T 0048/14 (Magnetpartikel/SIEMENS HEALTHCARE) of 16.3.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T004814.20160316
Datum der Entscheidung: 16 März 2016
Aktenzeichen: T 0048/14
Anmeldenummer: 06762032.8
IPC-Klasse: H01F 1/36
C12N 15/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: MAGNETPARTIKEL MIT EINER GESCHLOSSENEN, ULTRADÜNNEN SILIKASCHICHT, VERFAHREN ZU DEREN HERSTELLUNG UND VERWENDUNG
Name des Anmelders: Siemens Healthcare Diagnostics GmbH
Name des Einsprechenden: Stratifyer Molecular Pathology GmbH
Evonik Degussa GmbH
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent Nr. 1 894 214 zu widerrufen. Das Patent betrifft Magnetpartikel mit einer geschlossenen, ultradünnen Silikatschicht.

II. In ihrer Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des der Entscheidung zu Grunde liegenden Antrags nicht neu sei gegenüber

D2: Philipse, A. P. et al., Magnetic Silica Dispersions: Preparation and Stability of Surface-Modified Silica Particles wtih a Magnetic Core, Langmuir, 1994, 10, pages 92 to 99.

III. Von den weiteren, im Verfahren vor der Einspruchsabteilung zitierten Dokumenten sind für die vorliegende Entscheidung folgende Dokumente von Relevanz:

D1: WO 03/058649 A1

D7: Versuchsprotokoll zur Bayoxid/Silika-Kopplung

D8: Versuchsbericht zur RNA-Extraktion

D9: Analysebericht des Mikroanalytischen Labors Parscher

IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) mit Schreiben vom 18. Dezember 2013 Beschwerde ein und reichte zwei Hilfsanträge ein.

V. Von den Einsprechenden reichte nur die Einsprechende 1 (im Folgenden "Beschwerdegegnerin") eine Beschwerdeerwiderung ein.

VI. In der mündlichen Verhandlung erklärte die Beschwerdeführerin, dass der mit Schreiben vom 18. Dezember 2013 eingereichte Hilfsantrag 1 als einziger Antrag weiterverfolgt werde und dass sie die anderen Anträge zurücknehme.

VII. Die unabhängigen Ansprüche dieses Antrags haben den folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur Herstellung von silikabeschichteten Magnetpartikeln, welche eine geschlossene Oberflächenbeschichtung mit Silikat mit einer maximalen Schichtdicke von 0,5 nm haben, wobei die initiale Silikatabscheidung aus Wasserglas oder Kieselsol auf den Magnetitpartikeln durch die Oberflächeneigenschaften des Eisenpartikels ausgelöst wird, dadurch gekennzeichnet, dass anschließend die Oberfläche durch langsame, kontinuierliche Verdünnung und Absenkung des pH Wertes auf neutrale pH Werte geglättet und abgedichtet wird.

4. Verfahren zur Aufreinigung von Nukleinsäuren aus biologischen Körperproben unter Verwendung von silikabeschichteten Magnetpartikeln, welche eine geschlossene Oberflächenbeschichtung mit Silikat mit einer maximalen Schichtdicke von 0,5 nm haben."

VIII. Die abhängigen Ansprüche 2 und 3 sowie 5 bis 9 betreffen besondere Ausführungsformen der Verfahren nach Anspruch 1 bzw. Anspruch 4.

IX. Die Beschwerdeführerin trug im Wesentlichen wie folgt vor:

Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 unterscheide sich von D1 wenigstens dadurch, dass langsam und kontinuierlich verdünnt werde. Eine derartige Verfahrensweise habe für den Fachmann nicht nahegelegen. Das Prinzip der Cross-Flow-Filtration sei zwar im Stand der Technik bekannt, aber für den Zweck der Partikelaufreinigung. Seitens der Beschwerdegegnerin sei nicht der Nachweis erbracht worden, dass es nahegelegen habe, die Cross-Flow-Filtration einzusetzen, um den pH einer Lösung kontinuierlich abzusenken.

Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 4 unterscheide sich von D1 insbesondere durch die maximale Schichtdicke von 0,5 nm. D1 lege es jedoch nicht nahe, das offenbarte Verfahren zur Aufreinigung von Nukleinsäuren mit dieser geringen Schichtdicke durchzuführen. Eine solche Schichtdicke könne auch nicht durch D2 nahegelegt werden.

X. Die Beschwerdegegnerin trug im Wesentlichen wie folgt vor:

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei weder gegenüber D1 noch gegenüber D2 neu.

Es habe jedenfalls für den Fachmann nahegelegen, das Herstellungsverfahren nach D1 so zu betreiben, dass Schichtdicken von maximal 0,5 nm erhalten würden. Insbesondere offenbare D2 solche Schichtdicken.

Der Gegenstand von Anspruch 4 habe ebenfalls nahegelegen und zwar entweder im Lichte von D1 allein oder in Kombination mit D2.

XI. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des mit Schreiben vom 18. Dezember 2013 eingereichten 1. Hilfsantrags als einzigen Antrag.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Änderungen

Der Einspruchsgrund nach Artikel 100(c) EPÜ wurde im Verfahren vor der Einspruchsabteilung nicht geltend gemacht. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 4 betreffen eine Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 6 bzw. 1 und 7, wobei die abhängigen Ansprüche auf die erteilten abhängigen Ansprüche zurückgehen. Über die Kombination erteilter Ansprüche hinaus wurden keine Änderungen vorgenommen, welche unter Artikel 123(2) EPÜ zu beanstanden wären. Auch die Bedingungen von Artikel 123(3) EPÜ sind erfüllt. Die Änderungen sind daher gewährbar.

2. Neuheit

2.1 Anspruch 1

2.1.1 D1 beschreibt ein Verfahren zur Herstellung von silikabeschichteten Magnetpartikeln, welche eine Oberflächenbeschichtung mit Silikat haben. Es steht außer Streit, dass D1 keine explizite Offenbarung einer Schichtdicke von maximal 0,5 nm entnommen werden kann.

Die Beschwerdegegnerin verwies im schriftlichen Verfahren vor der Kammer auf die Dokumente D7 bis D9, um darzulegen, dass die in D1 erhaltenen Partikel bereits die Vorteile der nach Anspruch 1 hergestellten Partikel zeigten. Daraus lässt sich nach Ansicht der Kammer jedoch nicht ableiten, dass das in D1 offenbarte Verfahren zu Partikeln führt, welche die geforderte Schichtdicke aufweisen. Darüber hinaus trug auch die Beschwerdegegnerin im schriftlichen Verfahren vor, dass das Merkmal der langsamen und kontinuierlichen Verdünnung und Absenkung des pH-Wertes in D1 nicht offenbart sei (siehe Beschwerdeerwiderung vom 5. September 2014, Seite 3, zweiter Absatz).

Somit ist der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber D1.

2.1.2 In D2 werden Partikel erhalten, welche eine Silikaschichtdicke von ca. 0,5 nm aufweisen (Partikel FFSi1, Abschnitt 4.2 auf Seite 96, Zeile 5 von unten). Diese Partikel werden jedoch nicht durch Absenken des pH auf neutrale Werte erhalten sondern durch Absenken auf einen pH von 10 (Abschnitt 3.2). D2 lehrt sogar davon weg, auf neutrale pH-Werte abzusenken, da es dort auf Seite 94, in Abschnitt 3.2, dritter Absatz, letzter Satz heißt, dass eine solche Absenkung nachteilig sei.

Der Gegenstand von Anspruch 1 ist somit auch neu gegenüber D2.

2.2 Anspruch 4

2.2.1 Der Gegenstand von Anspruch 4 ist neu gegenüber D1 aus den gleichen Gründen wie Anspruch 1, da auch in Anspruch 4 eine maximale Schichtdicke von 0,5 nm gefordert wird.

2.2.2 Ein Verfahren zur Aufreinigung von Nukleinsäuren aus biologischen Körperproben ist in D2 nicht offenbart, weshalb der Gegenstand von Anspruch 4 auch neu gegenüber D2 ist.

2.3 Somit ist das Erfordernis der Neuheit nach Artikel 54(1),(2) EPÜ erfüllt.

3. Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 1

3.1 Erfindung

Die Erfindung betrifft ein Verfahren zu Herstellung von silikabeschichteten Magnetpartikeln.

3.2 Nächstliegender Stand der Technik

Die Kammer schließt sich der Ansicht der Parteien an, wonach D1 den nächstliegenden Stand der Technik für den Gegenstand von Anspruch 1 darstellt.

3.3 Aufgabe

Es kann dahinstehen, ob die Aufgabe des Verfahrens nach Anspruch 1 darin zu sehen ist, den Austritt extrahierbarer Störkomponenten zu verhindern, wie dies im Patent insbesondere in den Absätzen [0027] und [0028] erwähnt wird. Der Gegenstand von Anspruch 1 ergibt sich nämlich auch vor der weniger ehrgeizigen Aufgabe der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zur Herstellung von silikabeschichteten Magnetpartikeln nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik, wie sich aus den folgenden Erwägungen ergibt.

3.4 Lösung

Als Lösung der Aufgabe wird gemäß Anspruch 1 ein Verfahren zur Herstellung von silikabeschichteten Partikeln vorgeschlagen, welches insbesondere durch eine kontinuierliche Absenkung des pH auf neutrale Werte und durch eine maximale Schichtdicke von 0,5 nm der silikatbeschichteten Magnetpartikel gekennzeichnet ist. Es steht außer Zweifel, dass die vorgeschlagene Lösung die Aufgabe löst, ein alternatives Verfahren zur Herstellung von silikabeschichteten Magnetpartikeln bereitzustellen.

3.5 Naheliegen

3.5.1 In D1 wird der pH schrittweise abgesenkt (siehe Beispiel 1.c auf Seite 16), wobei nach der Zugabe von 4 l Wasser der Überstand abgesaugt wird, was viermal wiederholt wird. Um den Überstand abzusaugen, muss jedoch zunächst ein Absetzen der Partikel erfolgen, weshalb eine Unterbrechung der Zugabe von Wasser in diesem Beispiel erforderlich ist (vgl. "Nach einer Wartezeit von einer Stunde"). D1 gibt somit keinen Hinweis, dieses Verfahren kontinuierlich durchzuführen.

3.5.2 Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin hätte eine kontinuierliche Absenkung des pH auf neutrale Werte vor dem allgemeinen Fachwissen nahegelegen. Das in D1 offenbarte Verfahren sei eines im Labormaßstab und der Fachmann hätte bei der industriellen Produktion auf eine kontinuierliche Absenkung des pH zurückgegriffen.

Dieses Argument kann die Kammer nicht vom Naheliegen des Gegenstandes von Anspruch 1 überzeugen, da auch im industriellen Maßstab Batch-Verfahren angewendet werden. Dies bedeutet, dass ein upscaling des in D1 offenbarten Verfahrens, von dem es dort im Übrigen heißt, dass es durch seine Einfachheit besteche (Seite 8, Zeile 23), nicht notwendigerweise zu einem Verfahren mit kontinuierlicher und langsamer Absenkung des pH führen würde, d.h. zu einem Verfahren, bei dem die Absenkung des pH nicht vom Absetzen der Partikel und dem Absaugen des Überstands unterbrochen würde.

3.5.3 D2 lehrt keine kontinuierliche Absenkung des pH auf neutrale Werte, da dort wie erwähnt von einem Absenken auf neutrale pH-Werte abgeraten wird (vgl. Absatz 2.1.22.1.2 oben).

3.5.4 Was das allgemeine Fachwissen hinsichtlich der Crossflow-Mikrofiltration angeht, so ist es zwar unstreitig, dass diese dem Fachmann bekannt war. Jedoch folgt aus dieser Tatsache alleine keine Lehre dahingehend, im Verfahren nach D1 den pH kontinuierlich abzusenken.

3.5.5 Schließlich ergibt sich aus dem Stand der Technik auch nicht, bei so geringen Schichtdicken wie 0,5 nm zu arbeiten.

In D1 haben die zu beschichtenden Partikel eine Korngrößenverteilung von 100 bis 700 nm (Seite 7, Zeilen 12ff). Dies bedeutet, dass die in Anspruch 1 geforderte Schichtdicke von 0,5 nm bezogen auf die geringste offenbarte Partikelgröße höchstens 0,5% ausmacht. Das in D1 beschriebene Verfahren führt zwar ausweislich des ersten Absatzes von Seite 9 zu keiner Agglomeration der beschichteten Partikel. Hieraus ergibt sich jedoch keine Lehre dahingehend, Partikel mit der geforderten geringen Schichtdicke herzustellen. Zwar ist es grundsätzlich glaubhaft, dass eine Verringerung der Wasserglaskonzentration zu geringeren Schichtdicken führt, wie dies von der Beschwerdegegnerin vorgetragen wurde. Aus dieser Tatsache lässt sich jedoch nicht ableiten, dass es im Stand der Technik üblich war, bei den anspruchsgemäßen geringen Schichtdicken zu arbeiten bzw. dass der Fachmann das Verfahren nach D1 so eingestellt hätte, dass derartige Schichtdicken erreicht würden.

Was die Offenbarung von D2 betrifft, so würde der Fachmann hinsichtlich möglicher Schichtdicken der in D1 verwendeten Partikel diese nicht in Betracht ziehen, insbesondere da zum einen die FFSi1-Partikel mit der anspruchsgemäßen Schichtdicke eine Partikelgröße besitzen, die um das ca. Zehnfache unterhalb der Mindestpartikelgröße der Magnetitpartikel von D1 liegt (vgl. Tabelle 1, FFSi1, TEM , SAXS, UC). Zum anderen betrifft D1 die Herstellung von Magnetitpartikeln bei der Verwendung zur Isolierung von Nukleinsäuren (Seite 1, Zeilen 5ff), wohingegen in D2 weder eine solche Anwendung noch ähnliche Anwendungen z.B. auf dem Gebiet der molekularen Diagnostik erwähnt werden.

3.5.6 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

4. Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 4

4.1 Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Aufreinigung von Nukleinsäuren aus biologischen Körperproben.

4.2 Nächstliegender Stand der Technik

Die Kammer schließt sich der Ansicht der Parteien an, wonach D1 den nächstliegenden Stand für den Gegenstand

von Anspruch 4 darstellt. Es steht außer Streit, dass D1 ein Verfahren zur Aufreinigung von Nukleinsäuren aus biologischen Körperproben offenbart (vgl. Beispiele 2 bis 9).

4.3 Aufgabe

Die Parteien stimmen darin überein, dass die zu lösende Aufgabe in der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens gesehen werden kann. Auch die Kammer teilt diese Auffassung.

4.4 Lösung

Als Lösung der Aufgabe wird gemäß Anspruch 4 ein Verfahren zur Aufreinigung von Nukleinsäuren aus biologischen Körperproben unter Verwendung von silikabeschichteten Magnetitpartikeln vorgeschlagen, das insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, dass die Schichtdicke der Oberflächenbeschichtung mit Silikat maximal 0,5 nm beträgt.

Es steht außer Zweifel, dass die vorgeschlagene Lösung die Aufgabe löst, ein alternatives Verfahren zur Aufreinigung von Nukleinsäuren bereitzustellen.

4.5 Naheliegen

Der Gegenstand von Anspruch 4 lag aus den unter 3.5.5 angeführten Gründen nicht nahe.

5. Folglich erfüllt der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 4 sowie derjenige der abhängigen Ansprüche 2, 3 und 5 bis 9, welche besondere Ausführungsformen der unabhängigen Ansprüche betreffen, das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 9 des einzigen Antrags (eingereicht als 1. Hilfsantrag mit Schreiben vom 18. Dezember 2013) und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrecht zu erhalten.

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