European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T239613.20170601 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 01 Juni 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2396/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 05405033.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | B65H 1/26 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Einrichtung zum Vereinzeln von in einem Anleger gestapelten Etiketten | ||||||||
Name des Anmelders: | FRAMA AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Francotyp-Postalia GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulassung einer verspätet vorgebrachten Druckschrift - nein Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag) - nein Zulassung der Hilfsanträge, die nach der Beschwerdeerwiderung eingereicht wurden - nein |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die am 28. Oktober 2013 zur Post gegeben wurde und mit der der Einspruch gegen das Europäische Patent Nr. 1 683 748 zurückgewiesen wurde, am 27. November 2013 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 7. März 2014 eingegangen.
Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ 1973 (mangelnde erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ 1973) angegriffen worden.
II. Am 1. Juni 2017 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
III. Die Beschwerdeführerin beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, oder hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geändertem Umfang gemäß den mit Schreiben vom 28. April 2017 eingereichten Hilfsanträgen 1 oder 2 aufrechtzuerhalten.
IV. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"Anleger (2), mit einer in dem Anleger (2) gestapelte Etiketten (4) oder dgl. einzeln von einem Stapelende abziehenden Fördervorrichtung (6) und mit einer zur Aufnahme der Etiketten (4) dem Anleger (2) entnehmbaren Kassette (1), wobei ein Magazin (3) des Anlegers (2) zur Aufnahme der mit Etiketten (4) angereicherten Kassette (1) ausgebildet ist und die Kassette eine der Fördervorrichtung (6) zum Abziehen der Etiketten (4) zugeordnete Abzugsöffnung (7) aufweist und der Abzugsöffnung (7) eine die Etiketten (4) durch Reibungsschluss transportierende Abzugsrolle (10) der Fördervorrichtung (6) zugeordnet ist und die Abzugsrolle (10) zum teilweisen Eintauchen durch die Abzugsöffnung (7) in die Kassette (1) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Kassette (1) eine in Förderrichtung (F) der Etiketten (4) stromabwärts angeordnete Entnahmeöffnung (5) aufweist, die sich quer zur Förderrichtung (F) der Etiketten (4) über wenigstens deren Breite erstreckt und eine schlitzartige schmale Form aufweist, sodass die anschliessende, in Förderrichtung (F) vordere Wand (8) der Kassette (1) den Teilstapel über der Entnahmeöffnung (5) zurückhält und dass die Abzugsöffnung (7) rechteckig und quer zur Förderrichtung (F) sich erstreckend ausgebildet ist und an der Unterseite der in dem Magazin (3) eingebauten Kassette (1) angeordnet ist und die Abzugsöffnung (7) in den sich gegenüberliegenden Seitenwänden (11, 12) der Kassette (1) eine von einem Bogen- resp. einem Kreisbogen geformte Ausnehmung bildet, an die die Abzugsrolle (10) angepasst ist."
V. Im Beschwerdeverfahren wurde unter anderem auf folgende Druckschriften Bezug genommen:
E1 EP 1 491 4 73 A1;
E2 US 5,053,814;
E3 GB 1 363 141;
E4 EP 0 941 863 A2;
E5 JP 63-258332 A;
E7 US 3,689,064.
VI. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Verspätetes Vorbringen
Die Einspruchsabteilung hielt die Druckschrift E3 für die unterscheidende Merkmale k) ("[die Abzugsöffnung (7) ... ] an der Unterseite der in dem Magazin (3) eingebauten Kassette (1) angeordnet ist") und l) ("die Abzugsöffnung (7) in den sich gegenüberliegenden Seitenwänden (11, 12) der Kassette (1) eine von einem Bogen- resp. einem Kreisbogen geformte Ausnehmung bildet, an die die Abzugsrolle (10) angepasst ist") für nicht relevant, da die Schlitze bestenfalls an die Wellen aber nicht an die Abzugsrollen angepasst seien bzw. die Abzugsrollen nicht an die Schlitze angepasst seien und dass es deshalb erforderlich gewesen sei, eine weitere Recherche durchzuführen, bei welcher noch die Druckschrift E7 ermittelt worden sei. Diese Druckschrift sei für das Merkmal l) prima facie besonders relevant und sollte zum Verfahren zugelassen werden.
Erfinderische Tätigkeit
Gemäß der angefochtenen Entscheidung (siehe Entscheidungsgründe, Punkt 3.2.2) seien sich die Beteiligten einig, dass ein Anleger mit den Merkmalen a) bis j) aus der Druckschrift E2 bekannt sei. Der Anleger gemäß dem erteilten Anspruch 1 unterscheidet sich somit durch die obengenannte Merkmale k) und l). Die Merkmale k) und l) seien unabhängig voneinander zu betrachten.
Die objektive technische Aufgabe, die durch Merkmal k) gelöst werde, könne für den Fachmann einfach darin bestehen, ausgehend von der Druckschrift E2, eine alternative konstruktive Lösung zu finden. Das Merkmal k) beschreibe eine der beiden Alternativen, die dem Fachmann beim Abziehen von Blattmaterial aus Kassetten zur Verfügung stehen. Druckschrift E2 beschreibe die Lösung, bei welcher die Abzugsrollen von oben her in die Kassette eintauchen und jeweils das oberste Blatt abziehen. Bei der in Druckschrift E1 beschriebenen Lösung sei die Kassette mit ihrer Abzugsöffnung dagegen so in dem Magazin der Druckeinrichtung angeordnet, dass die Abzugsrolle von der Unterseite her in die Abzugsöffnung der Kassette eintauche und der Blattstapel somit auf der Abzugsrolle aufliege, sodass jeweils das unterste Blatt abgezogen werde (vgl. Figur 10). Welche der Lösungen der Fachmann wähle, richte sich in der Regel nach der Bauart der folgenden Einrichtung, der die abgezogenen Blätter zugeführt werden sollen. Wie die Druckschriften E1 und E2 zeigen, seien dem Fachmann beide Lösungen bekannt gewesen. Das Merkmal k) könne die erfinderische Tätigkeit daher nicht stützen.
Bezüglich des Merkmals l) sei zuerst festzustellen, dass weder aus den Zeichnungen noch aus der Beschreibung zu entnehmen sei, weshalb diese Ausnehmungen vorgesehen seien und ob sich die Abzugsrolle im Abzugsbetrieb axial bis in die kreisbogenförmigen Ausnehmungen erstrecken. Die Formulierung des Merkmals l) im Anspruch erlaube diesen Schluss jedenfalls nicht. Eine durch das Merkmal l) zu lösende Teilaufgabe könnt darin gesehen werden, dass durch die Ausbildung gemäß Merkmal l) das Eintauchen der Abzugsrolle in die Abzugsöffnung erleichtert werde bzw. das Einsetzen der Kassette in das Magazin vereinfacht werde.
Druckschrift E3 zeige ein Magazin für plattenförmige Gegenstände, die entsprechend den Darstellungen in den Figuren mit Hilfe von Abzugsrollen, welche in das Magazin eintauchen, einzeln abgezogen werden können. Damit die Abzugsrollen in Kontakt mit dem jeweils untersten plattenförmigen Gegenstand treten können, wiesen die Seitenwände des Magazins Schlitze 42, 44 auf, in denen die Wellen 9 der Abzugsrollen 8 verschiebbar geführt seien, so dass die Abzugsrollen 8 stetig weiter in das Magazininnere eintauchen können und so immer Kontakt mit dem jeweils untersten plattenförmigen Gegenstand behalten. Damit hatte der Fachmann aber auch Veranlassung, die ihm durch die Druckschrift E3 gegebene Anregung aufzugreifen und die in Merkmal l) beschriebene Maßnahme auch bei einer Kassette gemäß Druckschrift E2 vorzusehen. Das Merkmal l) sei ferner auch aus der Druckschriften E4 (siehe Figuren 9 und 10) und E5 (siehe Figur 1) bekannt.
Da eine technische Wechselwirkung, d.h. ein synergistischer Effekt zwischen den in den Merkmalen k) und l) beschriebenen Maßnahmen nicht erkennbar sei, sei es gerechtfertigt, die Kombination dieser Maßnahmen mit den Merkmalen a) bis j) getrennt zu betrachten, sodass sich der Gegenstand des angegriffenen Anspruchs 1 in nicht erfinderischer Weise aus einer Kombination der Druckschriften E2, E1 und E3 bzw. E4 oder E5 ergebe.
Zulassung der Hilfsanträge
Die Hilfsanträge 1 und 2 seien zum ersten Mal im Beschwerdeverfahren vorgelegt worden und seien deshalb verspätet. Die Hilfsanträge seien nicht konvergent, sie gingen in unterschiedlichen Richtungen. Ansprüche 1 der Hilfsanträge 1 und 2 wiesen Merkmale der Beschreibung auf, die vorher niemals vor der Einspruchsabteilung oder im Beschwerdeverfahren diskutiert worden seien. Aus diesen Gründen seien die Hilfsanträge 1 und 2 nicht zuzulassen.
VII. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Verspätetes Vorbringen
Zu der erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Druckschrift E7 habe die Beschwerdeführerin vorgetragen, dass dies wegen der Ansicht der Einspruchsabteilung notwendig sei, Druckschrift E3 sei nicht relevant. In der Tat habe die Einspruchsabteilung diese Ansicht erstmals in ihrer mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung zugestellten vorläufigen Meinung geäußert und die Parteien eine fast viermonatigen Frist zum Einreichen von Schriftsätzen oder Unterlagen gesetzt. Daraufhin habe die Beschwerdeführerin dem EPA mitgeteilt, dass sie an der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht teilnehmen werde. Deshalb sei die Einführung der Druckschrift E7 verspätet. Die Verspätung könne angesichts der geräumigen Frist auch nicht damit entschuldigt werden, es habe eine Recherche beendet werden müssen. Diese Druckschrift solle deshalb schon wegen der unentschuldbaren Verspätung aber auch mangels Relevanz nicht zugelassen werden.
Erfinderische Tätigkeit
Die Beschwerdeführerin stelle jedweden funktionellen Zusammenhang sowohl zwischen den Merkmalen k) und l) als auch zwischen dem Merkmal l) und den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs 1 in Abrede. Dieser Vorwurf sei nicht gerechtfertigt.
Tatsächlich beträfen die Merkmale k) und l) eine Positionierung und Ausgestaltung der Abzugsöffnung 7, deren Anordnung und Funktion im übrigen durch die Merkmale d), e), f) und j) bestimmt sei. Danach werden die Etiketten 4 durch Reibungsschluß mit einer Abzugsrolle 10 aus der Kassette 1 abgezogen (Merkmale d) und e)), welche durch ihre Anordnung teilweise in die Kassette 1 eintaucht (Merkmal f)). Da die Abzugsöffnung 7 gemäß Merkmal k) an der Unterseite der in dem Magazin 3 eingebauten Kassette 1 angeordnet sei, hebe die teilweise eintauchende Abzugsrolle 10 den Stapel der Etiketten 4 geringfügig vom Boden der Kassette 1 ab, wie es in Figur 4 deutlich dargestellt sei. Dadurch verringere sich die Berührungsfläche zwischen dem untersten Etikett des Stapels und dem Boden der Kassette 1, wodurch sowohl die Haftreibung als auch die Gleitreibung dieses untersten Etiketts gegenüber dem Boden der Kassette 1 stark verringert werde. Entsprechend verringere sich der für den Transport erforderliche Reibungsschluß zwischen der Abzugsrolle 10 und dem Etikett (Merkmal e)). Für diesen verringerten Reibungsschluß genüge grundsätzlich die durch die Schwere der Etiketten aufgebrachte Normalkraft, sodass es für die grundsätzliche Funktion der in Figur 4 eingezeichneten Blattfeder 25 nicht bedürfe. Dabei erleichtere das Merkmal l), was auch die Beschwerdeführerin nicht in Abrede stelle, das Eintauchen der Abzugsrolle 10 in die Abzugsöffnung 7. Es sei in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass Merkmal l), wonach "die Abzugsöffnung (7) in den sich gegenüberliegenden Seitenwänden (11, 12) ... eine ... Ausnehmung bildet" in Kombination mit Merkmal j), wonach "die Abzugsöffnung (7) rechteckig und quer zur Förderrichtung (F) sich erstreckend ausgebildet ist" ergebe, dass die Abzugsöffnung (7) sich über die ganze Breite des Bodens 14 der Kassette erstrecke.
Daraus folge, dass die Merkmale d), e), f), j), k) und l) in einem engen Funktionszusammenhang stünden und die gegenteilige Auffassung der Beschwerdeführerin nicht richtig sei. Wegen dieses Funktionszusammenhangs sei dem auf eine isolierte Betrachtungsweise der Merkmale k) und l) gestützten Angriff gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung der Boden entzogen. Es komme noch hinzu, dass die von der Beschwerdeführerin aufgegriffene Figur 10 von Druckschrift E1 außer dem von der Einspruchsabteilung festgestellten Unterschied auch nicht ein teilweises Eintauchen der dort dargestellten Abzugsrolle 12 in die Kassette 8 offenbare. Statt dessen liege das unterste Blatt des Bogenstapels 7 in einer Ebene, die der Innenseite des Bodens 8c der Kassette entspreche. An dieser Ebene liege die Abzugsrolle 12 tangential an. Sie tangiere also lediglich den Innenraum der Kassette, tauche aber nicht in sie ein. Die zur Aufbringung des für die Förderung erforderlichen Reibschlusses benötigte Normalkraft werde von der Schraubenfeder 19 aus durch die obere Wand 8b der Kassette und den Bogenstapel hindurch auf den abzuziehenden untersten Bogen übertragen. In der im bisherigen Verfahren übereinstimmend als nächstliegend angesehenen Druckschrift E2 tauche - wie aus Figur 2 ersichtlich ist - die Abzugsrolle 75 von oben in die Abzugsöffnung 6 der Kassette 3 ein. Zur Herstellung des für den Transport notwendigen Reibungsschlusses diene die Heberolle 17, die von der Feder 51 durch eine Bodenöffnung der Papierkassette hindurch gegen die darin angeordnete Hebeplatte 8 angedrückt werde und so die für den Reibungsschluß erforderliche Normalkraft durch den Papierstapel hindurch auf das oberste Blatt des Stapels übertragt (siehe Spalte 2, Zeilen 40 bis 51 und Spalte 3, Zeilen 21 bis 45). Durch die Kombination der Merkmale d), e), f), j), k) und l) des angefochtenen Patents entfallen diese in Druckschrift E2 erforderlichen Bauelemente und ihre damit verbundenen Störanfälligkeiten. Deshalb könnte in Abweichung von der von der Einspruchsabteilung zugrunde gelegten Aufgabenstellung (Entscheidungsgründe, Punkt 3.2.3) auch gegenüber der Druckschrift E2 die Aufgabe in der Formulierung der Streitpatentschrift Abschnitt [0009] gesehen werden, die Einrichtung gemäß Druckschrift E2 zu vereinfachen und ihre Verarbeitungszuverlässigkeit zu verbessern. Jedenfalls sei aber unabhängig von der zugrunde gelegten Aufgabenformulierung der Einwand der Beschwerdeführerin unrichtig, dem Streitpatent lasse sich nicht entnehmen, warum die Lösung gemäß Merkmal k) besondere Vorteile haben solle. Im übrigen offenbare Druckschrift E2 keine "Etiketten" sondern Kopierpapier, sodass diese Druckschrift auch die Merkmale a) bis e), g) und h) des Anspruchs 1 nicht offenbare. Insgesamt erwiesen sich somit alle Angriffspunkte der Beschwerde als unbegründet, sodass hierdurch die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht in Frage gestellt werde.
Zulassung der Hilfsanträge
Es habe im erstinstanzlichen keine Veranlassung für die Beschwerdegegnerin gegeben, Hilfsanträge einzureichen, da die Einspruchsabteilung in ihrer Mitteilung vom 11. Juni 2013 der vorläufigen Auffassung war, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents nicht entgegenzustehen scheint, siehe Punkt 2.1.7. In der Folge sei der Einspruch gegen das Europäische Patent zurückgewiesen worden. Da die Kammer in Punkt 7.3 der Mitteilung vom 17. März 2017 ihre Zweifel geäußert habe, ob Merkmal k) des Anspruchs 1 wie erteilt eine erfinderische Tätigkeit begründen kann, sei hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents mit der Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag 1 oder 2 beantragt worden. Diese Hilfsanträge seien im Beschwerdeverfahren zuzulassen, da sie als Reaktion auf die Mitteilung der Kammer zu betrachten seien. Ansprüche 1 des Hilfsantrag 1 bzw. 2 seien im Wesentlichen Kombinationen der erteilten Ansprüche 1 und 2 bzw. 1, 3, 4 und 5, wobei in Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 lediglich der Griff weiter präzisiert wurde.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Verspätetes Vorbringen
2.1 Gemäß Artikel 12 (4) Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) steht es im Ermessen der Kammer, Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind.
Druckschrift E7 wurde erst mit der Beschwerdebegründung eingereicht, also nach Ablauf der Einspruchsfrist und gilt somit als ein verspätet vorgebrachtes Beweismittel.
Mit der Mitteilung vom 11. Juni 2013 hat die Einspruchsabteilung unter Berücksichtigung der Druckschriften E1 bis E6 festgestellt, dass der beanspruchte Gegenstand auf einer erfinderischen Tätigkeit zu beruhen scheint. Spätestens zu diesem Zeitpunkt bestand also für die Beschwerdeführerin eine Veranlassung ihren Vortrag zu ergänzen. Die Vorlage der Druckschrift E7 war also bereits im erstinstanzlichen Verfahren veranlasst und hätte dort vorgebracht werden können und müssen.
2.2 Die verspätet vorgebrachte Druckschrift E7 wird daher nicht zum Beschwerdeverfahren zugelassen.
3. Einwand mangelnder erfinderischen Tätigkeit, Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ 1973
3.1 Die im Absatz [0005] des Streitpatents zitierte Druckschrift E2 stellt den nächstliegenden Stand der Technik dar.
Diese Druckschrift offenbart einen Anleger, der alle Merkmale des Oberbegriffs sowie das erste, zweite und vierte kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 1 wie erteilt offenbart. Figur 2 zeigt das Gerät 2 mit der Kassette 3, worin sich Papierblätter ("papersheets 5") befinden. Die Papierblätter 5 werden jeweils vom oberen Ende des Papierstapels abgezogen, siehe auch Figur 4. Dementsprechend befindet sich die Abzugsöffnung ("slit 9") an der Oberseite der Kassette 3.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin vorgetragen, dass Druckschrift E2 keine "Etiketten" sondern Kopierpapier offenbare, das andere Dimensionen hätte.
Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Anspruch 1 des Hauptantrags betrifft "einen Anleger mit einer in dem Anleger (2) gestapelte Etiketten oder dgl." (Unterstreichung durch die Kammer) und ist somit nicht auf Etiketten beschränkt.
3.2 Anspruch 1 wie erteilt unterscheidet sich von dem aus der Druckschrift E2 bekannten Anleger dadurch, dass
i) "sodass die anschliessende, in Förderrichtung (F) vordere Wand (8) der Kassette (1) den Teilstapel über der Entnahmeöffnung (5) zurückhält",
k) "[die Abzugsöffnung (7) ... ] an der Unterseite der in dem Magazin (3) eingebauten Kassette (1) angeordnet ist" (Hervorhebung der Kammer) und
l) "die Abzugsöffnung (7) in den sich gegenüberliegenden Seitenwänden (11, 12) der Kassette (1) eine von einem Bogen- resp. einem Kreisbogen geformte Ausnehmung bildet, an die die Abzugsrolle (10) angepasst ist",
wobei die Bezeichnung der Merkmale der Merkmalsanalyse der Beschwerdeführerin entspricht.
Merkmale i) und k) bewirken, dass jeweils das untere Etikett oder dgl. abgezogen wird, hingegen beim Anleger nach der Druckschrift E2 das obere Etikett.
3.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 löst die in Absatz [0009] der Patentschrift genannte Aufgabe.
3.4 Dem Fachmann sind Anleger bekannt, bei dem Etiketten oder dgl. jeweils vom oberen Ende des Papierstapels abgezogen werden (vgl. Druckschrift E2) als auch Anleger bei dem Etiketten oder dgl. jeweils vom unteren Ende des Papierstapels abgezogen werden (vgl. die im Absatz [0002] des Streitpatents zitierte Druckschrift E1, Absatz [0063] und Figuren 7, 9 und 10).
Ausgehend von der aus der Druckschrift E2 bekannten Anleger würde der Fachmann, beide Alternativen in Betracht ziehen und die Abzugsöffnung an der Unterseite einer Kassette anzuordnen, wenn die Papierblätter jeweils vom unteren Ende des Papierstapels abgezogen werden sollen.
Deshalb ist das unterscheidende Merkmal k) (und damit auch Merkmal i)) für den Fachmann naheliegend.
3.5 Dem Streitpatent ist nicht explizit zu entnehmen, welche Vorteile die konstruktive Maßnahme nach Merkmal l) bietet. Aus der Druckschrift E4 war es aber bereits bekannt, halbkreisförmige Ausnehmungen in den Seitenwände der Kassette 40 für die Welle der Abzugsrolle vorzunehmen. Das gleiche gilt für die Druckschrift E5, die (rechteckige) Aussparungen in den Seitenwänden 1c der Kassette 1 für die Welle 4 zeigt, siehe Figur 1. Und auch aus Druckschrift E3 sind Aussparungen in Seitenwänden für Wellendurchführungen bekannt. Diese Druckschriften zeigen deutlich welche fachmännischen Maßnahmen der Fachmann ergreifen würde. Wenn die Abzugsrolle 16 der Druckschrift E2 eine Länge hat, die größer als die Breite des Kassettenbodens ist, wird der Fachmann also aufgrund fachmännischer Überlegungen entsprechende Ausnehmungen in den Seitenwänden der Kassette für die Abzugsrolle selbst vorsehen.
3.6 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags beruht deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973.
4. Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten
4.1 Die Beschwerdegegnerin hat mit Schreiben vom 28. April 2017 zum ersten Mal im Einspruchsbeschwerdeverfahren Hilfsanträge 1 und 2 eingereicht.
4.2 Gemäß Artikel 13 (1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens nach Einreichung der Beschwerdebegründung oder der Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt. Nach ständiger Rechtsprechung (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage, IV.E.4.4.1) können auch die Erfolgsaussichten des Antrags bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt werden.
Nach Artikel 13 (3) VOBK werden Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zugelassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder dem bzw. den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen nicht zuzumuten ist.
4.3 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das Merkmal "dass auf der gegenüberliegenden Seite der Abzugsöffnung (7) ein durch eine Öffnung (17) in der Kassette (1) auf den Etikettenstapel einwirkendes Druckorgan (25) angeordnet ist".
Das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 ist jedoch aus der Druckschrift E2 bekannt, da diese Druckschrift (siehe Figur 2 und Spalte 3, Zeilen 30 bis 43) ein durch eine Öffnung auf den Papierstapel einwirkendes Druckorgan ("pushing-up roller 17") offenbart, das auf der gegenüberliegenden Seite der Abzugsöffnung ("feed roller opening 6" angeordnet ist. Somit besteht keine Erfolgsaussicht, die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 mit diesem Merkmal zu begründen.
Deshalb wird Hilfsantrag 1 nicht zum Beschwerdeverfahren zugelassen, Artikel 13 (1) VOBK.
4.4 Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass der Ausdruck "dass die Kassette (1) aus einem nichtmetallischen Werkstoff, beispielsweise aus Kunststoff, Karton oder Papier als Faltschachtel aus einem konfektionierten Bogen (13) ausgebildet ist und einen Griff (24) zur Entnahme von dem Magazin (3) aufweist, der durch einen von einer Perforation am Bogen (13) begrenzten, umlegbaren Lappen (24), der abhebbar oder bei wenigstens teilentleerter Kassette (1) in diese eindrückbar ist, entsteht" am Ende des Anspruchs aufgenommen worden ist.
Der nicht-unterstrichene Teil des ersten Halbsatzes des Ausdrucks entspricht den zusätzlichen Merkmalen der Ansprüche 3 bis 5 wie erteilt, der unterstrichene Teil des ersten bzw. zweiten Halbsatzes ist Absatz [0025] bzw. Spalte 5, Zeilen 37 bis 42 des Patents entnommen.
Da die aus der Beschreibung des Patents entnommenen zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 weder im Einspruchs- noch im bisherigen Beschwerdeverfahren eine Rolle spielten, würde sich bei Zulassung dieses Antrags der Schwerpunkt der Diskussion auf bisher nicht diskutierte Sachverhalte verlagern. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs müsste die Verhandlung vertagt worden, um der Beschwerdeführerin ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme und eventuell zur Durchführung einer zusätzlichen Recherche zu geben.
Aus diesen Gründen wird Hilfsantrag 2 der Beschwerdegegnerin nicht zugelassen werden, Artikel 13 (1) und (3) VOBK.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.