European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T026514.20180703 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 03 Juli 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0265/14 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06723618.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | C04B 35/106 C04B 38/00 C04B 35/10 C04B 35/12 C04B 35/66 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | GEBRANNTES, KERAMISCHES FEUERFESTES PRODUKT | ||||||||
Name des Anmelders: | Refractory Intellectual Property GmbH & Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | SAINT-GOBAIN CENTRE DE RECHERCHES ET D'ETUDES EUROPEEN |
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Kammer: | 3.3.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (ja) Rückzahlung der Beschwerdegebühr - Rücknahme der Beschwerde erst nach Verstreichenlassen einer ersten von der Kammer gesetzten Stellungnahmefrist |
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Orientierungssatz: |
1. Regel 103(2)b) EPÜ ist nicht so auszulegen, dass eine Rückzahlung der hälftigen Beschwerdegebühr nach Verstreichenlassen einer Stellungnahmefrist gemäß Regel 100(2) EPÜ endgültig ausgeschlossen wäre. 2. Setzt die Kammer eine erneute Stellungnahmefrist, eröffnet sie vielmehr eine neue Möglichkeit, innerhalb dieser Frist mit gebührenreduzierender Wirkung die Beschwerde zurückzunehmen. 3. Der Fall des Erlasses eines zweiten Bescheides nach Regel 100(2) EPÜ ist daher der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nach Verstreichen der in einem ersten Bescheid gesetzten Frist gleichzusetzen, die ebenfalls eine erneute Rückzahlungsmöglichkeit nach Regel 103(2)a) EPÜ nach sich zieht. |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) richtete sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 6. Dezember 2013, das europäische Patent EP-B-1 863 745 zu widerrufen.
II. Die Beschwerdegegnerin nahm am 15. September 2016 ihren Einspruch zurück. Die Beschwerdeführerin beantragte zunächst, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent gemäß Hauptantrag oder hilfsweise gemäß Hilfsanträgen 1 oder 2 aufrecht zu erhalten.
III. Am 13. Dezember 2017 erließ die Kammer einen ersten Bescheid nach Regel 100(2) EPÜ, in dem sie auf ihre vorläufige Ansicht hinwies, dass der Gegenstand des Hauptantrags nicht neu, jedenfalls aber nicht erfinderisch sei, während derjenige von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags gewährbar erschien. Dessen abhängige Ansprüche seien dagegen unklar und müssten wie die Beschreibung noch angepasst werden. Bei Rücknahme des Hauptantrags und entsprechender Anpassung des ersten Hilfsantrags stehe im Ergebnis eine Zurückverweisung im Raum mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang aufrecht zu erhalten.
IV. Die Beschwerdeführerin ließ die gesetzte Frist von zwei Monaten verstreichen, ohne geänderte Ansprüche einzureichen, so dass die Kammer in einem zweiten Bescheid nach Regel 100(2) EPÜ vom 6. März 2018 auf die Nichtgewährbarkeit aller Anträge (Hauptantrag wegen Art. 54 EPÜ, Hilfsanträge wegen Art. 84 EPÜ) hinwies. Da die Kammer nur auf der Grundlage der von der Patentinhaberin vorgelegten Fassung entscheiden könne (Art. 113(2) EPÜ, siehe auch T 986/00, Gründe 3), scheine die Beschwerde zurückzuweisen zu sein.
V. Vor Ablauf der im zweiten Bescheid gesetzten Frist nahm die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 20. März 2018 die Beschwerde zurück und beantragte die Rückzahlung der hälftigen Beschwerdegebühr. Allein hierüber ist noch zu entscheiden.
Entscheidungsgründe
1. Regel 103(2)b) EPÜ sieht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr in Höhe von 50 % vor, wenn die Beschwerdeführerin - sofern kein Termin für eine mündliche Verhandlung anberaumt wurde und die Beschwerdekammer in einem Bescheid zur Einreichung einer Stellungnahme aufgefordert hat - die Beschwerde vor Ablauf der im Bescheid gesetzten Frist zurücknimmt.
2. Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerde nach Ablauf der im ersten Bescheid, aber vor Ablauf der im zweiten Bescheid der Kammer nach Regel 100(2) EPÜ gesetzten Stellungnahmefrist zurückgenommen.
3. Es ist daher zu entscheiden, ob jeder Erlass eines neuen Bescheids mit Stellungnahmeaufforderung gemäß Regel 100(2) EPÜ die Möglichkeit einer hälftigen Rückerstattung der Beschwerdegebühr neu eröffnet, oder ob das ungenutzte Verstreichen einer ersten von der Kammer gesetzten Frist dazu führt, dass eine fristgerechte Beschwerderücknahme mit der Kostenfolge gemäß Regel 103(2)b) EPÜ nicht mehr möglich ist.
4. Der Wortlaut von Regel 103(2)b) EPÜ lässt beide Auslegungen zu, so dass gemäß Art. 31(1) des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge nach Ziel und Zweck der Regelung zu fragen ist.
4.1 Die Rückzahlungsmöglichkeit nach Regel 103(2) EPÜ soll schon nach ihrer Formulierung und der Abgrenzung gegenüber den Fällen der Komplettrückzahlung gemäß Regel 103(1) EPÜ erkennbar einen Anreiz schaffen, auch bereits teilweise bearbeitete Beschwerdeverfahren, an deren Entscheidung für die Beschwerdeführerin kein Interesse mehr besteht, ohne weiteren Aufwand für die Kammer abschließen zu können. Hierzu wird als Ansporn die hälftige Beschwerdegebühr in Aussicht gestellt. Diese kann dann zurückerlangt werden, wenn die Beschwerde zwar nicht wie im Rahmen von Absatz 1 b) zum frühestmöglichen, aber doch zu einem so frühen Zeitpunkt zurückgezogen wird, dass der Kammer, die bereits Zeit in die Vorbereitung der Entscheidung investiert hat, eine weitere zeitintensive Befassung mit der Angelegenheit erspart wird. Eine Beschwerderücknahme wird daher nur dann belohnt, wenn diese im Interesse einer wirksamen Arbeitsentlastung der Kammern typischerweise noch sinnvoll erscheint.
4.2 Bei der Entscheidung der Frage, ob bereits das Verstreichenlassen der ersten Frist eine spätere Belohnung der Beschwerderücknahme ausschließt, kommt es somit entscheidend darauf an, welchem Aspekt höheres Gewicht zugemessen wird: der weiteren Arbeit, die bis zum Erlass eines zweiten Bescheids zu investieren ist oder der Arbeit, die nach dem zweiten Bescheid bis zum Abschluss des Gesamtverfahrens noch zu investieren sein würde. Nur wenn der erstgenannte Aspekt eindeutig überwiegen würde, könnte man die nach dem Wortlaut ebenfalls mögliche weite Auslegung, wonach durch die zweite Fristsetzung eine neue Rückzahlungsmöglichkeit geschaffen wird, nicht vertreten.
4.3 Die Kammer sieht keine ausreichenden Anhaltspunkte hierfür und somit für die Notwendigkeit, die Vorschrift eng auszulegen. Denn der Umstand, dass für einen zweiten Bescheid die Angelegenheit weiter zu bearbeiten ist, führt zwar zu einer gewissen Verringerung der Arbeitseinsparung durch die später doch noch erfolgende Rücknahme. Diese Verringerung ist aber nicht so gravierend, dass sie zu vernachlässigen wäre: die Rücknahme macht immer noch die sonst abzusetzende schriftliche Entscheidung und, falls eine mündliche Verhandlung beantragt wurde, deren Durchführung entbehrlich.
4.4 Die weite Auslegung erscheint nach Ansicht der Kammer daher nicht ausgeschlossen; sie ist vor dem Gesamthintergrund der gewünschten Entlastung der Kammern vielmehr geboten.
5. Diese Ansicht wird weiter gestützt durch die Materialien, die gemäß Art. 32 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens zur Stützung einer gemäß Art. 31 sich ergebenden Bedeutung als ergänzende Auslegungsmittel herangezogen werden dürfen.
5.1 So benennt die Erläuterung zum Änderungsvorschlag betreffend Regel 103 EPÜ (Dokument CA/90/13 rev.1 vom 25. November 2013, siehe Ziffern 7 bzw. 9) unter anderem die folgenden Gründe für die Einführung der hälftigen Rückzahlungsmöglichkeit:
,,Eine teilweise Gebührenrückzahlung nach Ablauf der Frist nach Regel 103 (1) b) EPÜ wäre ein starker Anreiz für die Beteiligten, das Für und Wider der Fortführung des Beschwerdeverfahrens abzuwägen, und dürfte sich daher positiv auf die Verfahrenseffizienz und die Arbeitslast der Kammern auswirken, denn Rücknahmen - auch in einem späteren Stadium des Beschwerdeverfahrens - können das Arbeitsaufkommen einer Kammer beträchtlich reduzieren, was sich voraussichtlich auch positiv auf die durchschnittliche Verfahrensdauer auswirken wird.
[...]
Auch die Rücknahme der Beschwerde zu einem späteren Zeitpunkt als zu Beginn des Beschwerdeverfahrens führt nämlich zu einer erheblichen Entlastung der befassten Beschwerdekammer. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn infolge der Rücknahme der einzigen anhängigen Beschwerde bzw. aller anhängigen Beschwerden das Beschwerdeverfahren insgesamt beendet wird, da dann sowohl die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als auch die Absetzung einer Entscheidung entfallen. Aber selbst im Falle der Rücknahme nur einer von mehreren Beschwerden ergibt sich insofern eine Verfahrenserleichterung für die Beschwerdekammer, als das weitere Beschwerdeverfahren und die verfahrensabschließende Entscheidung sich dann auf das Vorbringen des bzw. der verbliebenen Beschwerdeführer konzentrieren".
Insgesamt werden der Wegfall der mündlichen Verhandlung und einer schriftlich abzusetzenden Entscheidung somit als relevante Arbeitsentlastung der Kammer angesehen. Diese bleibt, wie oben dargelegt, auch im Falle der weiten Auslegung erzielbar. Ferner werden auch Rücknahmen, die nur teilweise zu Arbeitserleichterungen führen, als belohnenswert bezeichnet.
5.2 Soweit Ziffer 11 des genannten CA-Dokumentes im Rahmen der Erläuterung, warum nur eine hälftige Rückzahlung gewährt wird, ausführt, "dass im Falle späterer Rücknahmen - im Gegensatz zu Rückzahlungen nach Regel 103 (1) b) EPÜ - die Kammer mit der Bearbeitung des Falls bereits begonnen und vielleicht auch einen Bescheid erlassen hat" (Hervorhebung durch die Kammer), kann aus der Verwendung des Wortes "einen" nicht geschlossen werden, dass der Fall bei Erlass mehrerer Bescheide anders zu beurteilen wäre. "Ein" wird hier nicht im Sinne eines Zahlwortes, sondern im Sinne eines unbestimmten Artikels verwendet. Die Erwähnung "eines Bescheides" stellt, wie aus dem Kontext erkennbar, nur ein Beispiel für bereits geleisteten Arbeitsaufwand dar und kann nicht als Obergrenze dieses Aufwands verstanden werden, bei deren Überschreitung eine Rückzahlung nicht mehr gerechtfertigt wäre.
6. Die gefundene Auslegung steht auch nicht in Widerspruch zur Entscheidungspraxis anderer Kammern.
6.1 Fälle, in denen bei Rücknahme nach Erhalt eines zweiten Bescheids die Rückerstattung im Hinblick auf den bereits bei einem Erstbescheid eingetretenen Fristablauf verweigert wurde, konnten nicht aufgefunden werden.
6.2 Umgekehrt hat in einer solchen Konstellation eine Kammer bereits im Sinne der hier vertretenen Auslegung entschieden und eine Rückerstattung gemäß Regel 103(2)b) EPÜ gewährt (T 1748/13; Entscheidung - ohne Gründe - auf EPA Formular 3324 am 29. März 2016).
7. Eine Reihe weiterer Entscheidungen ist von einer Rückzahlungsmöglichkeit gemäß Regel 103(2)a) EPÜ ausgegangen, obwohl zuvor bereits eine Frist nach Regel 103(2)b) EPÜ ungenutzt verstrichen war.
Auch wenn insoweit der Wortlaut von Regel 103(2)b) EPÜ einer Rückzahlung nach Regel 103(2)a) EPÜ nicht in vergleichbarer Weise entgegen stehen könnte, wie beim Erlass zweier konsekutiver Bescheide, spricht die Existenz der Rückzahlungsmöglichkeit in dieser Konstellation doch dafür, die Gesamtregelung ihrem Ziel und Zweck nach im Sinne der hier vertretenen weiten Auslegung zu verstehen, so dass beide Fallkonstellationen gleich behandelt werden können. Denn auch die Ladung zur mündlichen Verhandlung und der regelmäßig damit einhergehende Erlass eines Bescheids nach Art. 15(1) VOBK stellen weitere zeitintensive Beschäftigungen mit dem Fall dar, die wegen der trotzdem noch gegebenen Arbeitsersparnis im Ergebnis einer hälftigen Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht entgegenstehen, wenn trotz Verstreichens einer früheren Frist die Beschwerde erst nach Ladung zur mündlichen Verhandlung fristgerecht zurückgenommen wird.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerdegebühr ist in Höhe von 50 % zurückzuerstatten.