European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T032614.20171026 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 26 October 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0326/14 | ||||||||
Anmeldenummer: | 03740478.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | E04H 4/00 E04C 2/54 |
||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | GEGENSTÄNDE AUS PMMA-FORMMASSE | ||||||||
Name des Anmelders: | Evonik Röhm GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | ARKEMA FRANCE | ||||||||
Kammer: | 3.3.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Funktionelle Definition - mangelnde Ausführbarkeit | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung des Einspruchs gegen das europäische Patent 1 573 150.
II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang beantragt.
III. Anspruch 1 des Streitpatents lautete wie folgt:
"1. Heißwasserwechselbeständiges Sanitärmaterial aus einem thermoplastischen Kunststoff mit einem Gehalt an Schlagzähmodifier zwischen 1 und 15 Masse-%, bezogen auf die Gummiphase des Schlagzähmodifiers,
dadurch gekennzeichnet,
dass zur Herstellung des Sanitärmaterials eine PMMA-Formmasse aus Methylmethacrylat mit einer Zusammensetzung von bis zu 4 Gew.-% vinylische Comonomere und einem mittleren Molekulargewicht Mw von 130.000 bis 190.000 g/mol eingesetzt wird und dass die Formmasse durch Extrusion zu einem plattenförmigen Halbzeug verarbeitet wird."
IV. Im Beschwerdeverfahren wurde auf die folgenden in der angefochtenen Entscheidung zitierten Dokumente Bezug genommen:
D1: WO 00/29480 A1
D8: EP 0 650 986 A2
D8a: US 3,793,402
D9: DE 196 22 579 C1
D10: Kunststoff-Handbuch, Band IX, "Polymethacrylate", Carl Hanser Verlag München, 1975, Seiten 112 bis 115, 374 bis 377 und 384 bis 387
D11: Eidesstattliche Erklärung von Herrn Alexander Theil vom 1. November 2013
D12: Der im Absatz [0004] des angegriffenen Patents erwähnte Stand der Technik.
In der Entscheidung wird die Nummerierung der Beispiele und Vergleichsbeispiele des Streitpatents übernommen, die von den Parteien angewendet wurde. Demnach werden die 5 Experimente, die in der Tabelle auf Seite 5 des Streitpatents dargestellt werden, von oben nach unten als Beispiele 1 bis 5 durchnummeriert.
V. In der angefochtenen Entscheidung befand die Einspruchsabteilung, dass die Merkmale "Heißwasserwechselbeständiges Sanitärmaterial" und "durch Extrusion zu einem plattenförmigen Halbzeug verarbeitet wird" einschränkende Merkmale des Produkts nach Anspruch 1 darstellten. Der Einwand, dass Anspruch 1 auf Grund einer mangelnden Definition der Menge an Schlagzähmodifier Ausführungsformen beinhalte, die nicht ausführbar seien, sei ohne unterstützenden Beweis nicht überzeugend. Des Weiteren seien Dokumente D9 bis D11, aber nicht Dokumente D8 und D8a, ins Verfahren zugelassen worden. Die Neuheit gegenüber D1 sei anzuerkennen. Der beanspruchte Gegenstand sei erfinderisch, wenn man von D1 oder D12 ausgehe, obwohl D12 als nächstliegender Stand der Technik nicht geeignet sei. Obwohl es wahrscheinlich sei, dass Plexiglas®7H, das in den Vergleichsbeispielen des Streitpatentes verwendet worden sei, die strukturellen Merkmale der PMMA-Formmasse gemäß Anspruch 1 des Streitpatents erfülle, sei jedoch aus den Beispielen und Vergleichsbeispielen des Streitpatents zu entnehmen, dass sich die Heißwasserwechselbeständigkeit durch Verringerung des Comonomeranteils in PPMA oder Zugabe eines Schlagzähmodifiers verbessern lasse. Somit sei der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit nicht überzeugend.
VI. Gegen diese Entscheidung erhob die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde.
VII. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 26 Oktober 2017 statt.
VIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei sowohl durch strukturelle Merkmale, als durch Eigenschaften (Heißwasserwechselbeständigkeit, Extrudierfähigkeit und Eignung zu Sanitärmaterial) definiert. Das Streitpatent enthalte aber keine Angabe, welche Maßnahmen notwendig seien, um ein heißwasserwechselbeständiges Material zu erhalten.
b) Im Gegenteil würden die Vergleichsbeispiele des Streitpatents zeigen, dass Platten, die nach der Lehre des Streitpatent hergestellt seien, die zu erreichende Heißwasserwechselbeständigkeit nicht aufweisen würden. Wie mit D9 und D10 gezeigt sei, sei das Produkt PLEXIGLAS®7H, welches als Polymermatrix in den Vergleichsbeispielen des Streitpatents verwendet sei, ein Polymer, das die strukturellen Merkmale eines PMMA gemäß Anspruchs 1 des Streitpatents besitze. Obwohl zwei von den Platten, die in den Vergleichsbeispielen beschrieben seien, somit alle strukturelle Merkmale des Anspruchs 1 zeigen würden, würden diese die im Anspruch 1 geforderte Heißwasserwechselbeständig-keit nicht besitzen. Daher sei im Hinblick auf die im Streitpatent beschriebenen Vergleichsbeispiele zweifelhaft, dass die Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar sei.
c) Ein Zusammenhang zwischen Heißwasserwechsel-beständigkeit und der Verwendung von Schlagzähmodifiern sei aus dem Streitpatent nicht zu entnehmen. Die Verwendung von Schlagzähmodifiern sei gemäß Absatz [0038] des Streitpatents und Anspruch 1 der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht optional, und wie in den Beispielen gezeigt sei, trage deren Verwendung nicht zur Heißwasserwechselbeständigkeit bei. Aus der Tatsache, dass die Verwendung eines Comonomers ebenfalls als optional gelte, sei im Streitpatent nicht angegeben worden, dass diese zu der Materialeigenschaft der Heißwasserwechselbeständig-keit beitrage.
d) Die PMMA-Formmasse aus den Beispielen 1 und 2 würde sich nicht nur von PLEXIGLAS®7H durch die Menge an Comonomer, sondern auch durch die Art des Comonomers und durch das Molekulargewicht unterscheiden, so dass es nicht möglich sei, einen Zusammenhang zwischen Gehalt an Comonomer und Heißwasserwechselbeständigkeit anhand der Beispiele und Vergleichsbeispiele des Streitpatents festzustellen. Des Weiteren wisse man nicht, welche und wieviele übliche Zusätze in den Beispielen und Vergleichsbeispielen angewendet worden seien. Somit sei ein aussagekräftiger Vergleich der im Streitpatent enthaltenen Experimente nicht möglich.
e) Aus diesen Gründen sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht ausführbar.
IX. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Der Anspruch 1 des Streitpatents könne nicht anders ausgelegt werden als ein durch Extrusion hergestelltes, heißwasserwechselbeständiges Sanitärmaterial in Form eines plattenförmigen Halbzeugs aus einer PMMA-Formmasse aus Methylmethacrylat mit einer Zusammensetzung von bis zu 4 Gew.-% vinylischen Comonomeren und einem mittleren Molekulargewicht Mw von 130.000 bis 190.000 g/mol, wobei der Gehalt an Schlagzähmodifier zwischen 1 und 15 Masse-%, bezogen auf die Gummiphase des Schlagzähmodifiers, liege.
b) Dabei bedeute der Begriff "heißwasserwechsel-beständig", dass das Material den Heißwasser-wechseltest über mindestens 20 Zyklen nach DIN ISO 263 bestehe.
c) Der Fachmann sei durch die Angaben gemäß dem erfindungsgemäßen Beispiel wenigstens ein Weg zur Ausführung der Erfindung im Einzelnen angegeben, der er ohne Problem nacharbeiten könne.
d) Darüber hinaus seien ihm genügend Variationen davon bekannt, nämlich durch Variationen der Menge an Schlagzähmodifier und des Gehalts an Comonomer in der PMMA-Formmasse, wie die Heißwasserwechsel-beständigkeit des Sanitärmaterials in Form eines plattenförmigen Halbzeugs zu erreichen sei, d.h. die Ausführung der Erfindung sei im gesamten beanspruchten Bereich durch diese allgemeine Lehre ermöglicht.
e) Durch die Zugabe eines Schlagzähmodifiers lasse sich die Heißwasserwechselbeständigkeit zwangsläufig verbessern, wie es aus der Seite 5, Zeilen 15-17 des Streitpatents hervorgehe. Gegenüber einem Vergleich ohne Schlagzähmodifier mit dem Effekt von "vielen kleinen Rissen nach einem Wechsel" erziele ein Zusatz von 5 % Schlagzähmodifier, bezogen auf die Gummiphase, einen Effekt von 4 Wechseln mit starker Rissbildung und ein Zusatz von 10 % Schlagzähmodifier, bezogen auf die Gummiphase, einen Effekt von 12 Wechseln mit vielen feinen Rissen.
f) Es wurde während der Verhandlung anerkannt, dass das in den Vergleichsbeispielen des Streitpatents verwendete Produkt PLEXIGLAS®7H eine PMMA-Formmasse mit den im Anspruch 1 des Streitpatents definierten strukturellen Merkmalen darstelle. Die Vergleichsbeispiele 3 bis 5 seien lediglich als Vergleichsbeispiele gekennzeichnet, weil die mit diesen Experimenten erhaltenen Platten nicht heißwasserwechselbeständig seien. Wie D11 zeige, lasse sich dennoch durch die Verwendung von 15 Gew.-% Schlagzähmodifier, d.h. innerhalb des im Anspruch 1 definierten Mengenbereichs eine heißwasserwechselbeständige Platte auf der Basis von PLEXIGLAS®7H herstellen.
g) Dokument D9 und Dokument D10, das ein Standartwerk über Polymethacrylate darstelle, würden zeigen, dass es dem Fachmann bekannt sei, dass PLEXIGLAS®7H eine PMMA-Formmasse mit einem mittleren Molekulargewicht von 180.000 g/mol aus Methylmethacrylat mit mehreren Gew.-% Methylacrylat sei. PLEXIGLAS®7H sei dem Fachmann wohl bekannt. Es gebe keinen Anlass davon auszugehen, dass sich die in den Beispielen 1 und 2 verwendete PMMA-Formmasse von PLEXIGLAS®7H durch andere Merkmale als den Gehalt an Comonomer und den Typ an Comonomer unterscheide. Es gebe auch keinen Grund anzunehmen, dass die üblichen Zusätze, die in den Absätzen [0031] und [0032] des Streitpatents genannt seien und die in kleinen Mengen verwendet seien, einen Einfluss auf die Heißwasserwechselbeständigkeit haben würden. Daher sei es für den Fachmann aus zwei Vergleichen mit den experimentellen Ergebnissen des Streitpatents, nämlich zwischen dem Beispiel 1 und dem Beispiel 3 und zwischen dem Beispiel 2 und dem Beispiel 4 festzustellen, dass die Heißwasserwechselbeständigkeit zunehme, wenn der Anteil an Comonomer der PMMA-Formmasse abnehme.
h) Daher zeige das Streitpatent, dass man selbst am äußeren Rand des beanspruchten Gegenstands die erforderliche Heißwasserwechselbeständigkeit durch die im Streitpatent gelehrten Maßnahmen erreichen könne.
i) Die Ausführbarkeit der vorliegenden Erfindung sei daher gegeben.
X. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
XI. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
Offenbarung der Erfindung
1. Gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist das Erfordernis der Ausführbarkeit dann erfüllt, wenn die in den Ansprüchen definierte Erfindung am Anmeldetag durch einen Fachmann im gesamten beanspruchten Bereich ohne unzumutbaren Aufwand anhand der Lehre der Patentschrift und unter Verwendung seines allgemeinen Fachwissens nachgearbeitet werden kann.
2. Im Einklang mit der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin ist die Kammer der Auffassung, dass das Merkmal "durch Extrusion zu einem plattenförmigen Halbzeug verarbeitet wird" als einschränkendes Merkmal des Anspruchs 1 anzusehen ist. Somit ist Anspruch 1 auf ein plattenförmiges Halbzeug gerichtet, das durch Extrusion einer Masse erhältlich ist, welches plattenförmiges Halbzeug durch eine strukturelle Definition der zu extrudierenden Masse und funktionelle Merkmale der hergestellten Platte definiert wird. Die Platte soll die Bedingungen für ein Sanitärmaterial erfüllen und soll darüber hinaus "heißwasserwechsel-beständig" sein.
3. Es wird nicht bestritten, dass eine "heißwasser-wechselbeständige" Platte in Hinblick auf die Absätzen [0012] und [0038] des Streitpatents impliziert, dass diese den Heißwasserwechseltest über mindestens 20 Zyklen nach DIN ISO 263 bestehen soll.
4. Im Patent werden keine explizite Angabe dazu gemacht, von welchen strukturellen Merkmalen die Heißwasserwechselbeständigkeit der Platten abhängt oder wie diese Eigenschaft in der Praxis umgesetzt werden kann. Weder eine explizite Lehre aus dem Streitpatent hinsichtlich der Maßnahmen, die notwendig sind, um eine solche Eigenschaft zu erhalten, noch allgemeine Kenntnisse des Fachmannes diesbezüglich, wurden von der Beschwerdegegnerin geltend gemacht. In einem solchen Fall besteht nur eine schwache Vermutung, dass die Erfindung hinreichend offenbart ist (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 8. Auflage 2016, II.C.8 unter Hinweis auf T 0063/06).
5. Nun betreffen die Vergleichsbeispiele des Streitpatents die Herstellung von plattenförmigen Halbzeugen auf der Basis von PLEXIGLAS®7H, welches Produkt gemäß D9 (Spalte 5, Zeilen 19-22) und D10 (Seite 114, letzter Absatz; Seite 375, Tabelle 58; Seite 377, dritte Zeile) eine PMMA-Formmasse aus Methylmethacrylat mit 4 Gew.-% Methylacrylat und einem mittleren Molekulargewicht Mw von ca. 170.000 g/mol ist. Daraus folgt, was von der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestritten wurde, dass die mit den Beispielen 4 und 5 (beide als Vergleichsbeispiel gekennzeichnet) hergestellten Platten alle im Anspruch 1 des Streitpatents definierten strukturellen Merkmale besitzen. Es ist durch die Ergebnisse im Streitpatent (siehe Tabelle im Absatz [0038]) festzustellen, dass die Verwendung eines Materials, welches alle im Anspruch 1 definierten strukturellen Merkmale besitzt, nicht ausreicht, um eine Platte zu erhalten, die die im Anspruch 1 definierte Heißwasserwechselbeständigkeit besitzt. Anders formuliert, zeigen die Vergleichsbeispiele des Streitpatents, dass die Heißwasserwechselbeständigkeit der Platten gemäß Anspruch 1 keine inhärente Eigenschaft ist, die aus den anderen Merkmalen dieser Platten resultiert. Unter Berücksichtigung der im Punkt 4 oben getroffenen Feststellung folgt somit, dass das Streitpatent selbst nachprüfbare Tatsachen liefert, die ernsthafte Zweifel daran aufkommen lassen, dass das im Anspruch 1 definierte Sanitärmaterial durch einen Fachmann im gesamten beanspruchten Bereich ohne unzumutbaren Aufwand unter Verwendung seines allgemeinen Fachwissens und anhand der Lehre der Patentschrift nachgearbeitet werden kann.
6. Die Beschwerdegegnerin ist dennoch der Auffassung, dass dem Fachmann im Hinblick auf die im Streitpatent beschriebenen Versuche die allgemeine Lehre vermittelt wird, dass die Heißwasserwechselbeständigkeit der Platten entweder durch Zunahme der Menge an Schlagzähmodifier oder durch Verringerung des Gehalts an Comonomer in der Zusammensetzung des PMMA zu erzielen ist.
6.1 Obwohl es aus den drei Vergleichsbeispielen (Beispiele 3 bis 5) zu beobachten ist, dass die Heißwasserwechselbeständigkeit der Platten, im Fall der spezifischen PPMA-Formmasse PLEXIGLAS®7H, mit zunehmender Menge an Schlagzähmodifier zunimmt, weil Risse erst bei einer höheren Zahl an Wechseln beobachtet werden (nämlich nach einem Wechsel ohne Schlagzähmodifier und nach 4 und 12 Wechseln mit Verwendung von 5 Gew.-%, bzw. 10 Gew.-% Schlagzähmodifier), ist es ebenso festzustellen, dass alle diese Beispiele das gewünschte Ergebnis nicht erreichen und dass es aus diesen Vergleichsbeispielen nicht ersichtlich ist, dass die Platte mit einem weiteren Zusatz von Schlagzähmodifier den Heißwasserwechseltest über mindestens 20 Zyklen nach DIN ISO 263 bestehen könnte. Dass ein solches Ergebnis tatsächlich im Falle von PLEXIGLAS®7H erzielbar ist, wurde erst mit Dokument D11 angegeben, welches eine nachgereichte eidesstattliche Erklärung vom 1. November 2013 enthält, deren Informationsgehalt dem Fachmann am Anmeldetag des Streitpatents daher nicht zugänglich war. Aus den Vergleichsbeispielen des Streitpatents ist daher lediglich zu entnehmen, dass eine PPMA-Formmasse wie PLEXIGLAS®7H, die die im Anspruch 1 definierten strukturellen Merkmale erfüllt, nicht heißwasserwechselbeständig im Sinne des Streitpatents ist, selbst wenn diese einen Schlagzähmodifier enthält, dessen Menge im gemäß Streitpatent bevorzugten Bereich von 5 bis 12 Gew.-% liegt (siehe Absatz [0022]).
6.2 Die Kammer ist auch nicht überzeugt, dass der Fachmann auf der Suche nach einer Lehre bezüglich der Maßnahmen, die die Heißwasserwechselbeständigkeit begünstigen, einen Vergleich zwischen den Beispielen 1 und 3 und zwischen den Beispielen 2 und 4 des Streitpatents anstellen würde. Ein sinnvoller Vergleich, d.h. ein Vergleich aus dem der Fachmann erwarten kann, dass ein Rückschluss über den Einfluss von Maßnahmen über die Heißwasserwechselbeständigkeit gezogen werden kann, ist einer, in dem nur eine einzige Variable mit unbekanntem Einfluss auf diese Eigenschaft zwischen den Experimenten geändert wird. Mit den von der Beschwerdeführerin herangezogenen Vergleichen, wird aber neben der Menge an Comonomer (1 Gew.-% für die Polymermasse der Beispiele 1 und 2 und 4 Gew.-% für PLEXIGLAS®7H in den Beispielen 3 und 4), zumindest auch der Comonomertypus (Ethylacrylat gegen Methylacrylat) geändert, wobei nicht nachgewiesen wurde, dass der Einfluss der Art des Comonomers auf die Heißwasserwechselbeständigkeit dem Fachmann aus dem Streitpatent oder seinem allgemeinen Fachwissen am Anmeldetag bekannt war. Es ist aber vor allem anzumerken, dass kein abschließender struktureller Vergleich zwischen der Polymerformmasse einerseits aus den Beispielen 1 und 2 und anderseits PLEXIGLAS®7H (Beispielen 3 und 4) möglich ist, da eine detaillierte Information über diese Formmassen (beispielsweise Molekulargewichtsverteilung, Restmonomergehalt, Art und Menge der Zusätze; siehe Absätze [0018], [0038] und [0031] des Streitpatents) oder ihre Herstellung nicht vorhanden ist. Mit anderen Worten hat der Fachmann keinen Grund zur Annahme, dass sich die Polymerformmasse aus den Beispielen 1 und 2 von der in den Beispielen 3 und 4 verwendeten Formmasse PLEXIGLAS®7H nur durch die Art des Comonomers und dessen Gehalt unterscheidet.
6.3 Es folgt daher, dass für den Fachmann aus den Beispielen und Vergleichsbeispielen des Streitpatents kein Kausalzusammenhang zwischen der Heißwasserwechselbeständigkeit im Sinne des Streitpatents und der Menge an Schlagzähmodifier oder dem Gehalts an Comonomer im PMMA zu erkennen ist. Da die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte implizite Lehre für den Fachmann im Kontext des experimentellen Teils des Streitpatents für eine spezifische Formmasse schon nicht ersichtlich ist, kann er aus diesem experimentellen Teil überhaupt gar keine Schlussfolgerung über Maßnahmen ziehen, deren Gültigkeit sich auf weitere Formmassen mit einer allgemeineren Definition, wie die gemäß dem vorliegenden Anspruch 1, erstrecken würde.
7. Ungeachtet dessen, ob das konkrete Beispiel des Streitpatents nachgearbeitet werden kann, kommt die Kammer aus den oben detaillierten Gründen zum Schluss, dass eine Lehre, Platten mit der im Anspruch 1 definierten Heißwasserwechselbeständigkeit bereitzustellen, die innerhalb des Schutzumfangs der Ansprüche anwendbar ist und über das konkrete Beispiel des Streitpatents hinausgeht, im Streitpatent fehlt. Das Fehlen einer solchen Lehre wird auch nicht durch das allgemeine Fachwissen des Fachmannes kompensiert.
8. Die in Anspruch 1 definierte Erfindung ist daher nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie im gesamten beanspruchten Bereich ausführen kann.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent 1573150 wird widerrufen.