European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T018914.20180705 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 05 Juli 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0189/14 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08708969.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61L 27/22 A61L 27/30 A61L 27/50 A61L 27/54 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG VON LAGERFÄHIGEN IMPLANTATEN MIT EINER ULTRAHYDROPHILEN OBERFLÄCHE | ||||||||
Name des Anmelders: | Jennissen, Herbert | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Straumann Holding AG | ||||||||
Kammer: | 3.3.10 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Beschwerde des Patentinhabers nicht zulässig - Priorität - dieselbe Erfindung (nein) Alle Anträge: Erfinderische Tätigkeit - nein |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 20. Dezember 2013, mit welcher das Europäische Patent Nr. 2 121 058 in geänderter Form auf der Grundlage des damaligen Hauptantrages aufrecht erhalten wurde.
II. Im Einspruchsverfahren war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang wegen unzulässiger Erweiterung während des Prüfungsverfahrens unter Artikel 100 c) EPÜ, sowie wegen fehlender Ausführbarkeit unter Artikel 100 b) EPÜ und wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit unter Artikel 100 a) EPÜ angegriffen worden.
III. In ihrer Entscheidung zog die Einspruchsabteilung u.a. die folgenden Druckschriften heran:
(1) Rupp et al.: "Enhancing surface free energy and hydrophilicity through chemical modification of microstructured titanium implant surfaces", Inc. J. Biomed Mater Res 76A, 323-334, 2006, online veröffentlicht am 3. November 2005,
(2) EP-A1-1847278,
(3) WO-A-00/44305 und
(7) Presseinformation der Firma CAMLOG Biotechnologies via Hyperlink http://www.alltecdental.at/uploads/media/Pressemeldung_12.2006_Prof._Jenissen_mit_Morphoplant.pdf.
In ihrer Begründung stellte sie fest, dass der Gegenstand der erteilten Ansprüche keine Änderungen enthalte, die über den Umfang der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgingen. Der beanspruchte Gegenstand sei auch so deutlich offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Da keine der zitierten Druckschriften Implantate offenbare, deren Oberflächen dynamische Kontaktwinkel im Bereich von 0° bis 10° aufwiesen, sei das beanspruchte Verfahren neu. Ausgehend von der Druckschrift (D1) als nächstliegendem Stand der Technik sei das beanspruchte Verfahren nicht nahegelegt gewesen.
IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung legten sowohl die Einsprechende, als auch der Patentinhaber Beschwerde ein.
V. In ihrer Beschwerdebegründung rügte die Beschwerdeführerin (Einsprechende), dass die Beschwerde des Patentinhabers mangels Beschwer nicht zulässig sei. Sie wiederholte alle Einwände, die sie während des Einspruchsverfahrens gegen das Streitpatent vorgebracht hatte. Neben Einwänden in Bezug auf die Zulässigkeit der Änderungen und der fehlenden Neuheit gegenüber dem Stand der Technik brachte sie vor, dass das Streitpatent das Prioritätsdatum vom 14. Februar 2007 zu Unrecht beanspruche. Als Folge hiervon sei Druckschrift (2) ein Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ. Ausgehend von dieser Druckschrift als nächstliegendem Stand der Technik beruhe der Gegenstand der Ansprüche aller Anträge des Patentinhabers nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VI. Mit Schriftsatz vom 29. April 2014 hatte der Patentinhaber seine Beschwerde damit begründet, dass der damalige Hauptantrag gegenüber der erteilten Fassung bereits eingeschränkt war, so dass er ebenfalls durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung beschwert sei. Er brachte seine Argumente in Bezug auf die von der Beschwerdeführerin (Einsprechende) vorgebrachten Einwände vor.
VII. In einer schriftlichen Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK informierte die Kammer die Beteiligten, dass ihrer vorläufigen Meinung nach die Beschwerde des Patentinhabers mangels Beschwer nicht zulässig sei.
VIII. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 5. Juli 2018 reichte der Patentinhaber einen neuen Hauptantrag, sowie zwei Hilfsanträge ein, die alle vorher im Verfahren befindlichen Anträge ersetzten.
a) Der unabhängige Anspruch 1 gemäß dieses Hauptantrages lautet:
"1. Verfahren zur Herstellung eines lagerfähigen Implantates mit einer ultrahydrophilen Oberfläche, bei dem man das Implantat mit einer ultrahydrophilen Oberfläche mit dynamischen Kontaktwinkeln von 0° bis 10° bei Benetzung der Oberfläche des Implantates mit Wasser und mit einer Kontaktwinkelhysterese von weniger als 10° bei Benetzung der Oberfläche des Implantates mit Wasser in eine salzhaltige wässrige Lösung gibt, die gegenüber der ultrahydrophilen Oberfläche inert ist und die das Implantat allseits umschließt, und man die salzhaltige wässrige Lösung unter Bildung einer Exsikkationsschicht, die die ultrahydrophile Oberfläche des Implantates stabilisiert und schützt, evaporiert."
b) Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß erstem Hilfsantrag beruht auf dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag mit dem zusätzlichen Merkmal "wobei das Verfahren den zusätzlichen Schritt der Sterilisierung des Implantates umfasst".
c) Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß zweitem Hilfsantrag beruht auf dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß erstem Hilfsantrag, bei welchem die Sterilisierung des Implantates "mit ionisierender Strahlung" erfolgt.
Die Patentinhaberin trug vor, dass das Streitpatent das Prioritätsdatum vom 14. Februar 2007 basierend auf der Anmeldung DE 10 2007 007 865.1 zu Recht beanspruche. Falls man dennoch bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von der Druckschrift (2) als nächstliegendem Stand der Technik ausgehe, habe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nahegelegen, da keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften die Ausbildung einer Exsikkationsschicht zum Schutz der Hydrophilizität der ultrahydrophilen Implantatoberfläche lehre. In Druckschrift (3) werde zum Schutz der hydrophilen Eigenschaften der Oberfläche explizit von einer Sterilisierung abgeraten.
IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patentes.
Der Patentinhaber beantragte die Aufrechterhaltung des Patentes in geändertem Umfang gemäß dem Hauptantrag oder einem der Hilfsanträge 1 und 2, alle Anträge wie eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.
X. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde die Entscheidung verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) ist zulässig.
2. Zulässigkeit der Beschwerde des Patentinhabers
2.1 Während des Einspruchsverfahrens hatte sich der Patentinhaber auf den Gegenstand der erteilten Ansprüche 1 bis 6 zurückgezogen und diese eingeschränkte Version in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als seinen Hauptantrag weiterverfolgt (siehe Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vom 7. November 2013, Annex II). In der angefochtenen Entscheidung hatte die Einspruchsabteilung das Streitpatent auf der Basis dieses damaligen Hauptantrages aufrechterhalten.
2.2 Gemäß Artikel 107 EPÜ kann jede Partei, die durch eine Entscheidung beschwert ist, Beschwerde einlegen.
2.3 Im vorliegenden Fall hatte die Einspruchsabteilung jedoch dem Hauptantrag des Patentinhabers entsprochen und das Patent auf der Basis des damaligen Hauptantrages aufrechterhalten. Somit ist der Patentinhaber durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht beschwert.
Das Argument des Patentinhabers, dass er durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung auf Zurückweisung des ersten Hauptantrages beschwert sei (siehe Schriftsatz vom 3. September 2014, Seite 18) kann nicht überzeugen, da die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung vom 20. Dezember 2013 (angefochtene Entscheidung) in korrekter Weise nur über den während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrag entschieden hat.
Folglich ist die Beschwerde des Patentinhabers nicht zulässig ab initio im Sinne des Artikels 107 EPÜ.
2.4 Aus der Nichtzulässigkeit der Beschwerde des Patentinhabers folgt, dass im vorliegenden Fall nur eine einzige zulässige Beschwerde eingegangen ist, nämlich diejenige der vormaligen Einsprechenden, die durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung als einzige der beiden Parteien im Sinne des Artikels 107 EPÜ beschwert war. Im Folgenden wird daher dem Patentinhaber die Stellung des Beschwerdegegners zugeteilt.
Hauptantrag, erster und zweiter Hilfsantrag
3. Die Beschwerdeführerin griff die Ansprüche der in der Verhandlung vor der Kammer eingereichten Anträge an, da sie u.a. Änderungen enthielten, die nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst seien, oder Änderungen enthielten, die einen Einspruchsgrund unter Artikel 100 c) EPÜ rechtfertigten, oder nicht klar im Sinne von Artikel 84 EPÜ seien, oder einen Gegenstand beträfen, der nicht ausführbar und auch nicht neu gegenüber verschiedenen Druckschriften sei. Ungeachtet dessen, ob diese Gründe im Einzelnen der Aufrechterhaltung des Streitpatentes entgegenstehen oder nicht, kann auf eine ausführliche Begründung zu den einzelnen Einwänden der Beschwerdeführerin verzichtet werden, da die Kammer der Auffassung ist, dass der Gegenstand der Ansprüche aller Anträge nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (siehe Paragraph 5 und 6 infra).
4. Priorität
4.1 Das Streitpatent beansprucht das Prioritätsdatum vom 14. Februar 2007 basierend auf der Anmeldung DE 10 2007 007 865.1. Die Beschwerdeführerin hatte gerügt, dass dieses Prioritätsdatum zu unrecht beansprucht werde, da die Streitanmeldung nicht dieselbe Erfindung im Sinne des Artikels 87(1) EPÜ betreffe.
4.2 In der Entscheidung G 2/98 (Abl. EPA 2001, 413, Leitsatz) hatte die Große Beschwerdekammer festgestellt, dass das Konzept "derselben Erfindung" eng auszulegen ist, um eine sinnvolle Ausübung des Prioritätsrechts sicherzustellen. Demnach ist die Priorität einer älteren Anmeldung nur dann anzuerkennen, wenn der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmen kann. Der Gegenstand des Anspruchs, der die Erfindung definiert, ist als die spezifische Merkmalskombination in diesem Anspruch zu verstehen.
4.3 Im vorliegenden Fall offenbart die Prioritätsanmeldung mehrere Gegenstände, nämlich ein Verfahren zur Herstellung eines Implantates mit ultrahydrophiler Oberfläche, sowie ein Verfahren zur Herstellung eines lagerstabilen Implantats mit ultrahydrophiler Oberfläche und ein Verfahren zur Beladung von Implantaten mit Wachstumsfaktoren.
4.4 Anspruch 1 gemäß Hauptantrag betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines lagerfähigen Implantates mit einer ultrahydrophilen Oberfläche, die dynamische Kontaktwinkel von 0° bis 10° und eine Kontaktwinkelhysterese von weniger als 10° aufweist, welches durch Einbringen in eine salzhaltige wässrige Lösung und anschließender Bildung einer Exsikkationsschicht in ein lagerstabiles Implantat mit ultrahydrophiler Oberfläche überführt wird (siehe Paragraph VIII, supra).
4.5 In der Prioritätsanmeldung ist die Herstellung des Implantates mit ultrahydrophiler Oberfläche und das Verfahren zur Herstellung eines lagerfähigen Implantates mit einer Exsikkationsschicht nur für solche Implantate offenbart, die aus einem Material aus der Gruppe der Metalle, der metallischen Legierungen und Kombinationen davon mit keramischen Materialien bestehen und eine Kontaktwinkelhysterese von weniger als 5° aufweisen (siehe Prioritätsanmeldung Seite 7, Zeilen 14 bis 35). Die wässrige salzhaltige Lösung, die für die Herstellung des lagerstabilen Implantates eingesetzt wird, hat eine Gesamtionenkonzentration von mehr als 0.5 mol/L (siehe Prioritätsanmeldung, Ansprüche 8 bis 11; Seite 11, Zeile 19). Eine Kombination von Merkmalen, wie nunmehr in Anspruch 1 des Hauptantrages beansprucht, welche nicht mehr auf Metalle, metallische Legierungen und Kombinationen davon mit keramischen Materialien beschränkt ist und welche durch Behandlung mit einer wässrige Salzlösung beliebiger Gesamtionenkonzentration lagerstabil gemacht wird, kann der Prioritätsanmeldung jedoch nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden.
4.6 Der Beschwerdegegner trug vor, dass die Merkmalskombination des Anspruchs 1 aus der Prioritätsanmeldung als Ganzes hervorgehe. So seien auf Seite 22 der Prioritätsanmeldung neben den Metall enthaltenden Materialien auch andere Materialien, z.B. keramische Materialien selbst offenbart. Die Gesamtionenkonzentration der wässrigen Lösung von mehr als 0,5 mol/L werde im Verlaufe der Evaporierung automatisch erreicht.
4.7 Indessen ist festzustellen, dass sich die vom Beschwerdegegner zitierte Passage auf Seite 22 auf einen anderen Gegenstand bezieht, nämlich auf ein Verfahren zur Beladung von Implantaten mit Wachstumsfaktoren. Daher würde der Fachmann diese Passage nicht im Zusammenhang mit dem beanspruchten Gegenstand, nämlich dem Verfahren zur Herstellung lagerstabiler Implantate mit ultrahydrophiler Oberfläche sehen. Hinsichtlich der im Prioritätsdokument angegebenen Gesamtionen-Konzentration von mehr als 0,5 mol/L für die wässrige salzhaltige Lösung ist festzustellen, dass die Aufkonzentrierung der Lösung im Verlaufe der Trocknung plausibel erscheint. Jedoch ist im Prioritätsdokument im Zusammenhang mit der Herstellung der lagerstabilen Implantate mit ultrahydrophiler Oberfläche das Merkmal der Gesamtionen-Konzentration von mehr als 0,5 mol/L eindeutig und unmittelbar offenbart.
4.8 Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, dass das Streitpatent das Prioritätsdatum vom 14. Februar 2007 basierend auf der Anmeldung DE 10 2007 007 865.1 zu unrecht beansprucht, da die Streitanmeldung nicht dieselbe Erfindung im Sinne des Artikels 87(1) EPÜ betrifft. Das gültige Datum des Streitpatentes ist damit nicht das Prioritätsdatum, sondern der Anmeldetag, nämlich der 13. Februar 2008.
4.9 Als Folge hieraus ergibt sich, dass die Druckschrift (2), die bereits am 24. Oktober 2007 veröffentlicht worden war, einen druckschriftlichen Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ darstellt und damit für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden kann.
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1 Das Streitpatent betrifft ein Verfahren, mithilfe dessen ein Implantat mit ultrahydrophiler Oberfläche für eine Langzeitlagerung stabilisiert und geschützt wird. Derartige Verfahren werden bereits im Stand der Technik offenbart. Im Beschwerdeverfahren wurden von den Parteien die Druckschriften (1) und (7) als möglicher nächstliegender Stand der Technik genannt. Die Beschwerdeführerin zog zusätzlich die Druckschrift (2) als nächstliegenden Stand der Technik in Betracht (siehe Paragraph 4.9, supra).
5.1.1 Druckschrift (1) ist eine wissenschaftliche Abhandlung und betrifft ein Verfahren zur Erhöhung der freien Oberflächenenergie und der Hydrophilizität von mikrostrukturierten Titanimplantaten durch chemische Modifikation. Die hydrophilen Eigenschaften werden dabei durch Messung der dynamischen Kontaktwinkel bestimmt. Dabei werden die hydrophilen Titanimplantate in wässriger NaCl-Lösung gelagert. Vor der Messung werden sie aus der wässrigen NaCl-Lösung entnommen, mit ultrareinem Wasser gewaschen und im Stickstoffstrom getrocknet. Die gemessenen dynamischen Kontaktwinkel für die dem Streitpatent am nächsten kommende Oberfläche (ModSLA) lagen im Bereich von 0° für den Vorrück- und den Rückzugswinkel.
5.1.2 Druckschrift (7) betrifft eine Presseinformation über die neue Implantatoberflächentechnologie, wobei eine Implantatoberfläche mit mechanischen und chemischen Verfahren mit einer ultrahydrophilen Nanostruktur versehen wird, die anschließend mit einer osteoinduktiven Beschichtung mit dem Knochenwachstumsfaktor BMP-2 versehen wird. Die Presseinformation enthält jedoch keine Informationen zu den dynamischen Kontaktwinkeln der Implantatoberfläche oder zur Lagerstabilität des so hergestellten Implantates.
5.1.3 Die Druckschrift (2) offenbart ein Verfahren, mit welchem die hydrophile Oberfläche von Implantaten vor Verunreinigungen geschützt wird. Dabei wird die hydrophile Oberfläche des Implantates durch Eintauchen in eine Salzlösung und anschließende Trocknung mit einer Schutzschicht versehen, die aus einem oder mehreren Salzen besteht (siehe Druckschrift (2), Ansprüche 1 und 2; Spalte 2, Zeile 55 bis Spalte 3, Zeile 2; Spalte 5, Zeilen 23 bis 32). Die hydrophile Oberfläche bleibt dabei erhalten (Spalte 3, Zeilen 51 bis 54). Die Herstellung der hydrophilen Implantatoberfläche erfolgt durch Sandstrahlen und Säureätzung (siehe Spalte 5, Zeile 56 bis Spalte 6, Zeile 9). Die Hydrophilizität der Implantatoberfläche wird in Druckschrift (2) durch den Kontaktwinkel von Wasser auf einer Titanoberfläche definiert, wobei ein hydrophiler Charakter vorliegt, wenn der obere Kontaktwinkel kleiner als 50° und der untere Kontaktwinkel kleiner 20° ist (siehe Spalte 1, Zeilen 52 bis 55). Druckschrift (2) offenbart jedoch nicht die gemäß Streitpatent geforderten dynamischen Kontaktwinkel von 0° bis 10°, sowie eine Kontaktwinkelhysterese von weniger als 10° bei Benetzung der Oberfläche des Implantates mit Wasser.
5.1.4 Da die Druckschrift (2) die meisten technischen Merkmale mit dem Verfahren gemäß Streitpatent aufweist, ist die Kammer der Auffassung, dass diese Druckschrift den nächstliegenden Stand der Technik bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Im Folgenden wird die Kammer daher von Druckschrift (2) als nächstliegendem Stand der Technik ausgehen.
5.2 Ausgehend von der Offenbarung der Druckschrift (2) (siehe Paragraph 5.1.3 supra) bestand die Aufgabe des Streitpatentes darin, ein Verfahren bereitzustellen, durch welches die ultrahydrophilen Eigenschaften der Oberflächen von Implantaten stabilisiert und geschützt werden.
5.3 Als Lösung bietet das Streitpatent das Verfahren zur Herstellung eines lagerfähigen Implantates mit ultrahydrophiler Oberfläche gemäß Anspruch 1 des Hauptantrages an, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die Oberfläche durch dynamische Kontaktwinkel von 0° bis 10° und eine Kontaktwinkelhysterese von weniger als 10° bei Benetzung der Oberfläche des Implantates mit Wasser aufweist.
5.4 Zugunsten des Beschwerdegegners wird davon ausgegangen, dass das Verfahren gemäß Streitpatent die in Paragraph 5.2 supra genannte technische Aufgabe erfolgreich löst.
5.5 Es bleibt somit zu untersuchen, ob die Lösung der technischen Aufgabe im Stand der Technik nahegelegen hatte.
5.5.1 Die Druckschrift (2) betrifft Oberflächen mit Kontaktwinkeln von weniger als 50°, bzw. weniger als 20°. Folglich werden in Druckschrift (2) die streitpatentgemäßen ultrahydrophilen Oberflächen mitumfasst, auch wenn die Kontaktwinkel von 0° bis 10° des Streitpatentes nicht explizit genannt sind. Der Schutz der Oberflächen geschieht, wie im Streitpatent durch Aufbringen einer Salzschicht. Somit war es für den Fachmann naheliegend, das in Druckschrift (2) offenbarte Verfahren zum Schutz von hydrophilen Oberflächen mit Kontaktwinkeln unter 20° auch auf Oberflächen mit Kontaktwinkeln von 0° bis 10° anzuwenden. Die Angabe einer Kontaktwinkelhysterese von weiniger als 10° stellt in diesem Zusammenhang kein zusätzliches technisches Merkmal dar.
5.5.2 Der Beschwerdegegner brachte vor, dass das Verfahren in Druckschrift (2) nicht darauf abziele, die ultrahydrophilen Eigenschaften der Oberfläche zu bewahren, sondern darauf, die Oberfläche vor organischen Verunreinigungen zu schützen. Darüber hinaus können hydrophile Oberflächen nicht mit den wesentlich empfindlicheren ultrahydrophilen Oberflächen des Streitpatentes verglichen werden.
Indessen ist festzustellen, dass die Salzschicht in Druckschrift (2) die Oberfläche des Implantates vor Verunreinigungen schützt und damit den hydrophilen Charakter der Oberfläche erhält. Trotz möglicher Ablagerung von organischen Verbindungen auf der Oberfläche der Salzschicht bleibt die Oberfläche hydrophil (siehe Paragraph 5.1.3 supra). Da die Druckschrift (2) Oberflächen mit Kontaktwinkeln von weniger als 20° betrifft, umfasst sie auch die im Streitpatent genannten ultrahydrophilen Oberflächen. Da der Beschwerdegegner keine Belege dafür erbracht hat, dass ultrahydrophile Oberflächen instabiler und empfindlicher sind als hydrophile Oberflächen, war der Fachmann nicht davon abgehalten, die Lehre der Druckschrift (2) auch auf ultrahydrophile Oberflächen anzuwenden. Somit können die Argumente des Beschwerdegegners nicht durchgreifen.
5.6 Aus den oben genannten Gründen kommt die Kammer daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.
Hilfsanträge 1 und 2
6. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
6.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrages dadurch, dass als zusätzlicher Verfahrensschritt eine Sterilisierung vorgesehen ist. Diese Sterilisierung erfolgt gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrages 2 durch ionisierende Strahlung (siehe Paragraph VIII. b) und c) supra). Da der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrages 2 vom Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 1 mitumfasst ist, wird sich die Kammer in ihrer folgenden Argumentation bezüglich der erfinderischen Tätigkeit auf den Gegenstand des enger formulierten Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 beziehen.
6.2 Die Argumentation in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit ist für Anspruch 1 des Hilfsantrages 2 im Wesentlichen analog zu derjenigen des Hauptantrages (siehe Paragraph 5. supra).
6.3 Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bleibt in diesem Fall nur zusätzlich zu untersuchen, ob es im Stand der Technik nahegelegen hat, dem Verfahren einen weiteren Verfahrensschritt hinzuzufügen, nämlich den Schritt der Sterilisierung des Implantates mit ionisierender Strahlung.
6.4 Druckschrift (2) beschreibt in den Beispiel 3 die Herstellung eines mit einer Salzschicht geschützten Implantates mit hydrophiler Oberfläche. Dabei wird das in Paragraph [0033] bis [0034] hergestellte Implantat mit hydrophiler Oberfläche durch eine UV/Ozon-Behandlung gereinigt und anschließend in eine reine Natriumchloridlösung eingetaucht, aus der Lösung entfernt und getrocknet. Die UV/Ozon-Behandlung in Beispiel 3 entspricht dem in Anspruch 1 der Hilfsantrages 2 beanspruchten Verfahrensschritt einer Sterilisierung mit ionisierender Strahlung. Daher lag es für den Fachmann nahe, dem Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrages den zusätzlichen Schritt der Sterilisierung mit ionisierender Strahlung hinzuzufügen.
6.4.1 Der Beschwerdegegner brachte vor, dass die UV/Ozon-Behandlung in Druckschrift (2) nicht zu Sterilisierungszwecken durchgeführt werde, sondern lediglich der Reinigung der Implantatoberfläche vor der Behandlung mit Salzlösung diene. Eine Sterilisierung vor dem Ende des Verfahrens wäre darüber hinaus wenig sinnvoll.
Indessen ist festzustellen, dass die Formulierung des Anspruchs 1 offen lässt, an welchem Punkt des Verfahrens die Sterilisierung erfolgen soll, da das beanspruchte Verfahren lediglich den zusätzlichen Schritt der Sterilisierung des Implantates mit ionischer Strahlung umfasst. Die Absicht, mit welcher die UV-Ozon-Behandlung in Druckschrift (2) erfolgt, ob zur Reinigung oder zur Sterilisierung, ist für den jeweiligen Verfahrensschritt unerheblich, wenn es sich um den physikalisch gleichen Vorgang handelt. Das Argument des Beschwerdegegners kann daher nicht überzeugen.
6.4.2 Der Beschwerdegegner brachte weiter vor, dass gemäß der Lehre der Druckschrift (3), Seite 5, Zeile 33 bis 6, Zeile 6, die Anwendung eines Sterilisierungsschrittes vermieden werden soll. Somit weise die Druckschrift (3) von der Anwendung eines Sterilisierungsschrittes weg. Daher habe die zusätzliche Sterilisierung, sowie die Sterilisierung mit ionisierender Strahlung als weiterer Verfahrensschritt nicht nahegelegen.
Dass bei medizinischen Anwendungen die Implantate steril sein müssen ist dem Fachmann bekannt. Die vom Beschwerdegegner zitierte Passage der Druckschrift (3) empfiehlt zwar, von einer Sterilisierung der Oberfläche direkt nach dem Schritt der Säureätzung und Hydroxylierung abzusehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jeglicher Sterilisierungsschritt zu einem anderen Zeitpunkt des Verfahrens ebenfalls vermieden werden soll. Daher stellt diese Aussage der Druckschrift (3) keine wegweisende Lehre dar, die den Fachmann davon abgehalten hätte, eine übliche Sterilisierung mit ionischer Strahlung an anderer Stelle des Verfahrens durchzuführen, oder dies zumindest zu versuchen. Somit kann auch dieses Argument des Beschwerdegegners nicht überzeugen.
6.5 Aus den genannten Gründen kommt die Kammer daher zu dem Schluss, dass auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.
6.6 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrages 2 ist vom Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 1 vollumfänglich mitumfasst. Daher gilt die für den Anspruch 1 des Hilfsantrages 2 vorgetragene Argumentation der erfinderischen Tätigkeit mutatis mutandis auch für den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1, mit der Folge, dass auch dessen Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.