European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T238213.20170629 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 29 Juni 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2382/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06007281.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | B23Q 39/02 B27D 5/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Bearbeitungsvorrichtung mit einer 5-Achs-Spindeleinheit | ||||||||
Name des Anmelders: | Homag Holzbearbeitungssysteme AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | BIESSE S.p.A. | ||||||||
Kammer: | 3.2.08 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulässigkeit des Einspruchs - (ja) Erfinderische Tätigkeit - (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag und Hilfsantrag |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Mit der am 2. Oktober 2013 zur Post gegebenen Zwischenentscheidung wurde festgestellt, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem damals geltenden Hilfsantrag 1 das europäische Patent Nr. 1842621 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.
II. Die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) und die Beschwerdeführerin II (Einsprechende) haben gegen diese Entscheidung jeweils form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.
III. Am 29. Juni 2017 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
Am Ende der Verhandlung war die Antragslage wie folgt:
Die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückweisung des Einspruchs als unzulässig, andernfalls Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt (Hauptantrag) oder auf der Basis des Hilfsantrags 1 wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten (d.h. Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden). Weiterhin beantragte sie u.a. das Dokument E16 nicht in das Verfahren zuzulassen.
Die Beschwerdeführerin II (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
IV. Folgende Entgegenhaltungen waren für die vorliegende Entscheidung relevant:
E0: Affidavit, Davide Andreatini vom 12. September 2011;
E5-D: Gebrauchsanweisung der Maschinen Rover C 3.30, 6.40, 6.50, 6.65, 6.50 TWIN und 6.65 TWIN auf Deutsch; E5-F: Gebrauchsanweisung E5-D auf Französisch;
E6: Rechnung Biesse für Maschine ROVER C6.65 TWIN vom 16. Februar 2006;
E7: Interner Auftrag für Maschine ROVER C6.65 Conf 2 Edge;
E8: Lieferbescheinigung für Maschine ROVER C6.65 TWIN vom 14. Februar 2006
E9: Arbeitsprotokoll mit Maschine ROVER C6.65E TWIN vom 9. März 2006;
E10: Katalog ROVER C TWIN, Apr. 05;
E12: DE-A-44 05 214;
E16: Dubbel, Manuale di Ingegneria Meccanica, 1. edizione italiana della 15. edizione tedesca, Seite 1070, Springer 1998, mit zugehöriger Übersetzung ins Englische.
V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (Patent wie erteilt) hat folgenden Wortlaut:
"Bearbeitungsvorrichtung (1), insbesondere Bearbeitungszentrum zur Bearbeitung von Werkstücken, die bevorzugt zumindest teilweise aus Holz, Holzwerkstoffen, Kunststoff oder dergleichen bestehen, mit:
einem Aufspanntisch (2) zur Aufspannung der zu bearbeitenden Werkstücke,
einer balkenförmigen Führungseinrichtung (4), die sich zumindest abschnittsweise über den Aufspanntisch (2) erstreckt, wobei der Aufspanntisch (2) und die balkenförmige Führungseinrichtung (4) in zumindest einer ersten Richtung in Bezug zueinander verfahrbar sind,
einer ersten Spindeleinheit (6), die als 4-Achs-Spindeleinheit ausgebildet auf einer ersten Seite der Führungseinrichtung (4) in zumindest einer zweiten Richtung verfahrbar angeordnet ist, wobei
die Bearbeitungsvorrichtung ferner eine zweite Spindeleinheit (10) aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Bearbeitungsvorrichtung eine Kantenanleimeinrichtung (8) aufweist, die auf einer der ersten Seite gegenüberliegenden zweiten Seite der Führungseinrichtung (4) angeordnet ist,
die zweite Spindeleinheit als 5-Achs-Spindeleinheit ausgebildet ist, die eine Spindel aufweist, welche um eine senkrecht zu Ihrer Erstreckungsrichtung verlaufende Achse schwenkbar ist, wobei
die zweite Spindeleinheit (10) auf der ersten Seite der Führungseinrichtung (4) angeordnet ist und mit der ersten Spindeleinheit zum Verfahren entlang der Führungseinrichtung gekoppelt ist."
VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 (wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten) enthält zusätzlich zu Anspruch 1 wie erteilt das Merkmal, wonach:
"die Führungseinrichtung (4) als Portal ausgebildet ist".
VII. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin I im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Mangelnde Zulässigkeit des Einspruchs
Aus der Einspruchsschrift sei nicht nachvollziehbar, warum die Patentfähigkeit der erteilten Ansprüche nicht gegeben sein sollte. Wie bereits in der Erwiderung auf die Einspruchsschrift bemängelt, stellten die in Punkt 1.2.1 und 1.2.2 des Einspruchsschriftsatzes gemachten Aussagen reine Behauptungen dar, ohne dass erläutert werde, wo die angeblich vorweggenommenen Merkmale in den beigebrachten Beweismitteln aufzufinden seien. Die Identifizierung der Merkmale in den Entgegenhaltungen habe somit der Patentinhaberin bzw. der Einspruchsabteilung oblegen, was insbesondere den strengen Kriterien im Hinblick auf die hier geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen nicht genüge. Daher seien die Erfordernisse von Regel 76(2) c) nicht erfüllt, und der Einspruch gemäß Regel 77(1) EPÜ als unzulässig zu verwerfen.
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag
Die als nächstliegender Stand der Technik angeführte offenkundige Vorbenutzung V2 der Maschine Rover C6.65 Twin sei - wenn überhaupt - nur sehr knapp vor dem Anmeldetag des Patents erfolgt. Zwischen dem in E6 genannten Lieferdatum, dem 16.2.2006, und dem Anmeldetag des Patents, dem 6.4.2006 lägen nicht einmal 2 Monate. In diesem sehr kurzen Zeitraum könne durchaus noch eine Geheimhaltungsvereinbarung vorgelegen haben. Denkbar sei auch, dass die Maschine lediglich zu Testzwecken aufgebaut worden sei. Der kurze Zeitraum lasse es weiterhin fraglich erscheinen, ob genau die als E5-F eingereichte Gebrauchsanweisung tatsächlich an den Kunden verteilt wurde. Die Beschwerdeführerin I habe dabei keine Möglichkeit, diese Punkte zu klären, sondern sei auf eigene Vermutungen bzw. auf Behauptungen der Beschwerdeführerin II angewiesen, so dass die Beweislast bei dieser liege. Im Falle einer angeblichen offenkundigen Vorbenutzung sei jedoch das Kriterium der absoluten Gewissheit anzuwenden, so dass die Vorbenutzung V2 nicht als bewiesen angesehen werden könne.
Falls die Vorbenutzung V2 dennoch als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht beurteilt werden sollte, so sei unstreitig, dass sich der beanspruchte Gegenstand dadurch von dieser unterscheide, dass erstens die zweite Spindeleinheit als 5-Achs-Spindeleinheit ausgebildet sei und zweitens die 5-Achs-Spindeleinheit eine Spindel aufweise, welche um eine senkrecht zu ihrer Erstreckungsrichtung verlaufende Achse schwenkbar sei. Eine solche 5-Achs-Spindeleinheit erhöhe - wenn nötig - die Flexibilität der erfindungsgemäßen Bearbeitungsvorrichtung, wobei für Bearbeitungsvorgänge, bei denen diese Flexibilität nicht erforderlich sei, weiterhin die genauere 4-Achs-Spindeleinheit zur Verfügung stehe.
Das Patent löse somit die technische Aufgabe, bei Beibehaltung der Bearbeitungsgenauigkeit die Flexibilität der Bearbeitung zu erhöhen.
Die E12 habe dagegen eine völlig andere Zielsetzung, nämlich, siehe Spalte 1, Zeilen 30 bis 49, durch gleichzeitige spiegelsymmetrische Bearbeitung mit zwei gegenbewegten 5-Achs-Spindeln die Wirtschaftlichkeit bei der Herstellung spiegelsymmetrischer Werkstücke zu steigern. Der Lehre der E12 folgend würde der Fachmann somit allenfalls 2 gegenbewegte 5-Achs-Spindeleinheiten vorsehen. Diese wären allerdings weder im Sinne des Anspruchs entlang der Führungseinrichtung gekoppelt, noch könnte so die Bearbeitungsgenauigkeit beibehalten werden. Lediglich eine rückschauende Betrachtungsweise könne den Fachmann veranlassen, eine einzelne 5-Achs-Spindel aus der Bearbeitungseinheit gemäß E12 zu isolieren und diese anstatt der zweiten 4-Achs-Spindel in der vorbenutzten Maschine zu installieren. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die balkenförmige Führungseinrichtung gemäß V2 gar nicht geeignet sei, eine im Vergleich zu einer 4-Achs-Spindel deutlich größere und schwerere 5-Achs-Spindel aufzunehmen. Wie E5, Seiten 233, 234 zu entnehmen, seien zur gemeinsamen Aufnahme einer 4- und einer 5-Achs-Spindeleinheit massive, den Rahmen routinemäßig durch den Fachmann vorzunehmender Umbauten weit übersteigende Anpassungen am Auslegearm erforderlich.
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags beruhe daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1 - Nicht-Zulassung von E16 in das Verfahren
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 definiere zusätzlich, dass die Führungseinrichtung als Portal ausgebildet sei. Dieses Merkmal wirke einer durch die schwerere und größere 5-Achs-Spindel verursachten ungenaueren Positionierung entgegen. Die Kombination der Merkmale 5-Achs-Spindel und Ausbildung als Portalmaschine lösten somit synergistisch die unstreitig darin bestehende Aufgabe die Flexibilität im Hinblick auf die Art der bearbeitbaren Werkstücke, unter Beibehaltung der Präzision der Bearbeitung, zu erhöhen. Um zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen müsste der Fachmann die Lehre zweier Dokumente, nämlich der E12 und der E16 kombinieren, wobei E16 ohne Rechtfertigung verspätet, zunächst unlesbar und in einer Nicht-Amtssprache eingereicht und zudem prima facie nicht relevant sei. Dieses Dokument solle daher nicht in das Verfahren zugelassen werden. Sollte das Dokument dennoch Berücksichtigung finden, so könne allenfalls eine rückschauende Betrachtungsweise den Fachmann dazu veranlassen, zum einen die Lehre einer anspruchsgemäßen 5-Achs-Spindel aus der E12 und zum anderen die Lehre einer Portalmaschine aus der E16 zu isolieren, und diese beiden Lehren dann zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu kombinieren. Dahingehend hätte der Fachmann keinerlei Hinweis gehabt, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
VIII. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin II im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Zulässigkeit des Einspruchs
Die Einspruchsschrift enthalte auf den Seiten 3 und 4 und in der mit der Einspruchsschrift eingereichten Zeugenaussage von Herrn Andreatini, E0, eine detaillierte Zuordnung zwischen den Merkmalen des Anspruchs und den entsprechenden Bauteilen der Vorbenutzungen, die jeweils explizit einschließlich ihrer Identifikationsnummern genannt seien. Auch wenn diese Zuordnung auf den Seiten 5 bis 7 nicht wiederholt werde, so sei doch klar ersichtlich, an welcher Stelle der die Vorbenutzung belegenden Dokumente, die jeweiligen Anspruchsmerkmale offenbart seien. Die Einspruchsschrift gebe somit die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel an, auf welche der Einspruch gestützt werde. Der Einspruch sei daher zulässig.
Mangelnde erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag
Für die Zuerkennung einer durch Benutzung öffentlich zugänglich gemachten Vorbenutzung zum Stand der Technik spiele es keine Rolle, wie lange vor dem Anmeldetag die öffentliche Zugänglichmachung stattgefunden habe. Der Verkauf der Maschine Rover C6.65 TWIN gemäß Vorbenutzung V2 sei durch die Verkaufsbestätigung E6, den internen Auftrag E7, den Lieferschein E8, sowie das Inbetriebnahmeprotokoll E9 lückenlos nachgewiesen. Gemäß der Richtlinie 98/37/EG des europäischen Parlaments und des Rates sei mit der Maschine zwingend eine Gebrauchsanweisung auszuhändigen die als E5-D bzw. E5-F ebenfalls vorgelegt worden seien. Der Aufbau des ausgelieferten Maschinentyps sei aus E5-D, Seite 240 und E10, Seite 9 ersichtlich. Die Maschine der Vorbenutzung V2 sei somit Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ.
Bezüglich der in der Vorbenutzung V2 nicht gezeigten technischen Merkmale bestehe in der Tat Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin I. Allerdings sei die technische Aufgabe im Falle des Hauptantrags lediglich darin zu sehen, die Flexibilität der Bearbeitung zu erhöhen. Für die von der Beschwerdeführerin I zusätzlich in der Aufgabe formulierte Beibehaltung der Genauigkeit gebe es im Patent dagegen weder einen Anhalt, noch fände diese Ausdruck in einem Anspruchsmerkmal.
Die Verwendung von 5-Achs-Spindeln mit senkrecht zur Spindelerstreckungsrichtung verlaufender zusätzlicher Achse sei dem Fachmann jedoch zur Bearbeitung von Werkstücken mit komplexen Form- bzw. Kantengeometrien bekannt, wie auch aus E12, Spalte 6, Zeilen 41-48 ersichtlich. Es sei daher für den Fachmann naheliegend gewesen, eine der 4-Achs-Spindeln der aus der Vorbenutzung V2 bekannten Bearbeitungsmaschine durch eine derartige 5-Achs-Spindel zu ersetzen. Die Anpassung der balkenförmigen Führungseinrichtung an das höhere Gewicht einer 5-Achs-Spindeleinheit liege dabei im Rahmen des fachmännischen Könnens.
Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beruhe somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Mangelnde erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1 -Zulassung von E16 in das Verfahren
Die Konstruktion einer balkenförmigen Führungseinrichtung als Portal sei eine dem Fachmann seit Jahren wohlbekannte Alternative zur Auslegerbauweise, wobei dem Fachmann ebenfalls bekannt sei, dass die Portalbauweise die auftretenden Kräfte symmetrisch auffangen und so die bei der Auslegerbauweise auftretenden Biegemomente verhindern könne. Dieses allgemeine Fachwissen sei z.B. dem Dokument E16 zu entnehmen, welches zur Untermauerung der bereits im Einspruchsverfahren vorgebrachten Argumentation, wonach ein Portal eine stabilere und somit präzisere, naheliegende Alternative zum Ausleger darstelle, mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden sei. Dabei sei unerheblich, in welcher Sprache das Dokument ursprünglich eingereicht wurde, es müsse lediglich - wie geschehen - auf Anforderung des EPA eine Übersetzung vorgelegt werden. Dokument E16 solle somit in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden.
In Anbetracht des in E16 belegten Fachwissens sei es als naheliegend anzusehen, eventuell durch die in naheliegender Weise zur Erhöhung der Flexibilität vorzusehende 5-Achs-Spindeleinheit auftretende Biegemomente mittels einer Portalbauweise abzufangen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 beruhe somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit des Einspruchs
Die Beschwerdeführerin I hat vorgebracht, dass aus der Einspruchsschrift nicht nachvollziehbar sei, warum die Patentfähigkeit der erteilten Ansprüche nicht gegeben sein sollte.
Zwar wird in Punkt 1.2.1 und 1.2.2 (Seiten 5 bis 8) der Einspruchsschrift nicht auf konkrete Passagen der Dokumente E5, E7 und E10, bzw. E2 und E5 verwiesen, in denen die genannten Anspruchsmerkmale offenbart sind. Jedoch ist auf den vorhergehenden Seiten 3 und 4 (siehe die nicht ausgefüllten "bullet points") für beide behauptete Vorbenutzungen ausführlich diskutiert, auf welchen Seiten der E5 und E10 bzw. mit welchen Identifikationsnummern der E2 und E7 bestimmte unter den Anspruchswortlaut fallende Baueinheiten, wie "bridge crane", "five-axis spindle unit", "four-axis spindle unit" oder "edge-banding unit" offenbart sind. Bei fortlaufendem Lesen der Einspruchsschrift ist eine Zuordnung der Anspruchsmerkmale zu den in der Vorbenutzung offenbarten Baugruppen somit gegeben. Zusätzlich sind auch im "Affidavit" von Herrn Andreatini (E0) die Vorbenutzungen ausführlich beschrieben, jeweils mit einem Hinweis, wo die einzelnen technischen Merkmale der vorbenutzten Gegenstände in den mit eingereichten Beweismitteln zu finden sind. Die Einspruchsschrift gibt daher sowohl an, auf welchen Einspruchsgrund der Einspruch gestützt wird (mangelnde erfinderische Tätigkeit, siehe Seite 8, der Absatz vor Punkt 2), als auch die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen unter Bezugnahme auf die vorgelegten Beweismittel.
Somit ist der Einspruch zulässig (Artikel 99(1) und Regeln 76(2) (c), 77(1) EPÜ)
2. Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag
Die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit beginnt mit dem Hilfsantrag, da diesbezüglich sowohl die Unterscheidungsmerkmale zur Vorbenutzung V2, als auch die zu lösende technische Aufgabe zwischen den Parteien unstreitig ist.
2.1 Offenkundige Vorbenutzung V2, Verkauf an Taillibert - Sias
Die Kammer sieht die behauptete Lieferung der Maschine Rover C6.65 Twin der Biesse France an die Firma Taillibert-Sias als hinreichend bewiesen an. Der Verkauf und die Lieferung ist durch die konsistent die Auftrags-Nummer 43557 aufweisenden Dokumente "Rechnung" (E6), "Interner Auftrag" (E7), "Lieferbescheinigung" (E8) und "Arbeitsprotokoll" (E9) belegt. Ausweislich der Rechnung E6 wurde die Maschine am 16. Februar 2006 geliefert. Aus E9, den Arbeitsprotokollen, folgt, dass ab diesem Zeitpunkt mit dem Aufbau der Maschine und der Schulung der Mitarbeiter begonnen, und am 9. März 2006 die Maschine in Betrieb genommen wurde. Die Tatsache, dass die Lieferung nur wenige Wochen vor dem Anmeldetag des Patents erfolgte ist unbeachtlich, da es sich ausweislich der vorgelegten Dokumente um einen normalen Verkauf handelte, und keinerlei Anhaltspunkte vorliegen, die für eine Geheimhaltung (z.B. im Rahmen einer Aufstellung zu Testzwecken) sprächen. Die Kammer sieht es somit aufgrund der vorgelegten Beweismittel als erwiesen an, dass die genannte Maschine durch Benutzung der Öffentlichkeit vor dem Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung zugänglich gemacht worden ist.
Dem Dokument E7 ist zu entnehmen, dass es sich bei der so öffentlich zugänglich gemachten Maschine um eine Bearbeitungsvorrichtung vom Typ Rover C 6.65 Conf 2 Edge der "Composizione C2-A2" (Seite 3, No. 7800216) mit zwei 4-Achs-Spindeleinheiten (Slot 1 und 5, E7, Seite 3, je No. 7212056) und einer Kantenanleimeinrichtung (E7, Seite 4, No. 7240100 "gruppo a bordare") handelte. Dies ist konsistent mit der in der Gebrauchsanleitung E5, Seite 240 oben gezeigten Ausführungsform Rover C 6.# TWIN Konf 2- A2/P1 EG-Version (genauso Seite 239 der französischen Version der Gebrauchsanleitung E5-F) und mit der entsprechenden Ausführung im Katalog zur Maschine Rover C Twin, siehe E9, Seiten 8 und 9.
2.2 Es ist unstreitig, dass sich der in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 beanspruchte Gegenstand von der gelieferten Maschine Rover C6.65 Twin (wie in E5 bzw. E10 dargestellt) darin unterscheidet, dass
(1) die zweite Spindeleinheit als 5-Achs-Spindeleinheit ausgebildet ist,
(2) die 5-Achs-Spindeleinheit eine Spindel aufweist, welche um eine senkrecht zu ihrer Erstreckungsrichtung verlaufende Achse schwenkbar ist und
(3) die Führungseinrichtung als Portal ausgebildet ist.
2.3 Diese Merkmale ermöglichen die Bearbeitung von Werkstücken mit einer praktisch beliebigen Form (Patent Paragraph [0008]), ohne dass die im Vergleich zur 4-Achs-Spindel schwerere 5-Achs-Spindel zu einer die Genauigkeit der Positionierung beeinträchtigenden Verformung der als Ausleger ausgebildeten Führungseinrichtung führen würde.
2.4 Die technische Aufgabe kann damit - ebenfalls unstreitig - darin gesehen werden, die Flexibilität im Hinblick auf die Art der bearbeitbaren Werkstücke, unter gleichzeitiger Beibehaltung der Präzision, zu erhöhen (Paragraph [0006] des Patents).
2.5 Zulassung von E16 in das Beschwerdeverfahren
E16 wurde von der Beschwerdeführerin II zusammen mit der Beschwerdebegründung zur Untermauerung des bereits im Einspruchsverfahren vorgebrachten Arguments eingereicht, wonach dem Fachmann die Ausbildung einer Maschine als Portal als stabilere und somit präzisere Alternative zum Ausleger bekannt sei (Entscheidung, Seite 7, Zeilen 13ff). Die Einreichung dieses Dokument wird daher als adäquate, durch den Verlauf des Verfahrens begründete Reaktion angesehen. Zwar war das zunächst eingereichte Dokument kaum lesbar und nicht in einer Amtssprache. Es wurde jedoch innerhalb der von der Kammer gesetzten Frist die gemäß Regel 3(3) EPÜ angeforderte Übersetzung - in gut lesbarer Qualität -nachgereicht. Da die Beschwerdeführerin I nicht von der wesentlichen Stoßrichtung des Dokuments überrascht sein kann (siehe Beschwerdeschrift der Beschwerdeführerin II, Seite 3, Zeilen 31ff), das Dokument kurz und leicht verständlich ist und überdies einem Standardwerk des Fachwissens im Maschinenbau entstammt, wird das Dokument E16 in das Verfahren zugelassen.
2.6 Zur Lösung der in Punkt 2.4 formulierten Aufgabe würde der Fachmann die Lehre der E12 konsultieren, die ebenfalls eine gattungsgemäße Bearbeitungsvorrichtung zeigt. Das Dokument offenbart (Spalte 6, Zeilen 41 bis 45), dass durch Vorsehen einer zusätzlichen, senkrecht zur Spindelachse verlaufenden Schwenkachse (siehe Abbildung 7) das Fräswerkzeug auch schräg gestellt werden kann, was in für den Fachmann offensichtlicher Weise in einer Erhöhung der Flexibilität der zu bearbeitenden Werkstücke resultiert. Zwar steht diese Lehre in Zusammenhang mit einer möglichst effizienten Bearbeitung spiegelsymmetrischer Werkstücke. Der Fachmann würde jedoch ohne weiteres erkennen, dass die Zunahme der Flexibilität des jeweiligen Einzelwerkzeugs von der spiegelsymmetrischen Bearbeitung unabhängig ist und wäre somit veranlasst, eine der aus der Vorbenutzung V2 bekannten 4-Achs-Spindeleinheiten durch eine solche 5-Achs-Spindeleinheit zu ersetzen, um die gestellte Aufgabe zu lösen. Im Zusammenhang mit der Maschine gemäß Vorbenutzung V2, die nicht auf die Bearbeitung spiegelsymmetrischer Werkstücke beschränkt ist, besteht zudem kein Grund eine zweite, gegenbewegte 5-Achs-Spindel vorzusehen. Vielmehr würde der Fachmann das in der V2 Maschine realisierte Konzept der zwei gekoppelten Spindeln beibehalten, wobei die Ausbildung einer dieser Spindeln als 5-Achs-Spindel die gewünschte gesteigerte Flexibilität ergibt.
2.7 Es ist zwar richtig, dass das höhere Gewicht der 5-Achs-Spindeleinheit zu einer die Präzision vermindernden Deformation des aus V2 bekannten Auslegearms führen kann. Jedoch ist dem Fachmann aus dem in E16 belegten Fachwissen bekannt, dass Bearbeitungsmaschinen grundsätzlich sowohl als Ausleger, als auch als Portal ausgeführt werden können, wobei die beiden Säulen der Portalbauweise die Last symmetrisch aufnehmen und so eine Verbiegung verhindern. Es ist daher für den Fachmann naheliegend, bei einer durch Montage der 5-Achs-Spindeleinheit bedingten, die Präzision vermindernden Deformation des aus V2 bekannten Auslegearms, dieser dadurch zu begegnen, die Maschine als Portal auszuführen. Eine Ausführung als Portal liegt dabei - angesichts der seit langem bekannten Portalbauweise - durchaus im Rahmen des fachmännischen Könnens.
Der Gegenstand von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3. Hauptantrag
Der in Punkt 2 als nicht erfinderisch erkannte Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags fällt unter den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags, der sowohl die Ausleger-, als auch die Portalbauweise umfasst. Dieser beruht daher ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.