European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T018414.20180710 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 10 Juli 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0184/14 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06707558.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61B 18/14 A61B 17/32 A61B 17/22 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Endoskopisches Chirurgiegerät | ||||||||
Name des Anmelders: | Erbe Elektromedizin GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | KLS Martin GmbH + Co. KG | ||||||||
Kammer: | 3.2.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag, Hilfsanträge 1 und 2 (nein); Hilfsantrag 3 (ja) | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Zwischenentscheidung über die Aufrechterhaltung des Europäischen Patents Nr. 1 868 520 in geändertem Umfang ist am 18. November 2013 zur Post gegeben worden. In der Entscheidung befand die Einspruchsabteilung, dass der damalige Hilfsantrag 7 den Anforderungen des EPÜ genüge.
II. Die Patentinhaberin hat am 17. Januar 2014 gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr am gleichen Tag entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 28. März 2014 eingereicht.
III. Die folgenden Dokumente sind für diese Entscheidung von Bedeutung:
D1: US-A-6 123 665
D5: JP-05-212045
D5': Englische Übersetzung von D5
D6: DE-A-196 07 922
D11: DE-A-42 42 143.
IV. Am 10. Juli 2018 fand eine mündliche Verhandlung statt.
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im erteilten Umfang, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents im geänderten Umfang auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdebegründung vom 28. März 2014 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 6.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags (Anspruch 1 des erteilten Patents) lautet wie folgt:
"1. Endoskopisches Chirurgiegerät für die endoskopische Mukosaresektion mit einer Einrichtung (1) zur Zufuhr mindestens einer Flüssigkeit und einer Einrichtung (2) zur Hochfrequenz-Chirurgie, die mit der Einrichtung (1) zur Zufuhr der mindestens einen Flüssigkeit zur einheitlichen Handhabung kombiniert ist, wobei die Einrichtung (1) zur Zufuhr der mindestens einen Flüssigkeit für eine nadellose Injektion und/oder Dissektion ausgebildet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Einrichtung (1) zur Zufuhr der mindestens einen Flüssigkeit eine Sonde (3) mit mindestens zwei Arbeitskanälen (4,5) aufweist, wobei in einem der Arbeitskanäle (4) eine Düse (7) und in einem anderen der Arbeitskanäle (5) eine Hochfrequenz-Elektrode (8) im Bereich des distalen Endes (6) der Sonde (3) herausfahrbar angeordnet ist."
VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 lautet wie Anspruch 1 des Hauptantrags mit folgenden von der Kammer kenntlich gemachten Änderungen:
"1. Endoskopisches Chirurgiegerät für die endoskopische Mukosaresektion mit einer Einrichtung (1) zur Zufuhr mindestens einer Flüssigkeit und einer Einrichtung (2) zur Hochfrequenz-Chirurgie, die mit der Einrichtung (1) zur Zufuhr der mindestens einen Flüssigkeit zur einheitlichen Handhabung kombiniert ist, wobei die Einrichtung (1) zur Zufuhr der mindestens einen Flüssigkeit für eine nadellose Injektion [deleted: und/oder] und Dissektion ausgebildet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Einrichtung (1) zur Zufuhr der mindestens einen Flüssigkeit eine Sonde (3) mit mindestens zwei Arbeitskanälen (4,5) aufweist, wobei in einem der Arbeitskanäle (4) eine Düse (7) und in einem anderen der Arbeitskanäle (5) eine Hochfrequenz-Elektrode (8) im Bereich des distalen Endes (6) der Sonde (3) herausfahrbar angeordnet ist."
VII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 lautet wie Anspruch 1 des Hauptantrags mit folgenden von der Kammer kenntlich gemachten Änderungen:
"1. Endoskopisches Chirurgiegerät für die endoskopische Mukosaresektion mit einer Einrichtung (1) zur Zufuhr mindestens einer Flüssigkeit und einer Einrichtung (2) zur Hochfrequenz-Chirurgie, die mit der Einrichtung (1) zur Zufuhr der mindestens einen Flüssigkeit zur einheitlichen Handhabung kombiniert ist, wobei die Einrichtung (1) zur Zufuhr der mindestens einen Flüssigkeit für eine nadellose Injektion und/oder Dissektion ausgebildet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Einrichtung (1) zur Zufuhr der mindestens einen Flüssigkeit eine Sonde (3) mit mindestens zwei Arbeitskanälen (4,5) aufweist, wobei in einem der Arbeitskanäle (4) eine Düse (7) fest und in einem anderen der Arbeitskanäle (5) eine Hochfrequenz-Elektrode (8) im Bereich des distalen Endes (6) der Sonde (3) herausfahrbar angeordnet ist."
VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 lautet wie Anspruch 1 des Hauptantrags mit folgenden von der Kammer kenntlich gemachten Änderungen:
"1. Endoskopisches Chirurgiegerät für die endoskopische Mukosaresektion mit einer Einrichtung (1) zur Zufuhr mindestens einer Flüssigkeit und einer Einrichtung (2) zur Hochfrequenz-Chirurgie, die mit der Einrichtung (1) zur Zufuhr der mindestens einen Flüssigkeit zur einheitlichen Handhabung kombiniert ist, wobei die Einrichtung (1) zur Zufuhr der mindestens einen Flüssigkeit für eine nadellose Injektion und/oder Dissektion ausgebildet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Einrichtung (1) zur Zufuhr der mindestens einen Flüssigkeit eine Sonde (3) mit mindestens zwei Arbeitskanälen (4,5) aufweist, wobei in einem der Arbeitskanäle (4) eine Düse (7) und in einem anderen der Arbeitskanäle (5) eine Hochfrequenz-Elektrode (8) im Bereich des distalen Endes (6) der Sonde (3) herausfahrbar angeordnet ist, wobei ein Handgriff (9) mit einem Schalter (10) zum Freischalten der Einrichtung (2) zur Hochfrequenz-Chirurgie und ein weiterer gesonderter Schalter zur Aktivierung der Einrichtung (2) zur Hochfrequenz-Chirurgie vorgesehen sind."
Ansprüche 2 bis 6 des Hilfsantrags 3 sind abhängige Ansprüche.
IX. Die von der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) vorgebrachten entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Hauptantrag
Die Druckschrift D5 sei kein geeigneter Stand der Technik, von dem der Fachmann zur Beurteilung der vorliegenden Erfindung ausgehen würde. D5 sei bereits 12 Jahre vor dem Prioritätstag veröffentlicht worden und sei somit als relativ weit zurückliegender Stand der Technik als Grundlage für die Weiterentwicklung auf dem Gebiet ungeeignet. Diese werde vielmehr in der Druckschrift D1 wiedergegeben, die in Spalte 1, Zeilen 27-37 Bezug auf D5 nimmt. Der Fachmann entnehme aus D1, dass die Bestrebungen auf dem Gebiet vor allem darauf zielten, eine Miniaturisierung des relativ komplizierten Aufbaus aus D5 dadurch herbeizuführen, dass die HF-Schlinge und die Injektionsnadel in einem einzigen Arbeitskanal zu platzieren seien.
Die Druckschrift D5 sei somit ein unzutreffender Ausgangspunkt, insbesondere zur Ermittlung der objektive technischen Aufgabe. Die im Absatz [0010] des Streitpatents genannte subjektive Aufgabe, Schädigungen des umliegenden Gewebes zu vermeiden, sei unter Berücksichtigung eines völlig anderen Stands der Technik formuliert worden. Generell ließen sich die Perforationsrisiken bei der Wasserstrahl-Injektion und bei der Nadelinjektion zur Bestimmung der objektiven Aufgabe nicht vergleichen. Bei der Wasserstrahl-Injektion könne die Darmwand ebenso perforiert werden wie mit einer Nadel, mit der nicht sorgsam hantiert werde. Die objektive technische Aufgabe könne somit nicht darin gesehen werden, die Sicherheit des Instruments zu verbessern. Sie bestehe vielmehr darin, die Handhabung des chirurgischen Geräts zu vereinfachen, da die doppelte mechanische Bewegung von Nadel und Schlinge in D5 größere Anforderungen an die Koordinationsfähigkeiten des Arztes stellten als die Kombination von Wasserstrahl und HF-Schlinge in der Erfindung. Letztere erfordere nur eine einzige mechanische Bewegung sowie einen Knopfdruck. Absatz [0016] des Streitpatents beschreibe die Vorteile einer gemeinsamen Handhabung einer Einrichtung zur Flüssigkeitsinjektion und einer HF-Elektrode in einem Gerät.
Die Kombination der Druckschriften D5 und D6 führe nicht zum erfindungsgemäßen Gegenstand, weil das Merkmal der einheitlichen Handhabung nicht erfüllt werde. Darüber hinaus sei der Druckschrift D6 auch kein Hinweis zu entnehmen, überhaupt die nadellose Injektion im Hinblick auf eine einheitliche Handhabung in Betracht zu ziehen. Ferner entnehme der Fachmann der Druckschrift D6 (Spalte 8, Zeilen 47 bis 57), dass der Schlauch im Endoskop verschiebbar angeordnet sei. Der Schlauch müsse also aus dem Endoskop heraus bis an das Gewebe heranführbar sein.
- Hilfsantrag 1
Der in D6 verwendete Schlauch sei nicht für die Dissektion von Gewebe offenbart und auch nicht dazu geeignet. D6 offenbare lediglich die Injektion kleiner Flüssigkeitesmengen in relativ kurzen Zeitabständen. Die dabei im Gewebe entstehenden Löcher würden sich nach dem Injizieren sofort wieder schließen. Bei der wassserstrahlchirurgischen Dissektion sei es hingegen erforderlich, einen Dauerstrahl auszugeben. Damit werde ein entsprechender Schlauch, durch den die Flüssigkeit für die Dissektion geführt werde, einem dauerhaften Druck ausgesetzt, der somit erheblich stabiler ausgelegt werden müsse, als wenn er nur für die Flüssigkeitsinjektion geeignet zu sein habe.
- Hilfsantrag 2
Die Druckschrift D6 offenbare zwar, dass das Schlauchende eine Düse aufweisen könne, diese werde allerdings lediglich in Figur 1.2 gezeigt. Die in den weiteren Figuren 1.1 und 1.3a bis 1.7 abgebildeten Schläuche besäßen keine derartige Düse. Demzufolge müsse der Fachmann aus den verschiedenen offenbarten Alternativen eine selektieren und sie dann mit D5 kombinieren. Darüber hinaus sei nicht offenbart, dass eine Düse im Arbeitskanal des Endoskops fest angeordnet sei. Auf Spalte 3, Zeilen 18 bis 30 werde offenbart, wie der Schlauch im Endoskop anzuordnen sei, wobei allerdings erneut verschiedene Alternativen angeboten würden, aus denen der Fachmann selektieren müsse. Für keine dieser Alternativen sei offenbart, dass das distale Schlauchende exakt am Endoskopende platziert sei, sondern lediglich "im wesentlichen" am Endoskopende. Demzufolge sei nicht eindeutig und unmittelbar offenbart, dass die Düse fest im Arbeitskanal angeordnet sei, wie im Anspruch 1 definiert.
- Hilfsantrag 3
Hinsichtlich des Hilfsantrags 3 trug die Beschwerdeführerin die Argumente vor, auf die sich die unten aufgeführten Entscheidungsgründe stützen.
X. Die von der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) vorgebrachten entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Hinsichtlich des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 und 2 trug die Beschwerdegegnerin die Argumente vor, auf die sich die unten aufgeführten Entscheidungsgründe stützen.
- Hilfsantrag 3
Unter Bezugnahme auf Figur 1 offenbare D5 einen Handgriff 35 mit einem Schalter 36 in Form eines Schiebeschalters, durch dessen Betätigung die HF-Schlinge 34 aus- und einfahrbar ist und somit die Einrichtung zur Hochfrequenz-Chirurgie freischaltbar sei. Der Fachmann auf dem Gebiet würde von einem Schalten zwischen zwei mechanischen Zuständen sprechen. Der im Absatz [0031] von D5' offenbarte HF-Generator enthalte diverse Schalter zur Steuerung des Stroms und in jedem Falle einen Schalter zum Ein- und Ausschalten des HF-Stroms. Darüber hinaus offenbare auch die Druckschrift D11 am Handgriff 12 Schalter 21 und 22 zum Herausschieben und damit Freischalten der Hochfrequenz-Elektroden 13 und 16. Dadurch seien die dem Hauptantrag hinzugefügten Unterscheidungsmerkmale aus D11 bekannt. Der Anspruch 1 beruhe folglich nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber der Kombination von D5 und D6 und der Kombination von D5, D6 und D11.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hintergrund der Erfindung
Das angefochtene Patent betrifft ein Chirurgiegerät für die endoskopische Mukosaresektion. Insbesondere soll das Gerät bei der Resektion großflächiger Tumore im Gastrointestinaltrakt Anwendung finden. Das hierfür im Stand der Technik bekannte chirurgische Verfahren wird in den Absätzen [0002] bis [0004] des Patents beschrieben. Es erlaubt, in einem ersten Schritt Flüssigkeit in einen Abschnitt der Submukosa, der sich unterhalb des zu entfernenden Tumors befindet, zu injizieren. Das injizierte Flüssigkeitsvolumen hebt daraufhin den Tumor an und entfernt ihn von der Magen- oder Darmwand, sodass in dem anschließenden zweiten Schritt der Tumorresektion Verletzungen der Magen- oder Darmwand und damit verbundene gefährliche Blutungen vermieden werden (Absatz [0020] des Patents). Das Flüssigkeitsvolumen stellt also sicher, dass das Herausschneiden des Tumors in ausreichendem Abstand zur Magen- oder Darmwand erfolgen kann, so dass eine thermische oder mechanische Beschädigung der Magen- oder Darmwand vermieden wird.
3. Hauptantrag
3.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents betrifft im Wesentlichen ein endoskopisches Chirurgiegerät, das eine Einrichtung zur Zufuhr einer Flüssigkeit und eine Einrichtung zur Hochfrequenz-Chirurgie zur einheitlichen Handhabung kombiniert, mit einer endoskopischen Sonde mit mindestens zwei Arbeitskanälen, wobei in einem der Arbeitskanäle die Einrichtung zur Zufuhr der Flüssigkeit und in einem anderen der Arbeitskanäle eine Hochfrequenz-Elektrode im Bereich des distalen Endes der Sonde herausfahrbar angeordnet ist.
3.2 Ein derartiges Gerät ist aus Dokument D5 bekannt (siehe Absätze [0019] und [0020] von D5' und Figur 1). Die Kammer teilt die Auffassung der Einspruchsabteilung, dass dieses Dokument den nächsten Stand der Technik bildet.
3.3 Die Beschwerdeführerin bestritt, dass D5 ein geeigneter Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstelle. Sie vertrat die Auffassung, dass Dokument D5, das 12 Jahre vor dem Prioritätstag veröffentlicht wurde, ein relativ weit zurückliegender Stand der Technik darstelle. Relevanter als D5 sei D1, das in Spalte 1, Zeilen 27-37 Bezug auf D5 nehme und aus dem ersichtlich sei, dass die Bestrebungen auf dem Gebiet vor allem darauf zielten, eine Miniaturisierung des relativ komplizierten Aufbaus aus D5 herbeizuführen, indem die HF-Schlinge und die Injektionsnadel in einem einzigen Arbeitskanal platziert wurden.
3.4 Die Kammer teilt diese Auffassung nicht.
Nach gängiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern sollte ein Dokument, das als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dient, dieselbe oder eine ähnliche technische Aufgabe oder zumindest dasselbe oder ein angrenzendes technisches Gebiet wie das Streitpatent betreffen. Diese Bedingungen sind vorliegend eindeutig erfüllt, da, wie oben erwähnt, sowohl das Streitpatent als auch D5 ein endoskopisches chirurgisches Gerät betreffen, in dem eine Einrichtung zur Zufuhr einer Flüssigkeit und eine Einrichtung zur Hochfrequenz-Chirurgie zur einheitlichen Handhabung kombiniert werden.
Zur Bestimmung des nächstliegenden Standes der Technik ist es keineswegs erforderlich, dass ein neueres Dokument (D1), das eine Weiterentwicklung eines bestimmten Geräts (D5) darstellt, vorzuziehen sei, wie von der Beschwerdeführerin behauptet wurde. D1 stellt lediglich eine spezielle Weiterentwicklung des Geräts von D5 in eine bestimmte Richtung dar, mit der die Gerätehandhabung vereinfacht wurde, indem die HF-Schlinge und die Injektionsnadel in einem einzigen Arbeitskanal platziert wurden. Ungeachtet dieser speziellen Erfindung ist es durchaus möglich, dass der Fachmann bestrebt sein wird, dasselbe ältere Gerät (D5) in eine andere, alternative Richtung weiter zu entwickeln, indem er eine unterschiedliche Aufgabe löst. Dagegen spricht auch nicht der Umstand, dass Dokument D5 12 Jahre vor dem Prioritätsdatum veröffentlicht wurde. Das Alter eines Dokuments als solches ist ebenfalls kein Grund, das Dokument als nächsten Stand der Technik auszuschließen, wenn nicht überzeugend gezeigt wird, dass es sich hierbei um eine überholte Technik handelt (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 8. Auflage 2016, I.D.3.6). Dieses wurde aber im vorliegenden Fall nicht einmal ansatzweise gezeigt.
3.5 Bei dem Gerät aus D5 besteht die Einrichtung zur Zufuhr der Flüssigkeit insbesondere aus einer Injektionsnadel (31) und einem Rohr (30) (Absätze [0019] und [0031] von D5'). Damit wird ein zu resezierender Tumor unterspritzt (Figur 5), der anschließend mittels einer HF-Schlinge (32, 34) abgetragen wird (Absatz [0020] von D5'). Die Einrichtung zur Zufuhr der Flüssigkeit (Rohr 30 und Injektionsnadel 31) und die Einrichtung zur Hochfrequenz-Chirurgie (HF-Schlinge 32, 34) sind insofern zu "einer gemeinsamen Handhabung miteinander kombiniert", als dass jedes der beiden Werkzeuge in ein und derselben Sonde eingeführt sind, und zwar in jeweils einem der beiden Arbeitskanäle (29a, 29b) der Sonde (Figur 2).
3.6 Das beanspruchte Gerät unterscheidet sich von dem aus D5 bekannten Gerät darin, dass die Einrichtung zur Zufuhr der Flüssigkeit eine Einrichtung zur nadellosen Injektion mit einer Düse ist.
3.7 Der technische Effekt einer nadellosen Injektion ist darin zu sehen, dass das Risiko einer Verletzung durch Perforation der zu behandelnden Struktur, beispielsweise der Darmwand, verringert wird. Dieser Effekt liegt nicht nur aus dem plausiblen Verständnis des Fachmanns heraus auf der Hand, sondern wird insbesondere im Dokument D6 ausdrücklich diskutiert. Beispielsweise wird darin auf Spalte 2, Zeilen 11 bis 16 erläutert, dass es außerordentlich gefährlich sei, mit einer Injektionsnadel an der Darmwand zu arbeiten, da diese sehr leicht durchstoßen werden könne. Hingegen werde bei Anwendung des Verfahrens der nadellosen Flüssigkeitsinjektion, wie D6 sie stattdessen vorschlägt, diese Gefahr erheblich verringert. Es mag zwar zutreffen, dass mittels eines Wasserstrahls theoretisch ebenfalls Perforationen entstehen können, wie die Beschwerdeführerin plausibel argumentierte. Einen Beleg für die Behauptung dass, entgegen der Feststellung in D6, dieses Risiko größer sein soll als beim Einstechen mit einer Nadel, lieferte die Beschwerdeführerin jedoch nicht.
3.8 Somit ist die objektive technische Aufgabe darin zu sehen, das bekannte Chirurgiegerät sicherer zu gestalten. Diese Aufgabe stimmt übrigens auch mit der im Patent in Absatz [0010] genannten subjektiven Aufgabe überein, Schädigungen des umliegenden Gewebes, insbesondere der Magen- oder Darmwand, sicher zu vermeiden.
Die Beschwerdeführerin war jedoch der Auffassung, dass die objektive technische Aufgabe in der Vereinfachung der Handhabung des Geräts zu sehen sei, da die doppelte mechanische Bewegung von Nadel und Schlinge in D5 größere Anforderungen an die Koordinationsfähigkeiten des Arztes stellten als die Kombination von Wasserstrahl und HF-Schlinge in der Erfindung. Letztere erfordere nur eine einzige mechanische Bewegung der HF-Schlinge, sowie einen Knopfdruck zum Auslösen des HF-Stroms.
Dieses Argument überzeugte die Kammer jedoch nicht, da sich die von der Beschwerdeführerin gestellte technische Aufgabe nicht aus den Unterscheidungsmerkmalen einer nadellosen Injektion mit einer Düse ableiten lässt. Wie unter obigem Punkt 3.5 ausgeführt, ist das Anspruchsmerkmal der "einheitlichen Handhabung" im Gerät von D5 ebenfalls vorhanden und stellt somit kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber D5 dar.
3.9 Zur Lösung der oben erwähnten objektiven technischen Aufgabe - und zwar ebenfalls mit dem Zweck, einen zu resezierenden Tumor anzuheben - offenbart D6 eine Einrichtung zur nadellosen Flüssigkeitsinjektion (Spalte 1, Zeilen 11 bis 22; Spalte 1, Zeile 50 bis Spalte 2, Zeile 16). Statt der herkömmlichen Flüssigkeitsinjektion mittels einer Nadel wird in D6 die endoskopische nadellose Injektion von Flüssigkeit durch einen Schlauch mit einer Düse offenbart (Spalte 1, Zeilen 50 bis 65; Spalte 3, Zeilen 18 bis 45; Spalte 4, Zeilen 16 bis 22; Spalte 5, Zeilen 50 bis 54 und Figur 1.2).
3.10 Zur Lösung der gestellten Aufgabe würde der Fachmann folglich die Injektionseinrichtung aus D5 durch die aus D6 bekannte nadellose Injektionseinrichtung ersetzen und so in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gelangen.
3.11 Folglich erfüllt Anspruch 1 des Hauptantrags nicht das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
4. Hilfsantrag 1
4.1 Anspruch 1 definiert das Gerät mit dem zusätzlichen Merkmal, wonach die Einrichtung zur Zufuhr der Flüssigkeit "für eine nadellose Injektion und Dissektion ausgebildet ist".
4.2 In D6 wird nicht explizit offenbart, dass die nadellose Injektionseinrichtung das hinzugefügte Merkmal der Eignung für eine Dissektion - d.h. die Eignung zum Schneiden oder Durchtrennen von Gewebe - besitzt. Aus der Offenbarung von D6 geht jedoch eine derartige Eignung eindeutig hervor. D6 offenbart, dass bei der Injektion von Flüssigkeit mittels eines dünnen Flüssigkeitsstrahls Löcher verschiedener Größe und Tiefe im Gewebe entstehen (Spalte 2, Zeilen 21 bis 28 und 35 bis 43; Spalte 3, Zeilen 46 bis 51). Dazu werden die geeigneten hydraulischen Parameter wie Druck, Druckanstiegsgeschwindigkeit, Dauer und/oder Geschwindigkeit einer Pumpeinrichtung eingestellt (Spalte 3, Zeilen 30 bis 38).
Auch wenn die in D6 beschriebene Verwendung des Geräts spezifisch darauf gerichtet ist, eine kleine Flüssigkeitsmenge in das Gewebe derart zu injizieren, dass sich das entstehende Loch im Gewebe nach dem Injizieren sofort wieder schließt, liegt es auf der Hand, dass das Gerät - insbesondere dessen Flüssigkeitsschlauch - ebenfalls dazu geeignet ist, eine Sukzession von tieferen bzw. ausgedehnteren Löchern im Gewebe zu generieren, die - je nach Beschaffenheit des Gewebes bzw. Einstellung der hydraulischen Parameter - zu einem Schnitt im Gewebe bzw. dessen Durchtrennung führt. Die Dissektion von Gewebe erfordert darüber hinaus auch nicht zwingend einen Dauerstrahl, da sie ebenfalls mittels eines gepulsten Flüssigkeitsstrahls erfolgen kann.
Die Kammer ist folglich der Auffassung, dass der in D6 offenbarte Schlauch nicht nur für die Injektion von Flüssigkeit, sondern auch für die Dissektion geeignet ist.
4.3 Daraus ergibt sich, dass auch der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 auf keiner erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.
5. Hilfsantrag 2
5.1 Im Anspruch 1 wird dem Anspruch 1 des Hauptantrags das Merkmal hinzugefügt, wonach in einem der Arbeitskanäle die Düse fest angeordnet ist.
5.2 D6 offenbart dieses Merkmal ebenfalls als Bestandteil der nadellosen Injektionseinrichtung. Auf Spalte 3, Zeilen 18 bis 30 werden die Alternativen offenbart, wonach der Schlauch entweder durch den Arbeitkanal des Endoskops hindurchführbar (d.h. verschiebbar) oder derart im Endoskop eingebaut ist, dass das distale Schlauchende aus dem distalen Ende des Endoskops hervortritt, oder aber "im wesentlichen beim Endoskopende ebenfalls endet". Letztere Alternative besagt in anderen Worten, dass das distale Ende des Schlauchs im wesentlichen am Endoskopende fest angeordnet ist. Der hier erwähnte Ausdruck "im wesentlichen" interpretiert der Fachmann in diesem Zusammenhang dahingehend, dass sich das distale Schlauchende nicht unbedingt exakt am Endoskopende zu befinden hat, sondern unter Umständen auch etwas vor oder danach angeordnet sein kann. Diese Offenbarung von D6 umfasst also wenige äquivalente Alternativen, die der Fachmann bei der Lösung der hinsichtlich D5 gestellten oben erwähnten Aufgabe, berücksichtigen würde.
Anschließend folgt auf Spalte 3, Zeilen 39 bis 45 von D6 die Offenbarung, dass das "proximale Ende" des Schlauches - was offensichtlich das "distale Ende" des Schlauches heißen muss (s.a. entsprechende Aussage auf Spalte 4, Zeilen 16 bis 22) - mit einer Düse versehen ist.
Hieraus folgt, dass gemäß einer der verschiedenen gleichwertigen Alternativen, die in D6 offenbart werden, das Schlauchende mit einer Düse fest am Endoskopende angeordnet ist. Damit ist offenbart, dass die Düse im Arbeitskanal fest angeordnet ist, wie Anspruch 1 definiert.
5.3 Demzufolge beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 auf keiner erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
6. Hilfsantrag 3
6.1 Das Gerät des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3 enthält gegenüber dem Gerät gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags folgende zusätzliche Merkmale:
(i) ein Handgriff mit einem Schalter zum Freischalten der Einrichtung zur HF-Chirurgie und
(ii) ein weiterer Schalter zur Aktivierung der Einrichtung zur HF-Chirurgie.
6.2 Dokument D5 offenbart (Absatz [0031] von D5'), dass nach Positionierung der HF-Schlinge im Gewebe ein HF-Strom zur Abtragung des Gewebes aktiviert wird. Dies impliziert, dass ein entsprechender Schalter zum An- und Ausschalten des HF-Stroms vorhanden ist.
6.3 Unter Bezugnahme auf Figur 1 offenbart D5 ferner, dass zur Positionierung der HF-Schlinge am Handgriff (35c) ein Schieber (36) vorgesehen ist, mit dem die HF-Schlinge aus der Sonde herausgefahren wird (Absätze [0022] und [0031] von D5'; Figur 1). Außer dieser rein mechanischen Funktion ist keine weitere Eigenschaft des Schiebers (36) offenbart.
6.4 Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdegegnerin würde der Fachmann einen derartigen mechanischen Schieber, der die Schlinge aus der Sonde heraus- und in dieselbe hineinbewegt, nicht als einen "Schalter zum Freischalten der Einrichtung zur HF-Chirurgie". Im technischen Zusammenhang des beanspruchten Geräts werden mit dem Begriff "Schalter" eindeutig solche Mittel verstanden, die eine (elektrische) Schaltfunktion besitzen. Es entspricht keineswegs dem allgemeinen technischen Begriffsverständnis des Fachmanns auf dem vorliegenden Gebiet, von einem "Schalten" zwischen einem ausgefahrenen und einem eingefahrenen Zustand einer chirurgischen Schlinge zu sprechen. Die besagte Interpretation des Schalters als ein Mittel, das eine (elektrische) Schaltfunktion besitzt, wird darüber hinaus dadurch bekräftigt, dass der Anspruch einen "weiteren Schalter" - den oben erwähnten Schalter zur Aktivierung des HF-Stroms - definiert, der (exklusiv) eine elektrische Schaltfunktion besitzt. Die im Anspruch zusätzlich definierte Funktion des "Freischaltens der Einrichtung zur HF-Chirurgie" ergibt im Kontext des mechanischen Schiebers von D5 ebenfalls keinen Sinn.
6.5 Folglich unterscheidet sich das beanspruchte Gerät von dem aus D5 bekannten Gerät zusätzlich darin, dass es einen gesonderten Schalter zum Freischalten der Einrichtung zur HF-Chirurgie besitzt.
Die Betätigung dieses Schalters erlaubt es, das Gerät zunächst in einen freigeschaltenen Zustand zu versetzen, in dem anschließend der HF-Chirurgiestrom durch den "weiteren Schalter" aktiviert werden kann. Dadurch wird eine Sicherheitsschaltung realisiert, die das versehentliche Auslösen des HF-Chirurgiestroms vermeidet (siehe Absatz [0021] des Patents).
6.6 Eine derartige Sicherheitseinrichtung bestehend aus der Kombination der zwei beanspruchten Schalter geht auch nicht aus dem weiteren in diesem Zusammenhang zitierten Dokument D11 hervor. In D11 wird ein hochfrequenzchirurgisches Gerät offenbart, in dem Betätigungsschieber (21, 22) zum Herausschieben einer Koagulationselektrode (13) oder einer Schneidelektrode (16) offenbart werden. Dabei handelt es sich ebenfalls, wie in D5, nur um mechanische Schieber (Spalte 2, Zeilen 16 bis 26), also keine Schalter zum Freischalten der Einrichtung zur HF-Chirurgie.
6.7 Demzufolge wäre der Fachmann durch die Kombination der Dokumente D5, D6 und D11 nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt.
6.8 Die Kammer kommt somit zu dem Schluss, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht. Das gleiche gilt um so mehr für die bevorzugten Ausführungen gemäß der abhängigen Ansprüche 2 bis 6.
6.9 Da die im Verfahren vorgebrachten Einwände der Aufrechterhaltung des angefochtenen Patents in geändertem Umfange gemäß Hilfsantrag 3 nicht entgegen stehen, ist die Berücksichtigung der weiteren Hilfsanträge nicht erforderlich.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrecht zu erhalten:
Ansprüche:
Ansprüche 1 bis 6 des Hilfsantrags 3 eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 28. März 2014.
Beschreibung:
Spalten 1 bis 8 eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2018.
Zeichnungen:
Seiten 8 bis 10 der Patentschrift.