T 0182/14 (Hörgerät mit akustischem Dämpfer/SIVANTOS) of 17.4.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T018214.20180417
Datum der Entscheidung: 17 April 2018
Aktenzeichen: T 0182/14
Anmeldenummer: 09151479.4
IPC-Klasse: H04R 25/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Hörgerät mit akustischem Dämpfer
Name des Anmelders: Sivantos Pte. Ltd.
Name des Einsprechenden: Oticon A/S
Widex A/S
GN Resound A/S
Phonak AG
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 15(2)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Mündliche Verhandlung - Verlegung (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die von den Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) gemeinsam eingelegte Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Patent Nr. 2 088 803 zurückzuweisen.

II. Die Beschwerdeführerinnen beantragten, die Entscheidung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen. Hilfsweise beantragten sie eine mündliche Verhandlung.

III. Mit der Beschwerdeerwiderung beantragte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin), die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie eine mündliche Verhandlung.

IV. Am 6. Februar 2018 lud die Kammer die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung am 17. April 2018. In einer der Ladung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK nahm die Kammer zum Sachverhalt vorläufig Stellung und erörterte unter anderem die Frage der erfinderischen Tätigkeit bezüglich des Gegenstands des unabhängigen Anspruchs 1 des Streitpatents.

V. Als Reaktion auf die Ladung beantragten die Beschwerdeführerinnen mit Schreiben vom 8. März 2018 eine Verlegung der mündlichen Verhandlung.

Mit einer Mitteilung vom 9. März 2018 teilte die Kammer mit, dass sie dem Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht stattgeben könne.

In Erwiderung auf diese Mitteilung brachten die Beschwerdeführerinnen mit Schreiben vom 12. März 2018 weitere Argumente für eine Verlegung der mündlichen Verhandlung vor. Die Kammer nahm dieses Schreiben zur Kenntnis und teilte anschließend mit, dass sie dennoch keinen Grund sehe, den Termin zu verlegen.

Mit Schreiben vom 15. März 2018 reichten die Beschwerdeführerinnen weitere Argumente zur Stützung ihres Antrags, das Patent zu widerrufen, ein.

VI. Am 17. April 2018 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

VII. Am Ende der Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

VIII. Die folgende Druckschrift ist für die vorliegende Entscheidung der Kammer relevant:

E2: US 4 296 829.

IX. Der unabhängige Anspruch 1 in der erteilten Fassung des Patents lautet wie folgt:

"Hörgerät (1) mit einem ein- oder mehrteiligen Tragehaken (2', 2''), welcher eine Spitze (7, 7') zur Verbindung mit einem Schallschlauch (9) aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß die Spitze (7, 7') einstückig mit einem sich über den inneren Querschnitt der Spitze (7, 7') erstreckenden Dämpfer (8) verbunden ist."

Entscheidungsgründe

1. Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung

1.1 Eine mündliche Verhandlung vor den Beschwerdekammern kann nach Artikel 15 (2) VOBK auf einen schriftlichen und begründeten Antrag hin nach dem Ermessen der Kammer ausnahmsweise verlegt werden, wobei der Antrag so früh wie möglich zu stellen ist.

Bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigte die Kammer zudem die Mitteilung des Vizepräsidenten der Generaldirektion 3 des Europäischen Patentamts vom 16. Juli 2007 über mündliche Verhand­lungen vor den Beschwerdekammern des EPA (ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 3, 115, nachstehend: "Mitteilung").

1.2 Der Antrag auf Verlegung wurde mit Schreiben vom 8. März 2018 gestellt und damit begründet, dass der alleinige Sachbearbeiter bereits einen Termin vor dem Landgericht Mannheim habe. Eine entsprechende Ladung vom 15. November 2017 wurde beigefügt.

Der Grund des Antrags auf Verlegung der mündlichen Verhandlung war somit bereits zum Zeitpunkt der Ladung durch die Kammer bekannt. Der Antrag wurde jedoch erst fast einen Monat danach gestellt. Ein Grund für diese späte Einreichung wurde im Schreiben vom 8. März 2018 nicht gegeben (vgl. Nr. 2 der oben genannten Mitteilung).

Des Weiteren war zu berücksichtigen, dass ein Antrag auf Verlegung einer mündlichen Verhandlung, der damit begründet wird, dass der von einem Verfahrensbeteiligten bestellte Vertreter im Sinne von Artikel 133 (3) oder 134 EPÜ aus einem der in Nr. 2.1 der Mitteilung genannten Gründe an der Teil­nahme verhindert sei, gemäß Nr. 2.3 der Mitteilung zudem eine Begründung enthalten muss, warum der ver­hinderte Vertreter nicht durch einen anderen Vertreter im Sinne der Artikel 133 (3) oder 134 EPÜ ersetzt werden kann.

Im vorliegenden Fall haben die Beschwerdeführerinnen in ihren Schreiben vom 12. März 2018 dahingehend argumentiert, dass die im bisherigen Verfahren gesammelten Erfahrungen nur mit erheblichem Aufwand einem anderen Vertreter zu übermitteln seien, in der Sozietät des Vertreters "nicht ohne weiteres" ein anderer Vertreter, der ein, wie der bisherige Vertreter, mit Verbindungsarten vertrauter Maschinenbauingenieur ist, verfügbar sei, und es daher nicht mit vertretbarem Aufwand möglich sei, die Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung einem anderen Vertreter ohne Beeinträchtigung der Interessen der Einsprechenden zu übertragen.

Die Kammer merkt diesbezüglich an, dass in der Kanzlei, für die der verhinderte Vertreter tätig ist, laut Internetauftritt wenigstens sieben Patentanwälte der Fachrichtung Maschinenbau beschäftigt sind, zu deren Basiswissen Verbindungsarten gehören sollten. Ferner ist festzustellen, dass neben den Interessen der Beschwerdeführerinnen an einer Verlegung auch die Planung der mündlichen Verhandlungen durch der Kammer zu berücksichtigen war. Auch aufgrund der Tatsache, dass zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung grundsätzlich eine Einarbeitung erforderlich ist, und der Schwierigkeit, einen zeitnahen Ersatztermin zu finden, an dem alle drei Kammermitglieder verfügbar sind, gab die Kammer in Ausübung ihres Ermessens dem Antrag auf Verlegung nicht statt.

2. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ)

2.1 E2 beschreibt ein Hörgerät mit einem Tragehaken 2 mit einer Spitze zur Verbindung mit einem Schallschlauch 3 (Spalte 2, Zeilen 23 bis 25 und Zeilen 37 und 38, Figuren 1 und 2). Der Tragehaken 2 kann mittels Spritzguss hergestellt werden und ist einteilig (Spalte 1, Zeilen 45 bis 48, und Figur 2). Bei der Spitze ist ein Stopfen ("plug") 9 in den Tragehaken eingeführt, der sich über den gesamten inneren Querschnitt der Spitze erstreckt (Spalte 2, Zeilen 38 bis 41, Figur 2). Der Stopfen 9 weist axiale Schlitze auf und bildet ein akustisches Filter (Spalte 2, Zeilen 17 bis 19 und 47 bis 49, und Figur 5). Bei einem passiven Filter wie dem vorliegenden werden einzelne Spektralanteile gedämpft, so dass der Stopfen zumindest für manche Frequenzen ein Dämpfer ist. Zur Befestigung des Dämpfers im Tragehaken 2 macht E2 keine Aussagen.

Somit offenbart E2 ein Hörgerät mit einem einteiligen Tragehaken, welcher eine Spitze zur Verbindung mit einem Schallschlauch aufweist, wobei die Spitze einen sich über den inneren Querschnitt der Spitze erstreckenden Dämpfer aufweist.

2.2 Das Hörgerät gemäß Anspruch 1 unterscheidet sich daher von dem in E2 offenbarten Hörgerät dadurch, dass der Dämpfer einstückig mit der Spitze des Tragehakens verbunden ist.

Eine einstückige Verbindung wird von der Kammer als unlösbare Verbindung verstanden. Dieser Auffassung wurde von keiner Seite widersprochen.

Ein technischer Effekt der einstückigen Verbindung ist, dass der Dämpfer unverlierbar mit dem Tragehaken verbunden ist.

Die dem Gegenstand des Anspruchs 1 zugrunde liegende Aufgabe könnte daher darin gesehen werden, zu verhindern, dass der Dämpfer herausfallen und verloren gehen kann.

Zum Prioritätsdatum der vorliegenden Anmeldung waren zahlreiche Arten bekannt, eine unlösbare Verbindung herzustellen, beispielsweise durch Kleben. Die Kammer erkennt auch keinen durchschlagenden Grund, der einen Fachmann davon abgehalten hätte, zur Lösung der genannten Aufgabe den Dämpfer mit der Spitze des Tragehakens der E2 insbesondere durch Kleben unlösbar beziehungsweise einstückig zu verbinden.

2.3 Argumente der Patentinhaberin

Die Patentinhaberin verwies darauf, dass bei dem Hörgerät gemäß E2 ein Einsatz 10 nachträglich eingesetzt und in die richtige Position gebogen wird (Spalte 2, Zeilen 41 bis 44). E2 würde somit das nachträgliche Anordnen von zusätzlichen Komponenten lehren und von einer einstückigen Verbindung des Dämpfers wegführen. Außerdem solle der Dämpfer im Allgemeinen auswechselbar sein um eine gewünschte Frequenzantwort erzielen. Der Hersteller wolle sich nicht von vorneherein festlegen und würde den Dämpfer daher nicht einstückig verbinden.

Die Patentinhaberin argumentierte weiter, dass E2 die Herstellung des Tragehakens mittels Spritzguss mit einem axial entfernbaren Kern offenbart (Spalte 2, Zeilen 44 bis 47) und man, wollte man den Dämpfer beim Spritzgießen ausbilden, zwei Kerne benötigen würde, die die Herstellung aufwändiger machen würden. Somit würde die E2 von einer einstückigen Verbindung weglehren.

Auf den Einwand, dass eine Klebeverbindung zum Prioritätsdatum bekannt war und eine einstückige Verbindung darstellt, erwiderte die Patentinhaberin, dass das Kleben einen weiteren Schritt darstellen würde, eine Kontrolle erfordern und insgesamt den Aufwand erhöhen würde.

Die Kammer ist von diesen Argumenten aus folgenden Gründen nicht überzeugt:

In Bezug auf den Einsatz 10 merkt die Kammer an, dass dieser Einsatz sich im Tragehaken zwischen dem Dämpfer 9 und dem Hörgerätegehäuse 1 befindet (Figuren 1 und 4) und daher besser gegen Verlieren gesichert ist als der Dämpfer, der sich an der Spitze des Tragehakens befindet. Eine einstückige Verbindung des Einsatzes mit dem Tragehaken ist demzufolge nicht oder zumindest weniger veranlasst. Im übrigen sei bemerkt, dass durch eine nachträgliche Anbringung eine unlösbare Verbindung des Einsatzes mit dem Tragehaken, beispielsweise durch Kleben, in E2 nicht ausgeschlossen wird. Das nachträgliche Anordnen des Einsatzes, ungeachtet ob lösbar oder unlösbar, steht einer einstückigen Verbindung zwischen Dämpfer und Spitze des Tragehakens auch nicht entgegen. Das Beispiel des Einsatzes 10 kann daher nicht als Beleg dafür dienen, dass E2 von einer einstückigen Verbindung des Tragehakens mit dem Dämpfer weglehrt.

Ob eine einstückige Verbindung mittels Spritzgießen besondere technische Schwierigkeiten bereiten würde, ist im vorliegenden Fall unerheblich, da Anspruch 1 keine Details der einstückigen Verbindung festlegt und es neben Spritzgießen andere geeignete Verbindungsarten gibt, insbesondere die bereits genannte Klebeverbindung.

Weiter wurde das Erfordernis zweier Kerne beim Spritzgießen des Tragehakens einschließlich des Dämpfers aufgrund der Tatsache abgeleitet, dass der Dämpfer von dem dem Schallschlauch zugewandten Ende zurückversetzt ist und der dadurch entstandene Hohlraum von einem von dieser Seite eingeführten zweiten Kern hergestellt werden müsse. Die Kammer ist allerdings der Ansicht, dass zum einen ein erhöhter Fertigungsaufwand kein unüberwindbares Hindernis ist, und dass zum anderen der Fachmann, wollte er den zweiten Kern vermeiden, auf naheliegende Weise den Dämpfer bündig mit dem Ende des Tragehaken abschließen lassen würden (vgl. E2, Spalte 2, Zeilen 38 bis 41 ("at or near the projection 8"), und Figur 2).

Ebenso sind die geltend gemachten Nachteile einer Klebeverbindung, nämlich ein erhöhter Aufwand und eine möglicherweise erforderliche Kontrolle, kein unüberwindbares Hindernis. Eine Kontrolle ist, wenn sie denn überhaupt unumgänglich sein sollte, kein unverhältnismäßig hoher Aufwand. Eine Erhöhung des Aufwands per se ist ebenso kein Hinderungsgrund für den Fachmann, da mit dem erhöhten Aufwand der Klebeverbindung ja auch ein zusätzlicher Vorteil erzielt wird, nämlich die unverlierbare Verbindung zwischen Tragehaken und Dämpfer.

2.4 Argumente der Einspruchsabteilung

Die Einspruchsabteilung argumentierte in ihrer Entscheidung unter anderem, dass es für den Fachmann eine Vielzahl an Möglichkeiten zur unlösbaren Verbindung gab, wie beispielsweise Kleben oder Schweißen, die aber beide Nachteile aufwiesen. So müsste ein Schweißvorgang sehr präzise gesteuert werden und wäre daher kostspielig, wobei angezweifelt wurde, ob durch Schweißen eine einstückige Verbindung herstellbar wäre. Bei einer Klebeverbindung würde das Risiko bestehen, dass Klebereste den Schallschlauch verschmutzen und seine akustischen Eigenschaften verändern oder Kanäle des Dämpfers verschließen könnten. Auch hinge es vom verwendeten Klebstoff ab, ob die Verbindung einstückig oder nicht einstückig ausgeführt würde. Die Einspruchsabteilung fasste zusammen, dass keine der für den Fachmann üblichen Verbindungsarten zu einer einstückigen Verbindung führen und ein eindeutiger Hinweis fehlen würde, die Verbindung einstückig auszugestalten.

Die Kammer ist der Ansicht, dass keine der Schwierigkeiten, die die verschiedenen Verbindungsarten mit sich bringen könnten, einen zu ihrer Überwindung unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern würde und den Fachmann davon abhalten würde, den Tragehaken und den Dämpfer einstückig miteinander zu verbinden.

Ein eindeutiger Hinweis ist nicht erforderlich, solange der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens zum beanspruchten Gegenstand gelangen würde, ohne erfinderisch tätig zu werden.

Da im Übrigen auch Anspruch 1 keine Details dazu enthält, wie eine einstückige Verbindung zwischen Tragehaken und Dämpfer vorteilhaft auszuführen wäre, können Schwierigkeiten bei einzelnen Ausführungsmöglichkeiten unberücksichtigt bleiben.

2.5 Folglich war der Gegenstand des Anspruchs 1 für den von E2 ausgehenden Fachmann unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens naheliegend (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ).

2.6 Da der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist das Patent zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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