European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2016:T227713.20160728 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 28 Juli 2016 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2277/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08774235.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | F41H 7/04 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | PANZERUNG FÜR KRAFTFAHRZEUG | ||||||||
Name des Anmelders: | Ackermann, Klaus | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG | ||||||||
Kammer: | 3.2.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | - | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Mit Entscheidung vom 30. August 2013 hat die Einspruchsabteilung das Europäische Patent Nr. 2156136, auf der Grundlage der Europäischen Patentanmeldung
EP 08774235.9, widerrufen.
In ihrer Entscheidung kam die Einspruchsabteilung unter anderem zum Ergebnis, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des damaligen Hilfsantrags IV nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruhe.
II. Gegen die vorgenannte Entscheidung der Einspruchsabteilung hat der Patentinhaber (im Folgenden: Beschwerdeführer) am 7. November 2013 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdegebühr wurde am selben Tag entrichtet und die Beschwerdebegründung am 9. Januar 2014 eingereicht.
III. Die Parteien haben folgende Anträge gestellt:
Der Beschwerdeführer beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der Ansprüche des Hauptantrags, hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche des Hilfsantrags 1, beide Anträge eingereicht mit der Beschwerdebegründung, oder auf der Grundlage der Hilfsanträge 2 bis 7, eingereicht mit dem Schreiben vom 8. Juli 2016, aufrechtzuerhalten. Weiterhin beantragte der Beschwerdeführer, das Dokument D18 nicht in das Verfahren zuzulassen.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und den Einwand mangelnder Neuheit basierend auf D18 hinsichtlich Anspruch 2 des Hauptantrags zuzulassen.
IV. Im Beschwerdeverfahren herangezogene Dokumente:
D4: DE-U- 93 14 982
D7: DE-A- 36 27 485
D8: US-A- 3 855 898
D18: WO-A- 80/000184
V. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags lauten:
a) Anspruch 1:
"Panzerung für Boden und Seite eines Personenkraftfahrzeugs, aufweisend:
einen gepanzerten Bodenabschnitt (10), der am Boden (1) des Fahrzeugs anzuordnen ist, und
einen gepanzerten Seiten abschnitt (20), der an einer Seite des Fahrzeugs im Bereich einer Fahrzeugöffnung (2) anzuordnen ist und mit der Fahrzeugöffnung (2) beweglich ist, wobei
der gepanzerte Bodenabschnitt (10) im Fahrzeuginnenraum anzuordnen ist,
der gepanzerte Bodenabschnitt (10) im Bereich der Fahrzeugseite zumindest bis unter den gepanzerten Seitenabschnitt (20) und an diesen heran geführt ist, und
der Bodenabschnitt (10) im Bereich der Fahrzeugseite im Wesentlichen gestuft ausgestaltet ist."
Anspruch 1 mit der von dem Beschwerdeführer eingeführten Merkmalsgliederung:
A "Panzerung für Boden und Seite eines Personenkraftfahrzeugs, aufweisend:
B einen gepanzerten Bodenabschnitt (10), der am Boden (1) des Fahrzeugs anzuordnen ist,
B' der gepanzerte Bodenabschnitt (10) im Fahrzeuginnenraum anzuordnen ist, und
C einen gepanzerten Seitenabschnitt (20), der an einer Seite des Fahrzeugs im Bereich einer Fahrzeugöffnung (2) anzuordnen ist
D [der gepanzerte Bodenabschnitt (10)] mit der Fahrzeugöffnung (2) beweglich ist, wobei
E der gepanzerte Bodenabschnitt (10) im Bereich der Fahrzeugseite zumindest bis unter den gepanzerten Seitenabschnitt (20) und an diesen heran geführt ist, und
F1 der Bodenabschnitt (10) im Bereich der Fahrzeugseite im Wesentlichen gestuft ausgestaltet ist."
b) Anspruch 2:
"Panzerung für Boden und Seite eines Personenkraftfahrzeugs, aufweisend:
einen gepanzerten Bodenabschnitt (10), der am Boden (1) des Fahrzeugs anzuordnen ist, und
einen gepanzerten Seitenabschnitt (20), der an einer Seite des Fahrzeugs im Bereich einer Fahrzeugöffnung (2) anzuordnen ist und mit der Fahrzeugöffnung (2) beweglich ist, wobei
der gepanzerte Bodenabschnitt (10) im Fahrzeuginnenraum anzuordnen ist,
der gepanzerte Bodenabschnitt (10) im Bereich der Fahrzeugseite zumindest bis unter den gepanzerten Seitenabschnitt (20) und an diesen heran geführt ist, und
der Bodenabschnitt (10) im Bereich der Fahrzeugseite im Wesentlichen eben ausgestaltet ist."
Anspruch 2 mit der von dem Beschwerdeführer eingeführten Merkmalsgliederung
"Panzerung ...[mit den Merkmalen A, B, B', C, D und E des Anspruchs 1]
F2 der Bodenabschnitt (10) im Bereich der Fahrzeugseite im Wesentlichen eben ausgestaltet ist."
VI. Der Beschwerdeführer hat im Wesentlichen wie folgt vorgetragen:
a) Neuheit
Die Merkmale B, B', E und Fl bzw. F2 seien in D18 nicht explizit offenbart. Es könne auch dem in Figur 17 dargestellten Fahrzeug nicht entnommen werden, ob bzw. wie eine etwaige Bodenpanzerung und die Seitenpanzerung zueinander geführt werden. Der erstmals im Beschwerdeverfahren vorgetragene, auf D18 basierte Neuheitsangriff beruhe auf einer rein spekulativen Analyse der Figur 17 und sei somit außer Betracht zu lassen.
b) Erfinderische Tätigkeit
Die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 unterschieden sich von D4 nicht nur durch das Merkmal F1 bzw. F2, sondern außerdem diese Merkmale jeweils in Kombination mit einem Teil des Merkmals E, wonach nämlich der gepanzerte Bodenabschnitt an den gepanzerten Seitenabschnitt herangeführt sei (Merkmal E'). Die Entgegenhaltung D8 sei weniger relevant als D4 und zeige auch nicht die in D4 fehlenden Merkmale.
Die Kombination der Merkmale F1 und E' bzw. F2 und E' ermögliche die erfindungswesentliche technische Wirkung, den Spalt zwischen den gepanzerten Boden- und Seitenabschnitten bei Sprengungen/Explosionen zu schließen, so dass der Fahrzeuginnenraum bzw. die Fahrzeuginsassen von hohen Druckwellen geschützt sei(en).
Die objektive Aufgabe betreffe also eine Panzerung für ein Fahrzeug zu schaffen, die die Insassen gegen Ansprengwirkung von außen schütze.
Der Fachmann könne in D7, die lediglich eine Bodenpanzerung in Form einer wie ein Teppich zu verklebenden Bodenmatte offenbare, keine Anregung hinsichtlich dieser Problematik finden. Zudem sei unklar, wie, wenn überhaupt, der Fachmann den gepanzerten Bodenabschnitt von D4 bzw. D8 durch eine Bodenmatte gemäß D7 ersetzen könne.
Auch ein Heranziehen von D18 führe nicht zum beanspruchten Gegenstand, da D18 keine Lehre enthalte, ob bzw. wie eine etwaige Bodenpanzerung und die Seitenpanzerung zueinander geführt seien, so dass auch eine Zusammenschau von D4 oder D8 mit D18 nicht zur Kombination der Merkmale E' und F1 bzw. F2 führe.
VII. Die Stellungnahme der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden:
a) Neuheit
Der von ihr neu erhobene Einwand mangelnder Neuheit der Panzerung nach Anspruch 2 gegenüber D18 sei zuzulassen. Da Anspruch 2 des Hilfsantrags IV (entsprechend dem hier gestellten Hauptantrag) im Einspruchsverfahren lediglich zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht worden sei, habe die Einsprechende dort nicht über ausreichende Reaktionszeit verfügt, um den beanspruchten Gegenstand gegenüber sämtlichen im Verfahren befindlichen Beweismitteln hinsichtlich des Kriteriums der Neuheit zu prüfen.
D18 (siehe insbesondere Figur 17) sei prima facie relevant für die Neuheit des Gegenstands nach dem unabhängigen Anspruch 2.
Das Bauteil 158 stelle den gepanzerten Seitenabschnitt der Heckklappe gemäß Merkmal C) dar. Der eben ausgestalte (Merkmal F2) Bodenabschnitt der Fahrzeugbodengruppe sei ebenfalls gepanzert (Merkmal B, B'), siehe z.B. Seite 17, Zeile 8 oder Ansprüche 1 und 10. Der Figur 17 könne der Fachmann eindeutig entnehmen, dass die Schwenkachse der Heckklappe im Bereich zwischen den Seitenwänden des Fahrzeugs liegen müsse, so dass, wenn die Heckklappe in die Schließstellung geschwenkt werde, der seitliche gepanzerte Abschnitt 158 über dem gepanzerten Bodenabschnitt angeordnet sei. Folglich sei der gepanzerte Bodenabschnitt bei geschlossener Schwenkklappe zwangsläufig zumindest bis unter den gepanzerten Seitenabschnitt 158 und an diesen heran geführt.
Damit seien sämtliche Merkmale des Anspruchs 2 aus der D18 in eindeutiger Weise vorbekannt.
b) Erfinderische Tätigkeit
Wie bereits von der Einspruchsabteilung entschieden, fehle dem Gegenstand nach den unabhängigen Ansprüchen 1 und 2 die erfinderische Tätigkeit, da die beanspruchte Panzerung ausgehend von D4 bzw. D8 unter Heranziehen der Lehre von D7 bzw. D18 in naheliegender Weise für den Fachmann herzuleiten gewesen sei.
D4 (siehe insbesondere Figur 3) betreffe ein gepanzertes Personenfahrzeug (Seiten 1 und 4, jeweils erster Absatz), welches eine Panzerung für den Bodenabschnitt und die Seitenabschnitte (Türen) aufweise (Seite 8, Absatz 4 bis Seite 9, Absatz 1).
Somit offenbare D4 die Merkmale A, B, B', C und D der Ansprüche 1 und 2.
Darüber hinaus erfülle die Konstruktion gemäß D4 das Merkmal E, da die Panzerung des Bodenabschnitts hochgezogene Abschnitte aufweise, welche die unteren Schweller-Panzerungen seitlich umbördelten, bis unter die gepanzerten Seitenabschnitte reichten und an diese herangeführt seien. Im Falle einer Sprengung von schräg unten werde gemäß der in Figur 3 dargestellten Konstruktion der gepanzerte Bodenabschnitt 38 derart an die gepanzerten Seitenabschnitte herangedrückt, dass der Fahrzeuginnenraum abgeschlossen bleibe. Somit sei auch das Merkmal E bei der in D4 offenbarten Panzerungsvorrichtung verwirklicht.
Aufgrund seines Fachwissens könne der Fachmann der D8 (siehe insbesondere Spalte 2, Zeile 14 bis 20 und 64 bis 66; Anspruch 1) entnehmen, dass eine Panzerung mit Boden- und Seitenabschnitten entsprechend den Merkmalen A, B, B' und C bis E, ähnlich wie in D4, offenbart sei.
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 ließen sich daher jeweils durch ein einziges Merkmal (F1 bzw. F2) gegenüber D4 bzw. D8 unterscheiden.
Dem jeweils unterscheidenden Merkmal F1 und F2 sei jedoch keine technische Wirkung zuzumessen. Bei ihnen handele es sich lediglich um übliche Anpassungen des gepanzerten Bodenabschnitts an das Fahrzeug hinsichtlich seines Bodengruppetyps, mit dem es verbaut werde. Genau diese Funktion sei im Streitpatent (Absätze [0014] und [0015]) beschrieben.
Die Aufgabe bestehe daher lediglich darin, die Gestalt der aus D4 bzw. D8 bekannten Panzerung an ein anderes Fahrzeug bzw. an ein Fahrzeug mit einem anderen Fahrzeugbodentyp anzupassen.
Vor diese Aufgabe gestellt, müsse der Fachmann lediglich insoweit tätig werden, als er die aus D4 bzw. D8 bekannte Bodenpanzerung an den jeweiligen Fahrzeugtyp anpasse.
Bei einem Fahrzeug mit einer gestuften Ausgestaltung der Bodengruppe im Bereich des Seitenschwellers (bspw. bei einer Limousine) würde der Fachmann den Bodenabschnitt der D4 bzw. D8 durch das wannenförmige Verkleidungselement zur Panzerung des Bodenabschnittes gemäß D7 (siehe Figur; Anspruch 1; Spalte 2, Zeile 22 bis 60) ersetzen (Merkmal F1). Die wannenförmige Bodenpanzerung gemäß D7 weise Längs-Randabschnitte 1' auf, welche nach dem Einsetzen/Verkleben des Verkleidungselement auf der Bodengruppe zwangsläufig bis unter die Seitenabschnitte der Fahrzeugpanzerung herangeführt würden. Der Fachmann würde somit - ohne dabei erfinderisch tätig zu werden - zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.
Beabsichtige der Fachmann dagegen, die aus D4 bekannte Bodenpanzerung an Fahrzeuge mit ebener Bodengruppe (bspw. Geländewagen oder SUVs) anzupassen, würde er eine Anregung in D18 (Figur 17) erhalten, um einen eben geformten gepanzerten Bodenabschnitt an die gepanzerten Seitenabschnitte heran zu führen. Das Merkmal F2 sei also ebenfalls in naheliegender Weise herleitbar.
VIII. Am 28. Juli 2016 fand eine mündliche Verhandlung statt, am Ende welcher die Kammer ihre Entscheidung verkündet hat.
Entscheidungsgründe
1. Neuheit
Der auf D18 basierende Einwand der mangelnden Neuheit des Gegenstands des unabhängigen Anspruchs 2 wurde erstmals mit der Beschwerdeerwiderung von der Beschwerdegegnerin vorgetragen.
Die Zulassung des Einwands liegt somit im Ermessen der Kammer im Rahmen von Artikel 12 (4) VOBK.
1.1 Die Kammer vertritt die Auffassung, dass der auf D18 beruhende Neuheitseinwand bereits am Beginn des Einspruchverfahrens, nämlich gegen den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1, da letzterer einen breiteren Schutzumfang definiert, hätte vorgebracht werden müssen.
1.1.1 Die unabhängigen Ansprüchen 1 und 2 des damaligen Hilfsantrags IV beruhen auf der Kombination der Merkmale der Ansprüche 1, 3 und 9 bzw. 1, 3 und 10 des Streitpatents wie erteilt. Zudem wurde der Einspruch gegen das Patent im gesamten Umfang eingelegt (Formblatt 2300E, Seite 2); dazu hat die Einsprechende Einwände gegen sämtliche erteilte Ansprüche geltend gemacht, inkl. gegen die abhängigen Ansprüche 3, 9 und 10, siehe Seite 13 (Absatz b)) und Seite 16 (Absätze f) und g)) der Einspruchsbegründung.
Das Vorlegen des Hilfsantrags IV ca. 2 Wochen vor der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren stellte somit keinen neuen Sachverhalt dar, der die Einsprechende völlig überrascht haben könnte.
Das Argument, dass die Zeit zu knapp war, um die neu eingereichten Ansprüche 1 und 2 hinsichtlich der Neuheit gegenüber sämtliche im Verfahren bereits genannten Entgegenhaltungen zu prüfen, kann daher nicht überzeugen, zumal die Einsprechende gegen den breiteren erteilten Anspruch 1 einen Neuheitsmangel auf D4, D5 oder D6 basiert, jedoch gegenüber D18 nicht geltend gemacht hat. D18 wurde lediglich zur Diskussion des abhängigen Anspruchs 11 wie erteilt herangezogen, siehe Einspruchsbegründung, Seite 16, Absatz h).
Während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hat die Einsprechende zwar den Einwand mangelnder Neuheit gegen den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des Hilfsantrags IV im Vergleich zu anderen Dokumenten vorgebracht, vgl. Protokollniederschrift, Seite 3, Absätze 11.1 und 11.2. Gegen den im unabhängigen Anspruch 2 definierten Gegenstand hat sie jedoch lediglich die mangelnde erfinderische Tätigkeit auf der Basis der Kombination D4 mit D18 geltend gemacht, vgl. Protokollniederschrift, Seite 3, Absätze 11.3.
Aus dem Verfahrensablauf ergibt sich also, dass selbst aus Sicht der Einsprechenden das Dokument D18 keine eindeutig neuheitsschädliche Offenbarung gegen die Vorrichtung des Anspruchs 1, weder wie erteilt noch wie eingeschränkt gemäß dem Hilfsantrag IV, beinhaltete.
1.2 Die Behauptung der Beschwerdegegnerin, dass D18 nun ganz offensichtlich, also prima facie, einen neuheitsschädlichen Stand der Technik darstellen soll, vermag allein nicht zu überzeugen, denn sie steht im Widerspruch zu dem früheren eigenen Verhalten und beruht allenfalls auf einer geänderten, neuen Einschätzung der Offenbarung von D18.
Der Text von D18 sagt tatsächlich auch nichts über die Art und Weise, wie die Bodengruppe des Fahrzeugs gepanzert sein soll.
Anhand der Figur 17 allein die Schlussfolgerung zu ziehen, dass der gepanzerte Bodenabschnitt im Bereich der Fahrzeugseite zumindest bis unter den gepanzerten Seitenabschnitt und an diesen heran geführt ist, und dass der Bodenabschnitt im Bereich der Fahrzeugseite im Wesentlichen eben ausgestaltet ist, stellt eine rein spekulative Extrapolierung in Vorkenntnis der Erfindung dar. Es kann nämlich der schematischen Darstellung von Figur 17 keine Lehre darüber entnommen werden, ob die Panzerung der Heckklappe und der Bodengruppe sich in der Schließstellung irgendwie überlappen müssen, wie die Beschwerdegegnerin behauptet. Insbesondere ist es nicht möglich, die Lage der Schwenkachse der Klappe eindeutig festzustellen, weil die Darstellung der senkrechten Seitenteile links und rechts der Schließöffnung in der Figur 17 der D18 in dieser Hinsicht keinesfalls eindeutig, sondern vielmehr widerspruchlich sind.
1.3 Aufgrund dieser Sachlage gelangt die Kammer zum dem Ergebnis, ihr Ermessen gemäß Artikel 12 (4) VOBK dahingehend auszuüben, den auf D18 beruhenden Einwand mangelnder Neuheit gegenüber dem Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 2 nicht in das Verfahren zuzulassen bzw. nicht zu berücksichtigen.
1.4 Es wurde kein weiterer Einwand mangelnder Neuheit seitens der Beschwerdegegnerin vorgetragen.
1.5 Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, dass die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 die Erfordernisse der Neuheit im Sinne von Artikel 54 (1) EPÜ erfüllen.
2. Erfinderische Tätigkeit
2.1 Ausgehend von D4 als nächstliegendem Stand der Technik
2.1.1 D4 offenbart eine Panzerung für Boden und Seite eines Personenkraftfahrzeugs (Seite 1, Absatz 1; Seite 4, Absatz 1), die folgende Merkmale der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Streitpatents aufweist:
- einen gepanzerten Bodenabschnitt 30,38 der am Boden 36 des Fahrzeugs anzuordnen ist,
- einen gepanzerten Seitenabschnitt 60,62, der an einer Seite des Fahrzeugs im Bereich einer Fahrzeugöffnung anzuordnen ist und mit der Fahrzeugöffnung beweglich ist (Seite 9, Absatz 2; Figur 3),
- wobei der gepanzerte Bodenabschnitt 30,38 im Bereich der Fahrzeugseite sich zumindest bis unter den gepanzerten Seitenabschnitt 60,62 erstreckt (Figur 3).
Somit sind die Merkmale A, B, B', C und D sowie ein Teil des Merkmals E aus D4 bekannt.
2.1.2 Unterscheidung
Wie die Einspruchsabteilung insoweit korrekt festgestellt hat, zeigt D4 nicht das Merkmal F1 bzw. F2, denn die den gepanzerten Bodenabschnitt formende, geknickt ausgestaltete und um die Schwellerpanzerung 34 herumgeführte Aramidfasermatte 38 ist im Bereich der Fahrzeugseite weder gestuft noch eben ausgestaltet.
Darüber hinaus ist auch ein Teil (Merkmal E') des Merkmals E aus D4 nicht bekannt, da D4 weder eine explizite noch eine von den Figuren implizit herzuleitende Offenbarung enthält, dass die Aramidfasermatte 38 an den gepanzerten Seitenabschnitt herangeführt ist. Der Bodenbereich 30,38 ist somit nicht dazu geeignet, im Fall einer Sprengung von unten gegen den Seitenabschnitt der Türpanzerung gedrückt zu werden. Die von einer Explosion von unten oder von schräg unten ausgelösten Druckwellen würden dagegen eher den Seitenabschnitt der Panzerung 60,62 und die Schwellerpanzerungen 34,34' voneinander wegdrücken und somit einen kontraproduktiven Spalt zwischen den Panzerungselementen und den Schwellerpanzerungen bilden. Dieser Spalt kann auch nicht vom Bodenabschnitt 30,38 geschlossen werden.
Es ist unbestritten, dass D4 keine explizite Angabe darüber enthält, den Bodenabschnitt der Panzerung bis an die Seitenpanzerung heranzuführen. Einzig wird in D4 die Anordnung zwischen dem Bodenabschnitt und einer Schweller-Panzerung definiert. So sollen laut Anspruch 6 von D4 die beiden in Fahrzeugrichtung verlaufenden und nach oben abgekanteten Seiten der unteren Panzerplatte 30 außen um eine Schweller-Panzerung 34 überlappend herumgeführt werden, wie in Figur 3 dargestellt. Der Figur 3 kann lediglich entnommen werden, dass sich, als Folge seiner Umbordelung um die Schweller-Panzerung, der senkrecht hochgezogene Rand des Bodenabschnitts 30,38 in Richtung des gepanzerten Seitenabschnitts 62 erstreckt.
Eine Heranführung, wie sie im Merkmal E' definiert ist, bedeutet eine beabsichtigte physische Annäherung der Abschnitte und wird als solche in der Darstellung gemäß Figur 3 von D4 nicht verwirklicht.
Das Merkmal E' stellt somit jeweils eine weitere Unterscheidung dar.
Zusammenfassend gelangt die Kammer zum Ergebnis, dass die beanspruchten Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 sich von D4 nicht allein durch das Merkmal F1 bzw. F2, sondern ebenfalls durch das Merkmal E', Teil des Merkmals E, welches ein Heranführen des gepanzerten Bodenabschnitts (38) im Bereich der Fahrzeugseite an den gepanzerten Seitenabschnitt (60,62) fordert, unterscheiden.
2.1.3 Technische Wirkung
Die Kammer ist weiter der Meinung, dass die Merkmale E' und F1 bzw. F2 in Kombination miteinander zu sehen sind, da sie beide gemeinsam den Verlauf der Bodenpanzerung im Bereich der Fahrzeugseite definieren.
Die Merkmalskombination bewirkt, dass bei einer Ansprengung von unten bzw. von schräg unten der Bodenabschnitt der Panzerung durch den gepanzerten Seitenabschnitt abgefangen wird, indem die Bodenpanzerung gerade dort an die Seitenpanzerung herangeführt wird. Die Seitenpanzerung wirkt also als Widerlager für die Bodenpanzerung, so dass das
Fahrzeuginnere für die Druckwelle geschlossen bleibt bzw. die Druckwelle selbst einen vorhandenen Spalt sogar aktiv verschließt.
Mit anderen Worten wird durch das ebene bzw. gestufte Gestalten des gepanzerten Bodenabschnitts und durch sein Heranführen an den Seitenabschnitt der Panzerung dafür gesorgt, dass die durch das Explodieren eines Sprengkörpers erzeugte Druckwelle den Spalt zwischen den Boden- und Seitenabschnitten der Fahrzeugpanzerung nicht aufspreizt, sondern im Gegensatz schließen, so dass der Innenraum und seine Insassen weitgehend von den Sprengwirkungen geschützt werden.
2.1.4 Objektive Aufgabe
Anders als die in der angefochtenen Entscheidung von der Einspruchsabteilung definierte technische Aufgabe, ausgehend von D4 oder D8 eine alternative, an den Konturen verschiedener Fahrzeugtypen angepasste Panzerung bereit zu stellen, sieht die Kammer die auf den unterscheidenden Merkmale E' und F1 bzw. F2 basierende objektive technische Aufgabe darin, eine die Schutzwirkung der Fahrzeugpanzerung gegen Ansprengung von unten zu verbessern.
2.1.5 Keine naheliegende Lösung
Der Fachmann, vor diese Aufgabe gestellt, würde die
Lösung nicht in naheliegender Weise auffinden, denn keines der Dokumente des Standes der Technik setzt sich mit der im Streitpatent thematisierten Angriffsart aus-
einander, und keines der Dokumente schlägt eine Panzerung mit der Kombination der Merkmale E' und F1 bzw. F2 vor.
Wie im Weiteren dargelegt, findet sich im Stand der Technik kein Hinweis, Bodenpanzerung und
Türpanzerung so aufeinander abzustimmen, dass sie gemeinsam den Schutz der Fahrzeuginsassen gegen durch Sprengungen von unten erzeugten Druckwellen erhöhen.
In den verschiedenen zitierten Schriften werden viele
unterschiedliche Konfigurationen vorgeschlagen, keine jedoch befasst sich aber mit der Aufgabe der Schutzerhöhung eines Fahrzeuginnenraums bei Ansprengungen von unten.
Aufgrund der nachfolgenden Überlegungen vermögen die herangezogenen Entgegenhaltungen die jeweils beanspruchten Lösungsmerkmale in Kombination nicht nahelegen.
2.1.6 Ausgehend von D4
Die Entgegenhaltungen D7 und D18 befassen sich vor allem mit dem Schutz vor Beschuss, nicht aber vor Sprengungen von unten bzw. von schräg unten (vgl. Anspruch 1 und Spalte 1, Zeile 24 bis 38 von D7; Anspruch 1 und Seite 2, Zeile 15 bis 20 von D18).
Es ist somit bereits fraglich, ob und weshalb der Fachmann diese Druckschriften überhaupt zur Lösung der Aufgabe, den Schutz gegen Sprengung von unten zu erhöhen, konsultiert hätte.
Hätte der Fachmann D7 und D18 dennoch herangezogen, z.B. um die von der Einspruchsabteilung angenommene Aufgabe, nämlich die Anpassung der Panzerung von D4 an
verschiedene Fahrzeugtypen (vgl. Absatz 2.1.3 der angefochtenen Entscheidung), zu lösen, so wäre er nicht zur erfindungsgemäßen Lösung gelangt.
Die Panzerungskonzepte gemäß D4 und D7 sind unterschiedlich und nicht in naheliegender Weise kombinierbar, denn bei D4 besteht die Panzerung aus einem selbsttragenden, die Schweller-Panzerung überlappenden Kasten, während D7 lediglich eine wie ein Teppich auf dem Fahrzeugboden zu verklebende gepanzerte Bodenwanne, entsprechend einem gestuften gepanzerten Bodenabschnitt (Merkmal F1), betrifft.
Wie eine Seitenpanzerung ausgeführt werden könnte, ist in D7 nicht offenbart. Wenn nun die Bodenwanne von D7 in D4 zum Einsatz käme, müsste nicht nur der gepanzerte Bodenabschnitt 38, sondern auch die Schweller-Panzerung 34 weichen. Wie dann die Seitenpanzerung im Verhältnis zur Bodenpanzerung verlaufen würde, kann keineswegs im Wege einer Zusammenschau von D4 und D7 ermittelt werden. Die Kombination der Merkmale E' und F1 ist also nicht in naheliegender Weise herleitbar.
In gleicher Weise ist auch Anspruch 2 nicht nahegelegt. Die Ausführung gemäß Anspruch 2 eignet sich besonders für Fahrzeuge mit ebener Bodengruppe, vgl. Absatz [0015] des Streitpatents.
Auch hier fehlt es im Stand der Technik und im Fachwissen an der Lehre, Bodenpanzerung und Seitenpanzerung gemäß der kombinierten Merkmale E' und F2 auszulegen.
Es ist nicht erkennbar, weshalb der Fachmann D18 zur Kombination mit D4 überhaupt herangezogen hätte, zumal
D18 sich in keiner Weise mit der Problematik der Erhöhung der Schutzwirkung bei Sprengungen von unten befasst. Zudem kann sich die Kammer der Meinung der Einspruchsabteilung (vgl. Absatz 2.2.3 der angefochtenen Entscheidung) bzw. der Beschwerdegegnerin, dass eine bloße Anpassung der Bodenpanzerung von D4 an den Fahrzeugtyp bzw. an die Fahrzeugbodenkontur, nämlich eben wie in D18, zur beanspruchten Lösung führe, nicht anschließen. Festzuhalten ist zuerst, dass die Fahrzeugkontur gemäß D4 bereits eben gestaltet ist, dass das Fahrzeug
eine ebene Bodengruppe aufweist, und dass ganz offensichtlich die Bodenpanzerung 38 genau dieser
Fahrzeugkontur angepasst ist.
Der Fachmann, der sich dann dennoch die Aufgabe stellen würde, die aus D4 bekannte Bodenpanzerung der Kontur eines Fahrzeugs mit ebenem Boden (wie in D18 ausgeführt) anzupassen, würde die Lösung dieser Aufgabe unmittelbar in D4 finden, wo die Bodenpanzerung am Rand geknickt ausgeführt ist. D4 würde also von der Erfindung gemäß Anspruch 2, nämlich ein Heranführen des ebenen gepanzerten Bodenabschnitts an den gepanzerten Seitenabschnitt, sogar wegführen.
2.1.7 Ausgehend von D8
D8 ist von weniger Relevanz als D4 und kann somit nicht den nächstliegenden Stand der Technik darstellen. Anders als in D4 ist in D8 der Verlauf von Boden- und Seitenabschnitten der Panzerung nicht beschrieben; zudem bietet D8 nur Schutz vor Beschuss und befasst sich in keiner Weise mit dem Schutz vor Ansprengung von unten.
Hierbei ist wiederum nicht ersichtlich, dass durch Kombination mit D7 die fehlenden Merkmale (E' mit F1 oder F2) nahegelegt wären, da beide Dokumente völlig offen lassen, wie der Randbereich zwischen der Seitenpanzerung und der Bodenpanzerung zu
gestalten ist. Dass der Fachmann ohne weiteres die beiden Abschnitte so gestalten würde, dass der Spalt zwischen diesen Beiden bei Ansprengungen von unten automatisch schließen würde (vgl. Absatz 2.1.3 der angefochtenen Entscheidung), ist nirgends erkennbar und damit nicht belegt.
2.1.8 Nicht nahegelegt
Die Kammer gelangt zur Schlussfolgerung, dass der Fachmann die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 nicht in naheliegender Weise aus dem genannten Stand der Technik herleitet. Die Beschwerdegegnerin ist nicht von der objektiv ermittelten Aufgabe, den Schutz gegen Sprengung zu erhöhen, sondern von der technischen Aufgabe, wie in der angefochtenen Entscheidung definiert und als solche von der Beschwerdegegnerin übernommen, ausgegangen.
Die von der Beschwerdegegnerin vorgetragene Begründung hinsichtlich mangelnder erfinderischer Tätigkeit basiert offensichtlich auf einer abweichenden Analyse des bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit anzuwendenden Aufgabe-Lösungs-Ansatzes und scheint daher auf einer ex post facto, rückschauenden Betrachtung in Vorkenntnis der Erfindung des Streitpatents zu beruhen.
2.2 Schlussfolgerung
Die Ansprüche 1 und 2 erfüllen die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.
3. Da die geänderten Patentunterlagen gemäß Hauptantrag den Erfordernissen des EPÜ genügen, ist eine Entscheidung über die nachrangigen Hilfsanträge entbehrlich.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.