T 0145/14 (Motorprüfstand/AVL) of 12.1.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T014514.20170112
Datum der Entscheidung: 12 Januar 2017
Aktenzeichen: T 0145/14
Anmeldenummer: 05740732.2
IPC-Klasse: G01M 15/00
G01L 3/16
G01L 3/18
G01L 3/20
G01L 3/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: PRÜFSTAND FÜR BRENNKRAFTMASCHINEN
Name des Anmelders: AVL List GmbH
Name des Einsprechenden: Siemens Aktiengesellschaft
HORIBA Europe GmbH
Ernestus, Markus
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 69
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention Art 123
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0967/97
T 1279/04
T 1742/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0439/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent mit der Nummer 1 749 194 in geändertem Umfang auf der Grundlage des der Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 1a aufrecht­zu­erhalten.

II. Es wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:

S5 = DE 40 19 581 A1

S10 = Kurzbeschreibung "Prüftechnik hochdynamische Motorprüfstände, ein mittlerweile unverzichtbares Instrument bei der Entwicklung von Verbrennungsmotoren, Siemens AG Bereich Anlagentechnik

S12 = US 4 899 595 A

S22 = E. Sprato et al.: "Neue BMW Antriebsprüfstände", Automotive Engineering Partners, Ausgabe 6/2002

S23 = W. Hauber et al.: "Integrierte Signalauswertung zur schnelleren Versuchsauswertung am Beispiel von Verbrennungsmotoren", Automotive Engineering Partners, Ausgabe 4/2002.

III. Beschwerde gegen die Entscheidung wurde am 16. Januar 2014 von der Beschwerdeführerin I (Einsprechende 1) und der Beschwerdeführerin II (Einsprechende 2) eingelegt. Die jeweilige Beschwerdegebühr wurde am gleichen Tag entrichtet. Die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin I ging am 26. März 2014 ein. Die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin II ging am 27. März 2014 ein. Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

IV. In der Beschwerdeerwiderung beantragte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin), die Beschwerden zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie, das Patent mit dem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 1b aufrecht­zu­erhalten, oder mit Hilfsantrag 2 oder 3, beide eingereicht mit Schreiben vom 22. August 2013.

V. Mit einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung mit.

VI. Die mündliche Verhandlung fand am 12. Januar 2017 statt. Der ordnungsgemäß geladene weitere Verfahrensbeteiligte (Rechtsanwalt Markus Ernestus als Insolvenzverwalter der TECHNOGERMA SYSTEMS GmbH - Einsprechender 3) war nicht anwesend.

VII. Während der mündlichen Verhandlung nahm die Beschwerdegegnerin sämtliche bestehenden Hilfsanträge zurück und reichte geänderte Ansprüche 1 bis 6 gemäß einem neuen, einzigen Hilfsantrag 1b, sowie geänderte Beschreibungsseiten 2 bis 3 ein.

Die übrigen Unterlagen des Hilfsantrags 1b der Beschwerde­gegnerin sind die Figuren 1 bis 4 des erteilten Patents.

Die anwesenden Beteiligten stellten in der mündlichen Verhandlung folgende Schlussanträge:

Die Beschwerdeführerinnen I und II (Einsprechende 1 und 2) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerden der Beschwerdeführerinnen (Hauptantrag) und hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage folgender Unterlagen:

Ansprüche: Nr. 1 bis 6 gemäß Hilfsantrag 1b, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2017;

Beschreibung: Seiten 2 bis 3, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2017; und

Zeichnungen: FIG. 1 bis 4 wie erteilt.

VIII. Der weitere Verfahrensbeteiligte hat schriftlich weder Anträge gestellt noch inhaltlich Stellung genommen.

IX. Der Hauptantrag entspricht dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag 1a und weist Anspruch 1 als einzigen unabhängigen Anspruch auf, der wie folgt lautet:

"Prüfstand mit einer Brennkraftmaschine, mit einem Fundament (1) auf dem die zu prüfende Brennkraftmaschine (2) einerseits und dieser abtriebsseitig gegenüber zumindest eine drehverbundene Antriebs- bzw. Belastungsmaschine (4) andererseits angeordnet ist, deren Antriebsachse (8) im wesentlichen mit der Abtriebsachse (7) der zu prüfenden Brennkraftmaschine (2) fluchtet, welche eine Original-Auspuffanlage (10) trägt, die im wesentlichen unterhalb der Abtriebsachse (7) parallel zu deren Verlängerung von der Brennkraftmaschine (2) wegführt, wobei die Antriebs- bzw. Belastungsmaschine (4) mit vertikalem Abstand (5) zum Fundament (1) unter Freilassung eines die Original-Auspuffanlage (10) der zu prüfenden Brennkraftmaschine (2) aufnehmenden Durchganges an einer das Fundament (1) überragenden und zumindest einseitig auf dem Fundament (1) abgestützten Traganordnung (6) hängend montiert ist."

X. Der Hilfsantrag 1b weist Anspruch 1 als einzigen unabhängigen Anspruch auf, der sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags darin unterscheidet, dass der Ausdruck "Antriebs- bzw. Belastungsmaschine" durch "Antriebsmaschine" ersetzt wurde.

XI. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerden

Die Beschwerden sind zulässig.

2. Hauptantrag der Beschwerdegegnerin

2.1 Unzulässige Erweiterung (Artikel 123 (2) EPÜ)

2.1.1 Die Beschwerdeführerin I trug vor (Punkt 2 der Beschwerdebegründung), dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags der Beschwerdegegnerin eine unzulässige Erweiterung gegenüber dem ursprünglichen Offenbarungsgehalt darstelle (Artikel 123 (2) EPÜ), weil die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen keine hinreichende Offenbarung für einen Prüfstand mit einer Brennkraftmaschine enthielten. Laut den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen sei es Aufgabe der beanspruchten Erfindung, den Prüfstand so zu gestalten, dass er für die Prüfung einer Mehrzahl unterschiedlicher Brennkraftmaschinen verwendet werden könne.

2.1.2 Die Beschwerdegegnerin hat argumentiert (siehe Beschwerdeerwiderung, Punk II.1, zweiter Absatz), dass die Kombination von Prüfstand und Brennkraftmaschine eindeutig durch die Figur 1 offenbart sei.

2.1.3 Auch die Kammer ist zu der Auffassung gelangt, dass die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen in Figur 1 unmittelbar und eindeutig einen Prüfstand mit einer Brennkraftmaschine offenbaren. Die Aufgabe der Erfindung ist für die Frage der ausreichenden Offenbarung nicht relevant. Darüber hinaus ist ohnehin der Prüfstand im Anspruch 1 nicht in Kombination mit einer spezifischen Brennkraft­maschine beansprucht, was bedeutet, dass im Einklang mit der oben genannten Aufgabe die beanspruchte Erfindung weiterhin eine Kombination des Prüfstands mit einer Mehrzahl unterschiedlicher Brennkraftmaschinen umfasst.

2.1.4 Weiter stellt die Kammer fest, dass auch wenn die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nur eine temporäre Zusammenstellung von zwei Elementen beschreiben, diese Zusammenstellung damit offenbart ist. Sie kann deshalb als solche beansprucht werden, entgegen der von der Beschwerdeführerin I während der mündlichen Verhandlung vertretenen Meinung.

2.1.5 Damit erfüllen die Änderungen in Anspruch 1 das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ.

2.2 Neuheit (Artikel 54(1) EPÜ 1973)

2.2.1 Die Beschwerdeführerin II hat argumentiert (siehe Beschwerdebegründung, Punkt 7), dass das Dokument S5 die Neuheit des Anspruchs 1 vorwegnehme.

2.2.2 Die Kammer kann sich dieser Argumentation weitgehend anschließen. Sie stellt fest, dass das Dokument S5 einen Prüfstand (siehe Figur 2) mit einer Brennkraftmaschine (Verbrennungsmotor M) offenbart,

mit einem Fundament (Hallenboden), auf dem die zu prüfende Brennkraftmaschine (M) einerseits und dieser abtriebsseitig gegenüber zumindest eine drehverbundene Antriebs- bzw. Belastungsmaschine andererseits angeordnet ist,

deren Antriebsachse im Wesentlichen mit der Abtriebsachse (L) der zu prüfenden Brennkraftmaschine fluchtet (ersichtlich in den Figuren 2 und 3.1), welche eine Original-Auspuffanlage (A) trägt, die im Wesentlichen unterhalb der Abtriebsachse (L) parallel zu deren Verlängerung von der Brennkraftmaschine (M) wegführt (siehe Figur 3.1),

wobei (siehe Figuren 3.1, 3.2 und 5.1) die Antriebs- bzw. Belastungsmaschine (B) mit vertikalem Abstand zum Fundament unter Freilassung eines die Original-Auspuffanlage (A) der zu prüfenden Brennkraftmaschine (M) aufnehmenden Durchganges an einer das Fundament überragenden und zumindest einseitig auf dem Fundament abgestützten Traganordnung (Palettengrundrahmen P mit Gesamtträgerplatte 1 und hinterer Trägerplatte 9) hängend montiert ist.

2.2.3 Der Begriff "Antriebs- bzw. Belastungsmaschine" ist nach Meinung der Kammer wie im normalen Sprachgebrauch breit auszulegen, nämlich als "Antriebs- und/oder Belastungs­maschine". In den Anmeldungsunterlagen gibt es keine eindeutigen Hinweise dafür, dass wie von der Beschwerde­gegnerin behauptet, im vorliegenden Fall der Begriff zwangsweise als "Antriebs- und Belastungs­maschine" auszulegen ist. Dokument S5 offenbart eine Belastungsmaschine, im vorliegenden Fall eine Leistungsbremse B.

2.2.4 Der Wortlaut des vorliegenden Anspruchs schließt nach Ansicht der Kammer auch den Fall ein, wo die Auspuffanlage, wie im Dokument S5, zusätzlich auch noch seitlich versetzt ist. Dies ist in der Figur 2 des Patents sogar explizit dargestellt.

2.2.5 Nach Meinung der Kammer ist auch der Begriff "überragend" breit auszulegen, also nicht nur, wie die Beschwerde­gegnerin behauptet, als "über etwas hinausragend", d.h. mit einer horizontalen Komponente, sondern auch z.B. einfach als "höher".

2.2.6 Auch der Begriff "hängende Montage" ist nach Meinung der Kammer breit auszulegen.

Laut dem Vorbringen der Beschwerdegegnerin (siehe z.B. Punkt III., 2(a) der Beschwerdeerwiderung) sei der Begriff gemäß Artikel 69 EPÜ auszulegen. Der hängenden Montage sei die Bedeutung beizumessen, dass diese einer schwingungs­mäßigen Entkopplung der Antriebs- bzw. Belastungs­maschine diene, und eine einfache Anpassung an die Achshöhe der Abtriebswelle der Brennkraftmaschine ermögliche. Dadurch werde die Aufgabe gelöst, Brennkraftmaschinen mit einer montierten und im Wesentlichen unterhalb der Antriebsachse parallel zu deren Verlängerung von der Brennkraftmaschine wegführenden Original-Auspuffanlage auf einfachere Weise prüfen zu können.

Die Kammer weist aber erstens daraufhin, dass Artikel 69 (1) EPÜ den Schutzumfang eines Patents betrifft und dass daher diese Vorschrift vor allem in nationalen Verletzungsverfahren oder im Hinblick auf Artikel 123 (3) EPÜ zu berücksichtigen ist, nicht jedoch für die Zwecke der Beurteilung der Neuheit. Dies bedeutet, dass, auch wenn der Fachmann einen Anspruch selbst­verständlich mit Kenntnis der Beschreibung und der Figuren lesen wird, der Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, durch die Ansprüche selbst angegeben werden soll. Dies folgt aus dem Wortlaut des Artikels 84, Satz 1 EPÜ 1973. Jeglichen auftretenden Auslegungs­schwierigkeiten sollten im Prüfungs- und Einspruchsverfahren mit geeigneten Änderungen begegnet werden (siehe auch T 1279/04).

Zweitens weist die Kammer daraufhin, dass auch die Auslegung der Beschwerdegegnerin den Begriff "hängend" nicht weiter definiert, sondern lediglich den Zweck der hängenden Montage angibt.

2.2.7 Laut dem Vorbringen der Beschwerdegegnerin ergebe sich aus dem Wortlaut der letzten 5 Zeilen des Anspruchs 1 ein kausaler Zusammenhang zwischen einerseits der Größe des vertikalen Abstands der Antriebs- bzw. Belastungs­maschine zum Fundament und andererseits der Tatsache, dass ein Durchgang zur Aufnahme der Original-Auspuffanlage der zu prüfenden Brennkraftmaschine freigelassen werde.

Nach Ansicht der Kammer ist ein solcher kausaler Zusammenhang aber vorliegend nicht gegeben. Der Anspruch lässt sich ohne Weiteres so lesen, dass es einerseits einen vertikalen Abstand der Antriebs- bzw. Belastungs­maschine zum Fundament gibt und andererseits ein Durchgang zur Aufnahme der Original-Auspuffanlage der zu prüfenden Brennkraftmaschine freigelassen wird. Die Größe des vertikalen Abstands ist also unabhängig vom Freilassen eines Durchgangs.

2.2.8 Das Dokument S5 offenbart deshalb alle Merkmale des Patentanspruchs 1 des Hauptantrags und der Gegenstand dieses Anspruchs ist somit gemäß Artikel 54 (1) EPÜ 1973 nicht neu.

3. Hilfsantrag 1b der Beschwerdegegnerin

3.1 Zulassung des Antrags

3.1.1 Laut dem Vorbringen beider Beschwerdeführerinnen erfolgte die Einreichung des vorliegenden Hilfsantrags zu spät im Beschwerdeverfahren, da der Begriff "Antriebs- bzw. Belastungsmaschine" bereits im Vorfeld ausführlich im Bezug auf das Dokument S5 diskutiert worden sei. Es sei deshalb bereits früher abzusehen gewesen, dass ein Ersetzen dieses Begriffs wenigstens in einem Hilfsantrag notwendig gewesen wäre.

3.1.2 Die Kammer ist jedoch der Ansicht, dass das späte Einreichen des Hilfsantrags 1b im vorliegenden Fall gerechtfertigt ist. Es fand nämlich erstmals während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eine ausführliche Diskussion über die technische Bedeutung des Worts "bzw." (beziehungsweise) im Anspruch 1 des Hauptantrags statt. Erst im Rahmen dieser Diskussion wurde deutlich, dass bei einem Ersetzen des Merkmals "Antriebs- bzw. Belastungsmaschine" durch das Merkmal "Antriebs­maschine" der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nur gegenüber dem Dokument S5 sondern auch gegenüber den übrigen im Verfahren genannten Dokumenten nicht mehr neuheitsschädlich vorweggenommen wäre.

3.1.3 Die Kammer ist daher der Ansicht, dass die Einreichung des vorliegenden Hilfsantrags eine sachdienliche Reaktion auf die Feststellung der Kammer darstellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber dem Dokument S5 nicht neu ist.

3.1.4 Auch erhöht der neue Hilfsantrag 1b nicht die Komplexität des Verfahrens. Im Übrigen wurde dies auch von keiner der Beschwerdeführerinnen geltend gemacht.

3.1.5 Die Kammer hat deshalb in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 (1) VOBK den Hilfsantrag 1b in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

3.2 Artikel 123 (2) und (3) EPÜ

Die Änderungen in den Unterlagen des Hilfsantrags 1b verletzen weder Artikel 123 (2) EPÜ noch Artikel 123 (3) EPÜ. Keine der Beschwerdeführerinnen hat dies im Übrigen bestritten.

3.3 Neuheit (Artikel 54 (1) EPÜ 1973)

Weder Dokument S5 noch die anderen im Verfahren genannten Dokumente offenbaren die Verwendung einer Antriebsmaschine in einem Motorprüfstand. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1b ist deshalb neu, was übrigens von keiner der Beschwerdeführerinnen bestritten wurde.

3.4 Zulassung des Dokuments S10'

3.4.1 Während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer hat die Beschwerdeführerin I das Dokument S10' eingereicht. Es handelt sich dabei um eine Farbkopie des Dokuments, welches offensichtlich als Basis gedient hat für die Schwarz-Weiß-Kopie, die als Dokument S10 in der Akte bereits vorhanden war. Auf dem Bild dieser Farbkopie sind deutlich Einzelheiten des abgebildeten Prüfstands sichtbar, was hingegen bei dem Bild im Dokument S10 nicht der Fall ist. Damit ist der Offenbarungsgehalt des Dokuments S10' möglicherweise größer als der des Dokuments S10.

3.4.2 Aus der Akte ist ersichtlich, dass eine mit dem Dokument S10' übereinstimmende Farbkopie niemals eingereicht wurde. Auch nachdem die Kammer in ihrer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung bemerkt hatte, dass auf dem Bild im Dokument S10 keine Einzelheiten erkennbar seien, und zwar in dem Maße, dass man höchstens sehen könne, dass irgendeine industrielle Maschine angebildet sei (siehe Seite 7, letzter vollständiger Absatz der Mitteilung), hat die Beschwerdeführerin I keine bessere Kopie des Dokuments S10 eingereicht. Die Kammer betrachtet deshalb die Einreichung des Dokuments S10' erst während der mündlichen Verhandlung als verspätet.

3.4.3 Aus den obengenannten Gründen hat die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(1) VOBK das Dokument S10' nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

3.5 Zulassung des Dokuments S23'

3.5.1 Während der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerde­führerin I das Dokument S23' eingereicht. Es handelt sich dabei um eine bessere Version der Schwarz-Weiß-Kopie, die als Dokument S23 bereits in der Akte vorhanden war. In dieser neu eingereichten Schwarz-Weiß-Kopie S23' sind auf dem Bild deutlich Einzelheiten des abgebildeten Prüfstands erkennbar, was hingegen bei dem Bild im Dokument S23 nicht der Fall ist.

3.5.2 Aufgrund der Aussage der beiden Beschwerde­führerinnen, dass sie vom Europäischen Patentamt bereits während des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung eine ähnlich detailreiche Schwarz-Weiß-Kopie wie S23', nämlich eine Kopie des von der damaligen Einsprechenden 3 eingereichten Dokuments D4, erhalten hätten, und aufgrund der Tatsache, dass sie diese Kopie des Dokuments D4 während der Verhandlung vorzeigen konnten, kann die Kammer es zumindest nicht ausschließen, dass von der früheren Einsprechenden 3 tatsächlich eine mit der Kopie S23' vergleichbare Kopie des Dokuments 23 bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung eingereicht wurde.

3.5.3 Deshalb, und auch weil die Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung ihren Einwand gegen eine Zulassung zurückgenommen hat, hat die Kammer das Dokument S23' in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 (1) VOBK in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

3.6 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973) ausgehend von S5

3.6.1 Die Beschwerdegegnerin vertritt die Meinung, dass das Dokument S5 nicht als "nächster Stand der Technik" im Aufgabe-Lösungs-Ansatz verwendet werden solle, weil das Ziel gemäß Dokument S5 ein anderes sei als das der vorliegenden Erfindung. Während das Ziel der Erfindung sei, auch die Montage einer Original-Auspuffanlage zu ermöglichen, sei das Ziel gemäß Dokument S5, insbesondere das Geräuschverhalten der Abgasanlage möglichst verfälschungsfrei zu bestimmen.

3.6.2 Die Meinung der Kammer ist hingegen, dass es demjenigen, der mangelnde erfinderische Tätigkeit nachweisen möchte, prinzipiell frei steht, von jedem beliebigen Dokument als "nächsten Stand der Technik" auszugehen. Sie hält es deshalb nicht für gerechtfertigt, eine Überprüfung der erfinderischen Tätigkeit ausgehend vom Dokument S5 von vornherein auszuschließen (siehe hierzu auch T 967/97, Punkt 3.2 und T 1742/12 Punkte 6.6 und 8).

3.6.3 Die relevantesten Elemente in der Begründung beider Beschwerdeführerinnen gegen erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf das Dokument S5 als nächster Stand der Technik sind folgende:

a) Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1b unterscheide sich von der Offenbarung von S5 darin, dass in S5 keine Antriebsmaschine sondern eine hydrodynamische Belastungsmaschine (im konkreten Fall eine Wasserbremse) offenbart sei.

b) Die objektive Aufgabe, die deshalb vom beanspruchten Gegenstand gelöst werde, sei das Finden einer Alternative für eine hydrodynamische Belastungsmaschine.

c) Bereits vor dem Prioritätsdatum sei bekannt gewesen, dass eine Belastungsmaschine als elektrische Maschine (Asynchronmaschine) ausgeführt werden könne.

d) Es wäre für den Fachmann deshalb naheliegend, eine elektrische Maschine als Belastungsmaschine in Dokument S5 zu verwenden.

e) Auch sei vor dem Prioritätsdatum bekannt gewesen, dass eine elektrische Maschine nach ihrem Prinzip sowohl als Motor (Antriebsmaschine) als auch als Generator (Belastungsmaschine) verwendet werden könne.

f) Der Fachmann würde deshalb ohne erfinderisches Zutun die Belastungsmaschine in Dokument S5 durch eine elektrische Maschine, die auch als Antriebsmaschine Verwendung finden könne, ersetzen und käme dann ohne erfinderisches Zutun zum beanspruchten Gegenstand.

3.6.4 Die Kammer kann sich den Argumenten in den Punkten (a) bis (c) und (e) anschließen. Trotzdem schlägt nach ihrer Ansicht die Begründung beider Beschwerdeführerinnen insgesamt fehl. Auch wenn ein Fachmann generell erwägen könnte, die Wasserbremse in dem Dokument S5 durch eine elektrische Maschine zu ersetzen, würde eine elektrische Maschine, die auch als Antriebsmaschine verwendet werden kann, wesentlich größer als die ersetzte Wasserbremse ausfallen, da letztere, ausgehend vom Anspruch 11 in S5, typischerweise eine Bautiefe von 10-15 cm hätte. Der Prüfstand müsste in diesem Fall neu dimensioniert werden. Dies würde jedoch den Fachmann davon abhalten, eine auch als Antriebsmaschine brauchbare elektrische Maschine zu verwenden, wenn es nur darum geht, eine alternative für die hydrodynamische Belastungsmaschine zu finden.

3.6.5 Zudem wäre eine elektrische Belastungsmaschine zwar in der Regel grundsätzlich auch geeignet, als Antriebsmaschine zu fungieren. Hierzu sind allerdings zumindest entsprechende elektrische Anschlüsse vorzusehen. Es fehlt jedoch jeglicher Anreiz, bei der Belastungsmaschine aus S5 die Verwendung als Antriebsmaschine zu ermöglichen und solche Anschlüsse vorzusehen.

3.6.6 Von den Beschwerdeführerinnen wurden als Ergänzung zur Information in S5 auch noch die Dokumente S10, S22 und S23' angeführt. Keines dieser Dokumente enthält aber eine eindeutige technische Lehre über die Verwendung einer Antriebsmaschine in einem Motorprüfstand.

3.6.7 Die Kammer ist deshalb der Ansicht, dass die von dem Dokument S5 ausgehenden Argumente der Beschwerdeführerinnen nicht das Fehlen einer erfinderischen Tätigkeit nachweisen.

3.7 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973) ausgehend von S12

Nach Ansicht der Kammer ist das Fehlen einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von S12 nicht nachgewiesen. Dies schon deshalb nicht, weil der in den Figuren 1A und 1B sichtbare Ablaufschlauch 152 sowie die Ventile 153 im Raum unter der Belastungsmaschine 20 erstens das Durchführen einer Original-Auspuffanlage behindern würden und zweitens der bekanntlich erheblichen Hitze der Auspuffanlage (bis zu 400 °C oder mehr, abhängig von der Motorleistung und der Belastung) augesetzt wären, der wiederum ein handelsüblicher Schlauch nicht standhalten würde und die den Zugang zu den Ventilen verhindern würde. Es gäbe deshalb keinen Anlass für den Fachmann, einen Durchgang für eine Original-Auspuffanlage unter der als elektrische Maschine implementierten, und deshalb eventuell auch als Antriebsmaschine verwendbaren, Belastungsmaschine freizulassen.

Auch wenn man die Lehren des Dokuments S12 und des von der Beschwerdeführerin II angeführten Dokuments S22 kombinieren würde, wäre ein solcher Durchgang im daraus resultierenden Prüfstand nicht vorhanden.

3.8 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973) ausgehend von S23'

3.8.1 Nach Ansicht der Kammer würde der Fachmann, ausgehend von S23', nicht ohne erfinderisches Zutun zum beanspruchten Gegenstand kommen. Das Dokument betrifft ein Verfahren zur Signalauswertung bei einem Prüfstand für insbesondere Verbrennungsmotoren unter verschiedenen Last- und Steuerparameter (siehe Einleitung auf den ersten zwei Seiten). Bei einem derartigen Motorprüfstand wird nur eine reine Belastungsmaschine benötigt, keine Antriebsmaschine oder kombinierte Belastungs- und Antriebsmaschine. Zudem wird hier kein Originalauspuff benötigt und es ist auch keine hängende Montage offenbart oder nahegelegt.

3.8.2 Von der Beschwerdeführerin I wurden als Ergänzung zur Information in S23' die Dokumente S10 und S22 angeführt. Keines dieser Dokumente enthält aber, wie oben unter 3.6.63.6.6 gesagt, eine eindeutige technische Lehre über die Verwendung einer Antriebsmaschine in einem Motorprüfstand.

3.9 Die Kammer ist weiter der Ansicht, dass der Gegenstand auch erfinderisch ist gegenüber den sonstigen sich im Verfahren befindlichen Dokumenten.

3.10 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1b beruht deshalb auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973).

Das gleiche gilt zwangsweise auch für die abhängigen Ansprüche.

3.11 Auch ist die Kammer der Ansicht, dass sowohl die Ansprüche wie auch die anderen Unterlagen des Hilfsantrags 1b der Beschwerdegegnerin die übrigen Erfordernisse des EPÜ erfüllen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche: Nr. 1 bis 6 gemäß Hilfsantrag 1b, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2017;

- Beschreibung: Seiten 2 bis 3, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2017; und

- Zeichnungen: FIG. 1 bis 4 wie erteilt.

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