T 0090/14 () of 16.4.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T009014.20190416
Datum der Entscheidung: 16 April 2019
Aktenzeichen: T 0090/14
Anmeldenummer: 08103731.9
IPC-Klasse: G08B 29/18
G08B 17/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zur Überwachung eines Brandmelders und Konfigurierungsverfahren und Brandmelder
Name des Anmelders: Siemens Schweiz AG
Name des Einsprechenden: ista International GmbH
Detectomat GmbH
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
European Patent Convention Art 83
Schlagwörter: Spät eingereichter Hauptantrag und Hilfsanträge 1 und 2 - zugelassen (nein)
Ausreichende Offenbarung - Hilfsanträge 3 und 4 (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2 043 069 widerrufen worden ist.

II. Die Beschwerdeführerin beantragte in ihrer Beschwerdebegründung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche ihres gemeinsam mit der Beschwerdebegründung eingereichten Haupt- oder Hilfsantrags aufrechtzuerhalten.

III. Anspruch 1 des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags (im Folgenden "vormaliger Hauptantrag") lautet:

"Vorrichtung zur Überwachung eines Brandmelders, die wenigstens einen auf Rauch, einem Brandgas oder einer Lufterhitzung ansprechenden Brandmelder (1, 11, 21) mit einem für Gegenstände seitlich des bestimmungsgemäß ausgerichteten Brandmelders (1, 11, 21) empfindlichen Fühler (2, 12, 22A, 22B, 22C) aufweist, ausgestattet mit einem Datenspeicher und mit einer Auswerteeinheit für das Fühlersignal (121), wobei die Auswerteeinheit ausgebildet ist, um aus dem Fühlersignal (121) einen Wert für die Strömungsabschirmung des Brandmelders (1, 11, 21) durch Gegenstände zu ermitteln und eine Warnmeldung auszulösen, falls der ermittelte Wert an einem gespeicherten Erwartungswert für eine Strömungsabschirmung herantritt, wobei der Brandmelder (1, 11, 21) einen Sender (13A, 13B, 23A, 23B, 23C) zum Aussenden von Strahlungsimpulsen in der Horizontalebene aufweist, und wobei die Auswerteeinheit eingerichtet ist, eine Funktion des empfangenen Fühlersignals (121) über die Zeit zu integrieren."

IV. Das Merkmal "wobei der Brandmelder (1, 11, 21) einen Sender (13A, 13B, 23A, 23B, 23C) zum Aussenden von Strahlungsimpulsen in der Horizontalebene aufweist" wurde als Merkmal M7 bezeichnet und das Merkmal "und wobei die Auswerteeinheit eingerichtet ist, eine Funktion des empfangenen Fühlersignals (121) über die Zeit zu integrieren" wurde als Merkmal M8 bezeichnet.

V. In einer gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung versandten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK hatte die Kammer den Parteien mitgeteilt, dass aller Voraussicht nach der vormalige Hauptantrag das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ nicht erfülle, da bezüglich des Merkmals M8 der Fachmann dem Patent nicht entnehmen könne, welche Funktion er über die Zeit zu integrieren habe.

VI. Mit Schreiben vom 18. März 2019 reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag und neue Hilfsanträge 1 bis 4 ein.

VII. Der Anspruch 1 des Hauptantrags entspricht dem erteilten Anspruch 1, d.h. im Vergleich mit dem vormaligen Hauptantrag wurden die Merkmale M7 und M8 gestrichen.

VIII. In Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 wurde im Vergleich mit dem vormaligen Hauptantrag das Merkmal M8 gestrichen.

IX. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 entspricht Anspruch 1 des gemeinsam mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags, wie oben unter III wiedergegeben.

X. Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 enthält ebenfalls die Merkmale M7 und M8.

XI. Eine mündliche Verhandlung fand am 16. April 2019 vor der Kammer statt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte abschließend, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche des Hauptantrags oder auf der Grundlage der Ansprüche eines der Hilfsanträge 1 bis 4, allesamt mit Schreiben vom 18. März 2019 eingereicht, aufrecht zu erhalten.

Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende 1 und 2) beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen.

XII. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Gemäß der Entscheidung der Beschwerdekammern T 386/04 sei im Beschwerdeverfahren eine Rückkehr zu einem Antrag, das Patent wie erteilt aufrecht zu erhalten, möglich. Die Einspruchsabteilung habe befunden, dass der der Zwischenentscheidung zugrundeliegende Hilfsantrag, welcher dem gemeinsam mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrag entspreche, das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ erfülle. Diese Sachlage habe sich durch die Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK geändert. Hierauf habe die Beschwerdeführerin reagiert und neue Anträge eingereicht. Dies stelle keinen Verfahrensmissbrauch dar, da die Beschwerdeführerin zu keiner Zeit explizit auf das Patent in der erteilten Fassung verzichtet habe. Die in Anspruch 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 und 2 vom 18. März 2019 vorhandenen Merkmale stellten keine Überraschung dar. Folglich seien der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 und 2 in das Verfahren zuzulassen.

Die Hilfsanträge 3 und 4 erfüllten das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ. Die anspruchgemäß zu integrierende Funktion sei im Beschwerdeverfahren falsch interpretiert worden. Zwar stellten die Absätze [0027] und [0028] des Patents darauf ab, dass die Funktion eine Polynomentwicklung sei. Polynomentwicklungen seien jedoch bekanntermaßen nur Näherungsverfahren, die geeignet seien einen Kurvenverlauf anzunähern. Folglich diene die Polynomentwicklung lediglich der Annäherung an den Signalverlauf des Sensorsignals. Daher sei unter der beanspruchten zu integrierenden Funktion das elektrische Signal des Fühlers zu verstehen, wie es in Figur 3 des Patents gezeigt sei. Dies ergebe sich auch aus Absatz [0015] des Patents, wonach die Auswerteeinheit eine Funktion des empfangenen Fühlersignals integriere. Wie ein elektrisches Signal über die Zeit zu integrieren sei, wisse der Fachmann. Daher sei das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ erfüllt.

XIII. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdegegnerinnen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 und 2 seien nicht zuzulassen, da die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung nicht auf dem erteilten Patent beruhe. Durch die Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK habe sich keine geänderte Sachlage ergeben, da sich der Einwand unter Artikel 83 EPÜ bereits seit dem Jahr 2011 im Verfahren befinde.

Die Argumentation der Beschwerdeführerin zur unzureichenden Offenbarung der Hilfsanträge 3 und 4 ergebe sich in keiner Weise aus dem Patent und widerspreche sogar den vormals von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumenten. Der Wortlaut des strittigen Merkmals sei anders gefasst, als von der Beschwerdeführerin behauptet. Insbesondere verlange der Anspruch, dass eine nicht näher definierte Funktion des Fühlersignals integriert werde. Die einzige Offenbarungsstelle einer Funktion im Sinne des Anspruchs sei die in Absatz [0027] des Patents beschriebene Polynomentwicklung. Diese enthalte laut Absatz [0027] jedoch auch auf Erfahrungswissen basierte Zusatzkomponenten, welche in keiner Weise definiert seien. Die Beschwerdeführerin habe daher bewusst Wissen, das für die Ausführung der Erfindung erforderlich sei, zurückgehalten. Dies widerspreche dem Zweck des Artikels 83 EPÜ.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde wurde frist- und formgerecht eingereicht und ist folglich zulässig.

2. Hauptantrag und Hilfsanträge 1 und 2 - Zulassung

2.1 Die Kammer schließt sich der Beschwerdeführerin nicht dahingehend an, dass der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 und 2, welche mit Schreiben vom 18. März 2019 eingereicht wurden, in Anlehnung an die in der Entscheidung T 386/04 entwickelten Grundsätze zuzulassen seien, da kein Verfahrensmissbrauch vorliege.

Die Entscheidung T 386/04 betrifft einen Fall, in welchem die Patentinhaberin das Patent zwar während des Einspruchsverfahrens lediglich in beschränktem Umfang verteidigt hat, jedoch bereits mit der Beschwerdeschrift die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt beantragt hatte.

Im vorliegenden Fall hatte die Beschwerdeführerin jedoch weder mit der Beschwerdeschrift, noch mit der Beschwerdebegründung die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt beantragt. Mit der Beschwerdebegründung wurde lediglich die beschränkte Aufrecherhaltung des Patents in der Fassung eines Antrags beantragt, welcher dem der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung zugrunde liegenden Hilfsantrag entspricht, oder hilfsweise in der Fassung eines noch eingeschränkteren Antrags.

Die in der Entscheidung T 386/04 getroffenen Schlussfolgerungen können folglich nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden.

2.2 Darüber hinaus ist die Kammer auch nicht davon überzeugt, dass die von der Beschwerdeführerin vorgenommenen Änderungen durch die in der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK geäußerte vorläufige Meinung der Kammer motiviert sein sollen.

Der Einwand unter Artikel 83 EPÜ wurde von einer der Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende 2) bereits in ihrem Schriftsatz vom 23. September 2011 erhoben und befindet sich folglich seit diesem Zeitpunkt im Verfahren.

Grundsätzlich wird die Grundlage des Beschwerdeverfahrens in Artikel 12 (1) VOBK geregelt. Gemäß Artikel 12 (1) a) und b) VOBK liegt dem Beschwerdeverfahren die Beschwerde und die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin nach Artikel 108 EPÜ sowie gegebenenfalls die Erwiderung der Beschwerdegegnerin(nen) zugrunde.

Zwar zählen nach Artikel 12 (1) c) VOBK auch Antworten auf Mitteilungen der Kammer zur Grundlage des Beschwerdeverfahrens, sodass theoretisch auch der von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 18. März 2019 eingereichte Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 und 2 dem Verfahren zugrunde liegen könnten.

Jedoch sieht Artikel 12 (2) VOBK vor, dass die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten enthalten müssen. Eine Änderung des beanspruchten Gegenstands, wie sie mit den mit Schreiben vom 18. März 2019 eingereichten Anträgen erfolgt ist, stellt mithin eine Änderung in der Sache im Sinne des Artikels 12 (2) VOBK dar.

Eine derartige Änderung könnte nichtsdestotrotz zulässig sein, falls sich während des Beschwerdeverfahrens Umstände ergeben hätten, welche eine solche Änderung rechtfertigen würden. Derartige Umstände sind im vorliegenden Fall weder ersichtlich noch vorgetragen worden.

Der Einwand unter Artikel 83 EPÜ, welchen die Beschwerdeführerin mit ihrem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 vom 18. März 2019 auszuräumen versucht, befindet sich, wie oben dargelegt, bereits seit dem 23. September 2011 im Verfahren. Die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Umstände rechtfertigen die Änderungen folglich nicht. Weitere Umstande sind weder ersichtlich noch vorgetragen worden.

2.3 Daher übte die Kammer ihr Ermessen gemäß Artikel 13 (1) VOBK dahingehend aus, den Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1 und 2 nicht ins Verfahren zuzulassen.

3. Hilfsanträge 3 und 4 - Offenbarung (Artikel 83 EPÜ)

3.1 Es ist strittig, ob die im Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 definierte Erfindung im Sinne des Artikels 83 EPÜ ausreichend offenbart ist. Insbesondere ist strittig, ob die im Merkmal M8 des Anspruchs 1 erwähnte Funktion, welche über die Zeit integriert wird, definiert ist.

3.2 Die Integration einer Funktion über die Zeit ist allgemeines Fachwissen, auch im Bezug auf eine Funktion eines Fühlersignals. Hierzu müsste jedoch die Funktion, welche integriert werden soll, bekannt sein.

Das Patent enthält allerdings keinerlei Beispiel für die beanspruchte Funktion. Im Absatz [0015] wird lediglich das entsprechende Merkmal M8 des Anspruchs 1 wiederholt, ohne dass die Funktion näher erläutert wäre. Absatz [0027] gibt zur Erfassung einer möglichen Strömungsabschirmung zwar an, dass ein Puls eines Fühlersignals mit einer Polynomentwicklung der Zeit multipliziert, das Produkt über die Zeit integriert und das Integral durch die Distanz dividiert wird. Die Polynomentwicklung ist jedoch nicht definiert. Es sind lediglich unbestimmte Koeffizienten a, b, c und d angegeben. Darüber hinaus enthält die Polynomentwicklung laut Absatz [0027] "aber auch auf Erfahrungswissen basierte Zusatzkomponenten", die ebenfalls völlig unbestimmt sind. Die beanspruchte Funktion ist daher nicht angegeben.

3.3 Das Argument der Beschwerdeführerin, unter der Funktion sei das elektrische Fühlersignal selbst zu verstehen, überzeugt die Kammer nicht. Einerseits enthält das Patent keinen Hinweis darauf, dass unter der zu integrierenden Funktion lediglich das elektrische Fühlersignal zu verstehen ist. In Absatz [0015] wird lediglich das strittige Anspruchsmerkmal wiederholt, dass "eine Funktion des empfangenen Fühlersignals über die Zeit" integriert wird. Die Funktion ist jedoch völlig unbestimmt. An keiner Stelle des Patents ist erwähnt, dass die Funktion des Fühlersignals mit dem Fühlersignal identisch sein sollte.

3.4 Sogar wenn angenommen würde, bei der zu integrierenden Funktion handle es sich um das elektrische Fühlersignal, wäre das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt. In diesem Fall bestünde nämlich ein direkter Widerspruch zum Inhalt der Absätze [0015] und [0027] des Patents, wonach explizit "eine Funktion des empfangenen Fühlersignals" integriert wird sowie dass eine Multiplikation mit einer (nicht näher definierten) Polynomentwicklung vorzusehen ist.

Folglich kann der Fachmann dem Patent nicht entnehmen, welche Funktion er über die Zeit zu integrieren hat.

3.5 Aufgrund dessen schließt sich die Kammer den Beschwerdegegnerinnen dahingehend an, dass die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 beanspruchte Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

3.6 Da das betroffene Merkmal M8 auch in Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 enthalten ist, gilt das oben zum Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 Gesagte für den Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 entsprechend.

3.7 Daher erfüllen die Hilfsanträge 3 und 4 das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ nicht.

4. Schlussfolgerung

Da kein gewährbarer Antrag der Beschwerdeführerin vorliegt, folgt die Kammer dem Antrag der Beschwerdegegnerinnen, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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