European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T248513.20171108 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 08 November 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2485/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 01982293.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01D 5/244 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | POSITIONSMESSGERÄT UND VERFAHREN ZUR BESTIMMUNG EINER POSITION | ||||||||
Name des Anmelders: | Dr. Johannes Heidenhain GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | SICK STEGMANN GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Einspruchsgründe - mangelnde Patentierbarkeit (nein) | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 1 334 330 zu widerrufen.
Die Einspruchsabteilung hatte den Widerruf insbesondere damit begründet, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Darüber hinaus beruhten die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 3 gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht per Fax mit Schreiben vom 29. Juli 2013, und gemäß Hilfsantrag 2, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 19. September 2013, auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
II. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte mit der Beschwerdebegründung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in seiner erteilten Fassung aufrecht zu erhalten.
III. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
IV. Beide Parteien beantragten hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
V. In einem Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK vertrat die Kammer die vorläufige Meinung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu sei und dass darüber befunden werden müsse, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 8. November 2017 statt. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.
VII. Folgende Dokumente wurden im Beschwerdeverfahren zitiert:
D1: Broschüre mit Produktinformation "Absolutes, berührungsloses Längenmesssystem LinCoder**(®) L 230", Max Stegmann GmbH, Ausgabe 6/99.
D2: US 5 297 048 A
D3: US 5 721 546 A .
VIII. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 3 wie erteilt lauten wie folgt, wobei die von der Einspruchsabteilung verwendete Merkmalsgliederung in eckigen Klammern übernommen wurde:
"1. [1] Positionsmessgerät zur Bestimmung der Position eines beweglichen Objektes
[2] mit einer Detektoreinheit (2),
[3] mindestens einem von einem internen Takt (6) gesteuerten A/D-Wandler (3),
[4] einer Verarbeitungseinheit (4)
[5] und einer Extrapolationseinheit (5),
[6] und weiter einem Zeitmesser (7) zum Erfassen einer Zeitspanne (Deltat) zwischen einem Puls des internen Taktes
(6) und einem externen Triggersignal (9),
[7] dazu in der Lage die Positionssignale der Detektoreinheit (2) in Zeitintervallen des internen Takts (6) im A/D-Wandler (3) zu digitalisieren
[8] und in der Verarbeitungseinheit (4) zu Positionsdaten (P1, P2) zu verarbeiten,
[9] und dazu ausgebildet, dass die Extrapolationseinheit (5) einen Positionswert zum Zeitpunkt (t0) des Auftretens des externen Triggersignals (9) aus wenigstens zwei Positionsdaten (P1, P2) extrapoliert."
"3. [V1] Verfahren zur Positionsbestimmung in einem Positionsmessgerät mit folgenden Schritten:
- [V2] Digitalisierung von analogen Positionssignalen einer Detektoreinheit (2) in einem A/D Wandler (3), in Zeitintervallen eines internen Taktes (6),
- [V3] Berechnung von Positionsdaten (P1, P2) aus den digitalisierten Signalen in einer Verarbeitungseinheit (4),
- [V4] Bestimmung einer Zeitspanne (Deltat) zwischen einem Impuls des internen Taktes (6) bis zum Auftreten eines externen Triggersignals (9) in einem Zeitmesser (7),
- [V5] Verarbeiten von wenigstens zwei Positionsdaten (P1, P2) zusammen mit der Zeitspanne (Deltat) in einer Extrapolationseinheit (5), um einen Positionswert zum Zeitpunkt (t0) des Auftretens des externen Triggersignals (9) aus den wenigstens zwei Positionsdaten (P1, P2) zu extrapolieren."
Entscheidungsgründe
1. Anspruch 1 - Neuheit gegenüber Dokument D1 (Artikel 100 a) und 54 EPÜ 1973)
1.1 Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) ist der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neu.
Das Dokument D1 offenbare nicht nur die Merkmale 1 - 5, 7 und 8, sondern auch die strittigen Merkmale 6 und 9 des Anspruchs. Gemäß Dokument D1 im Abschnitt "Echtzeitkompensierter SSI-Betrieb" auf Seite 6 sei zu verstehen, dass aus den letzten beiden im 750µs-Raster gemessenen Positionen ein Positionsdelta für das 2µs-Raster berechnet und die extrapolierte Positionsangabe alle 2µs um dieses Positionsdelta modifiziert werde. Ferner gebe es in der D1 einen Zeitmesser, nämlich den Taktgeber für die 2µs. Nach Ziffer 3.10 der angefochtenen Entscheidung erfülle das Merkmal 6 die Funktion einer Stoppuhr. Diese Stoppuhr laufe mit einem Puls des internen Taktes an und höre auf zu zählen, wenn das externe Triggersignal einträfe. Nach Ansicht der Einspruchsabteilung werde die Uhr in Dokument D1 jedoch nicht angehalten. Dies sei aber in Merkmal 6 nicht die einzige mögliche Auslegung. Es sei lediglich gefordert, dass die Zeitspanne zwischen dem Puls des internen Takts und dem externen Triggersignal erfasst werde. Die Zeitspanne gemäß Merkmal 6 werde aber auch in Dokument D1 erfasst. Sie werde im 2µs-Raster gemessen, und für jeden Rastertakt werde ein Wert aufaddiert. In gleicher Weise werde im vorliegenden Patent von dem TDC (Time to Digital Converter) für jeden Zeittakt ein Wert aufaddiert. Wegen der Linearität seien ja Zeit und Position direkt proportional; die Position sei also nichts anderes als eine etwas ungewöhnliche Einheit der Zeit. Somit werde in Dokument D1 die Zeitspanne gemessen.
Zudem werde im Merkmal 9 gar nicht gefordert, die Zeitspanne für die Extrapolation zu nutzen. Die Extrapolation könne daher genauso wie in Dokument D1 ablaufen. Gefordert sei lediglich, dass ein Positionswert zum Zeitpunkt t0 bestimmt werde. Im Übrigen sei die gemessene Zeit Deltat eine rein interne Hilfsgröße, die nicht, beispielsweise in Millisekunden, umgerechnet werde. In Dokument D1 gebe es nur eine andere Hilfsgröße, aus der der Extrapolationswert bestimmt werde.
1.2 Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) führte aus, dass die vom Zeitmesser erfassbare Zeitspanne implizit im Merkmal 9 mitzulesen sei. Wie sonst solle die Extrapolationseinheit den Wert am Zeitpunkt t0 bestimmen (vgl. Punkt 3 der Beschwerdebegründung).
Somit seien lediglich die Merkmale 1 - 5, 7 und 8 des Anspruchs 1 aus Dokument D1 bekannt. Ansonsten laufe das Verfahren zur Positionsbestimmung aber anders als im Streitpatent beansprucht ab. Auf der Seite 6 des Dokuments D1 sei der "echtzeitkompensierte SSI-Betrieb" des Positionsmessgerätes erklärt. Um eine bessere Korrelation des auf eine Positionsanforderung ausgegebenen Positionswertes mit dem Zeitpunkt der Anforderung zu erhalten, würden zusätzlich zu den in einem groben Takt von 750µs aus Sensorwerten gebildeten Positionswerten in einem feineren Takt von 2µs gebildete extrapolierte Positionswerte aufaddiert, die dann als Antwort auf eine Positionsabfrage nach außen bereitgestellt würden. In dem Dokument D1 gebe es also keinen Zeitmesser, mit dem eine Zeitspanne zwischen der letzten Positionswertbildung (im groben 750µs-Takt) und der Positionsanforderung bestimmt werde, und daher werde eine solche Zeitspanne auch nicht zur Extrapolation eines Positionswertes herangezogen. Folglich sei das Merkmal 9 nicht in D1 offenbart.
Gemäß Streitpatent werde deutlich anders vorgegangen. Aus wenigstens zwei Positionsdaten (und anhand der gemessenen Zeitspanne) werde ein Positionswert extrapoliert, der die Position zum Zeitpunkt des Auftretens des Triggersignals repräsentiere (vgl. Punkt 5 der Beschwerdebegründung).
Die gemessene Zeit sei zwar nur eine interne Hilfsgröße, aber mit ihr werde ein Zeitraum erfasst und keine Position. Die extrapolierte Position werde im Gegenstand des Anspruchs 1 erst aus den alten Positionen mit Deltat extrapoliert.
1.3 Die Kammer sieht den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht durch das Dokument D1 vorweggenommen. Das Dokument D1 offenbart keinen Zeitmesser zum Erfassen einer Zeitspanne im üblichen Sinn, bei dem die Zeiteinheiten gezählt werden. Das Dokument D1 offenbart eine Logikschaltung, die einen bestimmten Extrapolationswert in einem Zyklus von ca. 2 mys permanent hinzu addiert. Auf diese Weise liegt alle 2 mys ein neuer Extrapolationswert vor. Da die Extrapolation in Takten verläuft, lassen sich zwar aus einem Extrapolationswert die bis dahin erfolgten Takte berechnen, die Zeiteinheiten werden jedoch nicht direkt gezählt.
Weiter ergibt es sich nach Auffassung der Kammer für einen Fachmann aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 implizit, dass zum Extrapolieren eines Positionswerts zum Zeitpunkt t0 des Auftretens des externen Triggersignals die bereits definierte erfasste Zeitspanne Deltat zwischen einem Puls des internen Taktes und einem externen Triggersignal verwendet wird, um eine sinnvolle Extrapolation zu erreichen. Das in Dokument D1 offenbarte Gerät ist dazu nicht ausgelegt.
Daher sind die Merkmale 6 und 9 des Anspruchs 1 nicht in Dokument D1 offenbart.
2. Anspruch 1 - erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument D1 (Artikel 100 a) und 56 EPÜ 1973)
2.1 Die Einspruchsabteilung war der Meinung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber dem Gegenstand des Dokuments D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, weil der Zeitmesser zwar beansprucht sei, aber bei der Vorrichtung gemäß Anspruch 1 keine Rolle spiele.
2.2 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass die von der Patentinhaberin für die Erfindung geltend gemachte höchste zeitliche Präzision unbeachtlich sei, weil diese nicht beansprucht sei. Außerdem könne das 2µs-Raster der D1 ohne Weiteres bis zu jeder Genauigkeit eines (Stoppuhr-) Zeitmessers verfeinert werden. Das Addieren eines Positionsdeltas auf ein Register könne genauso schnell ausgeführt werden wie ein einfaches Zeitinkrement (vgl. Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 11. März 2014, Seite 3, dritter Absatz). In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin präzisiert, dass die Verbesserung der Genauigkeit nicht die zu lösende technische Aufgabe sein könne. Aufgabe sei vielmehr eine alternative Form der Positionsberechnung. In Dokument D1 werde die Extrapolation aus zwei Positionen im 750 mys-Takt und dem gewünschten Zeitpunkt bestimmt. Dazu werde ein Extrapolationswert berechnet und dieser bei jedem 2 mys-Takt aufaddiert. Bei dem beanspruchten Positionsmessgerät würden dagegen die Takte eines TDC (Time to Digital Converter) gezählt und die Anzahl der Takte zum Zeitpunkt des Auftretens des externen Triggersignals mit einem Extrapolationswert multipliziert. Es sei Basiswissen eines Schülers, dass das x-malige Aufaddieren eines Wertes äquivalent sei der Multiplikation des Wertes mit x. Die Anwendung einer äquivalenten Berechnung könne keine erfinderische Tätigkeit begründen. Dies habe die Einspruchsabteilung auch so gesehen (vgl. Punkte 4.10 und 4.11 der strittigen Entscheidung). Auch die von der Patentinhaberin geltend gemachte Berücksichtung verschiedener Signallaufzeiten sei nicht beansprucht und könne somit bei der erfinderischen Tätigkeit keine Rolle spielen.
2.3 Die Beschwerdeführerin führte in der mündlichen Verhandlung aus, dass die Extrapolation im Prinzip allgemein bekannt sei, und die verstrichene Zeit für die Extrapolation nötig sei. Der Vorteil der vorliegenden Erfindung liege nicht in der Genauigkeit der Extrapolation, sondern in der Art, wie der Extrapolationswert bestimmt werde. So könnten bei der Zeitmessung bis zum Eintreffen des externen Triggersignals auch die unterschiedlichen Signallaufzeiten zur Verarbeitungseinheit bei mehreren Detektoreinheiten berücksichtigt werden, was die Schaltung in Dokument D1 nicht könne. Dieser Vorteil sei auch im Absatz 0018 der Patentschrift beschrieben und brauche nicht in den Anspruch aufgenommen werden.
2.4 Die Kammer stimmt mit der Beschwerdegegnerin überein, dass die mögliche Wirkung der Unterschiedsmerkmale zum nächstliegenden Stand der Technik bezüglich der Signallaufzeiten nicht für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden können, da der Anspruch 1 keine Merkmale aufweist, bei denen die Wirkung auftritt. Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass ausgehend von Dokument D1 die zu lösende technische Aufgabe darin gesehen werden kann, eine alternative Lösung für die Bestimmung der extrapolierten Position zu finden.
Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin nicht zu, dass es sich bei der beanspruchten Extrapolation um eine äquivalente Bestimmung zu der in Dokument D1 offenbarten handelt. Nach übereinstimmender Meinung der Parteien offenbart Dokument D1, dass aus den letzten beiden im 750µs-Raster gemessenen Positionen ein Positionsdelta für das 2µs-Raster berechnet und die extrapolierte Positionsangabe alle 2µs um dieses Positionsdelta modifiziert wird. Die Berechnung des Extrapolationswertes steht hier also am Anfang der Bewegung über den zuletzt gemessenen Positionswert hinaus. Bei dem beanspruchten Positionsmessgerät wird zunächst die Zeit ab dem zuletzt bestimmten Positionsdatum gemessen, indem Zeittakte gezählt werden, und bei Auftreten des externen Triggersignals wird mittels der gemessenen Zeit die Position zum Zeitpunkt des Auftretens des externen Triggersignals extrapoliert. Eine Extrapolation aus den Positionsdaten (P1, P2) findet hier also nach der Bewegung bis zum Auftreten des externen Triggersignals statt. Es handelt sich daher nicht nur um eine äquivalente Berechnung der extrapolierten Position, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet, die für jeden Fachmann mit mathematischen Grundkenntnissen naheliegend ist. Bei dem Gerät aus Dokument D1 steht vielmehr die grundsätzliche Überlegung im Vordergrund, die Differenz der letzten Positionsdaten zu bilden und diese dann anteilig im 2 µs-Takt zur letzten Position zu addieren. Die Beschwerdegegnerin hat keinen Stand der Technik vorgelegt, in dem bei einer Extrapolation zunächst nur die Zeit gemessen wird und bei Aufforderung der extrapolierte Positionswert bestimmt wird. Ohne Kenntnis der Erfindung ist es daher für den Fachmann nicht naheliegend, zum beanspruchten Gegenstand zu kommen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher, ausgehend von Dokument D1, auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3. Anspruch 1 - Neuheit und erfinderische Tätigkeit gegenüber Dokument D2 (Artikel 100 a), 54 und 56 EPÜ 1973)
3.1 Dokument D2 offenbart eine Kurbelwelle, an der Markierungen zur groben Positionsbestimmung angebracht sind. Jede Markierung repräsentiert dabei einen Winkel von 1°. Bei der Rotation wird die Zeit zwischen zwei Markierungen erfasst (gezählt). Aus den Zeitdaten zwischen den Markierungen wird eine feine Positionsänderung von 0,1° extrapoliert, indem eine Zeit bis zur nächsten feinen Position "tick" berechnet wird und dann ein Down-Counter mit diesem Wert geladen wird. Sobald der Down-Counter 0 erreicht hat, wird der nächste 0.1°-"tick" im FGP (Fine Grain Position) Register gezählt und der Down-Counter erneut gestartet (vgl. Spalte 5, Zeile 47 - Spalte 6, Zeile 10; Spalte 6, Zeilen 38 - 58).
3.2 Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) gesteht in ihrem Schreiben vom 7. Februar 2012 zwar zu, dass ein externes Triggersignal nicht verwendet werde, aber zu jedem beliebigen Zeitpunkt stünden sowohl das Zeitintervall Deltat in den Zählern als auch die extrapolierte Position bereit (vgl. Seite 3, dritter Absatz). In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Beschwerdegegnerin keine weiteren Ausführungen gemacht, warum der Gegenstand des Anspruchs 1, ausgehend von Dokument D2, nicht neu sein solle.
3.3 Nach Ansicht der Kammer offenbart Dokument D2 keinen A/D-Wandler (die binären Markierungen an der Welle werden als digitale Signale erfasst; analoge Werte werden an der Welle nicht erfasst), und auch keinen internen Takt, der den A/D Wandler steuert, kein externes Triggersignal und ebenso keinen Zeitmesser, der die Zeit ab dem internen Takt zählt und einen Wert bei Eintreffen des Triggersignals ausgibt. Es gibt lediglich einen internen Takt, der dazu verwendet wird, die Zeit bis zu einem "tick" auszugeben, bei dem der extrapolierte Positionswert um einen vorgegeben Wert erhöht wird (vgl. Spalte 6, Zeilen 38 - 55).
Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber Dokument D2 neu.
3.4 Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) bedürfe es zudem keiner erfinderischen Tätigkeit, um von dem Dokument D2 ausgehend zum Gegenstand des Streitpatents gemäß Anspruch 1 zu gelangen.
3.5 Nach Ansicht der Kammer legt aber das Dokument D2 es auch nicht nahe, den extrapolierten Positionswert bei Auftreten eines externen Triggersignals aus den letzten gemessenen Positionswerten und der verstrichenen Zeit zu berechnen. Ähnlich wie in Dokument D1 findet die Extrapolation gleich nach Erfassen des letzten Positionswertes statt, indem die Zeit pro Winkeleinheit berechnet wird. Nichts legt es in Dokument D2 nahe, die Extrapolation auf den Zeitpunkt des Eintreffens eines externen Signals zu verschieben.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher auch im Hinblick auf Dokument D2 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4. Anspruch 1 - Erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument D3 (Artikel 100 a) und 56 EPÜ 1973)
4.1 Das Dokument D3 offenbart ein Positionsmessgerät zur Motorsteuerung. Es offenbart eine Detektoreinheit 6A, 6B, einen von einem internen Takt gesteuerten A/D-Wandler 8A, 8B, eine Verarbeitungseinheit 9 und eine Extrapolationseinheit 11 (vgl. Figur 1). Um die Bewegung des Motors während der Verarbeitungszeit Td der Daten im A/D-Wandler und in der Verarbeitungseinheit zu kompensieren, wird anhand der vorhergehenden Messergebnisse die Bewegung des Motors während der Verarbeitungszeit extrapoliert und diese Positionsänderung zu dem Messergebnis hinzugefügt. Die Verarbeitungszeit ist bekannt oder wird durch das Ausgangssignal der Verarbeitungseinheit bestimmt (vgl. Figur 21). Wenn die Positionsdaten an die Motorsteuerung übergeben werden, dann entsprechen sie in etwa der aktuellen Position des Motors.
Dokument D3 offenbart kein externes Triggersignal und keinen Zeitmesser, der die Zeit bis zum externen Triggersignal misst, und die Extrapolationseinheit berechnet nicht die Position zum Zeitpunkt des Triggersignals.
4.2 Dies wird von der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) auch so gesehen (vgl. Einspruchsschrift vom 12. Januar 2011, Seite 6, achter Absatz). Die Aufgabe des Streitpatents liege gemäß Absatz 0005 des Streitpatents darin, ein Positionsmessgerät anzugeben, das die Position eines beweglichen Objekts zu einem von außen festgelegten Zeitpunkt bestimmen und danach ausgeben könne. Es sei für den Fachmann naheliegend, statt der festen Totzeit Td die Zeit vom letzten Positionszyklus bis zum Eintreffen des Triggersignals zu messen. Es seien keinerlei Anpassungen nötig. Damit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 durch das Dokument D3 nahegelegt (vgl. Einspruchsschrift vom 12. Januar 2011, Seite 6, neunter und zehnter Absatz). In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Beschwerdegegnerin keine weiteren Ausführungen gemacht, warum der Gegenstand des Anspruchs ausgehend von Dokument D3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen sollte.
4.3 In ihrem Schreiben vom 22. September 2011 führt die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) dazu aus: "Um von der D3 zu einer Lösung gemäß Streitpatent zu kommen, müsste erkannt werden, dass nicht ein Positionswert wichtig ist, der zum Zeitpunkt der Ausgabe richtig ist, sondern vielmehr ein Wert geliefert werden soll, der für den Zeitpunkt der Anforderung gilt. Sodann müsste ein entsprechender Zeitmesser hinzugefügt werden und schließlich die in der D3 offenbarte Extrapolation von der Verzögerungszeit auf die gemessene Zeitspanne geändert werden. Woher die Motivation zu solchen Änderungen kommen soll, erklärt die Einsprechende nicht. Die angeführte Argumentation (es bleibt nichts weiter zu tun als...) ist ein gutes Beispiel für rückschauende Betrachtungsweise. Die Behauptung, es wären ,,keinerlei Anpassungen erforderlich" ist erkennbar falsch - insbesondere wenn wenige Absätze vorher festgestellt wird, dass in der D3 ,,die Messung einer Zeitspanne [...] nicht vorgesehen" ist".
4.4 Die Argumentation der Beschwerdegegnerin bezüglich der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von Dokument D3 überzeugt die Kammer nicht. Selbst wenn Dokument D3 als nächstliegender Stand der Technik betrachtet wird, legt das Dokument D3 selbst nicht die beanspruchte Lösung nahe. Auf der Suche nach einer Lösung würde der Fachmann vielleicht das Dokument D1 konsultieren, wo auf ein externes Triggersignal die aktuelle Position ausgegeben wird. Der Fachmann würde dann aber wie in D1 die für die Verzögerungszeit extrapolierte Bewegung in einem festen Zeitraster zum Messergebnis addieren und auf ein Triggersignal hin die aktuelle Position ausgeben. Dies entspricht aber nicht der in Anspruch 1 definierten Extrapolation.
Daher beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auch ausgehend von Dokument D3 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
5. Zusammenfassend stellt die Kammer fest, dass keines der von der Beschwerdegegnerin zitierten Dokument den Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorwegnimmt oder ihn nahelegt.
6. Anspruch 3 betrifft ein Verfahren zur Positionsbestimmung in einem Positionsmessgerät, in dem eine Extrapolationseinheit einen Positionswert auf die gleiche Weise extrapoliert wie die Vorrichtung im Anspruch 1. Der Gegenstand des Anspruchs 3 ist daher aus den gleichen Gründen neu und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
7. Der Anspruch 2 ist abhängig von Anspruch 1, die Ansprüche und 4 bis 6 sind abhängig von Anspruch 3, das Lithographiesystem in Anspruch 7 umfasst ein Positionsmessgerät nach einem der Ansprüche 1 - 2, und das Lithographiesystem in Anspruch 8 arbeitet nach einem Verfahren nach einem der Ansprüche 3 - 6. Daher erfüllen diese Ansprüche ebenfalls die Erfordernisse der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit.
8. Anspruch 6 - Mangelnde Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ 1973)
8.1 In der Beschwerdeerwiderung vom 11. März 2014 (vgl. Punkt 4) machte die Beschwerdegegnerin geltend, dass der Gegenstand des abhängigen Anspruchs 6 nicht ausführbar sei. Anspruch 6 verlange, dass zur Bestimmung der Polynomfunktion mehr zu früheren Zeitpunkten berechnete Positionswerte herangezogen würden als mathematisch nötig seien. Das sei nicht möglich. Ein Algorithmus für einen Polynomfit schätze ein Polynom anhand der übergebenen Stützstellen. Jede dabei herangezogene Stützstelle sei mathematisch notwendig, weil sie das Ergebnis beeinflusse. Beeinflusse eine Stützstelle das Ergebnis nicht, sei sie mathematisch nicht notwendig, wurde aber auch nicht herangezogen. In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin keine Ausführungen zu der Thematik gemacht.
8.2 Die Beschwerdeführerin erläuterte diesbezüglich, dass beispielsweise zur Bestimmung einer linearen Funktion zwei Punkte nötig seien, aber auch mit fünf Punkten eine lineare Funktion bestimmt werden könne, indem die Gerade an die fünf Punkte angepasst werde. Dabei komme es zu einer Rauschunterdrückung durch Mittelwertbildung. Dies werde auch im Absatz 0017 der Patentschrift erklärt. Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 6 durchaus ausführbar.
8.3 Die Kammer schließt sich der Auffassung der Beschwerdeführerin an. Der Anspruch mag vielleicht nicht ganz präzise formuliert sein, aber für einen Fachmann ist die Verwendung von mehr Punkten als für die Berechung der jeweiligen Polynomfunktion grundsätzlich erforderlich sind, z.B. durch Anpassung einer Geraden an mehr als 2 Punkte, ausführbar.
9. Zusammenfassend kommt die Kammer zum Schluss, dass die vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegenstehen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.