T 0078/14 () of 7.9.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T007814.20170907
Datum der Entscheidung: 07 September 2017
Aktenzeichen: T 0078/14
Anmeldenummer: 08150842.6
IPC-Klasse: C08L 63/00
C09J 163/00
C08G 59/18
C08G 59/44
C09J 5/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Auswaschbeständige hitzehärtende Epoxidharzklebstoffe
Name des Anmelders: Sika Technology AG
Name des Einsprechenden: THE DOW CHEMICAL COMPANY
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (nein) Alle Anträge
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin I) und der Einsprechenden (Beschwerdeführerin II) betreffen die am 14. Oktober 2013 verkündete und am 29. November 2013 zur Post gegebene Zwischen­entscheidung der Einspruchsabteilung bezüglich der Aufrechterhaltung des Europäischen Patents Nr 2 085 426 in geändertem Umfang auf Grundlage des am 13. August 2013 eingereichten zweiten Hilfsantrags.

II. Anspruch 1 des erteilten Patents hatte folgenden Wortlaut:

"Einkomponentige hitzehärtende Epoxidharz­zusammensetzung enthaltend

- mindestens ein Epoxidharz A mit durchschnittlich mehr als einer Epoxidgruppe pro Molekül;

- mindestens einen Härter B für Epoxidharze, welcher durch erhöhte Temperatur aktiviert wird;

- mindestens ein Amid AM mit einem Schmelzpunkt von 100°C bis 145°C, wobei das Amid AM ein Fettsäureamid oder ein Polyamid ist."

Ansprüche 2-10 waren auf bevorzugte Ausführungsformen der Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 gerichtet, wobei Anspruch 3 definierte, dass die Epoxidharzzusammensetzung mindestens einen Zähigkeitsverbesserer D enthielt und Anspruch 4 die bevorzugten Klassen der Zähigkeitsverbesserer definierte.

III. Einspruch unter Geltendmachung der Gründe gemäß Artikel 100(a) EPÜ (fehlende Neuheit, fehlende erfinderische Tätigkeit), wurde gegen das Patent eingelegt.

Der Einspruch wurde unter anderem auf folgende Dokumente gestützt:

D1: US-A-4 332 713

D5: EP-A-308 664

D6: US-A-6 776 869.

D9: US-A-5 166 229.

D12: Datenblatt "Disparlon 6500"

IV. Die Entscheidung erfolgte auf Grundlage des Patents in der erteilten Fassung als Hauptantrag, sowie von zwei Hilfsanträgen.

Anspruch 1 des ersten Hilfsantrages unterschied sich von dem erteilten Anspruch 1 dadurch, dass die Viskosität der Epoxidzusammensetzung, sowie die Art deren Bestimmung definiert wurde, und ferner dadurch, dass am Ende des Anspruchs die Menge (Gewichtsanteile) aller Amide folgendermaßen definiert war:

"wobei der Gewichtsanteil aller Amide AM in der Zusammensetzung 0.1-4.0 Gew.-%, insbesondere 0.2-4.0 Gew.-%, bevorzugt 0.5-3.0 Gew.-% ist."

Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags unterschied sich ferner von dem erteilten Anspruch 1 dadurch, dass das Amid AM folgendermaßen definiert wurde:

"- mindestens ein Amid AM mit einem Schmelzpunkt von 100°C bis 145°C, wobei das Amid AM ein Fettsäureamide oder ein Polyamid-Wachs ist;" (Hervorhebung der Kammer).

Gemäß der Entscheidung erfüllten der Hauptantrag und der erste Hilfsantrag die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ im Hinblick auf die Offenbarung von D1 nicht, weil D1 Epoxidharzzusammensetzungen enthaltend ein Polyamid mit dem definierten Schmelzpunkt sowie - für Hilfsantrag 1 - in der definierten Menge offenbare.

Hilfsantrag 2 erfülle wegen des Merkmals "Polyamid-Wachs" dagegen die Erfordernisse des EPÜs.

V. Beide Parteien legten Beschwerde ein, und nahmen in weiteren Schreiben zu der Beschwerdebegründung der jeweiligen Gegenpartei Stellung.

VI. Die Beschwerdeführerin I reichte zusammen mit ihrer Beschwerdebegründung insgesamt 10 Hilfsanträge ein, wobei der neunte und zehnte Hilfsantrag dem erstem und zweiten Hilfsantrag des Einspruchsverfahrens entsprachen. Hauptantrag war die Zurückweisung des Einspruchs (Aufrechterhaltung des Patent in der erteilten Fassung).

Die weiteren Hilfsanträge enthielten folgende Änderungen:

Erster Hilfsantrag:

Anspruch 1 unterschied sich vom Anspruch 1 des entscheidungsgemäßen ersten Hilfsantrags durch die Streichung der Definition der Viskosität der Epoxidharzzusammensetzung.

Zweiter Hilfsantrag:

Anspruch 1 dieses Antrags entsprach dem Anspruch 1 des entscheidungsgemäßen zweiten Hilfsantrags ebenfalls mit Streichung der Viskositätsangaben. Somit unterscheidet sich Anspruch 1 des vorliegenden zweiten Hilfsantrags vom Anspruch 1 des vorliegenden ersten Hilfsantrags durch die Aufnahme des Merkmals "Polyamid-Wachs".

Dritter und vierter Hilfsantrag:

Anspruch 1 entsprach einer Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 3 (Hilfsantrag 3) bzw. der erteilten Ansprüche 1, 3 und 4 (Hilfsantrag 4).

Somit waren ein Zähigkeitsverbesserer (D) bzw. bestimmte Klassen von Zähigkeitsverbesserern anwesend.

Fünfter und sechster Hilfsantrag:

Anspruch 1 dieser Anträge entsprach Anspruch 1 des ersten Hilfsantrages mit den zusätzlichen Merkmalen der erteilten Ansprüche 3 bzw. 3 und 4 (Zähigkeitsverbesserer).

Siebter und achter Hilfsantrag:

Anspruch 1 dieser Anträge entsprach Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrages mit den zusätzlichen Merkmalen der erteilten Ansprüche 3 bzw. 3 und 4.

VII. Es erfolgte eine Ladung zur mündlichen Verhandlung und eine Mitteilung der Kammer mit deren vorläufiger Meinung.

VIII. Die Beschwerdeführerin II nahm hierzu schriftlich Stellung.

IX. Die mündliche Verhandlung fand am 7. September 2017 statt.

Am Anfang der Verhandlung gab die Beschwerdeführerin I an, den Hauptantrag nicht weiter aufrechtzuerhalten.

Alle 10 Hilfsanträge (jetzt somit formal Hauptantrag und erster bis neunter Hilfsantrag) wurden aufrechterhalten.

In dem folgenden wird der Einfachheit halber die Bezeichnung der Anträge wie von der Beschwerdeführerin I eingereicht beibehalten dh. "erster bis zehnter Hilfsantrag".

X. Die Argumente des Beschwerdeführerin I können wie folgt zusammengefasst werden:

a) Neuheit

D1 offenbare die Kombination der Merkmale bezüglich Art, Menge und Schmelzpunkt des Thermoplasts nicht. Insbesondere enthalte D1 unterschiedliche Angaben bezüglich des Schmelzpunktes, die auf unterschiedliche Arten von Thermoplasten deuteten. Somit sei eine Mehrfachauswahl erforderlich, um zur beanspruchten Definition des Amids mit dem erforderlichen Schmelzpunkt in der erforderlichen Menge zu gelangen.

Bezüglich des zweiten Hilfsantrags offenbare D1 ebenfalls nicht die Kombination eines Polyamid-Wachs in der erforderlichen Menge.

Diese Argumente galten analog für alle weiteren Anträge.

b) Erfinderische Tätigkeit.

Nächstliegender Stand der Technik sei D1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags unterscheide sich hiervon durch den Schmelzpunkt des Polyamides sowie deren Menge.

Der Effekt dieser Unterschiede sei, dass eine Zusammensetzung erhalten worden sei, welche bei 25°C eine niedrige Viskosität aufweise (Fliessfähigkeit), jedoch nach kurzem Erhitzen einen starken Viskositätsanstieg durchlaufe mit dem Ergebnis, dass die vorgehärtete Zusammensetzung bei 60°C auswaschbeständig sei. D1 enthalte keine Information, dass die Anwesenheit bzw. Menge an Amid für die Lösung dieser Aufgabe von Relevanz sei. Insbesondere sei D1 nicht zu entnehmen, dass das Amid einen Effekt auf das Viskositätsverhalten der Epoxidharzzusammensetzung - insbesondere Anstieg bei kurzzeitigem Erhitzen - erwirke.

D9 betreffe einen vorgegellten Klebstoff, d.h. der Klebstoff befinde sich im Gegensatz zu dem Streitpatent bereits vor dem Auftragen im gegellten Zustand. Somit betreffe D9 ein anderes Problem als das Patent bzw. D1. Deshalb könne D9 keine Anregung zur Lösung der patentgemäßen Aufgabe liefern. Ferner betreffe D9 eine große Gruppe von Gelierungsmitteln ("gelling agents") und die Auswahl von Amid, wie anspruchsgemäß definiert, würde nicht in naheliegender Weise hieraus hervorgehen. Ferner lägen die in D9 offenbarten Mengen an Polyamid allesamt außerhalb des anspruchsgemäßen Bereiches.

Die gleichen Argumente gälten den Anträgen, bei denen das Amid als "Polyamid-Wachs" definiert sei, insbesondere weil D1 kein Polyamid-Wachs offenbare. Im Falle von D9 sei die erforderliche Mengen an Amid (Wachs) nicht offenbart. Ferner sei auf die unterschiedliche Art der Zusammensetzung hinzuweisen (vorgeliert - siehe oben).

Bezüglich der Anwesenheit eines Zähigkeits­verbesserers (dritter - achter Hilfsantrag) bestehe die zu lösende Aufgabe darin, die Fliessgrenze zu erhöhen. Der Effekt beruhe insbesondere auf der Kombination Polyamid/Zähigkeitsverbesserer, nicht allein auf der Zugabe des Zähigkeitsverbesserers. Beispiel 2 des Patents belege, dass dieser Effekt erreicht worden sei. Die unterschiedlichen Mengen an Komponenten gegenüber den anderen Beispielen sei damit begründet, das Verhältnis zwischen der kontinuierlichen Phase und der gelösten Komponenten zu erhalten, um somit ähnliche Viskositäten der Zusammensetzung zu erhalten. D1 befasse sich nicht mit dem Problem der Verbesserung der Fliessgrenze und enthalte keine Angaben, wie dies zu erreichen sei. Auch gehe aus D1 keine anderweitige Anregung, einen Zähigkeitsverbesserer der Zusammensetzung zuzugeben hervor. Auch wenn andere Dokumente (D5, D6) die Verwendung von Zähigkeitsverbesserern offenbaren würden, gehe hieraus nicht hervor, dass hierbei die Fliessgrenze verbessert werden könne.

XI. Die Argumente der Beschwerdeführerin II lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

a) Neuheit

D1 in seiner Gesamtheit offenbare eine Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags. Insbesondere seien die verschiedenen Angaben in D1 bezüglich Art, Menge und Schmelzpunkt des Thermoplasts derart, dass sie kombinierbar seien, wodurch sich eine neuheitsschädliche Offenbarung ergebe. Insbesondere stelle der definierte Schmelzpunkt keine Auswahl gegenüber D1 dar, weil alle in Frage kommenden Amide zwangsläufig einen Schmelzpunkt im beanspruchten Bereich aufweisen würden. Ferner enthalte D1, entgegen dem Vorbringen der Patentinhaberin, keine differenzierten Angaben bezüglich des zulässigen Bereiches des Schmelzpunktes für verschiedenen Thermoplasten; die verschiedenen Temperaturangaben beträfen vielmehr lediglich mögliche Kombinationen der Bearbeitungsbedingungen (Erhitzungsdauer/Temperatur), die für alle einsetzbaren Thermoplasten anwendbar seien. Hierbei sei aber zu beachten, dass eine Temperatur im oberen Bereich von D1 (etwa 160°C) nicht anwendbar wäre, weil das Epoxid bei dieser Temperatur bereits durchzuhärten beginnen würde. Somit ergebe sich aus D1 zwangsläufig ein Schmelzpunktbereich für das Thermoplast im anspruchsgemäßen Bereich.

b) Erfinderische Tätigkeit

D1 offenbare den Einsatz von Polyamid für den gleichen Zweck wie im Streitpatent. Allein - arguendo - seien der Schmelzpunkt und die eingesetzte Menge D1 nicht zu entnehmen. Es lägen keine Beweise für einen hiermit verbundenen technischen Effekt vor. Somit sei die objektiv zu lösende Aufgabe als die Bereitstellung weiterer auswaschbeständiger Klebstoffe zu formulieren. Der Einsatz der anspruchsgemäß definierten Amide hierfür gehe aus D9 hervor. Diese offenbare Klebstoffzusammensetzungen für den gleichen Einsatzzweck, und lehre insbesondere, dass Polyamide gemäß dem Anspruch zu einer Vorgelierung von Epoxiden führen.

Die Definition des Polyamids als "Wachs" - sofern klar - liefere keine weiteren Aspekte bezüglich erfinderischer Tätigkeit für die betroffenen Anträge.

Bezüglich der Anwesenheit des Zähigkeits­verbesserers gemäß dem drittem bis achten Hilfsantrag sei Beispiel 2 des Patents mit keinem der anderen Beispiele vergleichbar. Somit lägen keine Beweise für einen mit dem Einsatz von Zähigkeitsverbesserern verbundenen technischen Effekt vor, weder allein noch für deren Kombination mit dem Amid. Diese zwei Merkmale seien folglich unabhängig voneinander zu behandeln (zwei Teilaufgaben). D5 und D6 behandelten die Zähigkeitsverbesserung von Epoxiden und schlügen zum Teil genau die Verbindungsklassen vor, die im Beispiel 2 des Patents verwendet worden seien bzw. anspruchsgemäß definiert seien. Es sei aber zu beachten, dass die geltenden Ansprüche viel mehr umfassen, als die in der Beschreibung bzw. Beispiele angegebenen Verbindungsklassen.

XII. Die Beschwerdeführerin I beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage des ersten Hilfsantrags, hilfsweise auf der Grundlage eines der zweiten bis zehnten Hilfsanträge, sämtliche Anträge eingereicht mit der Beschwerdebegründung, wobei der zehnte Hilfsantrag der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung des Patents entspricht.

XIII. Die Beschwerdeführerin II beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2085426.

Entscheidungsgründe

1. Erster Hilfsantrag

1.1 Neuheit

D1 betrifft wie das Patent hitzehärtende Klebstoffe bestehend aus einem Epoxid, einem latenten Härtungsmittel (d.h. ein Härter, der durch Hitze aktivieret wird) sowie ein Thermoplast (D1, Anspruch 1, Spalte 1, Zeile 62 - Spalte 2, Zeile 21).

Einsetzbare Thermoplasten sind unter anderem Polyamide (D1, Spalte 2, Zeile 62 - Spalte 3, Zeile 2, insbesondere Spalte 2, Zeile 66; Beispiel 6).

Das Thermoplast kann in einer Menge vom 5-20 Gewichts-Prozent bezogen auf das Epoxidharz anwesend sein (Anspruch 4; Spalte 2, Zeile 67 - Spalte 3, Zeile 2).

Es wird in D1 nur ein einziges Polyamid genannt - "Polyamid 5000". Die Eigenschaften dieses Produkts (insbesondere Schmelzpunkt) werden in D1 jedoch nicht offenbart. Auch sind im Laufe des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens keine entsprechenden Informationen bezüglich "Polyamid 5000" eingereicht worden.

1.1.1 Bezüglich Schmelzpunkt des Thermoplasts enthalt D1 verschiedene Angaben:

- Gemäß Spalte 2, Zeilen 20-21 hat das Thermoplast einen Erweichungspunkt von 60-160°C, wodurch der Schmelzpunkt zwangläufig höher liegen muss;

- Gemäß Spalte 3, Zeilen 11-15 wird der Klebstoff bei Temperaturen mindestens 20°C oberhalb des Schmelzpunktes des Thermoplastes erhitzt. Wörtlich steht:

"...for example for 10-30 seconds at about 180°C, or for a few minutes, for example 3-5 minutes at 120-150°C." ("...zum Beispiel für 10 - 30 Sekunden bei etwa 180°C oder für einige Minuten, zum Beispiel 3 - 5 Minuten bei 120-150°C")

Die Interpretation dieser Textpassage war Gegenstand einer Diskussion zwischen den Parteien (siehe X.a) und XI.a), oben). Die Frage, die zu beantworten ist, ist, ob diese Passage bedeutet, dass je nach Art bzw. Eigenschaft des Thermoplasts - insbesondere Schmelzpunkt - unterschiedliche Verfahrensbedingungen zu verwenden seien, oder ob die unterschiedlichen Verarbeitungsbedingungen lediglich alternative Verfahrensführungsmöglichkeiten für alle in Frage kommenden Thermoplasten darstellen, um die erforderlichen Fließeigenschaften zu erhalten (entweder kurzes Erhitzen bei hohen Temperaturen oder längeres Erhitzen auf einer niedrigeren Temperatur).

Die Angabe bezüglich des Erweichungspunktes in Spalte 2 von D1 deutet jedoch darauf hin, dass unterschiedliche Verarbeitungsbedingungen in Abhängigkeit der Eigenschaften des Thermoplastes gemeint sind. Der Grund für diese Schlussfolgerung ist, dass bei einem Thermoplast mit einem Erweichungspunkt im oberen angegebenen Bereich (160°C) ein - auch sehr langes - Erhitzen auf z.B. 135°C (also in der Mitte des unteren angegebenen Temperaturbereiches) nicht zum Verschmelzen des Polymers und somit nicht zu den erforderlichen Fliesseigenschaften des erhaltenen Produkts führen würde.

Somit enthält D1 verschiedene Offenbarungen bezüglich des Schmelzpunktes des Thermoplastes. Zum einen, in Anbetracht des unteren Bereiches lässt sich ein Schmelzpunkbereich von maximal 100-130°C errechnen (also mindestens 20°C unterhalb der angegebenen Erhitzungstemperatur von 120-150°C). Es wird betont, dass dies die Maximalwerte sind. Der Schmelzpunkt des Thermoplasts muss nicht in diesem Bereich liegen, sondern kann auch niedriger sein, also unterhalb von 100°C. Alternativ, lässt sich in Anbetracht des oberen angegebenen Temperaturbereiches ein Schmelzpunktbereich vom maximal 160°C (also 20°C unterhalb von 180°C) errechnen. Keiner von diesen Bereichen offenbart direkt und unmittelbar den anspruchsgemäßen Schmelzpunkbereich von 100-145°C, obwohl dieser von beiden gemäß D1 möglichen Bereichen zum Teil umfasst wird.

Die Überlegung der Beschwerdeführerin II, wonach alle in Frage kommenden "Polyamide" zwangsläufig einen Schmelzpunkt im beanspruchten Bereich aufweisen müssen, z.B., um ein vorzeitiges Durchhärten des Epoxids zu verhindern, widerspricht zum Teil der expliziten Offenbarung von D1 bezüglich Schmelzpunkt. Eine solche Information geht deshalb nicht direkt und unmittelbar aus der Offenbarung von D1 hervor. Dieses Argument der Beschwerdeführerin II stützt sich deshalb nicht ausschließlich auf die Offenbarung von D1, sondern erfordert weitergehende technische Überlegungen, wie sie bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit Anwendung finden würden.

Somit lässt sich aus D1 kein eindeutiger und unmittelbarer Hinweis auf den Schmelzpunktbereich von 100-145°C für das Thermoplast allgemein oder des Polyamids im Besonderen entnehmen.

1.1.2 Bezüglich der Menge des "Polyamids" enthält das einzige Beispiel von D1, bei dem ein Polyamid (mit unbekanntem Schmelzpunkt- siehe oben) verwendet wird, diese Verbindung in einer Menge von umgerechnet 7.04 Gew.-% in der Gesamtzusammensetzung und somit oberhalb der anspruchsgemäß definierten Menge von 0.1 - 4.0 Gew.-%.

1.1.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 lässt sich somit nur durch eine mehrfache Auswahl aus der Gesamtheit der Offenbarung von D1 konstruieren, wobei es keine Hinweise auf die erforderlichen Auswahlschritte in D1 gibt. Im Gegenteil, die notwendige Hinweisen lassen sich nur in Anbetracht der Offenbarung des Streitpatents aus D1 herauslesen.

1.1.4 Dies führt somit zu der Schlussfolgerung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags gegenüber D1 neu ist.

Da keine weiteren Neuheitseinwände erhoben wurden, sind die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ erfüllt.

1.2 Erfinderische Tätigkeit.

1.2.1 Nächstliegender Stand der Technik

Unstrittig ist, dass D1 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.

Diese Schrift betrifft gemäß Anspruch 1 vorgelierbare hitzehärtbare Klebstoffe auf Basis von Epoxiden, einen latenten (somit hitzeaktivierbaren) Härter sowie einen Thermoplast.

Wie im Patent ist die Aufgabe von D1 die Bereitstellung struktureller Klebstoffe zur Verwendung vor allem im Fahrzeugbau (D1, Spalte 3, Zeilen 47-49). Ein Ziel von D1 ist, Klebstoffzusammensetzungen bereitzustellen, die bei Raumtemperatur flüssig sind, nach kurzem Erhitzen vorgelieren, in welchem Zustand sie auswaschbeständig sind, sowie niedrige Oberflächenklebrigkeit ("tackiness") aufweisen (D1, Spalte 1, Zeilen 1-39 und insbesondere Spalte 1, Zeile 62 - Spalte 2, Zeile 3).

1.2.2 Unterscheidendes Merkmal

Wie oben erläutert, besteht der Unterschied des Gegenstands des vorliegenden Anspruchs 1 gegenüber D1 darin, dass das Polyamid einen definierten Schmelzpunkt hat und in einer definierten Menge anwesend ist.

1.2.3 Technischer Effekt - Bestimmung der objektiven Aufgabe

Die Beispiele des Patents enthalten keine Daten, die geeignet sind, einen mit der Menge bzw. dem Schmelzpunkt des Polyamids zusammenhängenden technischen Effekt zu belegen.

Somit kann die gegenüber D1 zu lösende objektive technische Aufgabe nur als die Bereitstellung weiterer vorgelierbarer struktureller Klebstoffe auf Epoxidbasis formuliert werden.

1.2.4 Naheliegen der anspruchsgemäßen Lösung

D9 betrifft ebenfalls Klebstoffe für den Fahrzeugbau. Diese bestehen aus einem vorgelierten Epoxid (Anspruch 1). Analog D1 und dem Streitpatent sollen die Zusammensetzungen von D9 auswaschbeständig sein (D9, Spalte 1, Zeilen 24, 34, 51, 57, Table 1). Als Gelierungsmittel ("Gelling agent") kommen unter anderem Amidverbindungen in Frage (Anspruch 1, Spalte 2, Zeilen 34-55), insbesondere werden "polyamide waxes", wie "Disparlon 6500" (Spalte 2, Zeile 54, Beispiel 1) oder Disparlon 6900-20X (Spalte 2, Zeile 54) verwendet.

Gemäß Datenblatt D12 ist "Disparlon 6500" ein nichtreaktives Polyamid, welches einen Schmelzpunkt von 123°C aufweist.

Auch wenn D9 eine etwas andere Vorgehensweise als D1 bzw. des Streitpatents vorschlägt, indem das Epoxid mit dem Polyamid vor der Anbringung auf das Substrat geliert wird, lässt sich aus D9 die Lehre entnehmen, dass z.B. "Disparlon 6500" als Komponente geeignet ist, die Aufgabe der Bereitstellung von auswaschbeständigen Klebstoffzusammensetzungen auf Epoxidbasis insbesondere für den Fahrzeugbau zu lösen.

Somit kommt die Kammer zu der Schlussfolgerung, dass es naheliegend ist, zur Lösung der oben definierten Aufgabe der Bereitstellung einer weiteren hitzehärtenden Klebstoffzusammensetzung auf Basis der Lehre von D1 und D9 ein Polyamid gemäß der Definition des vorliegenden Anspruchs einzusetzen.

Bezüglich der Menge der Amids stimmt es, dass weder D1 noch D9 direkt und unmittelbar den anspruchsgemäßen Bereich offenbart. Jedoch überlappen die in D1 (Spalte 2, Zeile 67 - Spalte 3, Zeile 2) und D9 (Spalte 2, Zeilen 34-46) definierten Bereiche mit dem anspruchsgemäßen Bereich und es liegen keine Beweise für einen mit der Menge des Amids zusammenhängenden Effekt vor. Das Feststellen der geeigneten Menge lässt sich dann aufgrund routinemäßiger Versuche durch den Fachmann bestimmen und kann, in Abwesenheit von Beweisen für einen hiermit verbundenen unerwarteten technischen Effekt, keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Somit kann für den ersten Hilfsantrag keine erfinderische Tätigkeit anerkannt werden.

Den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ wird somit nicht entsprochen.

2. Zweiter Hilfsantrag

Anspruch 1 dieses Antrags definiert das Polyamid als ein "Polyamid-Wachs".

2.1 Erfinderische Tätigkeit

Ungeachtet der Frage der Klarheit des Begriffs "Wachs" geht aus D9 hervor, dass der "Disparlon 6500" als "polyamide wax" bezeichnet wird.

Somit ergeben sich hieraus keine neuen Aspekte bezüglich erfinderischer Tätigkeit, wodurch die gleiche Schlussfolgerung wie für den Hauptantrag gilt.

Der zweite Hilfsantrag erfüllt ebenfalls nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

3. Dritter Hilfsantrag

Anspruch 1 dieses Antrags unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass:

- Der Gewichtsanteil des Polyamids nicht definiert ist;

- Ein Zähigkeitsverbesserer anwesend ist.

Es ist unbestritten, dass die Anwesenheit des Zähigkeitsverbesserers ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber D1 darstellt.

3.1 Erfinderische Tätigkeit

3.1.1 Das Patent enthält ein einziges Beispiel mit einem Zähigkeitsverbesserer (Beispiel 2). Dieses Beispiel unterscheidet sich jedoch von den übrigen Beispielen durch die Gesamtmenge an Epoxidverbindungen sowie durch die Art der vorhandenen Epoxidverbindung - eine Epoxidkomponente (DER 671), die bei den anderen Beispielen anwesend ist, fehlt.

Hierzu hatte die Beschwerdeführerin I argumentiert, die Anfangsviskosität aller anspruchsgemäßen Beispiele sei gleich, welche für einen Vergleich ausschlaggebend seien.

Dieses Argument ist nur zum Teil richtig, da für eine Vergleichbarkeit unter den Beispielen nicht nur die Viskosität, sondern auch eine - soweit wie möglich - gleiche chemische Zusammensetzung erforderlich ist. Wegen des vollkommenen Fehlens einer der Epoxidkomponenten ist diese Bedingung im Falle vom Beispiel 2 nicht annäherungsweise erfüllt.

Somit ist die Vergleichbarkeit dieses Beispiels mit den übrigen Beispielen nicht gewährleistet.

3.1.2 Aufgrund des Fehlens entsprechender Vergleichsbeispiele, gibt es keine Beweise für einen mit der Anwesenheit des Zähigkeitsverbesserers - entweder allein, oder für dessen Kombination mit dem Polyamid mit einem Schmelzpunkt im anspruchsgemäßen Bereich verbundenen technischen Effekt. Insbesondere gibt es keine Bewiese für eine funktionelle Wechselwirkung dieser zwei Merkmale (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes, 8. Auflage, Abschnitt I.D.9.2.2)

Folglich muss für jedes von diesen Unterscheidungsmerkmalen gegenüber D1 die Frage der erfinderischen Tätigkeit getrennt behandelt werden (Teilaufgaben).

3.1.3 Im Anbetracht des Vorhergehenden kann für beide unterscheidenden Merkmale die zu lösende technische Aufgabe als die Bereitstellung weiterer hitzehärtenden Epoxidharzzusammensetzungen formuliert werden.

3.1.4 Bezüglich des Polyamids mit einem bestimmten Schmelzpunktbereich gilt das bereits im Hinblick auf den Hauptantrag Gesagte.

3.1.5 Bezüglich der Anwesenheit des Zähigkeitsverbesserers, ist aus D5 und D6 die Zugabe von Zähigkeitsverbesserern zu Epoxidzusammensetzungen, die unter anderem als Strukturklebstoffe einsetzbar sind, bekannt.

Dies wird in D5 (Seite 3, Zeilen 20-33; Seite 16, Zeile 8; Beispiele) offenbart. Unter anderem kommen Elastomere, die fest, flüssig oder pulverförmig sein können, insbesondere flüssige Butadien-Copolymeren oder flüssige Butadien-Acrylnitril-Copolymere (Seite 4, Zeilen 17, 18, 32-35) in Frage.

Eine ähnliche Lehre ist D6 zu entnehmen, wobei der Einsatz im Fahrzeugbau explizit erwähnt wird (Spalte 1, Zeilen 14-21, 26, 57-59). In diesem Dokument werden unter anderem Core-Shell Polymeren (Spalte 4, Zeilen 23-36) und blockierte Polyurethanpolymere (Anspruch 1, Komponente B; Spalte 4, Zeilen 58-66) als Zähigkeitsverbesserer vorgeschlagen.

Aufgrund der Lehre von D5 bzw D6 ist es ebenfalls als naheliegend anzusehen, die Aufgabe der Bereitstellung weiterer epoxidbasierter Klebstoffzusammensetzungen durch die Zugabe von Zähigkeitsverbesserern zu lösen.

3.1.6 Somit erfüllt Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags ebenfalls die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ nicht.

4. Vierter Hilfsantrag

Anspruch 1 dieses Antrags entspricht Anspruch 1 des dritten Hilfsantrags mit der zusätzlichen Definition spezifischer Klassen von Zähigkeitsverbesserern (blockierten Polyurethanpolymeren, Flüssigkautschuken, Epoxidharzmodifizierten Flüssigkautschuken und Core-Shell-Polymere).

Durch die Einschränkung des Zähigkeitsverbesserers auf bestimmte Klassen entsteht ein weiteres Unterscheidungsmerkmal gegenüber D1.

4.1 Erfinderische Tätigkeit

Wie für den dritten Hilfsantrag ausgeführt, fehlt es an jeglichen Beweisen für einen mit dem Zähigkeitsverbesserer - entweder allgemein oder in Bezug auf bestimmte Klassen - verbundenen technischen Effekt.

Ferner, wie oben im Hinblick auf D5 und D6 erläutert, sind auch die genannten Klassen der Zähigkeitsmodifizierer für den Einsatz in Epoxidharzzusammensetzungen, die unter anderem als Klebstoff eingesetzt werden, bekannt.

Das bezüglich des dritten Hilfsantrags Gesagte gilt deshalb ebenfalls für den vierten Hilfsantrag mit dem Ergebnis, dass die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ auch in diesem Fall nicht erfüllt sind.

5. Fünfter Hilfsantrag

Anspruch 1 entspricht einer Kombination des jeweiligen Anspruchs 1 des ersten und dritten Hilfsantrags.

Wie oben erläutert, kann für die entsprechenden unterscheidenden Merkmale gegenüber D1 entweder jedes Merkmal für sich oder in Kombination, keine erfinderische Tätigkeit anerkannt werden.

Somit erfüllt der fünfte Hilfsantrag die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ nicht.

6. Sechster Hilfsantrag

Anspruch 1 entspricht einer Kombination des jeweiligen Anspruchs 1 des ersten und vierten Hilfsantrags.

Es gilt deshalb die Beurteilung für den vierten Hilfsantrag im Hinblick auf die bestimmten genannten Stoffklassen des Zähigkeitsverbesserers.

Den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ ist nicht entsprochen.

7. Siebter, Achter Hilfsantrag

Anspruch 1 entspricht einer Kombination des jeweiligen Anspruchs 1 des zweiten und dritten (bzw. vierten) Hilfsantrags.

Sofern das Merkmal "Polyamid-Wachs" als klar anzusehen ist, ergeben sich hieraus keine weitergehenden Aspekte gegenüber der für den fünften und sechsten Hilfsantrag gegebene Analyse der erfinderischen Tätigkeit.

Der siebte und der achte Hilfsantrag entsprechen den Erfordernissen des Artikel 56 EPÜ nicht.

8. Neunter, Zehnter Hilfsantrag

Der jeweilige Anspruch 1 dieser Anträge unterscheidet sich vom Anspruch 1 des ersten bzw. zweiten Hilfsantrags lediglich dadurch, dass die Viskosität der Epoxidharzzusammensetzung sowie deren Bestimmungsmethode angegeben wird.

Es ist während des Beschwerdeverfahrens nicht geltend gemacht, welche technische Aufgabe hierdurch gelöst werden soll. Entsprechende Argumente oder Beweise seitens der Beschwerdeführerin I sind nicht vorgebracht worden.

Somit kann die hierdurch objektiv zu lösende technische Aufgabe nur als die Bereitstellung weiterer Epoxidharzzusammensetzungen formuliert werden, welche Aufgabe zusätzlich durch die Angabe der Viskosität gelöst wurde.

Die Festlegung der Eigenschaften für eine Zusammensetzung gehört zu den Routinenaufgaben des Fachmannes. Ohne Beweise für einen hierdurch hervorgerufenen technischen Effekt kann insoweit keine erfinderische Tätigkeit anerkannt werden.

Der neunte und der zehnte Hilfsantrag erfüllen die Erfordernisse des Artikel 56 EPÜ nicht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Europäische Patent Nr. 2085426 wird widerrufen.

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