Merkmale nicht sich gegenseitig ausschließende Ausführungsformen betreffen, auch die Kombination von mehreren abhängigen Ansprüchen als besonders vorteilhafte Weiterbildungen der Erfindung erkennen würde. Dies wird durch die Beschreibung der Erfindung sowie die zugehörigen Zeichnungen wie folgt bestätigt:
Auf Seite 3, Zeilen 5 bis 8 der Anmeldung in der veröffentlichten Fassung (weiterhin mit Anmeldung bezeichnet) wird ausgeführt, dass in weiterer Ausbildung der Erfindung die statische Dichtung zwei im Abstand übereinander umlaufende Dichtungslippen mit einem zwischen diesen ausgebildeten Schmiermittelreservoir umfasst (vgl. Anspruch 3). Auf Seite 3, Zeilen 12 bis 14 der Anmeldung wird ausgeführt, dass in Ausgestaltung der Erfindung an der Außenfläche der Lagerbuchse zur Versteifung Längsrippen und/oder Querrippen angeformt sind (vgl. Anspruch 6). Auf Seite 3, Zeilen 16 bis 21 der Anmeldung wird ausgeführt, dass das einstückige Dichtungselement aus einem thermoplastischen Elastomer besteht (vgl. Anspruch 9) und dass die Lagerbuchse vorzugsweise aus Polyamid besteht und dass das Polyamid ein Gleitmittel, beispielsweise Teflon oder Molybdändioxid, eingelagert ist (vgl. Ansprüche 7 und 8).
In der ursprünglich eingereichten Anmeldung ist ein einziges Ausführungsbeispiel der Erfindung beschrieben, siehe Seite 3, Zeile 23 bis Seite 6, Zeile 19 der veröffentlichten Fassung. Die Weiterbildungen nach Ansprüchen 6 bis 8 bzw. 9 sind auf Seite 4, Zeilen 16 bis 22 bzw. Zeilen 32 und 33, nochmals genannt. Die Weiterbildungen nach Ansprüchen 3 und 5 bzw. 4 sind auf Seite 5, Zeilen 14 bis 25 und Zeilen 26 bis 29 erwähnt und in der Figur 2 gezeigt. Diese Figur zeigt auch die Weiterbildung nach Anspruch 9 und teilweise nach Anspruch 7 und Figur 4 zeigt die Weiterbildung nach Anspruch 4.
Der Beschwerdeführer hat mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 beantragt, die Rückbeziehung des Anspruchs 7 des einzigen Antrags amtsseitig zu ändern in "nach Anspruch 6". Da Anspruch 7 des einzigen Antrags rückbezogen ist auf sich selbst, kann diesem Berichtigungsantrag ebenfalls stattgeben werden.
4.4 Die Kammer kommt somit zu dem Ergebnis, dass die Ansprüche 1 bis 8 formal zulässig sind, Artikel 123 (2) und (3) EPÜ und Regel 139 EPÜ.
5. Einwand mangelnder Ausführbarkeit, Artikel 100 b) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ 1973
5.1 Das Merkmal des erteilten Anspruchs 2, nämlich "[wobei] die Schrumpfverzahnung aus am Dichtungselement und an der Lagerbuchse (3) jeweils als Wachturmstruktur ausgebildeten ersten und zweiten Verzahnungsrippen (6, 8) besteht, die aufgrund einer beim Abkühlen des Kunststoffs auftretenden Schrumpfung mechanisch ineinander verkrallt sind" wurde nach dem Ausdruck "gestützt," im Anspruch 1 wie erteilt eingefügt.
Figur 4 des Patents zeigt eine perspektivische Darstellung des Lagerbuchsensystems bestehend aus einer Lagerbuchse 3 und einem Dichtungselement 7. Figur 1 des Patents zeigt eine perspektivische Ansicht eines auf der äußeren Lenkwelle angebrachten Lagerbuchsensystems mit einer Abdeckkappe 16 im Schnitt. Nach Auffassung der Kammer geht bereits aus der Figur 1 in Verbindung mit Figur 4 des Patents für den Fachmann klar hervor, was unter eine Wachturmstruktur zu verstehen ist. Die in der Figur 4 gezeigte Verzahnungsrippen 6 der Lagerbuchse 3 ähneln "Zinnen" eines Wachturms.
In einem ersten Passus in Spalte 2, Zeilen 4 bis 10, wird dies wie folgt verdeutlicht: "Zur formschlüssigen Befestigung des Dichtungselements an der Stirnseite der Lagerbuchse ist beidseitig eine wachturmartige, ineinander greifende Rippenverzahnung ausgebildet, die auch die Vorspannkraft der Haltebuchse aufnimmt und die zudem aufgrund der Schrumpfung während des Abkühlens ineinander verkrallt ist".
In einem zweiten Passus in Spalte 3, Zeilen 20 bis 29, wird ausgeführt: "Das Dichtungselement 7 besteht aus einem weichen zweiten Kunststoff, das heißt, einem thermoplastischen Elastomer (TPE, technischer Gummi) , das beim Abkühlen auf der aus dem harten Kunststoff bestehenden Lagerbuchse schrumpft, so dass sich dessen ( zweite) Verzahnungsrippen 8 in den (ersten) Verzahnungsrippen 6 der Lagerbuchse 3 verkrallen und so eine feste, innige - jedoch nicht aufgummierte klebende - Verbindung zwischen der Lagerbuchse 3 und dem Dichtungselement 7 hergestellt wird".
Diese Passagen lehren den Fachmann, dass das aufgewärmte (thermoplastische) Material des Dichtungselements in situ auf und um die Verzahnungsrippen 6 der Lagerbuchse 3 aufgebracht werden soll. Nach Auffassung der Kammer würde der zuständige Fachmann, ein Ingenieur auf dem Gebiet der Fahrzeugtechnik, insbesondere für zweiteilige Lenkwellen, mit Erfahrung auf dem Gebiet der Kunststofffertigungstechnik, der das aufgewärmte Material in situ insbesondere in den Lücken zwischen den Verzahnungsrippen der Lagerbuchse anbringen möchte, ein Spritzgießverfahren in Erwägung ziehen.
Der letzte Halbsatz des erteilten Anspruchs 2, nämlich "die aufgrund einer beim Abkühlen des Kunststoffs auftretenden Schrumpfung mechanisch ineinander verkrallt sind", gibt den Fachmann einen weiteren Hinweis, wie er vorgehen soll.
Wie der Figur 4 zu entnehmen ist, ragen die Verzahnungsrippen 6 der Lagerbuchse freistehend über das massive Unterteil der Lagerbuchse hinaus. Dahingegen sind die Verzahnungsrippen 8 des Dichtungselements seitlich durch Innenschenkel 9 und einen als statischer Dichtungsring 14 fungierenden Außenschenkel sowie von oben durch das Material, das beide Schenkel verbindet, eingefasst (vgl. Figur 1). Die beiden Teile sind formschlüssig verbunden.
Die Beschwerdegegnerin hat vorgetragen, dass durch die Schrumpfung der Verzahnungsrippen 8 des Dichtungselements die Lücken zwischen den Verzahnungsrippen der Lagerbuchse nicht mehr formschlüssig ausgefüllt werden. Sie hat diese Behauptung jedoch nicht weiter belegt.
Nach Auffassung der Kammer ist es plausibel, dass durch die Abkühlung bzw. die Schrumpfung des Dichtungselements (Verzahnungsrippen 8, Innen - und Außenschenkel sowie das Material, das beide Schenkel verbindet) Material in den (großteils durch die Verzahnungsrippen 8 bereits ausgefüllten) Lücken zwischen den Verzahnungsrippen der Lagerbuchse gedrückt wird, den "Materialschwund" der Verzahnungsrippen 8 kompensiert und deshalb eine formschlüssige Befestigung zustande kommt.
Die Kammer möchte darauf hinweisen, dass das aus Lagerbuchse und einstückigem Dichtungselement gebildete "Lagerbuchsensystem für eine zweiteilige Lenkwelle" zwar als eine ein einziges Teil bildende Lagerbuchse beschrieben wird (Spalte 2, Zeile 14 und Spalte 3, Zeile 58), wobei Lagerbuchse und Dichtungselement fest und innig verbunden sind (Spalte 3, Zeile 27 und Spalte 4, Zeile 1), dies jedoch nicht bedeutet, dass diese Verbindung nicht gelöst werden kann. Im Gegenteil, in Spalte 3, Zeile 27, wird darauf hingewiesen, dass die Verbindung nicht klebend ist.
5.2 Die in Anspruch 1 des einzigen Antrags beanspruchte Erfindung ist deshalb so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
6. Zurückverweisung an der ersten Instanz
Die Kammer erachtet es als angemessen, die Angelegenheit gemäß Artikel 111 (1) EPÜ an die erste Instanz zurückzuverweisen, da die Einspruchsabteilung über den Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ) noch nicht entschieden hat.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.